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Weiße Schuld

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Man führte Emilia durch unzählige finstere Gänge. Die Wände waren kahl und Leer. Der Boden war aus stinkendem Plastik und grelles, weißes Neonlicht leuchtete von oben auf sie herab.

Emilia hatte keine Ahnung wo sie langgefahren waren, es interessierte sie auch nicht sonderlich. Es war als befände sie sich in einer anderen Welt. In einer Welt die dumpf und hohl war und in der keine Gefühle existierten. Es gefiel ihr hier… hier musste man an nichts denken.

Ein kleines Pochen in ihrem Kopf, mahnte sie diese schützende, dumpfe Welt zu verlassen und in der Gegenwart zu bleiben. Aber dann würde sie wieder fühlen…. Und das wollte sie nicht. Da warteten nur Schreckliche Dinge die ihr Verstand verarbeiten müssen würde.

So schlurfte sie teilnahmslos weiter, durch immer mehr Flure und Türen.

Man geleitete sie in einen fensterlosen, engen Raum. Er war leer, bis auf ein kleines Bett in einer Ecke und einer Toilette in der anderen. Die Tür schlug hinter ihr zu und sie war allein.

Kraftlos setzte sie sich auf das Bett, stierte auf die Wand gegenüber und regte keinen einzigen Muskel mehr.

Vor der Tür liefen hektische Schritte hin und her, Menschen redeten laut durcheinander. Emilia blendete alles aus. Zähe Klumpen von Zeit bröckelten nur so dahin.

Sie hätte nicht sagen können wie lange sie bereits in diesem kalten Raum saß. Minuten? Stunden? Tage? Keine Ahnung.

Die Tür flog wieder auf, und ihre Mutter, gefolgt von einem besorgten Vater stürmte auf sie zu. Leatrice umarmte sie, sah die noch immer blutverkrusteten Hände ihrer Tochter und brach in Tränen aus. Sie umklammerte Emilia noch fester.

Ihre Eltern redeten fieberhaft auf sie ein, doch Emilia verstand gar nichts. All die Wörter machten keinen Sinn.

Ihr Vater blickte zur Tür, anscheinend hatte ihn jemand gerufen. Er ging zurück auf den Gang und sprach mit einem Mann in einem weißen Kittel. Emilia konnte das Wort „Schock-Zustand“ hören, sprach man etwa über sie?

Ihre Mutter strich ihr sanft über das Haar, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ebenfalls hinaus. Die Tür fiel zu, Emilia war wieder allein und fuhr damit fort auf die Wand zu starren und an ja nichts zu denken. Bis die Tür erneut aufging, wie viel Zeit war jetzt vergangen? Fünf Minuten? Nein, es mussten mehrere Stunden gewesen sein, denn es war wieder Leatrice, Emilias Mutter. Doch sie trug andere Kleidung und hatte eine kleine Reisetasche bei sich.

Persönliche Gegenstände? Aha war alles was Emilia sich zu denken wagte, ihre Mutter ging diesmal nicht, eine andere Frau kam zu ihnen, ebenfalls mit weißem Kittel. Sie führte Emilia hinaus, schob sie in einen Waschraum und stellte sie unter eine Dusche.

Emilia sah zu wie der Schaum das Blut von ihren Händen wusch und eine rosa gefärbte Schaummasse in den Abfluss rann.

Jemand hatte ihr frische Anziehsachen hingelegt, es waren ihre eigenen, die kamen wohl aus der Tasche die ihre Mutter mitgebracht hatte. Auch Schuhe waren dabei, erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die ganze Zeit barfuß unterwegs gewesen war.

Sie wurde zurück in ihren Raum gebracht, wo noch immer ihre Mutter saß und zwei weitere Personen hatten sich dazu gesellt. Ihr Vater und ein anderer Herr mit Anzug und Krawatte. Emilia nahm keinerlei Notiz von ihm und setzte sich einfach wieder auf das Bett. Ihr Vater redete sich mit dem Mann heiser. Er hatte graues Haar, obwohl er ansonsten gar nicht so alt wirkte und hinter seinen eckigen Brillengläsern ruhten wachsame Augen. Vermutlich auch ein messerscharfer Verstand. Der Mann richtete öfters das Wort an Emilia, er wurde aber aufgrund ihrer Teilnahmslosen Art zunehmend resignierter. Emilia bekundete nicht einmal seine Existenz.

Schließlich gingen sie alle wieder und dann wurde es still um sie herum. Sehr still. Nicht einmal mehr am Gang konnte sie jemanden hören. Hin und wieder brachte ihr eine Dame ein Tablett mit etwas zu essen, nicht dass sie es wirklich angerührt hätte. Emilia schätzte an der Anzahl wie oft die Dame ihr etwas zu Essen brachte, wie viele Tage wohl vergingen. Drei Tabletts standen für einen Tag, wenn man ihr auch tatsächlich drei Mahlzeiten am Tag brachte. Das wären jetzt also vier, fünf, sechs Tage… eine Woche? Emilia fragte nicht, was jetzt geschehen würde oder wann sie wieder nach Hause gehen dürfte. Sie bekam jedoch viel Besuch. Immer wieder kamen die verschiedensten Leute zu ihr. Anzugmänner, Krawattenträger, hin und wieder auch eine Frau oder ein Mann im weißen Kittel und alle redeten auf sie ein. Befragten sie, hielten ihr irgendwelche Fotos vor die Nase, dabei wollte Emilia doch einfach nur in Ruhe gelassen werden und weiterhin die Wand anstarren. Weiterhin in ihrer dumpfen, kleinen, schmerzlosen Welt versinken. Sie ignorierte alles und jeden, gab keine Antworten, würdigte sie nicht einmal eines Blickes und betrachtete kein einziges der mitgebrachten Bilder.

Auch schien ihre Erinnerungen Lückenhaft zu sein, manchmal waren Leute in ihrem Zimmer und das nächste Mal, wenn sie aus ihrer Versunkenheit erwachte waren ganz andere Leute oder niemand mehr da. Sie saß einfach nur stumm da oder schlief, wobei selbst ihre Träume dumpf und leer wirkten. Sie sah die ganze Zeit nur ihre Freunde, ihre Familie und andere bekannte Gesichter, und diese starrten sie aus der Ferne stumm an. Emilia schob diese Träume ebenfalls beiseite.

Irgendwann hörte sie draußen vor der Tür laute Männerstimmen „… sie ist dazu im Stande, sie kann teilnehmen!“ raunte jemand. Eine erboste andere Stimme versprühte ein paar Schimpfwörter, verstummte dann aber.

Drei Essenstabletts später stattete ihre Mutter ihr wieder einen Besuch ab. Sie wirkte müde und ausgelaugt. Sie legte ihr frische, schöne Kleidung auf die kratzige Decke des Bettes und wartete darauf das Emilia die Kleidungsstücke anlegte. Da diese aber nicht reagierte, zwängte sie sie eigenhändig in die hübsche Bluse und den schwarzen Rock. Dann musste sie gehen als zwei Wachmänner - zumindest sahen sie mit ihren Uniformen so aus, sie aufforderten den Raum zu verlassen. Zuvor drückte sie ihrer Tochter noch rasch einen Kuss auf die Stirn.

„Aufstehen!“ befahl man ihr.

Emilia stand auf.

„Folge uns!“ befahl man ihr.

Emilia schritt hinaus.

„Vorwärts!“ befahl man ihr.

Emilia ging los, immer den breitschultrigen Männern in Uniform hinterher.

Sie gingen eine Treppe hinauf, an vielen Fenstern vorbei und Emilia sah hinaus auf einen tristen Betonplatz, in dessen Mitte ein einzelner, einsamer Baum eingepflanzt worden war.

Das nächste was sie wahrnahm war wie sie in einem Auto saß, und dann, dass sie auf einem Stuhl in einem großen, prächtigen Saal Platz nahm.

Augen, hunderte Paare von Augen starrten sie an. Der Saal war gefüllt mit einer Menge von Menschen und jeder Blick war auf sie gerichtet, als wäre sie eine besonders abscheuliche Kreatur einer Freak-Show.

Sie flüsterten und tuschelten, doch in Emilias Ohren wurde es zu einem stumpfen Brummen. Der Stuhl auf dem sie saß befand sich auf einem Podest hinter einem Pult. Rechts von ihr befand sich ein noch höheres Podest, auf dem auch jemand saß. Die Menschen vor ihr saßen in vielen Reihen hinter einander wie in einer Kirche und sahen auf die Podeste.

Ein Mann stand auf und begann zu sprechen. Wieder ein Anzugträger. Ein anderer fiel ihm ab und zu ins Wort und unterbrach seine Sätze mit heftigen Widersprüchen. Er drehte sich herum und gestikulierte zu einer Reihe von zwölf Personen, die seitlich von den Podesten saßen.

„Melica Salveter!“ fiel der Name.

In Emilias Kopf pochte etwas, versuchte an die Oberfläche zu gelangen.

Der Mann deutete auf eine Tafel, Fotos waren darauf… von einem rothaarigen Mädchen, die Lieder geschlossen als würde sie schlafen. Ihre Lippen waren blau angelaufen.

Emilias Augen waren Schreck geweitet, als sie die Bilder sah. Ihr Inneres wollte heraus und sie zwingen sich allem zu stellen und nicht mehr dumpf vor sich hinzustarren.

„Sie hat sich jeglicher Befragung entzogen, weigert sich auch nur irgendwelche Antworten zu geben! Dieses Mädchen will uns hier nur ein geistig verwirrtes Ding vorspielen, damit sie nicht gestehen muss was sie getan hat! Damit sie nicht gestehen muss, dass sie ihre beste Freundin kaltblütig getötet hat. Das sie auf frischer Tat dabei ertappt wurde, wie SIE Melica Salveter ermordet hatte!“

„NEIN!“ rief Emilia. Der letzte Satz des Staatsanwaltes war zu ihr durchgedrungen, hatte die Scheibe die sie von der Außenwelt getrennt hatte, mit einem Faustschlag zerschmettert und sie schlagartig zurück in die Realität geholt. Die Welt bekam jetzt wieder klare Konturen.

Sie saß in einem großen Gerichtssaal, rechts von ihr saß der Richter, links von ihr die Geschworenen und vor ihr viele, viele Menschen die sie verurteilend anstarrten.

In der ersten Reihe erkannte sie ihre Eltern und ihre Schwester Sophia (die einzigen besorgten Gesichter in dem großen Saal).

Der Mann der schon bei ihr im Raum gewesen war, der mit den grauen Haaren, war offensichtlich ihr Rechtsanwalt, saß an einem Tisch und beobachtete sie wachsam.

Der Staatsanwalt hatte aufgehört zu sprechen und drehte sich vollends zu Emilia herum.

„Ach, Miss Schwarz, sie sind ja doch kein stummer Fisch.“ sagte er zuckersüß und gleichzeitig giftig. Er wirkte wie ein schleimiger, aalglatter Mensch. Unsympathisch.

„Nun, was haben sie zu ihrer Verteidigung vor zu bringen?“

Emilia blieben die Worte im Hals stecken als sie an dem Staatsanwalt vorbeischaute und dort auf dem Tisch, als gegnerische Partei von Emilia, Mels Vater sah.

Dr. Michael Salveter. Wie oft schon hatte Emilia diesen Mann gesehen, der Mann der immer so freundlich, gütig und höflich war. Er, der immer nette Worte auf den Lippen hatte und sie mit sanftem Blick ansah.

Der Blick war verschwunden… tiefe Trauer, Leid und unbändiger Zorn waren an seine Stelle getreten. Er verurteilte sie, er gab ihr die Schuld. Er dachte hier den Mörder seiner Tochter vor sich zu haben.

„Miss Schwarz?“

„D-Das ist eine Lüge… ich habe Melica nicht ermordet!“ brachte sie endlich hervor, nachdem sie sich von diesen vorwerfenden Augen hatte losreißen können. Alles war wieder da, ihr Verstand war wieder scharf. Vor ihrem inneren Auge spielten sich alle Ereignisse der letzten Woche in rasender Geschwindigkeit noch einmal ab. mit ihnen kam auch eine Wucht an Schmerz, genau davor hatte sie sich so lange gedrückt. Der Schmerz war aber auch begleitet von Unverständnis. Sie konnte sich nicht erklären, was in jener Nacht mit Melica geschehen war. Das was sie gesehen hatte… diese roten blutrünstigen Augen… was zum Teufel war das gewesen?

Stille trat in dem Saal ein, man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

„Eine Lüge? Ach so? Die Augenzeugen, die sie beobachteten, wie sie blutbeschmiert über ihr hockten, haben alle gelogen? Nun denn, dann erzählen sie uns doch was ihrer Ansicht nach in jener Nacht geschehen ist… Miss Schwarz.“ forderte er sie mit unverhohlenem Unglauben auf. Emilia öffnete den Mund, klappte ihn jedoch wieder zu, während der Staatsanwalt sie ungeduldig musterte.

Was sollte sie sagen? Sorry ich war es nicht, ein mir unbekanntes Schattenmonster hat sie zerfleischt?!

Innerlich zuckte sie selbst über ihre makabren Ausdrucksweiße zusammen.

„Ich weiß nicht wie ich-“ stockte sie. Sie brauchte eine kurze Pause in der sie ihre Gedanken sammeln konnte. Wie sollte sie sich ausdrücken ohne als komplett geistig gestört zu wirken? Sollte sie einfach von dem Monster erzählen? Würde man ihr Glauben schenken? Aber selbst wenn, wie erklärte sie die Tatsache, dass sie dort gewesen war, das sie wusste was geschehen würde, das Mel dort in dieser verdammten Gasse sein würde. Sie konnte es sich ja selbst kaum erklären. Ja sie hatte davon geträumt und weiß der Himmel wieso, irgendetwas hatte sie dazu bewegt ihr Bett zu verlassen und nach Mel zu suchen. Aber sie konnte hier kaum, in einem Gerichtssaal, mit Geschworenen, mit Staatsanwälten, Publikum und Richtern erzählen, sie hätte eine Vorsehung gehabt, in der sie Mel in einer dunklen Gasse gesehen hatte. Das wäre so ziemlich der sicherste Weg in die Klapsmühle. Emilia kam ein anderer Gedanke: Was hatte Mel in jener Nacht dort eigentlich gemacht? Wieso war sie auf dem Industriegelände gewesen? Was in aller Welt war hier nur los?

Stopp, jetzt musste sie erstmals ihre Unschuld beweisen! Emilia richtete sich auf, während aller Augen auf sie gerichtet waren und streifte fahrig das Haar aus dem Gesicht. Bevor sie jedoch zu sprechen ansetzte schoss ein anderer Gedanke in ihren Kopf.

Das Monster! Was wenn es gerade diesen Moment durch die Straßen tobte und unzählige weitere Menschen mit seinen Pranken massakrierte? Sie musste die Menschen warnen. Just in diesem Moment fiel ihr ein, wie sie ihre Unschuld beweisen konnte. Die Pranken des Monsters! Die Klauen, die waren Beweis genug. Emilia konnte sich lebhaft daran erinnern, was für tiefe Furchen sie in dem Holz hinterlassen hatten, als es über die Dächer verschwunden war. Außerdem… es hatte diese Klauen doch auch in Melicas Körper geschlagen… hatte das den keine brauchbaren Spuren hinterlassen? Die Polizisten mussten doch festgestellt haben, dass kein Mädchen diese tiefen Risse in Melicas Brust hinterlassen haben konnte!?

„Was soll das Miss Schwarz?“ unterbrach der schmierige Staatsanwalt ihren Gedankengang. Emilia hasste es wie er ihren Namen aussprach. „Wollen sie sagen, dass sie uns nicht erklären können was geschehen ist mit Melica Salveter, oder besser gesagt, dass ihnen keine plausible Ausrede einfällt um nicht des Mordes an ihr schuldig gesprochen zu werden!“ schleuderte er ihr ins Gesicht. Kleine Spucke-Tröpfchen flogen aus seinem aufgerissenen Mund und Emilia zuckte angewidert zusammen.

„Nein ich-„ sagte Emilia, zeitgleich ertönte ein „Einspruch!“ Emilias Rechtsanwalt hatte sich leicht aus seinem Sessel erhoben.

„Stattgegeben“ kam es vom Richterpult. Eine Richterin, blickte streng von oben auf sie herab. Ihr kurzes graues Haar war so glatt und geradlinig geschnitten, dass es aussah als hätte sie dabei ein Lineal benutzt.

„Achten sie auf ihre Wortwahl Mr. Convary.“

„Ich weiß nicht, was es war!“ rief Emilia nun quer durch den Raum. Ihr Gesicht brannte, sie verabscheute diesen schmierigen Kerl vor ihr. Sie würde nicht zulassen, dass er sie zu Unrecht vorführte. „Ich habe es zwar gesehen, aber es ging alles so wahnsinnig schnell!

„Was meinem sie mit ES?“ hackte er nach.

„Das Ding das Mel getötet hat! Es war groß, und schwarz, irgendeine Art Tier. Es hat sie angesprungen und einfach mit seinen Krallen zerfetzt! Ich habe versucht sie zu retten, nicht sie zu töten!

Ein Raunen ging durch die Geschworenen und überall im Saal entbrannte ein leises Getuschel. Melicas Vater regte sich hinter seinem Tisch.

„Ein klauenbewährtes Ding?“ wiederholte der Staatsanwalt langsam.

Emilias Rechtsanwalt zog eine Augenbraue hoch. Seine Miene war unergründlich.

„JA! Ich meine… sie müssen sie doch untersucht haben! Haben sie denn nicht die tiefen Wunden gesehen, die sie hatte?“ sagte sie und wedelte verzweifelt mit den Armen durch die Luft.

„Nun Miss Schwarz, ich darf ihnen mit guten Gewissen versichern, dass der Leichnam des Opfers gründlichst untersucht wurde, und unsere Experten haben tatsächlich tiefe Wunden im Torso festgestellt… Wunden, die aber viel eher von einem Messer stammen!“ sagte er anfangs ruhig, doch gegen Ende erhob sich seine Stimme und wurde immer lauter. „Sie befinden sich nicht an ihrer Schule, Mädchen! Hier geht es nicht um Nachsitzen, sondern um ein schwerwiegendes Verbrechen, da können sie sich nicht einfach durch eine haarsträubende Geschichte herausreden! „

„Aber was für einen Grund hätte ich den sie zu töten? Wir sind Freunde!“ brüllte ihm Emilia dazwischen. “Waren Freunde” korrigierte sie sich leise.

Jemand im Publikum schluchzte auf. Leatrice, Emilias Mutter, schien langsam aber sicher die Fassung zu verlieren.

„Ihr hattet Streit oder nicht?! Um diesen Jungen…“ Verwirrt blickte der Staatsanwalt herum, um sehen wer gesprochen hatte. Emilia hingegen hatte keinerlei Schwierigkeiten festzustellen, wer der Redner war. Sie kannte die Stimmte von Mel’s Vater, Dr. Salveter. Er sah sie nicht an, aber starrte traurig auf die Fotos seines toten Kindes. Er sprach mit schwacher Stimme und zerknüllte mit steifen Händen ein paar Dokumente vor sich. „Das wird mir gerade erst klar… Ich habe es gehört, am Tag der Schülerbeerdigung. Ihr hattet Streit… wegen Benjamin.“

Emilia wusste nicht was sie sagen sollte, Dr. Salveter wusste sehr wohl, dass es bei diesem Streit nicht um einen Jungen, sondern um Drogen gegangen war. Doch das erwähnte er natürlich nicht, er wollte das Ansehen seiner toten Tochter nicht beflecken. Genauso wenig konnte Emilia mit der Sprache herausrücken, um was es bei dem Streit wirklich gegangen war. Würde sie von den Drogen erzählen, würde sie neben dem Mordverdacht auch noch eine Strafe kassieren weil sie von den Drogendealen gewusst, diese aber nicht zur Anzeige gebracht hatte. Tat Dr. Salveter das gerade wirklich? Manipulierte er den Richter und die Geschworenen und ließ Emilia in einem noch schlechteren Licht dastehen? Er wollte Vergeltung für Melica, und mit der vorherigen Aussage lieferte er ein Motiv für Emilia und deren Mord an Mel.

Emilia konnte sich nicht schnell genug entscheiden was sie antworten sollte und der Asgeier von Staatsanwalt stürzte sich auf seine Beute.

„Ein Streit?“ hatte der Staatsanwalt sofort geifernd aufgehascht. „Konkurrierten sie etwa um einen Jungen?“ er schritt auf Emilia zu: „Ach…. Junge Liebe ist aufregend und stürmisch… manchmal etwas zu stürmisch. man verliert die Kontrolle.“ giftete er süffisant. „So war es doch, oder Miss Schwarz? Sie haben die Kontrolle verloren, sie wollten es nicht, doch es ist einfach passiert, nicht wahr?“ fragte er schon beinahe verständnisvoll.

„NEIN!“ schnappte Emilia zurück: „Ja ich gebe zu, wir hatten Streit, aber da gings um was ganz anderes! Ich sage ihnen, dass ein Tier sie angegriffen hat! Es kam einfach wie aus dem Nichts!“ Emilia hatte vor lauter Wut die Faust auf das Pult geknallt.

„Sie bleiben also dabei?“ sagte er. Er starrte sie so durchdringend an, als versuche er die Wahrheit aus ihren Pupillen zu saugen. Er drehte sich herum und schritt, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, vor ihrem Pult hin und her.

„Nun gut, lassen sie uns einmal annehmen, dass sich in jener Nacht ein, wie sie es ausdrücken, klauenbewährtes Tier in der Gasse befand und Melica Salveter von diesem getötet wurde. Dann stellt sich die Frage: Wieso waren sie und Melica überhaupt dort? Oder woher wussten sie, dass Melica dort sein würde. Was hatte sie zu so später Stunde an diesen Ort getrieben, der sich so weit weg von ihrem Wohnsitz befindet?“

Emilias Herz sackte in die Hose, genau diese Frage hatte sie befürchtet. Die Frage deren Antwort sie einfach nicht in einem Gerichtssaal aussprechen konnte. Sollte sie den Leuten eine Lüge auftischen? Einfach sagen, dass sie sich mit Mel dort getroffen hatte? Selbst Emilia wusste wie schwach das klang. Auf einem Industriegelände spazierte ja grundsätzlich niemand herum, der nicht dort arbeitete. Hätte sie sich mit Mel treffen wollen, hätte sie mit absoluter Sicherheit einen anderen Ort aufgesucht… und eine andere Uhrzeit. Mist! Was sollte sie nur tun?

Emilias stockte unter den strengen Blicken der Geschworenen und des Staatsanwaltes.

„Wieder stumm Miss Schwarz?“ fragte er.

„Ich-“ Ihre Stimme versagte. Hilflos blickte sie sich nach ihren Eltern um. Sie fragte sich, ob ihr irgendjemand glauben würde, wenn sie aussprach wie es tatsächlich gewesen war.

„Warum waren sie dort? sprechen sie Miss Schwarz! Es muss einen Grund für ihre Anwesenheit gegeben haben!“ dröhnte der Staatsanwalt.

„Warum waren sie dort? WARUM?“ seine Stimmte donnerte immer lauter auf sie nieder.

Das Publikum und die Geschworenen begannen wieder zu flüstern. Ein Brummen erhob sich vor Emilia. Wie ein Geschwader wütender Bienen, das gleich über sie herfallen würde.

„Warum Miss Schwarz?! Warum?! Sie hatten ihr gesagt, sie solle in jener Nacht dort erscheinen, war es nicht so?!“ rief er. „Sie haben sie dorthin gelockt und dann-“

„DAS HABE ICH NICHT!“ schrie Emilia.

„Dann sprechen sie endlich Miss Schwarz! Und sagen sie uns warum sie dort waren!“ brüllte er zurück.

Rufe und empörte Laute drangen aus dem Publikum. Der Gerichtssaal schien über zu kochen. Die Richterin mahnte zur Ruhe, und hatte sichtlich Mühe dabei sich Gehör zu verschaffen.

„Gib es schon zu“ rief ein Mann mittleren Alters aus den hinteren Reihen, einige folgten seinem Beispiel und riefen Emilia ebenfalls zu, zu gestehen.

Der Staatsanwalt drang immer mehr auf sie ein, bis Emilia der Kragen platzte und sie einfach mit der Wahrheit hervorbrach, als würde sie sich erbrechen.

„Ich habe gesehen wie es passieren würde! Ich sah es in einem Traum!“

Das war ein Fehler, kaum hatten die Worte ihren Mund verlassen, da merkte sie auch schon wie Geistes gestört und absurd sie sich anhörten.

Der Staatsanwalt starrte sie mit offenem Mund an. Das Publikum war ebenfalls kurz verstummt.

Dann ging es los, der Staatsanwalt überhäufte sie mit Anschuldigungen. Emilia verfolge die Absicht, als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden.

„Nein wirklich! Bitte, ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber sie müssen mir glauben! Ich habe es einfach gesehen, und wusste, dass ich dorthin muss um sie zu retten.“ rief sie verzweifelt.

„Ich kann es beweisen! Es war nicht das erste Mal, dass ich eine derartige Vorahnung hatte. „Meine Schule ist abgebrannt, und bevor man mir erzählen konnte, wer verbrannt ist, wusste ich es bereits! Ich hatte in der Nacht davor einen Traum, in dem mir unendlich heiß war. Plötzlich sind da irgendwelche Gesichter aufgetaucht, genau die Gesichter der Kinder die starben!“

Emilia wusste nicht ob es klug war das zu erzählen. Eigentlich war es ihr mehr oder weniger einfach rausgerutscht in dem aussichtlosen Versuch die Menschen vor ihr zu überzeugen.

Es nutzte nichts, es machte alles nur viel, viel schlimmer. Auf einmal loderte Geflüster auf, ob Emilia möglicherweise auch etwas mit dem Brand zu tun hatte. Die Ursache des Brandes war immer noch nicht geklärt, steckte etwa auch Emilia dahinter?

Emilia sah sich hilflos nach Corrinn und Alex um. Die beiden hatten es doch miterlebt! Wo waren sie? Sie entdeckte Alex in den hinteren Reihen, doch von Corrinn fehlte jegliche Spur. Emilia und Alex sahen sich an, sie wollte gerade laut nach ihm rufen: Er sollte gefälligst was zu der ganzen Sache sagen! Doch im letzten Moment sah sie wie Alex schnell mit dem Kopf ruckelte und beschämt den Blick abwand. Emilia traf unvorbereitet der Schlag als ihr klar wurde: Er würde ihr nicht helfen, er würde nichts sagen. Er hatte zu große Angst davor mit hinein gezogen zu werden. In den Mord, in die Drogen. Was aber noch viel schlimmer war... das hieß er glaubte ihr nicht.

„Du abscheuliches Biest! Was erzählst du da?! Was hast du meiner Tochter angetan!“ schrie Dr. Salveter plötzlich auf. Er glaubte ihr auch nicht, nein, durch diese Geschichte hatte sie nur erreicht, dass er jetzt tatsächlich davon überzeugt war, dass sie sein Töchterchen getötet hatte. Die Richterin mahnte zur Ordnung, doch es wurde zunehmend schwieriger, sich diese zu verschaffen.

Emilia wollte stark sein, doch sie merkte, wie sich ihr ein Kloß im Hals bildete und sie den Tränen nahe war. „Ich war es nicht, ich war es nicht!“ sagte sie immer und immer wieder. „Es war dieses Tier!“

In schlimmen Zeiten kommt das Innerste und vielleicht Ungeahnteste der Menschen zum Vorschein, denn Emilia hätte sich niemals träumen lassen welche Worte sie jetzt von Melicas Vater hörte.

„Ach ja? Warum hat es dir dann nichts getan und meine kleine Melica angegriffen?“ schrie er und sprang auf. „Dich hätte es töten sollen! DU hättest sterben sollen und nicht mein Kind!“ in seiner Raserei glaubte Emilia schon, dass er sich auf sie stürzen würde.

„Was fällt dir ein du Bastard!“ brüllte nun Emilia Vater. „So sprichst du nicht mit meiner Tochter!“ donnerte er und ehe sich jemand versah, war er zu Dr. Salveter vorgestürzt und pfefferte seinem ehemaligen Freund die erhobene Faust ins Gesicht.

Daraufhin brach ein Radau im Gerichtssaal aus. Polizisten eilten herbei, zogen die beiden Väter auseinander und die Verhandlung wurde unterbrochen.

Emilia schrie sich die Seele aus dem Leib, beteuerte immer wieder ihre Unschuld, während zwei Beamte sie packten und hinausführen wollten. Doch sie wehrte sich, wollte dass Dr. Salveter ihr endlich glaubte und brüllte ihm nach, bis irgendwann ein Mann im weißen Kittel herbeigeeilt kam und eine Spritze in ihrem Arm versenkte. Emilia wurde schwummrig, ihre Lieder wurden schwer und schlossen sich wie von selbst.


Eine vollbusige, schwarzhaarige Frau, saß in der letzten Reihe und kritzelte eifrig auf einem Notizblock herum. Voll Wonne, hatte sie das Szenario vor sich verfolgt. Sie besah sich den brünetten jungen Mann, den die kleine Emilia Schwarz kurz angesehen hatte. Er verhielt sich sehr merkwürdig, vielleicht konnte sie den noch nach der Verhandlung abfangen und ausquetschen.

Sie hatte ihrem Chefredakteur ein wenig Honig ums Maul schmieren müssen, damit er sie auf diese Geschichte hier ansetzte. Aber sie hatte eine gute Story gewittert und dass war es wert. Nun kam sie nicht umhin sich selbst zu loben, diese Story war nicht nur gut, sie entwickelte sich regelrecht zu einer Sensation. Sulane Robertson konnte die nächste Schlagzeile schon vor sich sehen: „Verrücktes Traum-Mädchen ermordet beste Freundin“ Und dann noch ein paar schöne Ausschweifungen über den Verlauf der Gerichtsverhandlung. Sulane roch förmlich, wie sie die Karriereleiter hinaufkletterte. Sie grinste in sich hinein, richtete ihre grünen Augen hinter der Brille wieder auf den Block und schrieb fleißig weiter.




Teufels Träume

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