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ERFAHRUNGSBERICHT
Wanderung zu mir selbst

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Ich stand an einer entscheidenden Wegkreuzung in meinem Leben. Zu jenem Zeitpunkt wusste ich nicht, welchen neuen Weg ich einschlagen mochte – das Alte passte nicht mehr und das Neue hatte sich noch nicht entfaltet. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die gleichen Themen und ich beschloss, die Grübeleien sein zu lassen und mich auf eine Medizinwanderung zu begeben.

Es ist nicht immer leicht, sich auf eine einzige Frage zu fokussieren – besonders wenn man sich gedanklich bereits sehr verstrickt hat. Welcher neue Weg ruft nach mir? Worauf soll ich meinen Fokus richten? Wie kann ich das Alte loslassen und das Neue freudig annehmen? So entschied ich mich schließlich für folgende Frage: Wie entfaltet sich mein neuer Weg?

Als Gaben nahm ich ein paar Nüsse und Samen mit und ging durch die verschneite Landschaft.

Irgendwann hörte ich von Weitem den rauen Ruf der Wildgänse und schaute mich in alle Richtungen um. Als ich sie erblickte, kamen sie aus dem neblig-grau verhangenen Himmel hoch oben gewissermaßen frontal auf mich zu.

Als der Schwarm von ungefähr 25 Gänsen direkt über mir war, riefen einige von ihnen, drehten einen Kreis, riefen erneut und drehten einen weiteren Kreis. Sie waren direkt über mir und ich sah mir ihr helles Bauchgefieder an, beobachtete ihre Bewegungen und war fasziniert, wie abgestimmt und einheitlich ihr Flug war. Da löste sich ein etwas kleiner aussehender Vogel aus dem Schwarm und flog weit nach rechts.

Die Gänse drehten noch ein paar Kreise – für mich ein deutlicher Hinweis auf meine kreisenden Gedanken und dass es nun an der Zeit war, nicht mehr zu kreisen, sondern Entscheidungen zu treffen. Dann fragte ich mich, ob es Zeit sei, den Schwarm zu verlassen und allein meiner Wege zu ziehen. Und wenn ja: Wofür stand dieser Schwarm überhaupt für mich?

In genau diesem Moment kam der einzelne Vogel zurückgeflogen, und als er hoch oben direkt über mir war, rief er mehrmals laut – es war eindeutig der Ruf eines Bussards. Mir war aufgefallen, dass er kleiner und irgendwie auch von anderer Farbe war als die anderen Vögel des Schwarms – aufgrund der Entfernung, des hellen Bauchgefieders und weil er gemeinsam mit den anderen flog, hatte ich jedoch nicht gleich erkennen können, dass er sich anscheinend nur zeitweise diesem Schwarm angeschlossen hatte. Faszinierenderweise war er sogar die Formationen eine Weile mitgeflogen, um dann wieder seiner Wege zu ziehen. Und nun kreiste er in einer Art Spirale, die sich mit jedem Kreis ein wenig mehr der Erde näherte, über mir.

Ich verstand, dass ich gerade etwas lernen durfte – etwas, das ich schon einmal erfahren hatte, wenngleich es nun nicht mehr derselbe Kreis, dieselbe innere Frage war, sondern eine Frage auf einer neuen Ebene, die auch neu beantwortet werden musste. Ich erkannte für mich, dass es immer wieder Zeiten gibt, in denen ich die Gemeinschaft mit anderen sehr schätze und genießen kann, dann jedoch auch Zeiten für »Alleinflüge« folgen müssen. Und dass wir zeitweilig mit anderen Schwärmen mitfliegen, lernen und sein dürfen, um dann wieder klar und deutlich wir selbst zu sein.

Der Druck der vergangenen Tage und Wochen, mich einer Art »Grundsatzentscheidung« zu stellen, wich merklich von mir und ich konnte mich endlich wieder entspannen. So hielt ich mein Gesicht noch eine Weile in die Wintersonne und spürte, dass es um innere Balance ging, denn die Zeiten, in denen ich nur für mich sein und mich auf mein Inneres konzentrieren konnte, waren zu kurz gekommen. Ich atmete tief durch, legte einen Kreis aus meinen Gaben, den Nüssen und Samen, auf die Erde, bedankte mich für alle hilfreichen Impulse und machte mich schließlich wieder auf den Heimweg.

Als ich an dem kleinen Trampelpfad ankam, der zu unserem Haus führte, fand ich eine Bussardfeder, die dort wie ein auf mich wartendes Geschenk lag, und ich lächelte dankbar in Richtung Himmel.

Wer wachsen will, braucht starke Wurzeln

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