Читать книгу Kampf der Gefühle - Jennifer Blake - Страница 10
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Nachdem sie in das Stadthaus zurückgekehrt waren, schickte Ariadne die Zofe Adele – eine junge lebhafte Frau, die mit ihren goldenen Ohrringen und dem weißen Kopftuch ganz bezaubernd aussah – in die Küche, damit sie sich am Feuer die Röcke trocknen konnte. Ariadne blieb vor der Tür zum Salon stehen, nahm ihre Haube ab und übergab Solon ihren Regenmantel, um zu vermeiden, dass die Teppiche nass wurden. Sobald sie sich das Haar glattgestrichen und die Röcke ihres Straßenkostüms aus feinem, waldgrünem Tuch ausgeschüttelt hatte, gesellte sie sich zu ihrer Gastgeberin, die sie durch die Verandatür erspäht hatte.
Maurelle, die an ihrem secrétaire saß und einen Brief schrieb, blickte auf und lächelte Ariadne zu. »Da bist du ja endlich. Ich habe dich schon vor einer Stunde zurückerwartet, ma chère. Du bist wohl klatschnass geworden, wie?«
»So ziemlich«, antwortete Ariadne mit leisem Lachen. »Ich hatte fast vergessen, wie stark es hier regnet. Diese riesigen Tropfen sind doch etwas anderes als der zivilisierte Nieselregen in Paris.«
»Gieß dir eine Tasse Schokolade ein, damit dir wieder warm wird. Solon hat sie gerade gebracht, sie ist also noch schön heiß.«
»Das hat er mir bereits mitgeteilt.« Ariadne trat zu dem Tablett, auf dem eine mit Nelken bemalte Schokoladenkanne mit dazu passenden Tassen sowie ein kristallener Kuchenständer voller Baisers standen. Nachdem sie sich eine Tasse Schokolade eingeschenkt hatte, schlenderte sie damit zu dem im Kamin brennenden Feuer und streckte die Hand in Richtung der Flammen. »Er kümmert sich wirklich gut um dich, dein Solon.«
»Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn anfangen würde.« Maurelle streute Sand über ihren Brief, den sie anschließend zusammenfaltete. »War dein Einkaufsbummel erfolgreich?«
»Höchst erfolgreich.«
»Dann hast du also ein Fechtkostüm gefunden?«
»Nein, aber eins in Auftrag gegeben.« Ariadne lächelte schelmisch. »Ich kann es kaum erwarten, dein Gesicht zu sehen, wenn ich es dir vorführe. Ich wüsste gar nicht zu sagen, wer über meine Wünsche schockierter war, Adele oder Madame Pluche.«
Maurelle warf ihr einen resignierten Blick zu. »Was hast du denn jetzt wieder angestellt?«
»Das werde ich dir nicht verraten, weil du sonst vielleicht darauf bestehen würdest, dass ich den Auftrag rückgängig mache. Du wirst dich also gedulden müssen.«
»Mon dieu! Als ob Fechtunterricht und mitternächtliche Treffen mit gefährlichen Fechtmeistern noch nicht genug wären! Wenn du so weitermachst, könnte es passieren, dass selbst dein in dich vernarrter Russe sich von dir abwendet.«
»Wenn er es doch bloß täte! Wie entmutigt man denn einen Mann, der glaubt, er sei unentbehrlich?«
»Das geht ganz leicht, sofern du es wirklich willst. Ich wollte dich schon lange fragen, was sich eigentlich zwischen euch abspielt, ma chère. Ich weiß, dass dieser Sascha dir in Paris den Hof gemacht hat, aber mir war nicht klar, dass eure Beziehung ernsthafter Natur ist.«
»Das ist auch nicht der Fall – außer in seiner Einbildung.« Ariadne seufzte.
»Was spricht denn dagegen, wenn ich fragen darf? In Paris wurde gemunkelt, er sei ein Cousin des Zaren, obwohl seine Mutter Französin ist.«
»Stimmt. Allerdings musste er St. Petersburg verlassen, weil er dort in Ungnade gefallen ist. Die genauen Einzelheiten kenne ich nicht, aber offenbar stand er in Verbindung mit einer Gruppe, die einen Staatsstreich oder etwas in der Art plante. Sein Exil bereitet ihm großen Kummer, besonders die Tatsache, dass er von seiner Familie getrennt ist. Was unsere Bekanntschaft betrifft, so hat er sich nach unserer ersten Begegnung eigenmächtig zu meinem cavaliere servante ernannt. Damals war Jean Marc schon krank und konnte mich nicht begleiten, wenn ich ausging, so dass es ihm ganz recht war, wenn ich in solchen Situationen männlichen Schutz hatte. Sascha hat sich nie danebenbenommen und die Pflichten, die seine Rolle mit sich brachte, stets äußerst gewissenhaft erfüllt.«
»Aus diesem Grund zögerst du, ihn zu verletzen, nehme ich an.« Maurelles kluger Blick verriet, dass ihr bewusst war, wie nützlich solche Bewunderer für eine verheiratete Dame waren. Diese sogenannten, in der Gesellschaft aller europäischen Hauptstädte akzeptierten dienenden Kavaliere stellten sich an Empfangstagen ein, fungierten bei Einkaufstouren, Theaterbesuchen oder Soiréen als Begleiter, wenn der Ehemann der betreffenden Dame indisponiert war oder keine Lust hatte mitzukommen, trugen den Umhang, die Handschuhe oder den Fächer ihrer Dame und überreichten ihr regelmäßig kleine Geschenke wie Bücher, Blumen oder Süßigkeiten. Obwohl dieses Gehabe von selbstsüchtiger Ergebenheit geprägt war, die gewisse Ähnlichkeiten mit der Attitüde der Hohen Minne des Mittelalters hatte, war die Verbundenheit des Gentleman in den meisten Fällen nur halb ernst gemeint und diente diesem als bequemer Schutzschild gegen die Listen und Ränke heiratsfähiger Frauen und ihrer kupplerischen Mamans. Obwohl es bisweilen zu einer Liebesaffäre kam, sorgte die Furcht vor einem Skandal gewöhnlich dafür, dass es bei einer rein platonischen Beziehung blieb.
»Er war da, als ich einen Freund brauchte«, bestätigte Ariadne.
»Ich sehe durchaus das Problem. Aber es kann sein, dass du inzwischen einen noch aufdringlicheren gewonnen hast.«
»Wie meinst du das?« Der ungewohnte Ernst, mit dem Maurelle sprach, ließ Ariadne aufhorchen. Normalerweise neigte ihre Freundin nicht zu mütterlicher Besorgnis.
»Monsieur Blackford hat mich heute Vormittag mit seinem Besuch beehrt.«
Ariadne hatte das Gefühl, als hätte jemand an den Bändern ihres Korsetts gezerrt und ihr die Brust eingeschnürt. »Und?«
»Du scheinst sein Interesse geweckt zu haben, etwas, das nicht häufig vorkommt. Bist du sicher, dass du weißt, worauf du dich einlässt?«
»Hat er Fragen gestellt?«
»Ganz gezielte«, erwiderte Maurelle, um anschließend einige Beispiele zu geben. »Ich habe ihm unterstellt, dass er in dich verschossen sei, aber wie nicht anders zu erwarten, ist er einer Antwort ausgewichen.«
»Das möchte ich doch wohl hoffen!«
Während sie sprach, dachte Ariadne daran zurück, wie der Engländer vor ihr seinen Gehrock und seine Weste abgelegt hatte, während ein Lächeln seinen wohlgeformten Mund umspielte. Mit plastischer Deutlichkeit sah sie seine geschickten Finger vor sich, die sein Hemd aufknöpften, um seinen kräftigen Hals und eine Andeutung dunkelgoldenen Brusthaars freizulegen. Er hatte gewusst, dass sie ihm zusah, doch das hatte ihm nichts ausgemacht, gleichsam als hielte er sie für eine erfahrene Frau, die dergleichen unterhaltsam fand.
Allein wenn sie daran dachte, kam ihr die Galle hoch. Wie konnte er es wagen, etwas Derartiges anzunehmen? Und wie er sie entwaffnet hatte, mit einer leichten Drehung des Handgelenks – zu ärgerlich!
Gleichwohl war sie einen ausgedehnten Moment lang wie gebannt gewesen, wie gelähmt von der unbändigen Kraft, die ein männlicher Körper auszustrahlen vermochte, und von der Perfektion, die ebendieser Körper hatte. Ihr Mann hatte sich nie vor ihr ausgezogen, sondern war immer im Dunkeln in ihr Schlafzimmer gekommen. Ob er sich so verhielt, um ihr ein Erröten zu ersparen, oder weil er wusste, dass er aufgrund seiner Krankheit ausgezehrt und unmännlich aussah, entzog sich ihrer Kenntnis. Jedenfalls hatte sie infolgedessen wesentlich weniger Erfahrung mit solchen Situationen, als Monsieur Blackford annehmen mochte.
Sie gehörte indes nicht zu den Frauen, die sich von unverhohlener Maskulinität beeindrucken ließen. Sie zog Männer mit zarten, sanften Manieren vor, Männer, die Musik und Dichtkunst sowie die eleganteren Aspekte des Lebens zu schätzen wussten. Verschwitzte Kraft und die Fähigkeit zu töten ließen ihr Herz nicht höher schlagen. Nein, in keiner Weise.
»Sascha den Laufpass zu erteilen könnte sich als voreilig erweisen«, sagte sie nach einer Weile.
»Weil du meinst, dein Russe könnte dich irgendwie vor Monsieur Blackfords allzu großem Interesse schützen? So sehr es mir widerstrebt, dich zu beunruhigen – sollte der Engländer beschließen, dir nachzustellen, dann wäre dein Russe dir kaum von Nutzen. Diesem Engländer sind wenige Dinge heilig, und Grenzen, die seinen Wünschen oder Launen gesetzt sind, erkennt er einfach nicht an. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich wegen einer Frau, der er gleichgültig ist, zum Narren macht. Dafür ist er viel zu stolz.«
»Oder zu arrogant?«
»Oh, ich gebe zu, dass er ebenso von sich eingenommen ist wie die anderen Fechtmeister in der Stadt, obwohl er sich nur von sehr wenigen Dingen persönlich berühren lässt.«
Ariadne sah sie unverwandt an. »Du scheinst ihn ja gut zu kennen.«
»Er geht in meinem Haus ein und aus, zusammen mit den anderen Fechtmeistern und ihren Frauen, die ich schon so oft erwähnt habe – Nicholas Pasquale und seine Juliette, Caid O‘Neill und seine Frau Lisette, der Conde de Lérida und seine Condessa Celina. Ach ja, und dann ist da noch der Amerikaner Kerr Wallace, den Monsieur Blackford mir vorgestellt hat. Die beiden sind oft zusammen, da keiner von ihnen außer den Räumlichkeiten über ihren Fechtstudios einen Haushalt hat.« Maurelle zog eine ihrer gut gepolsterten Schultern hoch. »Trotzdem würde ich mir nicht anmaßen zu sagen, dass ich ihn kenne, da er sehr zurückhaltend ist.«
»Weil er es so will, nehme ich an.«
In das Gesicht ihrer Freundin trat ein nachdenklicher Ausdruck. Nachdem sie ihre Tasse hingestellt hatte, wandte sie sich wieder Ariadne zu. »Was diesen Unterricht betrifft, gibt es etwas, das ich unbedingt wissen muss. Hast du wirklich gesagt, dass du beabsichtigst, deine auf diese Weise erworbenen Fertigkeiten dazu zu benutzen, Rache zu üben? Wenn ich geahnt hätte, dass du einen solchen Plan hast, hätte ich dir Monsieur Blackford nie vorgestellt. Bitte sag, dass er das, was du ihm mitgeteilt hast, falsch verstanden hat.«
Es ging Ariadne gegen den Strich zu lügen. Gleichwohl war es unmöglich, Maurelle ins Vertrauen zu ziehen. Sie würde sofort begreifen, auf wen Ariadne es abgesehen hatte, und würde mit Sicherheit alles daransetzen, um sie von ihrem Plan abzubringen. Ariadne versuchte, verblüfft dreinzublicken. »Das muss er ja wohl, nicht wahr?«
Maurelle sah sie eindringlich an, kam jedoch nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, weil in der Galerie jenseits der Salontür Schritte und Stimmen laut wurden. Kurz darauf führte Solon eine Dame ins Zimmer.
»Madame Savoie«, verkündete er.
Die Besucherin war eine monumentale Erscheinung, ein Eindruck, der durch ihren weiten, über den Teppich schleifenden lavendelfarbenen Samtumhang noch gesteigert wurde. Ihr Kopf wurde von einem riesigen Hut aus purpurrotem Filz gekrönt, dessen Krempe vorn hochgeschlagen war und auf dem eine lavendelfarbene Feder wippte, während ihr Haar so aufgetürmt war, dass es wie ein Helm aus poliertem Kupfer wirkte. Auf ihrer Schulter krallte sich ein grün-gelber Papagei fest, der durchdringende Pfiffe ausstieß. Nachdem sie ihr Übergewand in Solons wartende Arme geworfen hatte, trat ein lavendelfarbenes Samtkleid mit spitzenbesetztem Mieder zutage, das ihr prächtiger Busen fast zu sprengen drohte. Um den Hals trug sie eine Kette aus Amethysten und Diamanten, die, obwohl sie so groß waren, dass sie eigentlich nur Strass sein konnten, erstaunlich echt aussahen. Ihre Nase war äußerst gebieterisch, die Form ihres Kinns und ihrer Wangenknochen hatte etwas Majestätisches, und ihre Stimme besaß ein derartiges Volumen, dass sie die Porzellangegenstände auf dem Kaminsims zum Klirren brachte und von der hohen Decke des Salons widerhallte.
»Schokolade, chère Maurelle, um Gottes willen«, bat sie. »Sobald ich Schokolade rieche, muss ich unverzüglich welche haben. Meine Zimmerwirtin ist zwar eine treffliche Frau, aber bei ihr gibt es nur Kaffee, so dass ich mich förmlich nach diesem süßen Lebenselixier, diesem göttlichen Nektar verzehre – oh, geben Sie mir bitte Schokolade!«
»Sofort.« Maurelle erhob sich, umarmte die Besucherin und goss ihr anschließend eine Tasse Schokolade ein. »Ariadne, gestatte mir, dir eine Diva von außerordentlichem Talent vorzustellen, die als Sängerin am Théatre d‘Orléans auftreten wird. Zoe, das ist eine weitere von meinen guten Freundinnen, Ariadne Faucher. Setzt euch beide hin, trinkt eure Schokolade und lasst uns miteinander plaudern.«
Maurelle nahm neben Ariadne auf dem Sofa Platz, um Madame Savoie den Sessel zu überlassen, in dem sie bisher gesessen hatte. Madame Zoe fiel unverzüglich über die Baisers her, während sie und Maurelle die neuesten Skandale und Querelen im Theater durchhechelten und sich darüber unterhielten, wer von den Sponsoren des Theaters bankrott gegangen oder Verluste beim Glücksspiel erlitten hatte und was für Widrigkeiten es bei geplanten Inszenierungen gab. Der Opernstar war witzig, schockierend und oft frivol, verzichtete jedoch auf jegliche abfällige oder gehässige Bemerkung. Ariadne mochte sie sofort.
»Sie müssen nächste Woche in meine Benefizvorstellung kommen, Ariadne. Maurelle hat eine Loge und kann Sie mitnehmen. Ja, Maurelle? Dann wäre das also abgemacht. Und Sie beide werden bitte zusehen, dass Sie so viele attraktive Männer wie möglich mitbringen. Ich liebe es, sie anzuschauen, wenn ich von verzweifelter Leidenschaft singe – man braucht Inspiration, wissen Sie. Einige Ihrer Fechtmeister wären mir sehr genehm, Maurelle, wobei es mir egal ist, ob sie verheiratet oder ledig sind, da ich sie ja nicht verführen, sondern sie nur anschauen will. Bei dem Engländer Blackford könnte ich mir allerdings vorstellen, eine Ausnahme zu machen.«
»Le diable!«, schnarrte der Papagei vor sich hin. Gleichzeitig hob er den Fuß und kratzte sich heftig am Ohr, wie um besser hören zu können.
»Was für einen bezaubernden Begleiter Sie haben«, sagte Ariadne, die sich sicher war, dass die Bemerkung des Vogels rein zufällig erfolgt war, auch wenn es ihr äußerst passend schien, Blackford als Teufel zu bezeichnen. »Haben Sie ihn schon lange?«
»Oh, seit mindestens fünfzehn Jahren. Napoleon ist mir von einem Bewunderer in Havanna geschenkt worden. Unglücklicherweise war sein Vokabular schon durch und durch verdorben, als ich ihn bekam. Achten Sie einfach nicht auf ihn.« Der Papagei, der offenbar mitbekam, dass von ihm die Rede war, reckte den Hals, um die Feder am Hut seiner Herrin zu putzen. »Hör auf damit, du Schlingel, sonst kommst du wie ein Hühnchen in den Topf«, schalt sie ihn mit liebevoller Stimme. Um ihn abzulenken, gab sie ihm ein Stück Baiser, das er in die Kralle nahm, um es unverzüglich auf ihrer Schulter zu zerkrümeln.
Ariadne musterte den Schnabel des Vogels, der ihr äußerst hart und scharfkantig vorkam. »Verletzt er Sie nicht manchmal?«, fragte sie.
»Aber nein«, erwiderte die Diva mit tiefem Lachen. »Er hält mich für sein Inamorata oder auch für seine Mutter. Wofür genau, weiß ich nicht. Er ist äußerst verschmust, das können Sie mir glauben. Er beschmutzt mich nie – nicht dass Sie sich danach erkundigt hätten, aber viele wollen das wissen. Die meisten anderen Menschen betrachtet er als Beute und kneift sie mit dem Schnabel. Die große Ausnahme stellt Monsieur Blackford da, den er halbwegs akzeptiert, weil dieser ihm immer Pecannüsse mitbringt.«
»Der Engländer besucht Sie also?«
»In meiner Garderobe, ja. Er kommt immer, wenn ich hier bin, in eine meiner Vorstellungen, ganz egal, was gerade gegeben wird. Nicht dass er Tränen vergösse wie der schöne Rosière, aber trotzdem überläuft mich stets ein Schauder, wenn ich ihn mit seiner so englischen Stimme Brava, Brava! rufen höre. Es ist wunderbar, so geschätzt zu werden, finden Sie nicht? Selbstverständlich lade ich ihn immer ein, hinter die Bühne zu kommen, und gelegentlich dinieren wir zusammen.«
»Selbstverständlich«, murmelte Maurelle.
»Missgönnen Sie mir das?«, erkundigte sich die Sängerin, indem sie verschmitzt eine ihrer Augenbrauen hochzog. »Wollen Sie ihn ganz für sich allen? Aber ma chère, er ist so faszinierend mit seinem scharfen Verstand, der Ausfälle macht, pariert und zum Gegenangriff übergeht, ganz wie er es mit seinem Degen tut. Wenn ich ihm zuhöre, steht mir immer der Mund weit offen. Und seine Beleidigungen sind so fein wie eine Schnittwunde, die erst lange, nachdem sie einem zugefügt worden ist, zu bluten beginnt. Manchmal kann er auch sehr spaßig sein, obwohl er innerlich von einem großen Schmerz gequält wird.«
Ariadne blickte mit unverhohlen skeptischem Gesichtsausdruck hoch. Zumindest befürchtete sie Letzteres. »Schmerz?«
»Er hat es nicht leicht gehabt, aber über wen von uns ließe sich das nicht sagen? In uns allen steckt ein weinendes Kind, dem wir Schokolade geben müssen, damit seine Tränen versiegen.« Sie hielt ihre Tasse hin, um sich nachschenken zu lassen. »Oder aber man muss der armen Kleinen etwas noch Köstlicheres geben, wenn sie heranwächst. Zum Beispiel Liebe«, fügte sie mit einem ironischen Ausdruck in den grünen Augen hinzu und zog gleichzeitig eine ihrer Schultern hoch.
»Oh, Liebe«, gab Maurelle höflich amüsiert zurück.
»Aber ja doch«, antwortete die Diva mit funkelnden Augen. »Keine von uns hier ist eine jeune fille, der es an Erfahrung fehlt und die demzufolge nicht begreift, dass körperliche Liebe mehr zu stillen vermag als ein vorübergehendes Verlangen.«
Maurelle kicherte. Ariadne brachte ein Lächeln zustande, hielt es aber nicht für nötig, auf die Bemerkung einzugehen. »Allem Anschein nach genießen Sie das Vertrauen des Gentleman.«
»Ein wenig vielleicht«, räumte die Diva ein. »Die Menschen schütten mir nun einmal gern ihr Herz aus. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so.«
»Merde«, murmelte der Papagei, den Blick auf sein Stück Baiser gerichtet.
Wahrscheinlich lag es an der überschwänglichen Anteilnahme und der großen Toleranz der Dame, vermutete Ariadne, während sie die Kapriolen des Vogels beobachtete. Vielleicht war es auch auf ihren Beruf zurückzuführen, der nicht als respektabel galt. So sehr man sie auch vergöttern, so sehr man sie um ihrer Leistungen willen feiern mochte, so war ihr doch ähnlich wie den Fechtmeistern der Zugang zur exklusiven aristokratischen, französisch-kreolischen Gesellschaft verwehrt. Aufgrund dieses Umstands war sie offenbar bereit, über Dinge hinwegzusehen, die diejenigen, die sich innerhalb dieses Kreises von Auserwählten bewegten, schockieren würden. Ariadne fühlte sich durchaus zu der Diva hingezogen. Gleichzeitig hoffte sie jedoch, irgendetwas von ihr zu erfahren, das auf eine Schwäche des Gentleman, über den sie sprachen, schließen ließ, irgendetwas, das sich zu einer Waffe schmieden ließ. Sie schürzte die Lippen.
»Er ist attraktiv und gesund und stammt aus guter englischer Familie. Was sollte Monsieur Blackford denn quälen?«
Die Diva sah sie unverwandt an. »Wie bei so vielen anderen ist es seine Familie, die ihn daran hindert, Frieden zu finden. Eine Mutter, die er als Kind selten sah, ein Vater, der, da Staatsmann, fast nie in England war, ein Großvater, der ihn aufzog, ihn aber verachtete, weil er sich lieber mit Büchern und Fechten beschäftigte, statt auf die Jagd zu gehen. Dann war da noch sein älterer Bruder, der Erbe des Titels, der ganz erpicht darauf war, nach ihrem Vater in die Fußstapfen des Großvaters zu treten und deshalb den alten Herrn in allen Dingen nachäffte. Sie stritten und prügelten sich natürlich, wie das bei Brüdern üblich ist, besonders aber wenn einer davon darauf aus ist, dem anderen seine Überlegenheit zu demonstrieren. Da der Erbe sieben Jahre älter war, war es ein ungleicher Kampf, bei dem der Jüngere stets den Kürzeren zog. Außer wenn es sich um einen Kampf mit Worten handelte. In solchen Situationen lernte der Jüngere zweifellos den Nutzen kennen, den beißender Witz und Eloquenz haben.«
Ariadne vermochte sich unschwer vorzustellen, wie die beiden Jungen aneinandergerieten, wie der Kleinere den Älteren mit wohlgesetzten Worten piesackte, während Letzterer stirnrunzelnd dastand, ohne etwas zu verstehen und außerstande, auf die hochtrabenden Beleidigungen anders als mit seinen Fäusten zu reagieren. Hinterher hatte der kleinere Junge dann zweifellos blutig geschlagen dagelegen, doch von großer Genugtuung erfüllt, weil er das letzte Wort gehabt hatte.
Abrupt schüttelte sie den Kopf. Sie wollte sich das nicht vorstellen, wollte sich Gavin Blackfords Kümmernisse und Niederlagen nicht ausmalen, geschweige denn deshalb Mitgefühl mit ihm empfinden. Was ihm als Kind widerfahren war, hatte nichts mit seinem Betragen als Mann zu tun. Irgendwann musste jeder Mensch die Vergangenheit und alle schlimmen Dinge, die ihm zugestoßen waren, abschütteln, um die Fäden des eigenen Lebens aufzunehmen und zu einem anderen Muster zu weben, einem, das dem ihm vorschwebenden Ideal zumindest nahekam. Lange zurückliegende Ereignisse konnten nicht als Entschuldigung für Dinge dienen, die später geschahen, nur weil der Betreffende nicht die Willenskraft aufzubringen vermochte, sein Verhalten zu ändern.
Unwillkürlich fiel ihr ihr eigener Kummer ein, der ihr nach wie vor zusetzte. Aber sie tat doch etwas, um ihn zu überwinden, nicht wahr? Sie hatte Paris verlassen, hatte die Geborgenheit ihres Heims aufgegeben und sich der Aufsicht der Verwandten ihres Mannes entzogen, um hierher zu kommen. Sie versuchte das, was geschehen war, erträglicher zu machen. Sie zerfloss nicht vor Selbstmitleid, sie lag nicht mit einem mit Eau de Cologne getränkten Tuch auf der Stirn da, während andere ihr Leben bestimmten, auch wenn die Familie ihres Mannes das vorgezogen hätte.
Jean Marcs Bruder hatte angeboten, sie zu heiraten. Diese Heuchelei erfüllte sie nach wie vor mit Bestürzung, denn sie wusste nur zu gut, was dahintersteckte: das beträchtliche Vermögen sollte in der Familie bleiben. Seine Schwester hatte sie angefleht, den Antrag anzunehmen, hatte ihr unter Tränen geschworen, dass die Familie eine Trennung von ihr nicht ertragen könne. Vielleicht war sie ja hart und zynisch geworden. Trotzdem vermochte sie sich nicht vorzustellen, dass an dem, was die anderen sagten, auch nur ein wahres Wort war.
Nein, bei ihnen zu bleiben hätte bedeutet, in der Vergangenheit zu verharren, einer trostlosen, von Kummer und Erinnerungen geprägten Vergangenheit. Sie musste vorwärtsstreben, sich von allem befreien, um wieder leben zu können.
»Ma chère?« Maurelle berührte sie am Arm, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Ariadne lächelte sie matt an. »Ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Was sagtest du gerade?«
»Zoe hat gefragt, ob du Lust hättest, morgen Abend an einer Soirée teilzunehmen, auf der die Opernsänger dieser Saison vorgestellt werden sollen.«
Die Diva nickte energisch mit dem Kopf, was der Papagei auf ihrer Schulter nachmachte. »Der Direktor trägt die Unkosten der Veranstaltung, die unter anderem dazu dienen soll, Mäzene zu gewinnen. Das Essen und der Wein werden exzellent sein, die Gesellschaft vom Feinsten.« Mit einer theatralischen Geste küsste sie ihre Fingerspitzen.
»Bedauerlicherweise habe ich schon eine andere Verabredung.«
»Tatsächlich? Und was könnte das sein?« Zoe lächelte sie schelmisch an.
»Nichts Besonderes.« Je weniger Personen von ihren Treffen mit dem Fechtmeister wussten, desto besser, fand Ariadne.
»Du kannst es ihr ruhig verraten, ma chère. In Kürze werden es ohnehin alle wissen.«
»So?«
»Weil die Dienerschaft es weitererzählen wird, verstehst du. Es ist unmöglich, vor denen irgendetwas geheim zu halten.«
»Mais jamais!«, kreischte der Papagei.
Das passte erneut erstaunlich gut, fast als hätte der Papagei das Gespräch verstanden, obwohl es vielleicht nur daran lag, dass er den Rest seines Baisers gegessen hatte. »Ich werde eine weitere Fechtstunde haben«, sagte Ariadne, indem sie ein Achselzucken andeutete. »Maurelle war so freundlich, mir dafür einen Raum zur Verfügung zu stellen.«
»Wie mutig von Ihnen!«
»Überhaupt nicht. Bei unserem letzten Treffen war eher Geduld als Courage erforderlich.« Sie trank ihre Schokolade aus und versuchte, blasiert zu wirken.
»Bei unserem Treffen?« Zoe sah Ariadne derart durchdringend an, dass es ihr Unbehagen bereitete. »Dann werden Sie also von einem Fechtmeister unterrichtet. Und von welchem, wenn ich fragen darf?«
»Monsieur Blackford. Das ist auch der Grund für mein Interesse an seiner Vergangenheit.«
»O ma chère, fast möchte ich Sie beneiden. Dieser Unterricht findet privat statt, ja? Mit dem Engländer allein zu sein, ihm gegenüber zu stehen, wenn er zum Fechten einen Teil seiner Kleidung abgelegt hat – oh, oh, allein wenn ich daran denke, fängt mein Herz an zu galoppieren.« Die Diva legte sich die Hand auf den üppigen Busen, während ihre Augen belustigt funkelten.
»So aufregend ist das gar nicht.« Trotz dieser Entgegnung bemerkte Ariadne, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.
»Erzählen Sie mir bloß nicht, dass es dabei nur um Paraden und Riposten geht! Das werde ich nicht glauben, das will ich nicht glauben. Nein, nein, das alles ist höchst romantisch, dessen bin ich mir sicher. Ich werde mir erlauben, am Morgen danach Maurelle aufzusuchen, um herauszufinden, was für Fortschritte Sie machen.«
»Vache!«, stellte der Papagei fest.
Dem konnte Ariadne, die höflich lächelte, nur beipflichten. Oberkuh, um genau zu sein. Dabei hatte sie es unter allen Umständen vermeiden wollen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihren Unterricht zu lenken. Wenn die Dinge sich weiter so entwickelten, konnte sie ebenso gut Anschläge an die Laternenpfähle hängen und Eintritt verlangen.
Sie musste lernen, was erforderlich war, und diese Angelegenheit zu Ende bringen. Je eher, desto besser.