Читать книгу Teufels Träume - Jasmin Salfinger - Страница 8

Leichen Sommer

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Es war heiß und die Sonne prallte hoch am Himmel stehend auf die schwarze Zusammenkunft. Ein Massenbegräbnis sollte für die Toten und deren Verbliebene sein. In St. Monterose wurde selbst diese Tragödie zur Schaustellung des Luxus. Ein Sarg war protziger als der andere. Die Trauergäste wollten sich mit ihren übertriebenen schwarzen Roben bis ins Geschmacklose übertreffen. So sah es zumindest aus. Haute Couture, frisch vom Laufsteg. Wie könnte man einem Toten sonst gebührend Respekt zollen? Der Friedhof von St. Monterose lag etwas Abseits auf einer Erhöhung umkreist von sanft grünen Bäumen. Sachte wogten die Blätter im Wind und bescherten dem Friedhof eine friedliche Ruhe. Durch die verzweigten Blätter konnte man das prunkvolle Viertel überblicken. Emilia schwitze in ihrem schwarzen Kleid und stand unbequem auf hochhackigen Schuhen. Die gesamte Schule, Eltern, Lehrer, Freunde und Verwandte der 27 Toten Schüler hatten sich zwischen den Grabsteinen versammelt. Die komplette Schülerschaft war für eine Woche freigestellt worden. Es waren alle erschienen um den Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

Es war eigentlich unpassend wie sehr die Sonne schien, und wie strahlend der blaue Himmel heute war. Zwischen den Gräbern hätte man mehr Düsternis erwartet.

Ein Pfarrer ging die Reihe an Särgen entlang, salbte sie und sprach Gebete. Der Schuldirektor, der Vorsitzende des Elternbeirates und sogar Emilias Vater (als inoffizieller Bürgermeister) traten nach einander vor die Menschenansammlung und sprachen tröstende Worte aus. Es waren aber nur Floskeln, denn was könnte man sagen, dass in dieser Situation helfen würde. Nichts.

Emilia verrenkte sich den Hals, während sie auf hohen Schuhen balancierend versuchte Mel irgendwo zu erspähen. Sie sah Alex und Ben, jeweils in schwarzen Smokings bei deren Familien stehen. Corrinn stand hinter ihr, ebenfalls neben ihren Eltern. Selbst mit Trauermiene sah sie aus wie eine frisch aus dem Ei gepellte Barbie.

Emilias Blick wanderte herum und blieb an Marty Stollers Sarg hängen. Sie betrachtete seine beiden großen Schwestern die schluchzend daneben standen. Sie hatte die seltsame Situation mit Corrinn und Alex in der Küche nicht vertieft. Die Erwachsenen waren dazu geplatzt. Je mehr Tote bekannt geworden waren, umso größer war der Radau geworden und das Gespräch zwischen den Freunden war beendet gewesen. Es war verstörend; sie hatte gewusst das Marty Stoller und die anderen tot waren. Noch bevor sonst jemand es gewusst hatte. Marty Stoller war nicht einmal in der Abschlussklasse. Er und die anderen Sechzehnjährigen waren nur wegen eines Projektes in den Chemielaboren bei den Fünftklässlern gewesen. Leider zur falschen Zeit am falschen Ort. Wie hätte Emilia erahnen können, dass Marty Tod war... ? Sie hatte zu Corrinn und Alex gesagt sie hätte es "geträumt". Das war verrückt.

Emilia schüttelte sich, beendete die Kopfzerbrecherei und sah sich wieder nach Mel um. Sie erspähte sie ein paar Reihen weiter rechts, neben ihrem Vater Dr. Salveter. Ihr feuriger Haarschopf stach glühend aus all dem Schwarz hervor.

Der kurze Moment, in dem Emilia gedacht hatte, Mel sei in dem Feuer gestorben, hatte genügt um sie mit brechreizender Angst zu füllen. Umso wichtiger war es, dass die beiden wieder ins Lot kamen. Sie waren Schwestern, von der Wiege bis zur Bahre. So hatten sie es sich versprochen.

Mel war ihr die gesamte Woche erfolgreich aus dem Weg gegangen, doch hier bei dem Begräbnis, konnte sie nicht davonlaufen. Niemand konnte neben so einer Tragödie sich weiter streiten wollen. Sie würden sich wieder vertragen. Der Wind fegte durch die schwarze Schar der Anwesenden und sorgte für etwas Kühlung zwischen den Grabsteinen unter der gleißenden Sonne. Die Zeremonie kam langsam zu Ende. Es wurden Gebete gemurmelt und Beileid ausgesprochen. Dann löste sich die schwarze Prozession auf und ein düsteres Gewusel drängte den Friedhof hinaus. Emilia sah wie Dr. Salveter zu seinem glänzenden Wagen ging, während Mel kurz dageblieben war, um bei Mitschülern ihr Beileid auszusprechen. Das war die Gelegenheit. Mel verabschiedete sich und wollte ihrem Vater auf den Parkplatz folgen, doch Emilia rief ihr hinterher.

"Mel, warte mal."

Mel drehte sich nicht um, aber sie war stehen geblieben. Emilia blieb ein paar Schritte hinter ihr stehen und setzte an: "Mel, hör mal-"

"Spar's die Lia." Unterbrach Mel sie sofort und drehte sich doch zu ihr um.

Emilia wich vor der glühenden Wut in Mels Gesicht zurück. Okay, mit dieser offensichtlich zur Schau gestellten Feindseligkeit hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste, dass Mel wütend auf sie war, aber nicht SO.

"Du weißt doch gar nicht-"

Doch Mel ließ sie schon wieder nicht ausreden, nein, sie wollte Emilia gar nicht erst zu Wort kommen lassen!

"Doch, ich weiß dass du mir sagen willst, dass es dir Leid tut, aber das du dich nur um mich sorgst, dass ich mich falsch und dumm und riskant verhalte blablabla!" Spuckte sie ihr regelrecht ins Gesicht.

"Ben ist zu meinem Vater gegangen!" Fauchte Mel.

"Was?" Sagte Emilia und zog scharf die Luft ein. Das hatte Ben nicht getan, das würde er Mel nicht antun oder?! Er hatte nicht seine Drohung wahrgemacht?!

"Ja, er hat ihm erzählt, dass ich mit Drogendealern Kontakt habe, dass ich sogar welche besitzen würde! Weißt du eigentlich in was für Schwierigkeiten ich jetzt stecke? Mein Vater ist außer sich! Weil du deine Klappe nicht halten konntest!"

"Aber Mel-"

"Nein, kein Aber Lia! Dad hat herausgefunden wer Chace ist, er hat gedroht ihn Anzuzeigen, wenn ich nicht mit ihm Schluss mache. Was aber gar nicht nötig ist, denn stellt dir vor: er hat mich abserviert da ich ein zu großes Risiko für ihn bin! Ich Melica Salveter! Deshalb vielen Dank Emilia, hättest du dich nicht eingemischt wäre Chace seine Probleme los und noch mein Freund, Dad wäre nicht wütend auf mich, und Ben, einer meiner besten Freunde würde mich jetzt nicht hassen. Deshalb tut es mir leid, aber ich hab absolut keine Lust mit dir zu reden!"

Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschierte fuchsteufelswild davon. Zurück blieb eine sprachlose Emilia, die gerade eine Kündigung ihrer Freundschaft erhalten hatte.

Die Beerdigung löste sich auf und der Tag ging zu Ende. Die Nacht brach über St. Monterose herein. Emilia saß in ihrem Zimmer und dachte nach. Hatte sich ihre Angst bewahrheitet? Brach ihr Freundeskreis auseinander? Hatte sich Mel endgültig von ihr abgewandt? Sie fühlte sich allein, und das tat weh. Sah so die Zukunft aus? Mit diesen bitteren Gedanken ließ sie sich in ihr Bett fallen und schlief ein. In ihrem Träumen würde immerhin alles gut sein.


Es war dunkel und finster. Eine Straße die geradeaus ging. Neben der Straße war nichts… nur gähnende schwarze Leere. Emilia ging die Straße entlang. Es gefiel ihr nicht, diese Finsternis bedrückte sie. Die Straße endete in einer Gasse. Links, rechts und vor ihr standen Gebäude die vorher nicht zu sehen waren.

Etwas Unheilvolles war hier zugange. Emilia wollte laufen, schnell weg aus dieser Sackgasse. Doch so viele Schritte sie auch ging, sie kam doch keinen Meter vorwärts. Stadtessen schienen die Häuser neben ihr immer größer zu werden und sich auszudehnen. Die dunklen Fenster zogen sich in die Länge und wurden zu klaffenden, weit aufgerissenen Mäulern.

Schatten lauerten unter ihnen. Seltsame Schatten, die sich kringelten und regten und sich überhaupt nicht nach Licht zu richten schienen. Nein, sie lagen dort wo sie wollten. Sie bildeten klauenartige Finger, mit denen sie sich irgendwo festhalten wollten, über den Asphalt schabten und zurück an den Rand der Mauern huschten. Sie hinterließen sogar Spuren im Asphalt.

Emilia fühlte wie es in ihr kribbelte. Kein freudiges Kribbeln, sondern eines, dass ihr sagte: Nimm dich in Acht!

Sie war hier so allein. Sie wollte nicht so alleine sein mit diesen unheimlichen Schatten. Warum kam denn niemand? Hier musste doch jemand sein?! Jemand der ihr beistand!

Eine zierliche Gestalt stand in der Mitte der Gasse. Sie stand mit dem Rücken zu Emilia. Ihr flammend rotes Haar stach aus all dem Grau und der Finsternis hervor.

Emilia erkannte die Gestalt erleichtert. Sie wollte zu ihr hinübergehen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie rief ihren Namen, doch kein Ton kam aus ihrem Hals. Sie rief lauter. Sie musste sie doch hören!

Mel!“ gelang es Emilia schließlich laut auszurufen.

Überrascht drehte sich Mel herum. Als wäre das ein Zeichen gewesen, stürzten die Schatten unter den Rändern der Mauern hervor und vergruben ihre Klauen von allen Seiten in Mels Körper.

MEL!“ schrie Emilia und setzte sich mit einem Ruck auf.


Emilias Ohren dröhnten und der Puls raste durch ihre Adern. Hysterisch schlug sie die Bettdecke zurück. Mel. Mel. Mel. Sie griff sich an die Ohren und wiegte sich vor und zurück. Es war nur ein Traum...nur ein Traum. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wenn es nur ein Traum war, warum wollte sich ihr Herzschlag dann einfach nicht beruhigen? Es war doch nur ein dummer, verstörender, irrealer Alptraum.

Plötzlich stand sie auf. Ihr Körper bewegte sich ohne ihr Zutun. Wie in Trance taumelte sie zur Tür. Sie musste zu Mel… sie musste…

Emilias Beine lenkten sich von selbst. Sie ging einfach immer weiter und dachte an nichts als an Mel.

Barfuß ging sie die Treppe hinunter und zur Tür hinaus auf die Straße. Sie torkelte planlos voran, bis sie sich plötzlich auf einem Industriegelände wiederfand. Emilia war noch nie hier gewesen und wusste auch nicht wie sie hergekommen war. Sie ging auf ein paar Lagerhallen zu. Die Straße endete in einer Sackgasse. Was tat sie hier eigentlich? Wie war sie hier gelandet? Dennoch ging sie immer weiter. Das abscheuliche Gefühl das der Traum in ihre Brust gebrannt hatte, breitete sich ungehemmt in ihrem ganzen Körper aus.

Und da stand sie. Das feurige Haar bewegte sich leicht im Wind. NEIN! Das war ganz falsch sie durfte nicht hier sein! Doch dort, mitten in der Gasse, wie in Emilias Traum stand sie da. Warum? Warum war sie hier?

Ihr Bauch rumorte. Unheilschwangere Finsternis umgab die beiden. Nur ein paar Straßenlaternen warfen ihr spärliches Licht auf das Szenario und tunkten alles in einen schaurig-roten Glanz. Hie und da war ein Fenster in den kahlen Gebäuden rings herum beleuchtet.

Emilia hatte nicht bemerkt, dass sie durch ein offen stehendes Gittertor gegangen war.

Der Wind wurde kräftiger, und dass Tor fiel ins Schloss. Erschrocken von dem metallischen Geräusch, fuhr Melica herum.

„Emilia?“ fragte sie. Sie war ganz konfus.

„Mel! Was… Was machst du hier?“ Fragte Emilia zurück.

Melica sah sich verwirrt um.

„Ich… ich weiß es nicht…“ sagte sie verstört. „Was tun wir hier Em-“ doch ihr Blick wanderte plötzlich an Emilia vorbei und richtete sich Schock geweitet auf etwas hinter ihr.

Emilia wirbelte herum.

Rot. Glühend. So starrten sie zwei Augen aus der Dunkelheit an. Große, rote, glühende Augen… blutrünstig Augen.

Emilia erstarrte und hing hypnotisiert an diesen schrecklichen Augen.

Ein tiefes, grollendes Knurren erschütterte sie durch Mark und Bein. Die Augen starrten sie lange an… doch dann wanden sie sich zu Melica. Und dann geschah alles auf einmal.

Emilia konnte nicht erkennen was es war, dafür bewegte es sich viel zu schnell. Das einzige was sie wahrnahm war eine schwarze, riesige, klauenbewerte Schattengestalt, die wie der Blitz an ihr vorbeiflog. Das Teil hinterließ sogar Furchen im Beton. Es stürzte sich auf Mel stürzte und begrub sie unter sich.

Emilia nahm von dem Geschehen, nur mehr einzelne Fragmente auf. Als würde sie einzelne Fotoaufnahmen betrachten.

Eine schwarze Gestalt die sich auf Mel stürzte.

Ein gellender Schrei.

Das Schattenmonster; wie es wieder von Mel abließ.

Dann sprang es davon sprang und entfloh in die Nacht. Das Holz das unter seinen Krallen barste als es sich auf eine Mauer hinauf angelte.

Mel lag am Boden.

Emilia, stand plötzlich über ihr. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich bewegt hatte.

Dann war sie auf den Knien und wollte Melicas Arme ergreifen. Doch ihre Hände waren auf einmal rot. Voll von Blut. Woher kam das viele Blut, das an ihren Händen klebte und ihren Arm hinab sickerte. Es war Melicas Blut, aus den Wunden in ihrem Brustkorb.

Emilia wurde klar, dass sie selbst den gellenden Schrei von zuvor ausgestoßen hatte.

Die Welt bekam vor ihren Augen einen nebeligen Schleier und schwer atmend, drückte sie die zittrigen Hände fest auf Melicas blutgetränkten Brustkorb. So als könnte sie das Leben wieder in sie hineinpressen, dass mit der dicken dunklen Flüssigkeit stetig aus ihr heraus floss.

Doch Melicas weit aufgerissene Augen, waren bereits kalt und leblos. Nur mehr ein letzter Rest Todesangst schimmerte auf ihren Pupillen.

Andere Geräusche machten sich bemerkbar. Schritte, dann Stimmen, Rufe die immer lauter wurden. Erst ruhig und dann entsetzt.

Emilia achtete nicht darauf. Alles was jetzt wichtig war, war Mel fest zu halten. Sie durfte nicht gehen! Sie würde all das Blut wieder in sie hineinpumpen!

Die Zeit wurde zu einer unbestimmten Masse die an Emilia vorbeifloss. Sie bemerkte nicht einmal wie aus einzelnen Schritten, viele Schritte wurden. Sie hörte die Sirenen nicht und sah auch nicht das blinkende Blaulicht das auf die Wände fiel. Hinter trudelten Polizei und Rettungswagen ein. Jemand hatte das Spektakel mit angesehen und dann entsetzt die Behörden verständigt.

Emilias Blickfeld verzerrte sich, die Welt schien zu schwanken, während sie ihre Augen nicht von ihren blutverschmierten Händen lassen konnte.

Jemand schrie sie von hinten an, und als sie nicht darauf reagierte, kamen die Schritte näher, bis sie direkt hinter ihr waren.

Jemand packte Emilia grob an den Schultern. Sie wollte sich wehren, wollte bei Mel bleiben, aber ihr war so schwindelig. Sie schaffte es gerade mit ihren blutigen Fingern an den Handgelenken die sie umklammerten zu kratzen. Dann wurde sie davon bugsiert. Weg von Melica und weg von der Blutlache in der sie kalt und leblos lag.

Emilia konnte kaum etwas hören, alles war dumpf; die Menschen rund um sie herum, die Stimmen und die Autos die vorbeifuhren.

Sie wurde in einen Polizeiwagen gesetzt. Schlaff wie eine Puppe ließ sie alles mit sich geschehen und saß stumm auf dem Rücksitz. Ihr Hirn war blockiert und leer, sie verstand einfach gar nichts mehr.

Der Wagen setzte sich in Bewegung und fuhr los. Im Vorbeifahren sah Emilia aus den Augenwinkel wie Sanitäter eine Bahre hin zu dem Rettungswagen schoben. Darüber lag ein Laken und unter diesem Laken, wusste Emilia, lag Melica Salveter. Kalt, erstarrt, blutleer und tot.


Teufels Träume

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