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Erstes Kapitel

New Orleans, Louisiana

Januar 1844

»Ich benötige Ihre Fachkenntnis, um einen Mann zu töten.«

Gavin Blackford war gerade dabei, ein Glas Madeira vom Tablett auf dem Beistelltisch zu nehmen. Abrupt hielt er inne. Dass solch eine mit klarer, wenn auch gedämpfter Stimme vorgebrachte Bitte während eines Anstandsbesuchs anlässlich des Réveillon, der Feier des Neujahrstages, an ihn gerichtet wurde, war ungewöhnlich. Besonders überraschend war jedoch, dass die Bitte von einer Dame kam.

Jenseits der abgeschiedenen Ecke, in der sie standen, wurden zahlreiche lebhafte Gespräche geführt, ein Zeichen der heiteren Geselligkeit dieses Tages, an dem es Sitte war, dass die Männer von Haus zu Haus gingen, um die Damen aus ihrem Bekanntenkreis aufzusuchen und mit ihnen auf das neue Jahr anzustoßen. Das war bereits der zehnte Besuch, den Gavin an diesem Nachmittag absolvierte, wobei er immer wieder gezwungen gewesen war, durch den strömenden Regen zu eilen, der nach wie vor hinter den Verandatüren des elegant eingerichteten Salons niederging. Da er auch schon sein zehntes Glas Wein oder Rumpunsch trank und leicht beschwipst war, war er sich in keiner Weise sicher, ob er die Worte, die er eben gehört hatte, richtig verstanden hatte.

»Wie bitte?«

»Ich denke, Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«

Nachdem er das Glas, das er Madame Ariadne Faucher hatte reichen wollen, vorsichtig wieder hingestellt hatte, drehte Gavin sich zu ihr zurück, um sie im flackernden Licht der über ihnen hängenden Gasleuchter zu betrachten. Für eine Frau war sie ziemlich groß. Ihre aufrechte, elegante Gestalt war in rosafarbene Seide gehüllt, die nach der neuesten Pariser Mode mit schwarzen Rüschen besetzt war. Ihr Blick war fest und verriet eine leichte Befangenheit, ohne jedoch irgendwie unsicher zu wirken. Ihre großen Pupillen und der dunkelgraue Außenrand ließen die tiefbraune Iris ihrer Augen fast schwarz aussehen. Ihr glänzendes ebenholzfarbenes Haar war zu einem einfachen Knoten gebunden, in dem ein Strauß Rosenknospen steckte. Hier und da hatten sich Strähnen aus dem Knoten gelöst, die sich aufgrund der abendlichen Feuchtigkeit an ihren Schläfen kringelten. Die Haut ihres Gesichts und ihrer Schultern war feinporig und blass und besaß einen Glanz, als sei sie mit Perlmutt bestreut. Obwohl es sich nicht gehörte, den Blick zu senken, um auf die milchweißen Kurven zu starren, die ihr Dekolleté enthüllte, nahm Gavin am Rande seines Blickfelds wahr, dass diese liebreizenden Kurven den gleichen matten Schimmer aufwiesen. Das warf unweigerlich die Frage auf, ob der Rest ihres Körpers wohl einen ähnlichen perlmuttfarbenen Glanz hatte.

Als seine Gastgeberin Maurelle Herriot sie einander vorgestellt hatte, um sich anschließend wieder ihren anderen Gästen zu widmen, hatte er Madame Faucher für eine recht interessante, angenehm kultivierte Erscheinung gehalten, auch wenn sie mit ihren ein wenig zu ausgeprägten Gesichtszügen so gar nicht dem gegenwärtigen Schönheitsideal entsprach, demzufolge Frauen bleich und zart auszusehen hatten. Wie hätte er denn ahnen sollen, dass sie solch tödliche Pläne hegte?

»Verzeihen Sie, madame«, sagte er mit einer leichten Neigung des Kopfes. »Obwohl ich gestehen muss, dass mir die ehrenhafteren Formen des Blutvergießens ein gewisses Vergnügen bereiten, habe ich nichts für Mord übrig.«

»Darüber ließe sich in Anbetracht Ihres Rufs als Duellant gewiss streiten.«

Das war ein Umstand, an den er nur ungern erinnert wurde. »Gleichwohl ist mein Degen nicht zu vermieten.«

»Man hat mir erzählt, Sie seien ein maître d’armes«, erwiderte sie stirnrunzelnd.

»Ein ehrbarer und durchaus legaler, wenn auch ein wenig anrüchiger Beruf.«

Bevor sie antwortete, presste sie leicht die Lippen zusammen, was angesichts ihrer rosenroten Farbe und ihrer üppigen, schön geschwungenen Fülle bedauerlich war. »Ich habe nichts Ungesetzliches vor. Ich brauche Unterricht im Gebrauch eines Floretts.«

»Sie brauchen Unterricht«, gab er in verständnislosem Ton zurück.

»Ist das so schwer zu akzeptieren?«

»Sie werden zugeben, dass das ungefähr so unüblich ist, als wehre sich ein Kätzchen mit einem Küchenmesser gegen eine Bulldogge.«

»Aber es ist nicht unmöglich.«

Unwillkürlich stellte Gavin sich die Frau vor ihm in einer Aufmachung vor, wie seine männlichen Schüler sie zum Fechten trugen. Er malte sich aus, dass sie nur ein einfaches, am Hals offenes Mieder und Hosen anhaben würde, damit sie sich ungehindert bewegen konnte. Ihr Dekolleté würde den Blick auf Reize freigeben, wie sie in der Junggesellenbude seines Fechtstudios noch nie zu sehen gewesen waren, und bei jedem heftigen Ausfall würden Beine zur Geltung kommen, die, wie er vermutete, köstlich lang waren.

Sein Mund wurde trocken, während sich in seiner Lendengegend etwas rührte, das ihn an die Notwendigkeit erinnerte, seine Gedanken auf andere, höhere Dinge zu lenken. Ärger stieg in ihm auf. Normalerweise hatte er solche Reaktionen besser unter Kontrolle.

»Rein theoretisch ist es nicht unmöglich«, räumte er ein. »Ich weiß von ein oder zwei Damen, die gelegentlich mit ihrem Vater oder Bruder zur Übung fechten.«

»Das ist schwerlich das, was ich benötige.«

»Wie dem auch sei, wenn Ihr Gemahl sich zu mir bemühen würde, könnte er sie dann seinerseits instruieren.«

»Ich bin Witwe. Mein Vater und mein Bruder sind ebenfalls tot. Wenn sie es nicht wären, bräuchte ich diese Sache nicht selbst in die Hand zu nehmen.«

Ihr kühler, gelassener Ton passte weder zu dem Schmerz, der sich in ihren Augen widerspiegelte, noch zu der Röte, die ihre Wangen überzog, noch zu dem erregten Pulsieren ihrer Halsschlagader. Sie war, wie er feststellte, nicht so selbstbewusst, wie er zunächst angenommen hatte. Außerdem war sie wohl auch jünger, als er zunächst gedacht hatte, er schätzte sie irgendwo zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Einen Moment lang wurde er von dem Bedürfnis, ihr Trost zu spenden, überwältigt. Das war jedoch ebenso inakzeptabel wie ihre Bitte, da sie offenbar dem haut ton angehörte, den oberen Schichten der französisch-kreolischen Gesellschaft, an deren Rand er sich bewegte. Sie wäre zweifellos schockiert gewesen, wenn er irgendetwas in dieser Richtung angedeutet hätte.

Was hatte Maurelle noch einmal gesagt, als sie sie einander bekannt gemacht hatte? Er hatte nicht genau hingehört, da es ihn frappiert hatte, Madame Faucher überhaupt vorgestellt zu werden. Frauen ihres Status verkehrten gewöhnlich nicht mit Fechtmeistern und wurden ihnen deshalb höchst selten förmlich vorgestellt. Ihm war so, als wäre die Rede davon gewesen, dass sie vor kurzem aus Paris zurückgekehrt sei, aber sicher war er sich nicht.

Er riss sich zusammen und sagte: »Mein Beileid, madame. Darf ich dem entnehmen, dass Sie alleinstehend sind?«

»In gewisser Weise.«

Sie warf einen Blick auf einen hünenhaften Mann mit Schnurrbart, der nicht weit von ihnen entfernt mit einigen anderen Gästen zusammenstand. Der Mann hatte das silberweiße Haar vorzeitig ergrauter Menschen und einen hochmütigen Gesichtsausdruck. Gavin bemerkte, dass der Gentleman auf eine Weise in ihre Richtung starrte, die nichts Gutes verhieß. »Es gibt also niemanden, der Ihnen für eine Beleidigung, die Sie erlitten haben, Genugtuung verschaffen könnte.«

»So ist es.«

»Wenn Sie die Sache selbst in die Hand nehmen, stellt sich freilich das Problem, dass kein Gentleman, der den Namen verdient, die Herausforderung einer Dame annehmen würde.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es sich bei dem Betreffenden um einen Gentleman handelt.«

»Dann haben Sie umso mehr Grund, dieses blutdürstige Vorhaben noch einmal zu überdenken«, meinte Gavin mit einem Stirnrunzeln.

»So nennen Sie das, wo Sie doch selbst schon auf dem Feld der Ehre getötet haben?«

Dieser Punkt schien ihr wichtig zu sein, da sie ihn bereits zum zweiten Mal erwähnte. »Nur, wenn es nicht anders ging, oder aus Versehen. Gewöhnlich reicht es bei Ehrenhändeln aus, wenn ein wenig Blut fließt.«

»Das liegt in meinem Fall auch im Bereich des Möglichen.«

Ihre grimmige Miene ließ ihn an dieser Bemerkung zweifeln. Dass die Dame nach Satisfaktion strebte, konnte mehrere Gründe haben. Vielleicht war ihrem verstorbenen Ehemann in der Vergangenheit eine Beleidigung zugefügt oder sein Andenken in den Schmutz gezogen worden. Oder aber sie war von einem Liebhaber zurückgewiesen beziehungsweise betrogen, möglicherweise sogar körperlich misshandelt worden. Ungeachtet all dessen war es in keiner Weise üblich, dass Frauen zu einer Stichwaffe griffen, um Vergeltung zu üben.

Bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie mit verächtlich blitzenden Augen fort: »Zögern Sie etwa, weil Sie glauben, dass es nur Männern zusteht, Beleidigungen zu rächen?«

»Ich fürchte, das liegt in der Natur der Dinge.« Er zog eine seiner Schultern hoch. »Es hat wenig Ehrenhaftes an sich, einen Gegner zu besiegen, der einem in puncto Gewicht nachsteht oder dessen Schwertarm eine geringere Reichweite hat. Und der vielleicht so zart ist wie ein Lämmchen, so dass man sich nie und nimmer getrauen würde, zuzustoßen. Überdies ist weibliche Vergeltung gewöhnlich subtiler.«

»Aber nicht so befriedigend.«

»Im Gegenteil«, erwiderte er im Brustton der Überzeugung. »Oft ist es so, dass sie weit verheerendere Folgen hat.«

Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, sah sie ihm forschend ins Gesicht. »Dann lehnen Sie meine Bitte also ab.«

Gavin neigte zustimmend den Kopf. Gleichzeitig bemerkte er, dass der silberhaarige Gentleman mit der herrischen Miene von seinen Gesprächspartnern wegtrat und auf sie zukam. »Es schmerzt mich, einer Dame nicht gefällig sein zu können ...«, begann Gavin.

»Aber es versteht sich von selbst, dass er ablehnt«, fiel der Neuankömmling ihm ins Wort. »Wie sollte es auch anders sein? Habe ich Ihnen das nicht vorausgesagt, ma chère?«

Die Worte des Mannes waren an Madame Faucher gerichtet, galten aber ganz offenkundig Gavin. Obwohl der Mann hervorragend Französisch sprach, hatte er den harten Tonfall eines Russen. Überdies sprach er mit entschieden gebieterischer Stimme. Gavin merkte, wie er in Rage geriet. Auf Befehle reagierte er stets allergisch, selbst wenn jemand das Recht hatte, ihm welche zu erteilen.

Als Ariadne Faucher sich dem Russen zudrehte, blitzten ihre schönen dunklen Augen verärgert auf. »Das geht Sie nichts an, Sascha. Haben Sie die Güte, sich nicht einzumischen.«

Der Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als sei er auf einer Parade, ein Eindruck, der durch seinen auf militärische Weise mit goldenen Litzen besetzten Gehrock aus weißem Kammgarn ebenso verstärkt wurde wie durch das unmodisch kurz geschnittene Haar, den üppigen Schnurbart und die von einem Säbelhieb stammende Narbe, die sich über seine linke Wange zog. »Alles, was Sie betrifft, geht mich etwas an, ma chère madame«, erklärte er in inbrünstigem Ton. »Dass Sie so besessen vom Fechten sind, ist höchst unvernünftig. Dabei könnten Sie verletzt werden, und es wäre tragisch, wenn Ihr hübsches Gesicht oder Ihre liebreizende Gestalt eine Narbe davontrüge.«

»Ich bilde mir ein, nicht ganz so ungeschickt zu sein«, murmelte Gavin, obwohl er der Ansicht des Russen zustimmen musste.

»Jetzt sind Sie derjenige, der sich einmischt, monsieur«, erwiderte der andere, kaum dass er ihn eines Blickes würdigte. »Ich rate Ihnen, das zu unterlassen.«

»Das Gespräch, so belanglos es auch gewesen sein mag, fand zwischen der Dame und mir statt. Sie sind derjenige, der hier unerwünscht ist, mon vieux.«

Madame Faucher warf ihm einen erstaunten Blick zu, als sei sie es nicht gewohnt, dass jemand für sie Partei ergriff, und als registriere sie diese Bemühung mit einer gewissen Dankbarkeit. Das schien Gavin etwas zu sein, das zu bestärken sich lohnte, obwohl ihm gleichzeitig vage zu Bewusstsein kam, wie absurd das Ganze war.

»Es wäre besser, wenn sie sich mit jemandem wie Ihnen überhaupt nicht unterhalten würde«, stieß der Russe zwischen den Zähnen hervor. »Sie dürfen sich zurückziehen.«

»Sascha!«

»Dazu sehe ich mich nicht imstande«, gab Gavin zurück.

»Ich bitte Sie zu bleiben«, warf Madame Faucher rasch ein. »Zumindest so lange, bis wir uns einig geworden sind.«

Der Russe ballte die Fäuste und sagte mit einem Dünkel, der auf seine aristokratische Herkunft schließen ließ: »Daraus wird nichts werden.«

Es war völlig falsch, der Dame gegenüber eine solche Haltung an den Tag zu legen, wie Gavin dem anmaßenden Rüpel hätte sagen können, obwohl er Madame Faucher erst seit wenigen Minuten kannte. Ariadne Faucher kam ihm nicht wie jemand vor, der es gewohnt war, zu gehorchen. Sie war prachtvoll in ihrem Zorn. Hoch aufgerichtet und stolz stand sie da, mit geröteten Wangen und wütend funkelnden Augen. Unwillkürlich stieg ein heißes, völlig unerwartetes Gefühl in Gavins Brust auf und raubte ihm den Atem.

»Sie sind nicht mein Hüter, Alexander Nowgorodtschew«, sagte sie in unmissverständlichem Ton. »Ich bestimme jetzt selbst über mein Leben, ich und niemand anders. Wenn Sie weiterhin zu meinen Freunden zählen möchten, werden Sie mir gestatten, meine Entscheidungen selbst zu treffen.«

Deutlicher hätte die Botschaft nicht ausfallen können. Der Russe musste ihre Bedingungen akzeptieren oder auf ihre Bekanntschaft verzichten. Die Mühe, die es ihn kostete, sich ihrem Willen zu beugen, spiegelte sich klar in seinem breiten, grausam wirkenden Gesicht wider. Nach einer Weile gelang es ihm, gezwungen zu lächeln. »Wie immer soll es so sein, wie Sie es wünschen, ma chère madame. Ich überlasse es ganz Ihnen, ein Arrangement zu treffen.«

Unter den gegebenen Umständen zog sich der Russe recht gut aus der Affäre, wie Gavin zugestehen musste, während er den hochfahrenden Gentleman betrachtete, der respektvoll die Hacken zusammenschlug und sich entfernte. Dass damit auch die drohende Gefahr eines Duells zwischen ihnen abgewendet war, fand er erfreulich, da eine Herausforderung zum Zweikampf einen Misston in Maurelles Neujahrsempfang gebracht hätte. Nichtsdestotrotz stand er nach wie vor der heiklen Aufgabe gegenüber, wie er der eigensinnigen Dame vor ihm beibringen sollte, dass er ihr nicht helfen konnte.

Aber warum eigentlich nicht? Es mochte unkonventionell sein, einen weiblichen Schüler zu haben, doch sofern das der Dame nichts ausmachte, brauchte er sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen. Natürlich konnte sie nicht zu ihm in die Passage de la Bourse kommen, diese schäbige Gasse, in der sich Rechtsanwaltskanzleien, Tavernen und Fechtstudios aneinanderreihten. Dort wagte sich niemand so ohne Weiteres hin, am allerwenigsten Damen von gutem Ruf. Gleichwohl würde sich wohl irgendein Ort finden lassen, wo er sie unterrichten konnte.

»Nun, monsieur?«

Er hatte wohl wirklich zu viel getrunken, da ihm die Vorstellung, eine Schülerin zu haben, gar nicht mehr so abwegig vorkam. Dass dieser Gedanke sein Blut in Wallung brachte, machte das Ganze nur umso berauschender. Es war viele Monate her, seit irgendetwas derart sein Interesse erregt hatte. Trotzdem war da etwas im Benehmen der Dame, das ihn instinktiv zögern ließ, sich auf die Sache einzulassen.

»Es mag sein, dass ich wie ein verschämter Chorknabe mit einer Engelsstimme um mein Können weiß, aber bisher meinte ich immer, dieses Können sei nur Gott bekannt«, sagte er in ironischem Ton. »Warum haben Sie sich gerade an mich gewandt, wo es in New Orleans doch über fünfzig andere Fechtmeister gibt?«

»Weil Sie mir wärmstens empfohlen wurden.« Ariadne Faucher richtete den Blick auf ihren schwarzen Spitzenfächer, ließ ihn aufschnappen und wedelte ihn hin und her, um sich das Gesicht zu kühlen.

»Und von wem, wenn ich fragen darf?«

»Von unserer gemeinsamen Freundin Madame Herriot, wenn Sie es unbedingt wissen wollen. Sie sagte, dass noch ein oder zwei andere Fechtmeister aus ihrer Bekanntschaft in Frage kämen, die inzwischen aber keinen Fechtsalon mehr betreiben. Außerdem hätten ihre Frauen wahrscheinlich etwas dagegen, wenn sie abends zu lange ausblieben.«

Gavin hatte den Eindruck, dass sie seinem Blick auswich, als sie ihre Aufmerksamkeit von ihrem Fächer abwandte und in dem bezaubernden Salon mit seiner dunkel gestreiften Tapete, den mit cremefarbenem Brokat bezogenen Louis-quinze-Möbeln und dem Marmorkamin umherschaute. Überall standen plaudernde Gäste, auf den Sofas saßen Damen, deren in zarten Farben gehaltene Röcke sich wie Blütenblätter um sie breiteten, während ihre männlichen Begleiter sich hinter ihnen zu geselligen Gruppen zusammengefunden hatten. Madame Fauchers Verhalten konnte bedeuten, dass sie nicht ganz aufrichtig zu ihm war. Es konnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass sie sich der Unangemessenheit ihres Vorhabens bewusster war, als sie vorgab. Da er in den Anblick der Dame vertieft war, deren seidige Wimpern interessante Schatten warfen, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte. »Wenn sie abends zu lange ausblieben?«

»Sie würden natürlich zu mir kommen müssen, und es würde nicht angehen, wenn dies allzu oft tagsüber geschähe.«

»In der Tat«, erwiderte er trocken, »obwohl es nicht weniger skandalös sein dürfte, Sie um Mitternacht aufzusuchen.«

»Sie würden natürlich nicht mich besuchen, sondern Maurelle. Sie sagt, solche Besuche wären in keiner Weise unziemlich, besonders wenn Sie von Zeit zu Zeit ihre Freunde mitbringen.«

»Mit anderen Worten, sie hat Ihnen für diese Stelldicheins ihr Haus zur Verfügung gestellt.«

Falls er die Absicht gehabt hatte, sie mit dieser Anspielung auf die Verstohlenheit des Ganzen aus der Fassung zu bringen, dann erlebte er eine Enttäuschung. Sie ließ ihren Fächer zuschnappen und sah ihn unverwandt an. »So ist es.«

Was kümmerte es ihn denn, wie die Sache arrangiert wurde? Sie hatte das Recht, ihren guten Ruf zu schützen, und ihm war durchaus bewusst, dass er in seiner gegenwärtigen Rolle gesellschaftlich nicht akzeptabel war. Gleichwohl stieg Ärger in ihm auf.

Er hatte nicht immer außerhalb der Gesellschaft gestanden. Als jüngerer Sohn eines Marquis, der nach seinem Bruder Anspruch auf den Titel hatte, hatte er sich einst in der obersten Londoner Gesellschaftsschicht bewegt. Sein Status war fraglos akzeptiert worden, er selbst überall willkommen gewesen. Einzig und allein seine Neigung, in gewissen Momenten auf schickliches Benehmen zu verzichten, sowie die Gerüchte über seine Vergangenheit hinderten ihn daran, Zugang zu den erlesenen Kreisen um die junge Königin und ihren Prinzgemahl aus dem Hause Sachsen-Coburg zu finden. Sein gesellschaftlicher Abstieg war seine eigene Entscheidung gewesen, eine Entscheidung, die er an dem Tag getroffen hatte, an dem er Englands grüne Ufer verließ. Das machte sein Exil freilich nicht weniger bitter.

»Wer ist dieser Mann, den Sie derart hassen, um solche Risiken auf sich zu nehmen?«, fragte er mit tonloser Stimme. »Was hat er Ihnen angetan?«

»Das ist meine Angelegenheit.« Sie reckte das Kinn in die Höhe, so dass das Gaslicht ihr Haar aufschimmern ließ und ihre Wangenknochen hervorhob.

»Trotzdem könnte es nützlich sein zu wissen, ob er ein ungeschickter Tölpel oder ein renommierter Fechter ist. Im ersten Fall hätten Sie eine gewisse Aussicht auf Erfolg. Gegen einen renommierten Fechter anzutreten wäre Selbstmord.«

»Ich brauche Unterricht, um für das Treffen vorbereitet zu sein. Die Konsequenzen brauchen Sie nicht zu interessieren.«

Ihm fielen zahlreiche Dinge ein, in denen er sie bei privaten abendlichen Zusammenkünften gern unterrichtet hätte, Dinge, die alle nichts mit Stichwaffen zu tun hatten. Die Heftigkeit dieser impulsiven Reaktion beunruhigte ihn. Er neigte eigentlich nicht zu wilden Fantasien. Ein Mann, der seine Fantasie nicht zu zügeln vermochte, stellte auf dem Duellplatz eine Gefahr für sich selbst dar.

»Da irren Sie sich«, antwortete er. »Ich muss an den Ruf meines Fechtstudios denken. Und ich lehne es ab, für den Tod eines Unschuldigen verantwortlich zu sein.«

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn jedoch wieder und presste die Lippen zusammen. Ihre Hände umklammerten ihren Fächer derart fest, dass die bemalte Seide von den Elfenbeinstäben abriss. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, wobei sich die sanften Kurven ihrer Brüste ein Stück aus ihrem seidigen Gefängnis hoben, betrachtete sie den Schaden, den sie angerichtet hatte, und strich mit zitterndem Finger den Riss glatt. »Verstehe. Sie wollen mir also nicht helfen.«

»Ich bedaure zutiefst ...«, begann er.

»Vielleicht können Sie mir dann jemanden empfehlen, der entgegenkommender ist.«

Gavin zögerte. Er konnte ein Dutzend Fechtmeister nennen, wenn auch nur ein oder zwei, die so vertrauenswürdig waren, dass sie die Dame unterrichten würden, ohne die Situation auszunutzen. Die maître d‘armes der Passage de la Bourse waren auf ihre Weise zwar durchaus ehrenhaft, aber keine Heiligen.

»Wenn ich‘s recht bedenke, brauchen Sie sich die Mühe gar nicht zu machen«, fuhr sie fort, das Kinn in die Höhe reckend. »Monsieur Nowgorodtschew wird nur zu gern bereit sein, mich zu instruieren. Ich war der Ansicht, dass Sie im Vergleich zu seinen auf einer Militärakademie erworbenen Fechtkünsten vielleicht über andere Fertigkeiten, über mehr Finesse verfügen, aber dann wird das, was er mir vermitteln kann, eben ausreichen müssen.« Mit raschelndem Gewand wandte sie sich von ihm ab und schickte sich an davonzugehen.

»Warten Sie«, stieß er mit einem Widerstreben, das seine Stimme rau klingen ließ, hervor.

Sie hielt inne und drehte sich langsam mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm zurück. Ihre Augen waren so dunkel wie der Himmel bei einem winterlichen Unwetter. Gleichzeitig sprühten sie jedoch vor Leben, und Hoffnung schien in ihnen aufzuschimmern. »Monsieur?«

Es war Wahnsinn, sich darauf einzulassen. Zweifellos würde er es später bereuen. Der Grund für sein Verhalten war nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass er sich über den Russen geärgert hatte oder vielmehr bezweifelte, dass sie bei ihm oder einem anderen Fechtmeister sicher war. Tatsache war, dass er sich langweilte. Er brauche Anregung, ein neues Interesse, ein neues Ziel.

In den vergangenen ein oder zwei Jahren waren seine Freunde in der Stadt in den Hafen der Ehe gesegelt, und obwohl sie ihn häufig zu sich nach Hause einluden, war ihm voller Unbehagen bewusst, dass er außerhalb ihres Familienkreises stand. Die Bruderschaft, dieser lose Zusammenschluss von Fechtern, der vor rund vier Jahren gegründet worden war, um Frauen und Kindern Schutz angedeihen zu lassen, den das fragile Rechtssystem einer in drei verschiedene Kommunen aufgeteilten Stadt nicht zu gewährleisten vermochte, war zu einem bloßen Schatten ihres früheren Selbst dahingeschwunden. Die Aktivitäten des ursprünglichen, aus Rio, Conde de Lérida, dem Iren Caid O‘Neill und Gavins Halbbruder Nicholas Pasquale bestehenden Trios, zu dem dann noch er selbst hinzugekommen war, waren so erfolgreich gewesen, dass sie heute nur noch selten einzugreifen brauchten. Das Ansinnen Madame Fauchers schien ihm die Möglichkeit zu bieten, seiner aufgestauten Energie ein Ventil zu verschaffen.

Dann war da noch die Verachtung, die aus den Augen der Dame sprach. Eitelkeit war, wie er hoffte, nicht sein offenkundigstes Laster, doch er war es gewohnt, dass seinem Können zumindest ein gewisses Maß an Respekt gezollt wurde. Zu bewirken, dass sie ihre Meinung über ihn änderte, schien ihm ein lohnendes Ziel zu sein. Vor allem jedoch wollte er in Erfahrung bringen, warum sie so erpicht darauf war, ausgerechnet von ihm in der Kunst des Fechtens unterrichtet zu werden.

»Ich werde Sie morgen Abend hier aufsuchen, madame. Wenn Maurelle dafür sorgen könnte, dass eine Fechtbahn vorhanden ist, würde ich die übrige Ausrüstung mitbringen.«

In ihren Augen blitzte es triumphierend auf. Rasch senkte sie den Blick, um sich nichts anmerken zu lassen. »Exzellent. Ich werde Sie erwarten, monsieur.«

Sie drehte sich um und ging mit lässiger Anmut davon. Gavin sah ihr nach, während das Blut in seinen Adern brauste. Es waren indes nicht nur Bewunderung und Vorfreude, die seine Brust erfüllten. In diese Empfindungen mischte sich ein unerklärliches, eisiges Gefühl der Angst.

Kampf der Gefühle

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