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Siebenter Brief.
Antwort.

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Inhaltsverzeichnis

Ich verstehe dich und du machst mich zittern. Nicht weil ich die Gefahr für so dringend hielte, als du es dir einbildest. Deine Furcht mäßigt für den Augenblick die meinige, aber die Zukunft erschreckt mich, und wenn du dich nicht bezwingen kannst, so sehe ich nichts als Unglück vor uns. O Gott, wie oft hat es mir die arme Chaillot vorhergesagt, daß der erste Seufzer deines Herzens über das Schicksal deines Lebens entscheiden würde! Ach, Cousine, noch so jung, und schon soll sich das Schicksal erfüllen? O, warum fehlt sie uns jetzt, diese gewandte Frau, deren Verlust du für einen Vortheil hältst! Es wäre für uns vielleicht einer gewesen, gleich anfangs in sicherere Hände zu fallen; aber wir sind zu gut unterrichtet aus den ihrigen gekommen, um uns nun von anderen leiten zulassen, und doch nicht genug, um uns selbst zu leiten: sie allein würde uns vor den Gefahren beschützen können, denen sie uns ausgesetzt hatte, Sie hat uns Vieles vertraut, und wir haben, glaube ich, viel für unser Alter nachgedacht. Die warme, zärtliche Freundschaft, die uns fast von der Wiege an vereint, hat uns frühe das Herz, so zu sagen, aufgeklärt über alle Leidenschaften. Wir kennen ihre Merkmale und Folgen recht gut; aber nur die Kunst sie zu beherrschen verstehen wir nicht. Gebe Gott, daß dein junger Philosoph diese Kunst besser als wir verstehe.

Wenn ich sage: wir, so weißt du, was ich meine; ich spreche besonders von dir, denn was mich betrifft, so hat mir die Bonne immer gesagt, daß mein Flattersinn bei mir Vernunftstelle vertreten würde, daß ich nie das Geschick haben würde, zu lernen, was Liebe ist, und daß ich zu toll wäre, um eines Tages Tollheiten zu begehen. Meine Julie, nimm dich in Acht; je mehr Gutes sie sich von deinem verständigen Sinn versprach, desto mehr fürchtete sie für dein Herz. Sei indessen guten Muthes: was Klugheit und Ehrliebe vermögen, weiß ich, wird deine Seele thun; und die meinige, zweifle nicht, Alles, was die Freundschaft vermag. Wenn wir zu viel für unser Alter erfahren haben, so hat es doch unseren Sitten keinen Schaden gebracht, Glaube nur, meine Liebe, es giebt viel einfältigere Mädchen, die doch nicht so ehrbar sind wie wir: wir sind es, weil wir es sein wollen; und, was auch Einer sagen möge, dies ist doch immer das sicherste Mittel, es zu sein.

Indessen nachdem, was du mir andeutest, werde ich keinen Augenblick Ruhe haben, bis ich bei dir bin, denn wenn du Gefahr fürchtest, so ist es gewiß keine blos eingebildete. Ja freilich, das Mittel ist leicht zu finden; sage deiner Mutter ein Wort, und Alles hat ein Ende. Aber ich verstehe dich wohl, du willst kein Mittel, das Allem ein Ende macht: du willst dir die Macht rauben, zu unterliegen, aber nicht die Ehre des Kampfes. Arme Cousine! .... Wenn doch noch ein Schein .... Aber der Baron von Étange seine Tochter, sein einziges Kind einem gemeinen Bürgerlichen geben! Kannst du das hoffen? .... Was hoffst du denn aber? Was denkst du? .... Arme, arme Cousine! ... Fürchte von meiner Seite nichts; deine Freundin wird dein Geheimniß hüten. Mancher würde es schicklicher finden, wenn er es verriethe; er hätte vielleicht Recht. Aber ich, die ich mich nicht auf viele Berechnung verstehe, mag nicht, was sich schickt, wenn es ein Verrath an der Freundschaft und dem Vertrauen ist; ich denke mir, daß jedes Verhältniß, jedes Alter seine eigenen Regeln, Pflichten, Tugenden hat; was bei Anderen Klugheit wäre, würde für mich eine Treulosigkeit sein, und wir handeln schlecht, anstatt klug zu handeln, wenn wir da nicht gehörige Unterschiede machen. Wenn deine Liebe schwach ist, so werden wir sie besiegen; ist sie aber sehr stark, so hieße das ein Trauerspiel herbeiführen, wenn wir sie mit gewaltsamen Mitteln bekämpfen wollten, und der Freundschaft geziemt es nur solche zu versuchen, für die sie gut sagen kann. Aber dafür, wart', du sollst mir schon gerade gehen, wenn du unter meinen Augen bist. Du wirst sehen, du wirst sehen, was das zu bedeuten hat, eine Hofmeisterin von achtzehn Jahren haben.

Ich bin, wie du weißt, nicht zu meinem Vergnügen fern von dir, und der Frühling ist gar nicht so angenehm auf dem Lande, als du denkst; man leidet Kälte und Hitze um die Wette; wenn man spaziren geht, giebt's keinen Schatten und im Hause muß man einheizen. Mein Vater seinerseits kann mitten unter seinen Bauereien doch nicht umhin zu fühlen, daß man die Zeitung hier später hat als in der Stadt. So sehnt sich im Grunde Alles weg von hier, und in vier oder fünf Tagen, hoffe ich, wirst du mich umarmen. Was mich beunruhigt, ist nur, daß vier oder fünf Tage ich weiß nicht wie viele Stunden haben, von denen mehre dem Philosophen gewidmet sind. Dem Philosophen, hörst du, Cousine? Denke daran, daß es nur für Den alle diese Stunden schlägt.

Erröthe mir hierbei nicht und schlag' die Augen nieder. Eine feierliche Miene annehmen, das ist dir unmöglich; das kann deinen Zügen nicht stehen. Du weißt ja, ich kann nicht weinen ohne zu lachen, und ich habe darum doch nicht weniger Gefühl; es schmerzt mich nicht weniger, daß ich von dir getrennt bin; und ich weine d'rum nicht weniger um die gute Chaillot. Wie danke ich dir, daß du mir helfen willst, für ihre Familie sorgen, ich werde sie so lange ich lebe nicht verlassen; aber du würdest nicht du selbst sein, wenn du eine Gelegenheit vorbeiließest, Gutes zu thun. Ich gestehe ein, daß die gute Mie [Mie — rufen die Kinder ihre Bonnen. (Wohl aus amie, Freundin, gekürzt?) D. Uebers.] redselig war, sich in ihren vertraulichen Aeußerungen nicht in Acht nahm, nicht bedachte, was für junge Mädchen nicht taugt, denn sie plauderte gar zu gern in ihren alten Tagen. Auch beweine ich sie nicht wegen ihrer geistigen Vorzüge, obgleich sie unter schlechten Eigenschaften doch auch sehr gute hatte. Das, was ich an ihr verloren habe, ist ihr gutes Herz, ihre treue Anhänglichkeit, wodurch sie mir zu einer zärtlichen Mutter und zu einer vertrauten Schwester geworden war. Sie war mir statt meiner ganzen Familie. Meine Mutter habe ich kaum gekannt; mein Vater liebt mich, so sehr er lieben kann: deinen liebenswürdigen Bruder haben wir verloren, die meinigen sehe ich fast niemals. So bin ich wie eine verlassene Waise. Mein Kind, ich habe nun nichts mehr als dich; denn deine gute Mutter ist du. Du hast aber Recht: du bleibst mir ja. Ich weinte; ich war närrisch; was brauchte ich zu weinen?

N. S. Damit nichts passire, addressire ich diesen Brief an unseren Lehrer; er wird so sicherer in deine Hände kommen.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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