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Dreizehnter Brief.
Von Julie.

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Inhaltsverzeichnis

Ich sagte es Ihnen wohl, daß wir glücklich sind; nichts beweist es mir besser, als die Unlust, welche mir die kleinste Veränderung der Lage verursacht. Wenn wir recht empfindliche Leiden hätten, würde uns dann eine Abwesenheit von zwei Tagen so viel thun? Ich sage: uns, denn ich weiß, daß mein Freund meine Ungeduld theilt; er theilt sie, weil ich sie empfinde, und er für sich empfindet sie auch; es ist nicht mehr nöthig, daß er mir dies noch erst sage.

Wir sind erst seit gestern Abend auf dem Lande; es ist noch nicht die Stunde, da ich in der Stadt Sie sehen würde, und dennoch macht die Ortsveränderung, daß ich schon Ihre Abwesenheit unerträglicher finde. Wenn Sie mir nicht die Geometrie verboten hätten, so würde ich Ihnen sagen, daß meine Unruhe im zusammengesetzten Verhältnisse der Abstände von Zeit und Raum steht, so viel, finde ich, thut die Entfernung zu dem Verdrusse hinzu, nicht bei Ihnen zu sein.

Ich habe Ihren Brief und Ihren Studienplan mitgenommen, um mir Beides durchzudenken, und habe den erstern schon zweimal wieder gelesen: der Schluß rührt mich außerordentlich. Ich sehe, mein Freund, daß Sie wahre Liebe fühlen, da sie Ihnen nicht den Sinn für das Edle geraubt hat und da Sie noch in dem empfindlichsten Theile Ihres Herzens der Tugend Opfer darzubringen wissen. In der That, wer den Weg des Unterrichts einschlüge, um eine Frau zu verderben, würde von allen Verführungskünsten die verdammlichste üben, und wer seine Gebieterin mit Hülfe von Romanen rühren wollte, müßte wenig Hülfsmittel in sich selbst besitzen. Hätten Sie in unseren Stunden die Philosophie nach Ihren Absichten gedreht, hätten Sie Grundsätze aufzustellen gesucht, die Ihrem Interesse dienen konnten, so würden Sie, in der Meinung, mich zu täuschen, mich gar bald enttäuscht haben; aber daß Sie keine verführerische Kunst gebrauchen, das ist gerade die gefährlichste von Ihren Künsten. Seit sich in meinem Herzen der Durst nach Liebe regte und ich in mir das Bedürfniß empfand, mich auf ewig hinzugeben, seit dem ersten Augenblicke flehte ich den Himmel an, nicht einen liebenswürdigen Mann, wohl aber einen Mann von schöner Seele mir zu verbinden; denn ich fühle wohl, daß es unter allen Annehmlichkeiten, die man besitzen kann, diese ist, an der man am wenigsten den Geschmack verliert, und daß Redlichkeit und Ehrliebe alle Gefühle, denen sie sich beigesellen, verherrlichen. Und weil ich recht gewählt hatte, so erhielt ich, wie Salomo, zu dem, was ich gebeten hatte, auch was ich nicht gebeten hatte. [1. Buch der Kön. Kap. 3 V. 13.] Ich sehe die Erfüllung dieses Wunsches als gute Vorbedeutung für die Erfüllung meiner übrigen Wünsche an, und ich verzweifle nicht daran, mein Freund, Sie eines Tages so glücklich machen zu können, als Sie es zu sein verdienen. Der Weg zu diesem Ziel ist lang, schwierig, bedenklich; die Hindernisse sind furchtbar. Ich wage mir nichts zu versprechen, aber glauben Sie nur, daß, was Geduld und Liebe vermag, nicht unterbleiben wird. Fahren Sie inzwischen fort, sich meiner Mutter in Allem gefällig zu zeigen, und machen Sie sich darauf gefaßt, wenn mein Vater zurückkommt, der sich endlich nach dreißigjährigem Dienste gänzlich zurückzieht, den Stolz eines alten derben, aber von Ehre beseelten Edelmanns zu ertragen, der Sie lieben wird, ohne Ihnen ein Zeichen davon zu geben, und Sie schätzen, ohne es Ihnen zu sagen.

Ich habe meinen Brief unterbrochen, um in die Baumanlagen zu gehen, welche bei unserem Hause sind. O mein süßer Freund! ich nahm auch dich mit hin, vielmehr ich trug dich in meinem Busen hin. Ich wählte die Partien aus, die wir mit einander durchstreifen müssen, merkte mir Plätzchen, die es werth sind, uns festzuhalten; ich genoß im Voraus, wie unsere Herzen sich ergießen in dieser köstlichen Einsamkeit, welche die Lust, die wir empfinden, beisammen zu sein, noch erhöht, und diese Stellen ihrerseits erhalten einen neuen Werth durch das Verweilen zweier wahrhaft Liebenden, und ich wunderte mich nur, daß ich allein die Schönheiten gar nicht bemerkt hatte, die ich mit dir vereint dort fand.

Unter den natürlichen Gebüschen, welche diesen reizenden Garten schmücken, ist eines noch reizender als die anderen, wo ich mir noch mehr gefalle und wo ich deshalb meinem Freunde eine kleine Ueberraschung bereiten will. Es soll nicht heißen, daß er immer nur unterwürfig ist und ich nie großmüthig. Dort will ich ihn fühlen lassen, den gewöhnlichen Vorurtheilen zum Trotz, wie viel größern Werth das hat, was das Herz giebt, als das, was die Frechheit raubt. Damit sich übrigens Ihre lebhafte Einbildungskraft nicht ein wenig zu sehr in Unkosten setze, muß ich Ihnen vorher sagen, daß wir das Gebüsch mit einander nicht ohne die unzertrennliche Cousine besuchen werden.

Bei der Cousine will ich gleich erwähnen: es ist beschlossen, wenn es euch nicht zuwider ist, daß ihr uns Montag besuchen sollt. Meine Mutter wird ihre Kalesche zu meiner Cousine schicken; gehen Sie um zehn Uhr hin; sie wird Sie mitnehmen, Ihr sollt den Tag bei uns zubringen und am Dienstag nach dem Essen werden wir alle zusammen zurückfahren.

So weit war ich mit meinem Briefe, als mir einfiel, daß ich ihn Ihnen hier nicht mit derselben Leichtigkeit zustellen kann wie in der Stadt. Ich hatte zuerst daran gedacht, Ihnen durch Gust, des Gärtners Sohn, eines Ihrer Bücher zurückzuschicken, es in Papier einzuschlagen, und den Brief in dem Einschlag zu verstecken. Aber abgesehen davon, daß Sie vielleicht nicht darauf gefallen wären, ihn da zu suchen, wäre es doch auch ein unverzeihlicher Leichtsinn, dergleichen Zufällen unser Lebensglück Preis zu geben. Ich will mich also begnügen, Ihnen einfach durch ein Billet das Montag-Rendezvous anzuzeigen, und hebe diesen Brief auf, um ihn Ihnen selber zu geben. Auch würde ich doch ein wenig Sorge gehabt haben, daß Sie sich über das Mysterium des Gebüsches zu viel Gedanken machen möchten.

Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)

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