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Erster Brief.
An Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich muß Sie fliehen, Mademoiselle, ich fühle es wohl. O, hätte ich doch nicht so lange damit gewartet, oder vielmehr hätte ich Sie nie gesehen! Aber nun, was thun? wie mich benehmen? Sie haben mir Freundschaft zugesagt. Sehen Sie meine Qual und rathen Sie mir!

Sie wissen, daß ich nur auf die Einladung Ihrer Frau Mutter in Ihr Haus eingetreten bin. Weil sie wußte, daß ich einige angenehme Talente angebaut hatte, glaubte sie, daß dieselben an einem Orte, wo es gänzlich an Lehrern fehlt, zu der Erziehung der Tochter, welche sie anbetet, einige Dienste leisten könnten. Ich, stolz darauf, eine so schöne Anlage mit einigen Blüten schmücken zu dürfen, wagte es, dieses bedenkliche Geschäft zu übernehmen, ohne die Gefahr vorauszusehen, wenigstens ohne sie zu fürchten. Ich will Ihnen nicht sagen, daß ich für meine Verwegenheit zu büßen anfange: ich hoffe, daß ich mich nie so weit vergessen werde, Reden gegen Sie zu führen, die Ihnen anzuhören nicht geziemt, daß ich es nie an der Achtung werde fehlen lassen, die ich Ihrer Sittsamkeit noch mehr als Ihrem Range und Ihren Reizen schuldig bin. Wenn ich leide, so habe ich wenigstens den Trost, daß ich allein leide, und ich würde ein Glück nicht mögen, das Ihnen das Ihrige kosten könnte.

Indessen sehe ich Sie täglich und ich bemerke, daß Sie, ohne daran zu denken, unschuldigerweise Leiden vergrößern, wegen deren Sie mich nicht bedauern können, und von denen Sie nichts wissen dürfen. Ich weiß zwar, was in solchem Falle, wenn keine Hoffnung ist, die Klugheit zu thun vorschreibt, und ich würde jede Anstrengung gemacht haben, ihrer Weisung zu folgen, wenn ich nur bei dieser Gelegenheit die Klugheit mit der Schicklichkeit zu vereinigen wüßte; aber wie soll ich mich mit Anstand aus einem Hause zurückziehen, in das mich die Herrin selbst veranlaßt hat einzutreten, die mich mit Güte überhäuft und glaubt, daß ich dem, was ihr das Liebste auf der Welt ist, von einigem Nutzen sein könnte? Wie soll ich dieser zärtlichen Mutter die Freude verderben, ihren Gemahl mit Ihren Fortschritten in Studien, die sie zu diesem Ende vor ihm geheim hält, eines Tages zu überraschen? Soll ich so ungezogen sein und gehen, ohne ihr etwas zu sagen? Soll ich ihr die Ursach meines Scheidens erklären? Und wird nicht schon dieses Geständniß selbst, von Seiten eines Mannes, dem Geburt und Vermögen nicht erlauben, nach Ihnen aufzublicken, beleidigend sein?

Ich sehe nur Ein Mittel, Mademoiselle, um aus der Verlegenheit zu kommen, in welcher ich mich befinde: nämlich, daß die Hand, die mich hineingestürzt hat, mich auch herausziehe; daß meine Strafe ebenso wie mein Fehltritt mir von Ihnen komme und daß Sie mir die Gunst erzeigen, wenigstens aus Mitleid, mir Ihre Gegenwart zu verbieten. Zeigen Sie meinen Brief Ihren Eltern, bewirken Sie, daß man mir Ihre Thür verschließe, jagen Sie mich hinweg, wie Sie wollen: ich kann von Ihnen Alles hinnehmen, ich kann Sie aber nicht aus freien Stücken fliehen.

Sie, mich hinwegjagen! Ich, Sie fliehen! Und warum? Warum ist es denn ein Verbrechen, Gefühl zu haben für das Verdienst und zu lieben, was man ehren muß? Nein, schöne Julie, Ihre Reize hatten meine Augen geblendet; nie würden Sie mein Herz verführt haben, ohne den mächtigeren Reiz, der jene beseelt. Dieser rührende Verein von so lebhaftem Empfindungen und unstörbarer Sanftmuth, dieses so zärtliche Mitleid für jeden fremden Schmerz, dieser richtige Takt und dieser erlesene Geschmack, deren Lauterkeit aus der Reinheit der Seele stammt, mit Einem Worte die Seelenreize mehr als die der äußeren Erscheinung sind das, was ich in Ihnen anbete. Ich gebe gern zu, daß man Sie noch schöner denken könnte; aber liebenswerther und des Herzens eines redlichen Mannes würdiger, nein, Julie, das ist unmöglich.

Manchmal bin ich so kühn, mir mit dem Gedanken zu schmeicheln, daß der Himmel ebenso in unsere Herzen eine geheime Uebereinstimmung gepflanzt habe, wie unser Geschmack und unsere Jahre übereinstimmen. Jung wie wir sind, folgen unsere Herzen noch ganz dem natürlichen Zuge, und in Allem scheinen unser Beider Neigungen mit einander zu gehen. Wir haben uns noch nicht die ausgleichenden Vorurtheile der Welt angeeignet und doch ist Gleichförmigkeit in unserer Art, zu fühlen und zu sehen; und warum sollte ich mir nicht einzubilden wagen, daß unsere Herzen in demselben Einklang sind, in welchem ich unsere Geister finde? Manchmal begegnen sich unsere Augen: manchmal entschlüpfen uns Seufzer zu gleicher Zeit, einige verstohlene Thränen .... o Julie! Wenn diese Uebereinstimmung einen tieferen Grund hätte wenn uns der Himmel bestimmt hätte was nur ein Mensch vermag .... O,Verzeihung! ich rede irre: ich wage das, was mein Herz wünscht, für Hoffnungen zunehmen; die Inbrunst meines Verlangens gießt über den Gegenstand desselben diesen Schein einer Möglichkeit, die nicht vorhanden ist.

Ich sehe mit Entsetzen, welche Qualen sich mein Herz zubereitet. Ich suche nicht mich über mein Uebel zu täuschen! wie gerne wollte ich es hassen, könnte ich nur. Beurtheilen Sie die Lauterkeit meiner Gefühle danach, was für eine Art Gunst ich mir von Ihnen erbeten habe. Verstopfen Sie wo möglich die Quelle des Giftes, das mir Speise ist und mich tödtet. Ich begehre nichts als zu gesunden oder zu sterben, und ich flehe um harte Behandlung von Ihnen, wie ein Liebhaber Sie um Gunstbezeigungen anflehen würde.

Ja, ich verspreche, ich schwöre meiner Seits alle Anstrengungen zu machen, um meine Vernunft wieder zu erlangen oder in die Tiefe meiner Seele den Wirrwarr zu verschließen, den ich emporwachsen fühle; aber, aus Mitleid, wenden Sie von mir ab diese Augen, diese sanften Augen, die mich tödten; entrücken Sie den meinigen Ihre Züge, Ihre Miene, Ihre Arme, Ihre Hände, Ihre blonden Haare, alle Ihre Bewegungen; täuschen Sie die gierige Unvorsichtigkeit meiner Blicke; verleugnen Sie die rührende Stimme, die man nicht unbewegt hören kann; ach Himmel, sein Sie eine Andere als Sie sind, damit mein Herz sich selber wieder finden könne.

Soll ich es Ihnen ohne Umschweif sagen? Bei den Spielen, welche die müßigen Stunden des Abends gebähren, geben Sie sich vor aller Welt grausamen Vertraulichkeiten hin; Sie sind nicht zurückhaltender gegen mich als gegen jeden Anderen. Noch gestern hätte wenig gefehlt, daß Sie sich beim Pfänderspiel als Strafe einen Kuß nehmen ließen: Sie widerstanden schwach. Zum Glücke war ich nicht hartnäckig. Ich fühlte an meiner wachsenden Verwirrung, daß ich mich ins Verderben stürzen würde, und ich hielt inne. Ach, hätte ich ihn einsaugen können, wie ich wollte, dieser Kuß wäre mein letzter Hauch gewesen und ich wäre gestorben als der glücklichste der Menschen.

Erbarmung, nicht mehr solche Spiele, die unselige Folgen haben können! Nein, es ist keines darunter, das nicht seine Gefahr hätte, bis zum kindischsten von allen. Ich zittere jedesmal, Ihrer Hand dabei zu begegnen, und ich weiß nicht, wie es zugeht, aber ich begegne ihr jedesmal. Kaum legt sie sich auf die meinige, so ergreift ein Zittern meine Glieder, das Spiel erregt mir Fieberschauer, nein, macht mich wahnsinnig. Ich sehe nichts mehr, fühle nichts mehr; und so nicht meiner mächtig, was soll ich reden, was thun, wo mich verstecken, wie für mich einstehen?

Bei den Stunden ist wieder ein anderer Uebelstand. Wenn Ihre Mutter oder Ihre Cousine sich einen Augenblick entfernen, und wir allein sind, so ändern Sie plötzlich Ihr Benehmen. Sie zeigen mir dann eine so ernste, kalte, eisige Miene, daß Scheu, daß Furcht, Ihnen zu mißfallen, mir alle Geistesgegenwart und Besinnung raubt und ich kaum einige Worte zitternd hervorstammeln kann, denen Sie bei aller Ihrer Fassungsgabe gewiß nur mit Mühe folgen können. So bringt die Ungleichheit in der Begegnung, welche Sie geflissentlich annehmen, uns allen Beiden Nachtheil: Sie thun mir so weh und Sie, Sie lernen nichts; ich begreife gar nicht, was eine so vernünftige Person zu einem so launischen Wechsel bewegen kann. Ich möchte Sie fragen: wie können Sie nur öffentlich so munter mit mir umgehen, und so steif, wenn wir allein sind? Ich dachte immer, es müßte gerade umgekehrt sein und man nähme ein gehalteneres Wesen an, je mehr man Beobachter um sich hätte. Statt dessen bemerke ich an Ihnen, jedesmal mit neuem Erstaunen, im vertraulichen Beisammensein die größte Abgemessenheit und in Gegenwart Aller den vertraulichsten Ton. O, bitte, bleiben Sie mehr sich gleich, vielleicht werde ich dann weniger Qual leiden.

Wenn die Schmerzen eines Unglücklichen, dem Sie einige Achtung gezeigt haben, Ihnen leid thun — ist doch Mitleid guten Seelen natürlich —, so wird ein wenig Aenderung in Ihrem Benehmen ihm seine traurige Lage erleichtern und ihm sein Schweigen und sein Leiden erträglicher machen. Wenn sein innerer Kampf und sein Zustand Sie nicht rühren und Sie wollen von dem Recht, ihn zu verderben, Gebrauch machen, so können Sie es thun, und er wird nicht murren: er will ja lieber auf Ihr Geheiß zu Grunde gehen als durch einen Ausbruch unbewachter Leidenschaft, der ihn in Ihren Augen strafbar machen würde. Genug, was Sie auch über mein Schicksal beschließen, ich werde mir wenigstens nicht vorzuwerfen haben, daß ich so verblendet war, eine verwegene Hoffnung zu hegen. Und wenn Sie diesen Brief gelesen haben, so haben Sie schon Alles gethan, um was ich Sie zu bitten wagen würde, selbst dann, wenn ich keine Abweisung zu fürchten hätte.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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