Читать книгу Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean-Jacques Rousseau - Страница 9
Zweiter Brief.
An Julie.
ОглавлениеWie sehr habe ich mich getäuscht, Mademoiselle, mit meinem ersten Briefe! Statt mir Erleichterung zu verschaffen, habe ich mein Uebel nur verschlimmert, indem ich mich Ihrem Unwillen aussetzte, und ich fühle, daß Ihr Mißfallen doch von Allem das Schlimmste ist. Ihr Stillschweigen, Ihr kaltes zurückhaltendes Benehmen künden mir nur zu sehr mein Unglück an. Wenn Sie meine Bitte theilweise erhört haben, so ist es nur mir zu desto größerer Strafe geschehen.
E poi eh' amor di me vi fece accorta, Fur i biondi capelli allor velati E l'amoroso sguardo in se raccolto.
[Dich machte kaum mein Lieben auf dich achten, So wurde gleich das blonde Haar umschleiert, Der holde Blick zog sich in sich zurück. (Metastasio).]
Oeffentlich vermeiden Sie die unschuldige Vertraulichleit, über die ich so thöricht war mich zu beklagen; aber Sie sind nur desto strenger, wenn wir allein sind; an dem, was Sie gewähren, und an dem, was sie verweigern, übt sich gleichermaßen Ihre sinnreiche Härte.
Wenn Sie doch sehen könnten, welche Marter diese Kälte mir bereitet! Sie würden mich nur zu sehr bestraft finden. Wie gern, wie gern möchte ich die Vergangenheit wiederherstellen, möchte machen können, daß Sie niemals diesen unglückseligen Brief gesehen hätten. Nein! aus Furcht, Sie abermals zu beleidigen, würde ich auch diesen nicht schreiben, wenn ich nicht den ersten geschrieben hätte, und nicht verdoppeln will ich meinen Fehler, sondern wieder gut machen. Muß ich, um Sie zufrieden zu stellen, Ihnen sagen, daß ich mich selbst betrog? Muß ich betheuern, daß es nicht Liebe war, was ich für Sie fühlte? .... Ich, ich sollte den verhaßten Meineid aussprechen? Ist elende Lüge eines Herzens würdig, in welchem Sie regieren? Ha! daß ich unglücklich sei, wenn es sein muß. Weil ich vermessen gewesen, deshalb will ich doch kein Lügner und Schurke sein, und das Verbrechen, das mein Herz begangen hat, meine Feder kann es nicht verhehlen.
Ich fühle im Voraus das Gewicht Ihres Unwillens und ich erwarte die letzten Wirkungen desselben wie eine Gunst, die Sie mir in Ermangelung jeder andern schuldig sind, denn die Glut, die mich verzehrt, verdient Strafe, aber nicht Verachtung. Erbarmen Sie sich und überlassen mich nicht mir allein; thun Sie wenigstens dies, verhängen Sie mein Schicksal; sagen Sie, was Ihr Wille ist. Was Sie mir auch vorschreiben mögen, ich werde nur zu gehorchen wissen. Legen Sie mir ein ewiges Stillschweigen auf, und ich werde mich zu zwingen wissen, daß ich es beobachte. Verbannen Sie mich aus Ihrer Gegenwart, ich schwöre, daß Sie mich nicht wiedersehen sollen. Heißen Sie mich sterben, ach, es wird nicht das Schwerste sein. Kein Befehl von Ihnen ist, in den ich nicht willige, außerdem einen, Sie nicht zu lieben: auch darin würde ich gehorchen, wenn es mir möglich wäre.
Hundert Mal des Tages bin ich versucht, mich zu Ihren Füßen zu werfen, sie mit meinen Thränen zu benetzen, an dieser Stelle den Tod oder meine Verzeihung zu empfangen; stets macht ein Todesschauer meinen Muth gefrieren; meine Kniee zittern und wagen nicht sich zu beugen: das Wort erstirbt auf meinen Lippen und meine Seele findet nichts, was sie vor der Furcht, Sie zu erzürnen, sicher stellte.
Giebt es auf der Welt einen schrecklicheren Zustand als den meinigen? Mein Herz fühlt so sehr, wie strafbar es ist, und kann doch, kann nicht aufhören es zu sein; Schuld und Gewissensangst durchwühlen es um die Wette; und in der Unwissenheit über mein Loos schwebe ich in unerträglicher Ungewißheit zwischen der Hoffnung auf Milde und der Furcht vor Strafe.
Aber nein! Ich hoffe nichts, ich habe zu hoffen kein Recht. Die einzige Gnade, die ich von Ihnen erwarte, ist, daß Sie mein Todesurtheil beschleunigen. Befriedigen Sie eine gerechte Rache. Ob das nicht Unglück genug ist, sie selber erflehen zu müssen? Bestrafen Sie mich, Sie dürfen nicht anders; aber wenn Sie nicht erbarmungslos sind, so legen Sie diese kalte, unzufriedene Miene ab, die mich zur Verzweiflung bringt: wenn man einen Verbrecher in den Tod schickt, so zeigt man ihm keinen Zorn mehr.