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2.1.3.3. Erneuerung des Bildungswesens, zunehmende Alphabetisierung im Norden

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Die von den neuen Machthabern in die Wege geleiteten Bildungsreformen brachten in den nördlichen Niederlanden als bedeutendste Massnahme die Einführung des Klassenunterrichts an der Grundschule. Bislang sammelten die in der Regel unzureichend ausgebildeten Lehrpersonen möglichst viele Kinder unterschiedlicher Altersstufen bei sich zu Hause, um sie gegen ein bescheidenes Entgelt ohne eingehende Behandlung des Stoffes lesen, schreiben und rechnen zu lassen. Während die Schulmeister am Pult sitzend versuchten, Disziplin zu halten, mussten sie im gemeinsamen Raum so gut es eben ging die Fortschritte einzelner Schüler überprüfen. Der neuzeitliche Klassenunterricht gestattete es dem Grundschulpersonal nun, Kindern der gleichen Lernstufe an einer Wandtafel den Stoff zu vermitteln und sie üben zu lassen. Diese fortschrittliche Arbeitsweise verlangte geeignete Schulgebäude und neue Schulbücher.

Die Grundschullehrer, die fortan Prüfungen abzulegen hatten, bevor sie unterrichten durften, mussten höhere Anforderungen erfüllen. Ihre Ausbildung konnte ab den Achtzigerjahren des 18. Jh. an kweekscholen‚ Instituten zur Ausbildung von Grundschulpersonal, erfolgen. Diese hatte die Gesellschaft De Maatschappij tot Nut van ’t Algemeen (‚Die Gemeinnützige Stiftung‘) bereits vor der Einführung des ersten Schulgesetzes von 1801 in Haarlem, Amsterdam, Groningen und Leiden ins Leben gerufen. Somit entstand denn auch Bedarf an Studienbüchern für die jeweiligen Fachgebiete, so an Veröffentlichungen zur Orthografie und Grammatik der Muttersprache. Eine Schulinspektion achtete auf die Einhaltung der neuen Unterrichtsgesetze, die der Leidener Professor J.H. van der Palm als agent van nationale opvoeding (‚Minister von nationaler Erziehung‘) und seine Nachfolger entworfen hatten und die u.a. den Lehrstoff und die Schulzeiten festlegten. Zudem förderten im Laufe des 19. Jh. die Inspektoren insbesondere in Zusammenarbeit mit der Maatschappij tot Nut van ’t Algemeen Erneuerungen der Bildung und der Lehrmittel. Im Niederländisch-Unterricht wurden dazu neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Orthografie und Grammatik berücksichtigt. Zu welchen ausführlichen Beschreibungen des Niederländischen dies schliesslich führte, geht beispielsweise aus Den Hertogs Grammatik hervor, die 1892/96 erschien, vgl. 3.2.2.

Obschon eine Regierungskommission auch Massnahmen zur Verbesserung des Unterrichtes an den Lateinischen Schulen anregte, die u.a. die Einführung von modernen Sprachen, darunter Niederländisch beinhalteten, blieben diese ausser Kraft. Demzufolge stellten französische Sachverständige in der napoleonischen Zeit fest, dass sich an diesen Schulen, die auf eine akademische Ausbildung vorbereiteten, seit dem im 16. Jh. angefangenen Achtzigjährigen Krieg nichts geändert habe. Ebenso wenig gelang es, die Lateinische Schule als Sekundarunterricht in einem dreistufigen Bildungssystem nach französischem Muster zu integrieren. Die französischen Schulen, die vor allem von Kindern wohlhabender Bürger besucht wurden, boten in der Regel nicht mehr als Grundschulunterricht mit zusätzlichen Abschlussklassen an für diejenigen, die nicht an die Lateinschule gingen. Die unterschiedliche Qualität der einzelnen Mittelschulen hing vom jeweiligen Schulleiter ab. Eine Reform der Mittelschule, die auch zum besseren Niederländisch-Unterricht führte, setzte in den Niederlanden erst 1863 mit dem ersten Gesetz zum Mittelschulunterricht ein, vgl. 3.1.2.1. Bis dahin wurde dem Unterricht des Niederländischen an der Mittelschule nur wenig Zeit eingeräumt. So widmete man der Muttersprache an der Lateinischen Schule nur in der unteren Stufe vereinzelte Stunden, an der französischen Schule lernten die Schüler planlos unzusammenhängende Regeln des Niederländischen, ohne diese weiter zu vertiefen und zu üben.

Trotz Versuchen, die Alma Mater von Leiden zur einzigen nationalen Universität der Niederlande auszubauen, behaupteten sich die Universität Groningen und die auf Anordnung der Behörden vorübergehend geschlossene Utrechter Hochschule. Dagegen wurden die Universitäten Franeker und Harderwijk 1811 aufgehoben. Athenea (‚akademische Institute‘) gab es zudem in Amsterdam und Deventer und Franeker, die allerdings kein Examens- oder Promotionsrecht hatten. In der Zeit des Vereinten Königreichs ist die Zahl der Studierenden und der Hochschulabsolventen als niedrig einzustufen. So studierten 1830 nur zirka 500 Studenten in Leiden, rund 30 Professoren lehrten und forschten an der ältesten Universität der Niederlande. Die Zahl der Bildungsbürger betrug in dieser Epoche lediglich 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Übrigens schuf die Berufung von Matthijs Siegenbeek zuerst zum Extraordinarius 1797, später zum Ordinarius der Niederländischen Sprach- und Literaturgeschichte, Rhetorik und nachher auch Vaterländischen Geschichte an der Universität Leiden die Voraussetzungen für die Entfaltung der niederländischen Philologie. Bald sollte Siegenbeek zu den von den Behörden angeregten Reglementierungen der niederländischen Schriftsprache beitragen.

Laut O. Boonstra ist nicht auszuschliessen, dass die neuen Schulgesetze und damit wohl auch die Erneuerungen im Schulwesen zu einer markanten Abnahme des Analphabetismus während den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. in den nördlichen Niederlanden geführt haben. Es wurde nachgewiesen, dass von den 1775 geborenen Buben später 75 % lesen und schreiben konnten, 1830 beherrschten 90 % der männlichen Bevölkerung diese Fähigkeiten. Immer mehr Niederländer lernten die Schriftsprache lesen und schreiben, was eine Verbreitung des Standardniederländischen erleichtern sollte.

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