Читать книгу Teufels Träume - Jasmin Salfinger - Страница 7
Schwarzer Sommer
ОглавлениеWeich, kuschelig und warm. Fast etwas zu warm, schon beinahe unangenehm. Etwas Staub wirbelte gut sichtbar durch die hereinfallenden Sonnenstrahlen. Emilia war am Rande des Erwachens. In der Phase in der man sich nicht sicher ist ob man träumt oder schon wach ist. Ein seltsamer Traum hing ihren Gedanken nach. Sie war durch einen zauberhaften Garten geflogen und hatte in furchtbar dunkle Augen geblickt. So dunkel wie die Nacht. Es war wie eine Erinnerung die langsam verblasste oder wie Wasser das man mit bloßen Händen auffangen wollte. Sie versuchte den Traum festzuhalten. Sie hatte so ein Gefühl, dass der Traum beängstigend, zugleich aber auch wahnsinnig aufregend und... schön war. Ihr Hals kratzte furchtbar und schmerzte. Er kratzte sosehr dass sich ihr Traum beinahe in einen Alptraum verwandelt, mit Nadeln, die ihr in die Kehle stachen und sie erstickten.
„EMILIA! Komm runter Schatz, du hast Besuch!“
Die Worte schossen zu ihr durch und wie auf Kommando riss es sie aus dem Schlaf. Verwirrt warf sie einen Blick auf die Uhr, es war elf Uhr vormittags. Sie hatte ziemlich lang geschlafen. Sie lag im Himmelbett in ihrem großen, hellen Zimmer. Weiße Möbel mit pastellfarbenen Akzenten zierten ihr Reich. Sie wollte sich richtig aufsetzten, als sie dieser furchtbare Halsschmerz durchfuhr, der in einem Hustenanfall endete. Die Erinnerung an letzte Nacht kam nach und nach zurück. Mels Dummheiten ärgerte Emilia, gleichzeitig sorgte sie sich um den Rotschopf. Moment mal..., wie war sie nach Hause gekommen? Verwirrt runzelte sie die Stirn. Die Morelli Villa! Nein, das musste ein Traum gewesen sein! Oder? Ok, erst war sie auf dem Debütanten Ball, dann auf Mels Party, dann... Ja was hatte sie dann eigentlich getan? Sie hatte sich mit Mel wegen der Drogen gestritten und dann...hm.
Ihr wurde klar, dass sie keine Ahnung hatte wie sie nach Hause gekommen war.
„EMILIA? Hörst du mich nicht?“ rief ihre Mutter ungeduldig aus dem Erdgeschoss.
Himmelherrgott, wer besuchte sie denn am Sonntagvormittag?
Das Kratzen in ihrem Hals ignorierend wollte sie rasch der Aufforderung ihrer Mutter Folge leisten und schlug die Decke beiseite. Emilia entfuhr ein entsetzter Laut. Ihr Bett war dreckig. Und zwar so richtig dreckig. Sie trug noch immer ihr Ballkleid. Ihr zerfetztes, schmutzverkrustetes, feuchtes Ballkleid. Ungläubig sah sie stocksteif an sich hinunter, und ihr kleines gestriges Abenteuer kehrte in voller Erinnerung zurück. Es war tatsächlich passiert! Sie hatte nicht geträumt. Aber... Aber wie war das möglich? Wenn sie so zurückdachte, war das was ihr passiert war, ziemlich verrückt.
Hektisch räusperte sich Emilia: „Ich komme gleich, ich zieh mir nur was an!“ krächzte sie heißer. Sie hatte Panik, dass ihre Mutter hoch kam um nach ihr zu sehen. Wie von einer Biene gestochen hüpfte Emilia auf, riss sich das Kleid vom Leib, zog das Bett ab, wischte Dreck vom Boden und stopfte alles in die unterste Lade ihres Schrankes. Sie würde das Zeug bei Gelegenheit entsorgen, das Kleid war sowieso nicht mehr zu retten. Hauptsache sie vernichtete die Beweise ihres Abenteuers. Sie wollte nicht erklären müssen was gestern passiert war. Die Terrino Kerle, Mels Drogengeschichte, und ihr unfreiwilliger Einbruch in das älteste Anwesen der Stadt. Nein es war besser ein paar Geheimnisse für sich zu behalten. Da erst bemerkte sie wie sie fröstelte und von einem Schüttelfrost gepackt wurde. Emilia hustete und zitterte was das Zeug hielt. Da sie so intelligent gewesen war sich mit nassen Kleidern ins Bett zu legen war sie jetzt aufs übelste erkältet. Tiefe dunkle Ringe zeichneten sich auf ihr fahles Gesicht. Geräusche aus dem Erdgeschoss drangen zu ihr hoch.
Ein paar Stimmen redeten miteinander, war das etwa Corrinn? Was machte die denn hier?
Emilia wickelte sich fest in eine Decke, ehe sie im Schneckentempo von ihrem Zimmer hinunter in die Küche ging. Die Villa der Familie Schwarz war sehr groß und hell, sie war im französischen Stil mit Elementen aus der Barockzeit und marmornen Böden.
Emilia ging die weitläufige Treppe hinab, vorbei an geschmackvollen Blumenarrangements im Foyer, hin zur Küche.
Emilia hatte sich tatsächlich nicht verhört, in der großen hellen Küche saßen im Sonnenlicht Corrinn und Alexander und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen bei zwei Tassen Kaffee.
"Leute, was macht ihr denn hier?" Fragte Emilia noch in der Tür stehend. Corrinn und Alex wanden gleichzeitig die Köpfe zu ihr.
„Lia! Deine Mutter hat uns reingelassen, wir-“ doch Corrinn wurde unterbrochen.
„Oha, wie siehst du denn aus?“ Kam es von Alex. Ganz der wahre Gentlemen.
Emilia bedachte ihn mit einem finsteren Blick: „Dir auch einen guten Morgen Alexander.“
„Wie war die Party gestern noch?“ fragte Emilia an Corrinn gewandt.
„Die Party! Deswegen sind wir hier! Wo zum Teufel bist du abgeblieben?“ fragte sie und erhob sich von ihrem Stuhl.
„Ähh-“ Doch Emilia kam gar nicht erst zu Wort.
„Weißt du eigentlich was für Sorgen wir uns gemacht haben? Dein Handy ist aus! Wir wussten nicht ob du heimgefahren oder in den Fluss gefallen bist. Alex und ich haben dich stundenlang gesucht. Wir haben uns aber auch nicht getraut jemandem was zu sagen falls du weiß Gott wo übernachtest, ohne die Erlaubnis deiner Eltern!“ Corrinn redete sich gerade ziemlich in Rage. Sie war zwar manchmal zickig, aber wütend wurde Corrinn nie. Sie musste sich wirklich Sorgen gemacht haben. Das alleine konnte aber nicht der Grund sein, dass sie sich so aufregte. Emilia sollte den wahren Grund gleich erfahren.
„Und was zum Henker war gestern eigentlich los, ha?!“ traktierte Corrinn Emilia. Emilia wusste nicht genau, wieviel Corrinn gestern mitbekommen hatte und stellte sich dumm.
„Ähm, ich bin mir nicht sicher was du mei-„ wollte Emilia ansetzten.
„Du weißt ganz genau was ich meine Lia! Du hast dich Mel gegenüber mega merkwürdig Verhalten. Dann tauchen diese Terrino Typen auf die Mel zu kennen schienen. Und dich anscheinend auch, da du ja mit dem einem Blonden aus dem Garten gekommen bist. Dann dreht Ben durch, und zettelt fast eine Prügelei an! Mel ist total sauer auf mich, weil ich die Polizei rufen wollte und du bist wie vom Erdboden verschluckt!“ Corrinn hatte also gestern so ziemlich alles mitbekommen, na klasse.
„Willst du wissen was die Terrino Kerle vorhatten? Die wollten Drogen auf der Party verkaufen“ setzte Alex bitter hinzu. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass du oder Mel so dumm seid um bei sowas mitzumachen, aber gestern sah es ganz danach aus. Wusstet ihr was da abging?“ fragte er eindringlich. Emilia sah die beiden an, sie wollten sie nicht bloßstellen, oder in Schwierigkeiten bringen, dass wusste Emilia. Die Beiden sorgten sich nur wahrhaftig um ihre Freunde. Emilia konnte ihnen nichts erzählen ohne sie zu Mitwissern zu machen oder Mel in Schwierigkeiten zu bringen. Beides wollte sie nicht.
„Sobald irgendwo auch nur das Wort Drogen ausgesprochen wird, müssten wir das eigentlich melden, dass weißt du oder?!“ fragte Corrinn wütend und verzweifelt.
„Was? NEIN! Ich- Leute es ist nicht so wie ihr denkt.“ Setzte Emilia an, obwohl sie keine Ahnung hatte was sie eigentlich weitersagen wollte. „Hört mal, das lässt sich alles klären, wir müssen nur mal mit Mel reden ok!“
„Würden wir gern, geht aber nicht.“ Antwortete Alex.
„Wieso?“
Corrinns Gesichtsausdruck veränderte sich zu einer stirnrunzelnden Miene: „Sie ignoriert uns. Sie und Ben haben sich gestern heftig gestritten. Sie will nicht sagen weswegen, genauso wenig wie er.
Emilia konnte sich vorstellen um was es ging; Ben hatte Mel wegen den Drogen zur Rede gestellt und sie hatte sich das vermutlich nicht gefallen lassen. Emilia klatschte sich innerlich selbst auf die Stirn, hätte sie doch bloß nichts zu Ben gesagt.
"Ist egal, du weißt was los war also verrat es uns! Wir sind schließlich deine Freunde!" Brauste Corrinn wieder los.
Schritte näherten sich der Küche, sodass sie alle verstummten. Emilia war noch nie so froh ihre Mutter in eines ihrer Gespräche reinplatzen zu sehen. Neben den Erwachsenen würden Corrinn und Alex sie nicht weiter traktieren und sie blieb ihnen für den Moment wenigstens eine Antwort schuldig.
Leatrice war elegant wie eh und je in die Küche spaziert, erblickte Emilia und erlöste sie von dieser unangenehmen Unterhaltung. Ihre Tochter sah so blass, schwitzig und fröstelnd aus, dass sie sie sofort zurück ins Bett beorderte und die beiden Freunde mit der Bitte doch ein andermal wieder vorbei zu kommen vertröstete und vor die Tür setzte. Sie wusste nicht woraus sie Emilia gerade befreit hatte. Dankbar und erleichtert entschwand Emilia in ihr Zimmer. Sie ließ sogleich die Tür ins Schloss fallen und zückte ohne Umschweife ihr Smartphone. Gereizt donnerte sie das Ladekabel in den Anschluss, und schaltete es ungeduldig ein. Ihr Handy ging über mit verpassten Anrufen von Corrinn und Alexander, auch zwei Anrufe von Ben waren dabei, aber keinen Mucks von Mel. Genau die rief Emilia jetzt an. Sie musste sie vorwarnen das Alex und Corrinn Bescheid wussten, und sie wollte wissen was genau zwischen ihr und Ben vorgefallen war. Die Sprachbox ging ran, doch Emilia war nicht gewillt aufzugeben und betätigte gefühlte 100-mal die Wahlwiederholung. Zu ihrer Überraschung hob Mel letztendlich doch ab.
"WAS?!" Fauchte es aus dem Hörer.
"Mel, hör zu, ich weiß, dass du Sauer auf mich bist, aber ich muss dir sagen, dass Corrinn und Alex gestern ziemlich viel mitbekommen haben, sie werden dir sicherlich Fragen stellen-" doch Mel schnitt Emilias Wortschwall barsch ab.
"Erzähl ihnen was du willst, das ist auch schon egal! Ben droht damit zu meinem Vater zu gehen! VIELEN DANK LIA!" Brüllte sie.
"Was- ich-?" Stotterte Emilia überrumpelt, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte Ben eingeweiht, eben weil sie gedacht hatte er würde Mel niemals verraten.
"Ja, er droht damit ihm zu stecken, dass ich Kontakt zu Drogendealern habe. Da du mich gestern so nett behandelt hast, schätze ich er hat diese Vermutung von dir. Dazu hattest du kein Recht, es geht dich nich-„ Jetzt viel ihr Emilia ins Wort.
"Hey ganz ehrlich, es geht mich was an! Immerhin mach ich mir Sorgen um dich, und deshalb willst du wütend auf mich sein? Ja du hast recht, ich hab Ben die Sache erzählt, aber nur weil ich nicht wusste was ich tun sollte! Mel warum zum Teufel nimmst du Drogen und warum waren diese Terrino Kerle gestern zum Drogenverkaufen da? Übrigens, ja ich weiß, dass sie Drogen verkaufen wollten. Hat das irgendwas mit meiner Kette zu tun? Warum haben sie dir die überhaupt gegeben?"
Emilias Handy explodierte fasst in ihrer Hand als Mel ihre Antwort durchbrüllte:
"Ich nehme keine Drogen Lia! Das war so nicht!“
"Tja, na los, jetzt hast du die Chance! Erklär's mir!" Forderte Emilia nicht minder sauer.
Es folgte ein kurzes Schweigen. Ehe Mel trommelfellzerplatzend wieder loslegte:
"SCHÖN! Ich nehme keine Drogen! Benn hasst mich jetzt und mein Freund wird vielleicht demnächst umgebracht! Dank dir!"
Emilia starrte überrumpelt in die Luft. Was? Was für ein Freund? Hä?
"Warte mal, was? " Fragte sie.
Es folgte eine ziemlich hitzige Erklärung die mehr einer Schimpftirade glich. Der hochgewachsene Brünette Junge den Emilia damals am Schultor mit Mel gesehen hatte, war nicht irgendein Terrino Typen oder Drogendealer. Er war Mels fester Freund Chace. Mel hatte nichts von ihm erzählt, da sie befürchtet hatte, dass ihre Freunde ihn aufgrund seiner Herkunft und seines Umfelds nicht akzeptieren würden. Womit sie recht hatte, einen Kleinkriminellen hätten sie ihr definitiv ausreden wollen. Es war nun so: der Typ Chace war in Schwierigkeiten gewesen, er hatte sich mit dem Drogenkartell in Terrino angelegt. Er hatte sich an seine Freundin gewandt, sie sollte für ihn seine Drogen (die in diesem Falle für ihn irgendeine Art von Versicherung Darstellten) aufbewahren bis er Geld aufgetrieben hatte um seine Schwierigkeiten zu beseitigen. Mel hatte zugestimmt. Sie war blind und mit rosaroter Brille herumstolziert, ohne zu registrieren was sie da eigentlich tat. Denn sie stimmte nicht nur zu, die Drogen aufzubewahren, sondern ihrem Schatzi auch dabei zu helfen Geld aufzutreiben. Es war viel Geld, weswegen sie nicht die Kreditkarte ohne Verdacht benutzen konnte. Daher hatte sie ihm gestattet bei der Auktion damals etwas zu stehlen. Die Auktion war so pompös und jeder Anwesende war so Reich. Ein einziges Teil würde kaum vermisst werden oder überhaupt auffallen. Dachte sie damals jedenfalls. Leider hatte der Typ den Chace um Hilfe gebeten hatte, genau nach dem falschen Teil gegriffen und sich Emilias Kette geschnappt. Das war der Blondschopf. Mel kannte Leatrice, Emilias Mutter, und wusste, dass diese keine Ruhe geben würde, bis ihre Tochter das erhalten würde, was ihr zustand. Sie hatte Angst, dass Leatrice die Ermittlungen in der Sache extrem vorantreiben würde (genug Einfluss hatte Emilias Familie ja) und sie alle dadurch Auffliegen könnten. Mel wollte es sich absolut nicht leisten mit Drogen in Verbindung gebracht zu werden. Wie Gefährlich das ganze Spiel war, dass sie da Trieb wurde ihr aber erst im Nachhinein bewusst. Sie befahl also ihrem Freund Chace die Kette wieder herzugeben, samt dem Schlüssel, dem sie ihm damals verschafft hatte. Da sie ihm aber immer noch helfen wollte, gestattete sie ihm stattdessen, mit seinen Jungs Drogen auf ihrer eigenen Party zu verkaufen. Sie wusste wie neugierig in Tat und Wahrheit alle aus ihrem Jahrgang auf die verbotenen Substanzen waren. Und einmal, im Schutz der Nacht und in sicherer Umgebung, hätten wohl doch einige zugegriffen. Nur hatte ihr Emilia einen Strich durch die Rechnung gemacht, sie hatte ihr hinterherschnüffeln müssen und somit alles in Gefahr gebracht. Und das schlimmste war: sie hatte Ben eingeweiht! Ben, der insgeheim in Mel verliebt war, wollte den Beschützer spielen, und die Typen vertreiben. Als Mel wieder aus dem Garten zurückkam, nachdem sie Emilia abgeschüttelt hatte, hatte er fast schon eine Prügelei angezettelt. Er reagierte mehr als überrascht als Mel in davon abhalten wollte. Nein es kam noch besser, sie schlug sich auf die Seiter der Terrino Leute. Er konfrontierte Mel ebenfalls mit den Drogen. Als Mel ihm erklärte, dass sie keine Drogen nahm, und es einen anderen Grund für all das gab, begriff er es. Der Typ den er gerade verprügeln wollte, hatte was mit Mel am Laufen. Mit seiner Mel. Mit seiner Mel die er insgeheim so sehr liebte. Mel, die es Vorzog einem kleinkriminellen Abschaum schöne Augen zu machen, anstatt ihn in Betracht zu ziehen. Einen ihrer besten Freunde der sich um sie sorgte und scherte. Genau diese Worte hatte er ihr ins Gesicht geschleudert, und ihr somit nach all den Jahren seine Liebe gestanden. Und Mel? Die war verdattert und überrumpelt dem Schweigen verfallen, weil sie davon tatsächlich nichts geahnt hatte. Ben war davon gestürmt, doch in seiner Wut und seinem Frust hatte er noch eine letzte Drohung gegen Mel erhoben: Entweder sie würde sich von diesen Typen fernhalten, oder er würde zu ihrem Vater Dr. Salveter gehen und ihm von den Drogen erzählen. Mel war niemand der sich bedrohen ließ und hatte boshafter denn je reagiert: Sie hatte Worte ausgestreut die einen bleibenden Schaden in ihrer Freundschaft hinterlassen würden. Die ganze Drogenverkauf-Aktion war damit gescheitert, und sie hatte ihrem Freund Chace nicht helfen können. Er steckte immer noch in Schwierigkeiten und ihm lief die Zeit davon, was Mels Sorge um ihn nur hundertfach steigerte.
"Hättest du nichts gesagt, wäre alles wieder ins Lot gekommen!" Waren die letzten Worte die durch den Lautsprecher preschten, ehe sie die Verbindung abbrach.
Emilia blieb sprachlos auf ihr Handy starrend in der Leitung.
Emilia schlief schlecht. Eigentlich schlief sie gar nicht, sie wälzte sich von der einen Seite fiebrig auf die andere. Sie hatte sich so schwer erkältete, dass es allmählich zu einer stattlichen Grippe auswucherte. An den montäglichen Schultag war nicht zu denken, ihre Mutter fesselte sie regelrecht ans Bett. Voraussichtlich würde sie die ganze Woche nicht in die Schule gehen können. Ein Umstand, von dem sie nicht wusste ob er sie froh oder unglücklich stimmte.
Emilia hatte ernsthaft Sorge, dass sie sich mit Mel zu hart zerstritten hatte. Konnte ihre Freundschaft nach all den Jahren jetzt zerbrechen? Egal wie sehr sie sich um die Zukunft sorgte und Angst hatte, sie hatte Mel immer als feste Konstante in ihrem Leben betrachtet. Aber jetzt... Sie wünschte sich sie könnte die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen. Andererseits hielt sich ihr schlechtes Gewissen in Grenzen; irgendwie war das zwar alles ihre Schuld, aber Mel hatte ihr nie etwas von diesem Freund Chace erzählt und Emilia hatte nur zu ihrem Besten gehandelt. Es war eine Kopfschmerz-Situation durch und durch.
Die Nacht von Montag auf Dienstag, schlief Emilia besonders schlecht. Sie hatte hohes Fieber und wälzte sich hin und her. Sie murmelte im Schlaf und ihr war so unglaublich heiß, beinahe so als würde sie verbrennen…. Flammen, Glut, Asche bestimmten ihre Sinne. Ein Delirium der Hölle.
Gerade als die Hitze unerträglich wurde, riss es sie ruckartig aus dem Schlaf, als ob sie irgendetwas gehört hätte. Verwirrt blickte sie sich um. Da war nichts.
Emilia quälte sich aus dem Bett und riss das Fenster auf um sanfte Kühlung herein zu lassen. Sie schleifte sich stöhnend zu ihrem kleinen Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Das Wasser tat gut, es half nur nicht viel gegen diese fürchterlichen Kopfschmerzen. Emilia blickte in den Spiegel, ihre Haut war Aschfahl. Plötzlich lief es ihr kalt den Rücken hinab, als wäre ein eisiger Hauch durch die Sommernacht und das offene Fenster geweht.
Das Fenster spiegelte sich in dem Badezimmerspiegel wieder. Plötzlich war da eine Hand. Eine Hand die am Fensterrahmen hing.
Emilia stieß einen heißeren Schrei aus und fuhr herum. Da zog sich aus der Nacht ein Blondschopf in das Zimmer hinein, schwang sich über den Rahmen und landete leichtfüßig auf dem Parkett. Ein Paar schwarzer, katzenhafter Augen sah sie kalt an.
„Hallo Prinzessin.“
Emilia wollte schreien, da hatte er auch schon das Zimmer durchquert und ihr die Hand auf den Mund gepresst. Er war stark, wahnsinnig stark.
„Ruhig! Beruhig dich, ich lass dich gleich wieder los Prinzessin, ok?!“ sagte er ruhig mit seinen vollen Lippen an ihrem Ohr. Sein kalter Blick dagegen war keineswegs beruhigend. Er wartete ihre Reaktion erst gar nicht ab und ließ sie wieder los. Emilia brachte sofort so viele Meter wie der Raum zu ließ, zwischen sich und den blonden jungen Mann.
Emilia sagte kein Wort, sie starrte ihn nur an. Wie eine starre Gazelle, die von einem Jäger umkreist wurde.
„Fürchtest du dich Prinzessin?“ fragte er überheblich und zog eine Augenbraue hoch.
Emilia antwortete nicht, sie dachte an das Pfefferspray in der Tasche die auf dem Boden lag.
„Mal ehrlich, für wie schlecht hältst du die Leute aus Terrino? Glaubst du etwa ich lass dich mein Leben retten und zum Dank würde ich dir was tun? Mach dich mal nicht lächerlich.“ redete er im Plauderton und macht eine wegwerfende Handbewegung.
Emilia stockte: „Du bist der Motorradfahrer?“ Ja klar natürlich. Sie erinnerte sich an die kalten Augen hinter dem Visier. Das war bei weitem kein Grund dem Kerl vor ihr zu vertrauen. Er war ein Dieb, er war ein Drogendealer, er war aus Terrino. Etwas Unheilvolles schien ihn zu umgeben. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie ihn für einen einfachen Klein-Kriminellen gehalten. Das jetzt hier war anders. Die Dunkelheit an ihm schien jetzt förmlich greifbar zu sein. Gefahr! Schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Instinkte ließen die Alarmglocken läuten und befahlen ihr wegzulaufen, doch etwas anderes hielt sie auf der Stelle.
„Du bist ein Dieb! Du hast meine Kette gestohlen! Was willst du?“ fragte sie ihn finster. Schrei doch, schrei doch um Hilfe, flüsterte eine innere Stimme. Das Haus würde sofort hell erleuchtet sein und alle würden ihr zu Hilfe eilen, doch sie schrie nicht...
Der Blondschopf ging auf ihre Anschuldigungen gar nicht ein.
„Ich bin hier um dich an meine Schuld zu erinnern.“ Sagte er schlicht und lehnte sich mit verschränkten Armen lässig an das Fenster.
„Du hast mich gerettet, dafür stehe ich in deiner Schuld. Ich hasse es jemandem etwas schuldig zu sein und lasse auch niemals eine Schuld unbeglichen. Deshalb, solltest du je in Schwierigkeiten geraten oder Gefahr laufen zu sterben…. Lass es mich wissen, dann sind wir Quitt.“
Äääähm. Was? Emilia sagte erstmal nichts. Hatte sie sich verhört? War dieser furchteinflößende junge Mann tatsächlich nur hier um ihr zu sagen, dass sie was gut bei ihm hatte?
„Woher weißt du wer ich bin?“ fragte sie misstrauisch.
„Tz, ich hab‘ meine Mittel und Wege… und der Feuerschopf hat deinen Namen auf der Party laut genug herum gebrüllt.“ fügte er hinzu. Er sah so aus als würde es ihm gerade sehr schwer fallen nicht die Augen zu verdrehen.
Genau diese Augen machten Emilia wahnsinnig, sie waren so durchdringend, so tief und so... so fremdartig. So hatte sie diese Augen nicht in Erinnerung.
Er zog einen kleinen Zettel aus seiner Tasche, warf ihn auf ihr Bett und sagte: „Damit kannst du mich erreichen. Also Prinzessin, bis zu unserer nächsten Begegnung.“ Er grinste schief und hämisch, stieg wieder durch ihr Fenster und verschwand Katzengleich in die Nacht hinaus.
Der eisige Hauch war weg. Ihr Zimmer schien wieder normal temperiert zu sein. Emilia blieb noch kurz stehen, bevor sie zum Fenster stürzte, es zuschmiss und verriegelte.
Sie nahm den Zettel in die Hand und faltete ihn auseinander. Darauf standen eine Telefonnummer und ein Name. Darren. Darren Newcorn. So hieß er also. Der junge Mann aus dem übelsten Teil der Stadt, mit einer Ausstrahlung wie der Tod, dem Gesicht eines Schutzengels und genau den wollte er für sie spielen. Schnell vergrub sie den Zettel wahllos in der Tasche einer Jacke.
Emilia hatte nach dem nächtlichen Ereignis nur noch unruhigen Schlaf gefunden. Sie wurde erneut von dieser Hitze heimgesucht, nur schien das wenige Stunden zuvor nur ein Vorgeschmack gewesen zu sein. Diese Grippe verwandelte sich in eine krankhafte Monstrosität. Die flammende Höllenglut die durch ihre Adern preschte reichte fast über die Grenze des erträglichen und bescherte ihr Feuer Träume. Erst der nächste Tag befreite sie aus diesem Schlaf. Sie blinzelte mit brennenden Augen gegen die Sonne, die bereits im Zenit stehend durch ihr Fenster fiel. Im Zenit? Huch, sie hatte fast den ganzen Tag verschlafen.
Etwas stimmte nicht. Emilia konnte es fühlen und hören. Unzählige Stimmen drangen durch den Fußboden. Es war Dienstag spätnachmittags, warum hatten ihre Eltern so viele Menschen zu Besuch? Das hörte sich an als wären zig Leute im Salon versammelt. Erstaunlicherweise war ihre Grippe nach dem Aufwachen viel besser geworden. Schnell band sie sich die Haare und bemühte sich um ein vorzeigbares Erscheinungsbild ehe sie hinunterging. Sie trat auf den hellen Flur hinaus, und sah am Treppengeländer ein kleines blondes Mädchen stehen. Die Zehenspitzen reckend spähte es hinunter und lauschte.
"Sophia" Sagte Emilia und trat neben ihr Schwesterchen. Sophia wand ihr kurz die großen blauen Augen zu ehe sie sofort wieder hinunter schaute "Was ist denn los" fragte Emilia.
"Ich weiß es nicht, Mama hat mich hochgeschickt!"
"Weswegen denn?" Emilia war verwirrt.
"Vor einer Stunde sind ganz viele Leute aufgetaucht, manche haben geweint, aber bevor ich irgendwas mitbekommen habe hat Mama mich schon verscheucht. Das ist mal wieder nichts für Kinder." Für eine Zehnjährige konnte ihre kleine Schwester ganz schön verbittert klingen. "Außerdem hat sie Charly zum Bellen beauftragt." Charly war Sophias Nanny, und wenn Sophia wütend auf Charly war, nannte sie sie die bellende Charly, die bellend auf sie aufpassen sollte. Jetzt war sie zwar nicht wütend auf Charly, aber einfach generell genervt.
"Oje..." Sagte Emilia, wenn jemand weinend gekommen war, war vielleicht einer der befreundeten Nachbarn gestorben. Tja es gab auch in St. Monterose sehr betagte alte Menschen. Bei extrem freudigen, wie aber auch bei extrem traurigen Ereignissen, sammelte sich traditionellerweise die Nachbarschaft im Hause der Familie Schwarz. Emilia hatte keine Ahnung wie und wann diese Tradition entstanden war, in ihrer Erinnerung war es einfach immer schon so gewesen. Es lag vermutlich daran, dass ihr Vater das Ansehen eines Bürgermeisters in St. Monterose innehatte (auch wenn Monterose keinen Bürgermeister hatte, es war schließlich einer von vielen Stadteilen einer Millionenmetropole)
"Sorry Zwerg, ich glaub das ist wirklich nichts für Kinder." Sagte sie zu ihrer kleinen Schwester, zog sie an den Haaren und ging die Stufen hinunter. Sophia streckte ihr bockig die Zunge raus. Sie hatte ihre Schwester zwar spielerisch geneckt, aber ein Tief sitzendes ungutes Gefühl hatte sich in ihrer Brust breitgemacht.
Emilia ging den breiten Gang zum Salon und stieß die Tür auf. Sie hatte nicht mit dem Schwall an Emotionen gerechnet der ihr entgegen kam. Da waren ca. fünfzig Leute in dem Raum. Ihr Salon war zwar ziemlich groß, aber für so viele Menschen wurde es dann doch langsam eng. Und sie weinten! Nicht nur einer, so viele von Ihnen weinten, waren wütend und manche beteten sogar.
Sprachlos stand Emilia in der Tür. Sie sah ihren Vater Henrik in der Mitte des Raumes. Er hing am Telefon während er zeitgleich lautstark mit einigen der Anwesenden redete. Leatrice tauchte vor Emilia auf und versperrte ihr die Sicht.
"Emilia, Geh in die Küche bitte!“ Kein guten Morgen oder so, sie wollte Emilia sofort loswerden.
„Was ist hier los?“ fragte Emilia, nicht gewillt sich abwimmeln zu lassen.
"Etwas um das sich die Erwachsenen kümmern! "
Emilia verhörte sich wohl gerade. Ernsthaft? Leatrice sah das Emilia protestieren wollte und unterband sofort jegliche Einwände.
"Ich sagte Küche Emilia! Sofort!" Verdattert stolperte Emilia zurück, so einen Befehlston war sie von ihrer Mutter nicht gewohnt. Unter deren strengen Blick verzog sie sich Richtung Küche.
"Emilia!" Schrie ihr jemand entgegen und fiel ihr um den Hals. Corrinn drückte sich mit ihrer blonden Haarpracht an sie und schluchzte. Überrumpelt rang Emilia nach Luft: "Corrinn!" Krächzte sie.
Corrinn ließ sie los und trat rasch einen Schritt zurück, hinter ihr standen Alex und Ben, die beide Gesichter der Düsternis trugen.
"Leute? Was macht ihr hier? Was ist passiert?" Fragte Emilia während ihr Puls nach oben schoss. Etwas Schreckliches musste geschehen sein, dass war mittlerweile offensichtlich.
Corrinn sah sie an und Tränen sammelten sich in ihren Augen. "He, Corrinn du machst mir Angst" sagte Emilia deren Stimme langsam bröckelte.
"Lia, die Schule ist abgebrannt." Sprach Alex rau.
"WAS? WANN?!" Prustete Emilia geschockt.
"Heute Mittag. Während des Unterrichts." Antwortete ihr Ben abgehackt.
"Es ging so schnell, keiner wusste wo es herkam!" Schluchzte Corrinn.
"Ist jemandem was passiert?" Fragte Emilia sofort und starrte ihre Freunde der Reihe nach an. Bevor jedoch einer ihrer Freunde eine Antwort geben konnte sah Emilia sich erschrocken um: "Wo ist Mel? Nein, nein sie ist doch nicht etwa-?" Der Moment dauerte nur eine kurze Millisekunde lang. Es war lang genug um ihr einen Vorgeschmack darauf zu geben was es bedeuten würde einen wichtigen Menschen in ihrem Leben zu verlieren. Ein Ohnmächtiges Gefühl, dass einem den Boden unter den Füßen wegzog.
"Nein Lia, ihr geht's gut! Mel geht's gut, sie war nicht in der Schule! Sie war nicht da!" beruhigte Ben sie sofort.
"Aber- die Chemielabore... Die 5A wurde vom Feuer überrascht und mit den ganzen Chemikalien darin..." Ben sah betreten zu Boden. Die 5A war ihre Parallelklasse gewesen. Die Klassen blieben meist eher unter sich, doch jeder hatte hier und dort ein paar Freunde in der anderen Klasse.
"Sie sind wahrscheinlich alle tot."
Emilia sah ihn an als ob er sie gerade geohrfeigt hätte. Ein Drittel des Abschlussjahrgangs konnte nicht von den einen auf den anderen Tag ausgelöscht sein.
Emilia räusperte sich: "Wahrscheinlich? Was soll das heißen?" Fragte sie krächzend nach.
"Wegen der ganzen Chemie kann dort nur eine Spezialeinheit rein und naja... Die konnten noch nicht alle Leichen rausholen und identifizieren." Sagte Alex. Corrinn war nicht mehr im Stande dazu etwas zu sagen.
Emilia starrte nun ebenfalls zu Boden. Leise fragte sie: "Wer ist definitiv tot?" Sie musste wissen welche ihrer Schulfreunde zu Grabe getragen wurden.
"Larrissa Mc Colden" kam es von Corrinn. Sie hatte ihre Stimme wieder, nur um elf Namen hintereinander zu nennen. Elf Namen die vor wenigen Stunden noch individuelle Leben bedeuteten und bald nur mehr als Erinnerungen auf einem Grabstein stehen würden.
„Marty Stoller.“ Fiel ihr Emilia plötzlich ins Wort. Sie hörte sich selbst diesen Namen sagen, ohne zu registrieren was sie tat. Vor ihrem inneren Auge war Marty aufgeblitzt. Ein sechzehnjähriger mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hatte.
"Was?" Fragte Alex und runzelte die Stirn. "Nein, Marty ist gar kein Fünftklässler?!"
"Nadya Bohm, Felix Zcek" sprach Emilia weiter ohne auf Alex zu reagieren. Es flimmerten Bilder vor ihrem geistigen Auge vorbei. Bilder die sie einfach nicht abschütteln konnte, von Kindern, nein keine Kinder… fünfzehn und sechzehnjährige.
"Ich glaube sie hat einen Anfall!" Sagte Ben gestresst "Ich hol schnell ihre Mom."
Er drückte sich an Emilia vorbei und lief hinaus.
"Okey, Lia setz dich!" Sagte Alex und wollte sie zu einem der Stühle bugsieren. "Corrinn, gib mir mal ein Glas Wasser." Bat er sie. Doch Corrinn reagierte gar nicht, sie sah auf ihr Handy das gerade vibriert hatte, sah mit geöffnetem Mund hoch und starrte Emilia an.
"Was?" Fragte sie Alex, weil ihre Stille ihn verwirrte.
"Desiree hat mir geschrieben." (Desiree war die derzeitige Schulsprecherin und Freundin von Corrinn) "Marty Stoller, Nadya Bohm und Feli Zcek sind tot. Sie wurden gerade identifiziert."
Alex sah zwischen ihr und Emilia hin und her. Ab jetzt schien es wohl auch mit seiner Fassung am Ende zu sein.
"Woher wusste du das?" Platzte er ungläubig heraus. Emilia sah ihn an und konnte keine Antwort geben. Woher hatte sie das gewusst? Woher nur? So als ob sie Vorhergesehen hätte wer in den Flammen verbrannt war. Ihr Hirn fing an heiß zulaufen wie ein Uhrwerk voller Zahnräder. Da warf eines der Zahnrädchen in ihrem Kopf einen Funken… ihr Fiebertraum. Dieser elendig heiße Traum, der sich anfühlte als wäre sie in Flammen aufgegangen. Wenn sie ihren Kopf fest anstrengte, konnte sie sich an Bilder aus diesem Traum erinnern. Bilder von Gängen in denen das Feuer loderte, und ebenjenen Kindern die darin umkamen. Konnte das möglich sein? Nein, das war absurd… oder etwa doch?
Sie öffnete den Mund und sprach ohne nachzudenken, mit einer Stimme so leicht wie der Wind auf einem Friedhof: "Ich hab es geträumt"