Читать книгу Kampf der Gefühle - Jennifer Blake - Страница 7

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Drittes Kapitel

Voller Ungeduld wartete Ariadne am folgenden Abend auf die Ankunft des Fechtmeisters. Diesen Moment hatte sie sich so lange ausgemalt, dass ihr das Ganze jetzt, da es unmittelbar bevorstand, fast ein wenig unwirklich vorkam.

Im Garçonnière-Flügel des Herriotschen Stadthauses war ein Kinderzimmer für das Treffen vorbereitet worden. Wer immer dieses Zimmer entworfen hatte, musste eine große, aus Jungen bestehende Kinderschar gehabt haben, denn es war lang und schmal und ähnelte einem Schlafsaal. Oberhalb der Täfelung aus haltbarem Zypressenholz waren die Wände weiß verputzt. Die sechs im Zimmer stehenden Betten waren entfernt worden, und an den Wänden zwischen den Fenstern hatte man mehrere Kandelaber aufgestellt. Obwohl die Empfangsräume mit Gaslicht ausgestattet waren, war Maurelle eine zu sparsame Hausfrau, als dass sie im ganzen Haus eine Gasleitung hätte legen lassen. Trotz der winterlichen Kälte und des unablässig niedergehenden Regens standen die hohen Fenster weit auf, um frische Luft hereinzulassen. Wein und Wasser standen bereit, falls jemand etwas trinken wollte. Im Zentrum des Raums war ein etwa fünf Fuß breiter und fünfzehn Schritt langer, in der Mitte und an jedem Ende markierter Streifen aus Segeltuch ausgelegt worden. Das war die Fechtbahn, die piste, auf der der Unterricht stattfinden würde.

Ariadne fiel nichts mehr ein, was noch erforderlich gewesen wäre. In ein altes graues Straßenkostüm gekleidet, schritt sie mit raschelndem Rock im Zimmer auf und ab, die Hände so fest zusammengepresst, dass sie sich schon ganz taub anfühlten.

Maurelles andere Gäste waren bereits eingetroffen. Von ferne hörte Ariadne Stimmen und Gelächter und vernahm, wie Karten auf den Tisch geknallt wurden. Warum war der maître d‘armes noch nicht da? Wodurch war er aufgehalten worden? Hatte er es sich anders überlegt und beschlossen, ihr doch keinen Unterricht zu erteilen?

»Monsieur Blackford, madame.«

Sie fuhr herum und erblickte Solon, Maurelles großen, würdevollen Majordomus, der seit vielen Jahren bei ihr in Diensten stand, in der Tür. Nachdem er sein ergrauendes Haupt mit der Anmut eines Aristokraten geneigt hatte, wich er zur Seite, um den Engländer eintreten zu lassen. Der Diener trug einen Degenkasten unterm Arm, den er Blackford offenbar abgenommen hatte, zusammen mit seinem Hut, seinem Stock und dem regenfeuchten Umhang. Er legte alles auf einen Tisch, verbeugte sich von neuem und bot mit unbewegter Miene Erfrischungen an. Als sowohl Ariadne wie auch Blackford ablehnten, richtete er Grüße von seiner Herrin aus und forderte die beiden auf, nach ihm zu klingeln, falls sie noch etwas benötigten. Dann zog er sich zurück.

Als Ariadne mit dem Fechtmeister allein war, musterte sie ihn einen ausgedehnten Moment lang. Er hatte Abendkleidung an und trug einen zweireihigen Gehrock, Hosen aus dunkelblauem Kammgarn, eine Weste mit dezentem Karomuster sowie ein cremefarbenes Seidentuch. Seine Kleidung war zweifellos bestens für Maurelles Abendgesellschaft geeignet, an der er angeblich teilnahm, schien andere Dinge aber auszuschließen. Das konnte bedeuten, dass er nicht vorhatte, in puncto Fechten ernsthaft zur Sache zu kommen.

Mit steifen Bewegungen trat sie auf ihn zu, um ihm die behandschuhte Hand entgegenzustrecken. »Es freut mich, Sie endlich zu sehen, monsieur. Ich dachte schon, dass Sie es sich anders überlegt hätten.«

»Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, Madame Faucher.« Er beugte sich über ihre Fingerspitzen und hielt diese fest, während er sich wieder aufrichtete. Dann ergriff er ihre Hand, als begrüße er einen Mann. »Drücken Sie zu«, sagte er. »So stark, wie Sie können.«

»Monsieur?« Die Wärme und Intimität seines festen Griffs jagte ihr einen Schauder über den Arm. Gleichzeitig vermeinte sie, trotz der Lederhandschuhe, die sie beide trugen, die harten Schwielen zu spüren, die das Fechten auf seiner Handfläche hinterlassen hatte. Ärger stieg in ihr auf. Es gehörte nicht zu ihrem Plan, diesen Fechtmeister auf irgendeine Weise zu berühren, die über die Formen höflicher Begrüßung hinausging.

»Sie können mir nicht wehtun«, sagte er mit versonnenem Lächeln, »und falls Sie es doch schaffen, werde ich mir nichts anmerken lassen.«

Aus nächster Nähe wirkten seine Augen unglaublich blau. In ihren Tiefen war ein humorvolles Funkeln auszumachen, was ihn auf unerwartete Weise anziehend machte. Der Duft gestärkten Leinens, parfümierter Rasierseife und sauberer männlicher Haut stieg ihr derart aufreizend in die Nase, dass sie den fast unwiderstehlichen Drang verspürte, sich von ihm loszureißen. Dass sie es unterließ, hatte weniger mit Selbstbeherrschung zu tun als mit dem Wissen, dass es sich als unmöglich erweisen könnte. Sie hatte nicht die Absicht, als Versagerin zu erscheinen, weder jetzt noch irgendwann sonst.

»Und ich werde Ihnen ebenfalls nichts zuleide tun«, fügte er in leisem, beruhigendem Ton hinzu.

Er dachte, sie habe Angst vor ihm oder misstraue zumindest seinen Absichten. Das durfte sie nicht zulassen.

»Dessen bin ich mir sicher«, erwiderte sie, indem sie rasch das Kinn in die Höhe reckte. Dann packte sie seine Hand und drückte mit aller Kraft zu. Er ließ ihre Hand nicht los, erwiderte den Druck jedoch nicht. Wenn er etwas von dem Druck, den sie ausübte, spürte, dann ließ er sich – ganz wie er versprochen hatte – nichts anmerken.

Sie vermochte nicht ganz so gelassen zu bleiben. Trotz der Handschuhe empfand sie es als beunruhigend intim, wie sich seine warme harte Handfläche gegen die empfindliche Haut der ihren presste. Sie spürte die ganze Kraft, die in ihm aufgestaut war. Außerdem war er ihr viel zu nahe. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen und eine Distanz herzustellen, die mehr Sicherheit gewährte.

»Hervorragend«, sagte er, nachdem er sie einen Moment lang getestet hatte. »Es dürfte Ihnen keinerlei Schwierigkeiten bereiten, Ihre Waffe fest im Griff zu behalten.«

Sie deutete ein Nicken an und lockerte ihren Griff. Er ließ sie sofort los, was sie einigermaßen überraschte, da sie fast damit gerechnet hatte, dass er die Sache hinauszögern und vielleicht sogar irgendeine schäkernde Bemerkung machen würde. Die meisten Gentlemen aus ihrer Bekanntschaft hätten das gemacht, schon einmal deswegen, weil sie meinten, dass man so etwas von ihnen erwartete. Sie war froh, dass er erkannte, dass sie kein Interesse an solch bedeutungsloser Tändelei hatte.

»Haben Sie irgendwelche Erfahrungen auf der Fechtbahn?«, fragte er über die Schulter, während er zu dem Tisch ging, auf den Solon den Degenkasten gelegt hatte.

»Nicht die geringsten.«

»Gleichwohl haben Sie sich für den Degen entschieden, um Vergeltung zu üben. Warum, wenn ich fragen darf? Haben Sie eine Vorliebe für scharfe Gegenstände? Oder liegt es an der hübschen Silberziselierung, die sich manchmal auf der Klinge findet?«

Seine Herablassung ärgerte sie so sehr, dass sie in scharfem Ton antwortete: »Weder das eine noch das andere. Ich halte diese Waffe für geeignet, da sie von dem betreffenden Gentleman bevorzugt wird.«

»Was ein gewisses Können seinerseits voraussetzt.« Er öffnete den Verschluss des Rosenholzkastens und klappte den Deckel zurück. Er entnahm dem Kasten ein langes schmales Florett, hielt es in die Höhe und blickte die Klinge entlang, als überprüfe er, ob sie auch gerade sei. »Und Sie sind immer noch sicher, dass dies hier genau Ihren Wünschen entspricht?«

»Absolut.«

Abrupt drehte er sich um und warf das Florett in ihre Richtung. Vor Entsetzen stockte Ariadne der Atem, als sie sah, wie die im Kerzenlicht funkelnde Klinge auf sie zugewirbelt kam. Instinktiv riss sie den Arm hoch. Das Heft des Floretts prallte gegen ihr behandschuhtes Handgelenk. Die glitzernde Klinge glitt über ihren Rock nach unten und fiel klirrend zu Boden. Wie versteinert stand Ariadne da, die Waffe anstarrend.

»Der Sinn der Übung war«, teilte Gavin Blackford ihr in leicht tadelndem Ton mit, »dass Sie das Florett auffangen.«

Sie erschauderte, riss sich jedoch sogleich wieder zusammen. Sie hatte noch nie eine Stichwaffe in der Hand gehabt, und der Gedanke, so etwas zu tun, war ihr erst vor wenigen Monaten gekommen. Einen Moment lang wurde sie von Zweifeln zerrissen. Wie sollte sie diese Sache durchziehen? Das schien ihr unmöglich. Aber was blieb ihr anderes übrig, wo doch ihr Seelenfrieden davon abhing!

»Sie hätten mir mitteilen sollen, was Sie vorhaben, monsieur«, erwiderte sie in verärgertem Ton. »Ich bin nicht hier, um Spielchen zu spielen.«

»Ich auch nicht«, gab er mit harter Stimme zurück. »Fechten ist eine Kunst, die nicht nur Kraft und Können erfordert, sondern auch starke Nerven und ein schnelles Reaktionsvermögen. Wenn Sie die Absicht haben, sich vor jeder Waffe, die auf Sie zukommt, zu ducken und entsetzt aufzuschreien, dann sollten wir die Sache sofort abbrechen, weil sie für uns beide reine Zeitverschwendung wäre.«

Welches Recht hatte er, sie auf die Probe zu stellen? Sie bezahlte ihn, damit er ihr etwas beibrachte, nicht damit er beurteilte, wie fit sie war. Gleichwohl hatte er nicht ganz unrecht, auch wenn sie das nur ungern zugab.

Das Zittern in ihren Fingern unterdrückend, bückte sie sich, um das Florett aufzuheben. Dann richtete sie sich wieder zu voller Größe auf. »Danke für die Lektion«, sagte sie mit gepresster Stimme, den Blick auf die Klinge gerichtet, die sie in der Hand hielt. »Ich werde mir eine solche Schwäche nicht mehr zuschulden kommen lassen.«

Er schwieg einen ausgedehnten Moment lang. Sie vermeinte, den forschenden Blick zu spüren, mit dem er ihr halb abgewandtes Gesicht betrachtete – einen Blick, der für ihren Geschmack viel zu durchdringend und intelligent war. Einen Augenblick befürchtete sie, er könne ihr auf die Schliche kommen und alles, was es über sie zu wissen gab, herausfinden. Mit Wut gemischte Panik stieg in ihr auf, die sie zu ersticken drohte.

»Wenn Ihnen das gelingt«, sagte er schließlich mit leicht amüsierter Stimme, »werden Sie besser sein als die meisten anderen.«

Ihre Erleichterung war so groß, dass sie sie fast überwältigte. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Er war wohl doch nicht ganz so scharfsinnig, wie sie angenommen hatte, konnte es in Anbetracht seiner Lebensgeschichte gar nicht sein. Wenn er es gewesen wäre, wäre sie nicht hier. »Sie können sich darauf verlassen.«

Nachdem er kurz genickt hatte, um seiner Zufriedenheit Ausdruck zu geben, fuhr er fort: »Ich sollte Ihnen vielleicht noch mitteilen, dass Sie auf der Fechtbahn gewisse Vorteile auf Ihrer Seite haben, weil Sie eine Frau sind.«

»Das überrascht mich.«

»Gestatten Sie mir, sie aufzuzählen«, setzte er seine Ausführungen fort, indem er eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hochzog, möglicherweise als Reaktion auf ihren ironischen Ton. »Weil Ihre unteren Gliedmaßen verglichen mit den längeren Beinen von Männern in einem proportionierterem Verhältnis zu Ihrem Rumpf stehen, werden Sie sich auf der Fechtbahn mit größerer Sicherheit hin und her bewegen, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie stolpern oder gegen Ihren Willen zurückgedrängt werden, geringer ist. Allgemein gesprochen sind Frauen geschickter in ihren Bewegungen. Außerdem neigen sie nicht dazu, mit theatralischen Bewegungen, die keinen Zweck haben, Energie zu verschwenden. Einige Fechtmeister meinen, dass Frauen besser imstande sind, während eines Kampfs ihre Aufmerksamkeit zu teilen, das heißt, sich auf das zu konzentrieren, was ihr Gegner macht, während sie gleichzeitig ihren nächsten Schritt planen.«

Es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, welches Sakrileg es war, von ihren unteren Gliedmaßen zu sprechen. Dieser Umstand gestattete es ihr, die Hitze, die ihr ins Gesicht gestiegen war, zu ignorieren. »Und worin bestehen die Nachteile? Auf die werden Sie mich doch gewiss ebenfalls hinweisen, oder?«

»In einer kürzeren Reichweite, wenn man einen Ausfall macht, einfach deswegen, weil die Arme der meisten Frauen im Verhältnis zu ihrem Körper nicht so lang sind wie die von Männern. Hinzu kommt noch ein angeborenes Widerstreben anzugreifen, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergibt, und eine Schwäche des Gegners auszunutzen.« Er lächelte schief. »Letzteres sind natürlich zwei Züge, die bei zukünftigen Gattinnen und Müttern höchst begrüßenswert sind. Sie werden sich von allem, was Sie in dieser Hinsicht gelernt haben mögen, losmachen müssen.«

»Ich werde mir Mühe geben. Gibt es sonst noch etwas?«

Er neigte bejahend den Kopf, während er sich zur Seite drehte, um das andere Florett aus dem Kasten zu nehmen. »Sehen Sie sich bitte Ihre Waffe an.«

»Ja?« Sie hielt die Waffe so, wie er sie hielt, indem sie den Griff mit der rechten Hand packte und die Spitze auf den Fingern ihrer Linken balancierte.

»Das ist ein Florett, die Übungswaffe beim Fechten. Es ist leichter als ein épée und wesentlich biegsamer als ein Degen. Es wird zur Verlängerung Ihres Arms, zu einem weiteren Finger an Ihrer Hand werden.«

Dann erläuterte er ihr in aller Ausführlichkeit die unterschiedlichen Teile des Floretts – Heft und Knauf, Schutzglocke, Klinge und stumpfes Ende – und erklärte ihr, wie man eine Waffe pflegte und säuberte. Anschließend zeigte er ihr genau, wie sie das Florett zu halten hatte. Überdies erfuhr sie, was es mit dem gepolsterten Brustschutz auf sich hatte, der lebenswichtige Organe schützte, sowie mit der Fechtmaske, die verhinderte, dass man sich Gesichtsverletzungen zuzog. Diese beiden Gegenstände beschrieb er ihr lediglich, da er sie am heutigen Abend nicht mitgebracht hatte. Als er damit fertig war, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf die Fechtbahn aus Segeltuch und setzte ihr die strenge Etikette auseinander, die dort galt und zu der die Begrüßung des Gegners sowie andere Aspekte sportlichen Benehmens gehörten.

Ariadne lauschte jedem Wort, als hinge ihr Leben davon ab, was ja in der Tat der Fall sein mochte. Während er sprach, ruhte ihr Blick auf dem Gesicht des Fechtmeisters. Es war deutlich zu merken, dass die Einzelheiten des Berufs, den er ausübte, ihm großes Vergnügen bereiteten. Seine Gründlichkeit ließ überdies darauf schließen, warum er in diesem Beruf ein Meister war. Das immerhin vermochte sie zu respektieren.

Sie hatte indes nicht die Absicht, ihn zu respektieren, und es behagte ihr in keiner Weise, dazustehen und dem Rhythmus seiner tiefen, angenehmen englischen Stimme zu lauschen, die seinem Französisch solch einen melodischen Tonfall verlieh. Er war viel zu ansehnlich, seiner selbst und seines Könnens viel zu sicher. Die Breite seiner Schultern und seine Kopfhaltung, die superbe athletische Beherrschtheit, mit der er sich bewegte, seine Art sich anzuziehen und der exzellente Schnitt seiner Kleidung – alles an ihm wühlte sie wider Willen auf. Sie spürte den Magnetismus seiner maskulinen Persönlichkeit, der mit einem natürlichen Charisma einherging, das sie zu ihm zu ziehen schien. Die Art, wie das Kerzenlicht auf sein Gesicht fiel, es zum Leuchten brachte, Vertiefungen, Kanten und Schatten hervorhob, war viel zu faszinierend. Die gähnende Dunkelheit jenseits des Kerzenscheins, das Prasseln des Regens hinter den Fenstern – beides umschloss sie auf höchst beunruhigende Weise. Wenn sie sich nicht bald dem zuwandten, was sie hergeführt hatte, würde sie schreien.

»Monsieur Blackford«, sagte sie schließlich. »Ich habe weder den Wunsch noch die Absicht, mich zur Fechtlehrerin ausbilden zu lassen. Für die Feinheiten dieser Kunst habe ich wenig Verwendung, so faszinierend sie auch für Aficionados sein mögen. Alles, was ich benötige, ist die Fähigkeit, einen Mann mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten.«

»Sowie die Fähigkeit, das Ganze zu überleben. Zumindest nehme ich das an. Oder haben Sie lediglich die Absicht, Ihre Seele teuer zu verkaufen?«

»Was auch immer ich vorhaben mag, ich möchte bezweifeln, dass Vorträge über die Umgangsformen auf dem Duellplatz meinen Plänen förderlich sind.«

»Die Art, wie ein Mann stirbt beziehungsweise am Leben bleibt, ist doch wohl genauso wichtig wie die Tatsache als solche.«

Sie sah ihn stirnrunzelnd an, während die ruhige Eindringlichkeit seiner Stimme sie innerlich derart aufwühlte, dass ihr der Atem stockte und die Spitzen ihrer Brüste sich zusammenzogen. Solch eine idealistische Einstellung hatte sie nicht von ihm erwartet. »Zweifellos«, gab sie in schroffem Ton zurück. »Zumindest sollte es bei einem Ehrenhandel zwischen ebenbürtigen Gegnern so sein. Das Treffen, das mir vorschwebt, ist völlig anders beschaffen.«

»Eher wie eine Züchtigung – rasch, gemein und notfalls hinterhältig.«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»So wie Geier von Aas angezogen werden, ergeben sich manche Dinge auf natürliche Weise.«

»Monsieur!« Sie vermochte es kaum zu glauben, dass er sie gerade mit einem Geier verglichen hatte. Das hatte er doch, oder?

»Aber Sie dürfen nicht glauben«, fuhr er mit unbewegter Miene fort, »dass ich den Beginn des Unterrichts um Ihres süßen Lächelns willen hinauszögere. Diese Präliminarien sind völlig normal, so langweilig sie auch sein mögen. Auch mir wurde seinerzeit erst nach einem langen Monat voll öder Unterweisungen gestattet, endlich ein Florett in die Hand zu nehmen.«

Sie hatte ihm weder ein süßes noch ein sonst irgendwie geartetes Lächeln geschenkt, was hieß, dass er sie aufzog. Dass er das wagte, trug in keiner Weise dazu bei, ihre Gereiztheit zu beschwichtigen. »Was Sie ertragen mussten, interessiert mich nicht, da ich mich nur auf ein einziges Treffen vorzubereiten habe und mir im Gegensatz zu Ihnen nicht ein ganzes Leben für solche Dinge zur Verfügung steht«, erwiderte sie, indem sie ihre Klinge zischend vor ihm durch die Luft fahren ließ. »Könnten wir jetzt bitte mit der eigentlichen Verwendung dieses Floretts anfangen?«

Er bewegte sich so schnell, dass sie das Ganze nur verschwommen wahrnahm. Eben hatte er noch lässig drei Schritt von ihr entfernt gestanden, und schon im nächsten Moment befand er sich direkt vor ihr, presste seinen harten Körper von der Brust bis zu den Knien gegen sie und packte sie so beim Handgelenk, dass ihr Florett nicht in die Nähe ihrer Körper geriet. Jäh entwich der Atem ihren Lungen. Nachdem sie scharf Luft geholt hatte, versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien.

»Richten Sie niemals auf jemanden eine Waffe, wenn Sie es nicht ernst meinen«, sagte er, indem er sie finster ansah. »Der Instinkt eines Fechters ist so beschaffen, dass er sich unverzüglich und ohne nachzudenken verteidigt. Davon hängt sein Leben ab. Wenn er selbst einen Degen in der Hand hält, könnte es passieren, dass der Angreifer aufgespießt wird, bevor der andere erkennt, ob es sich um einen Freund oder Feind, um Mann oder Frau handelt. Zweifellos würde er es hinterher zutiefst bedauern, eine so weiche Brust wie die Ihre durchbohrt zu haben, aber tot wären Sie dann trotzdem.«

Sie konnte seinen Herzschlag spüren, die harten Muskeln seines Arms, der sich hinten gegen die Stäbe ihres Mieders presste, seine Beine, die sich zwischen die Falten ihres Rocks gedrängt hatten. Seine Körperwärme schien in ihre Poren einzudringen und das Kältegefühl zu vertreiben, das sie bisher gar nicht bemerkt hatte. Unwillkürlich überlief sie ein Schauder, und erneut versuchte sie, sich von ihm loszumachen. Sein Griff war von einer Festigkeit, wie sie sie noch nie erlebt hatte, am allerwenigsten damals bei ihrem Mann. Er schien ihre Willenskraft zu untergraben, so dass ihr nichts anders übrig blieb, als steif und unnachgiebig in seiner Umklammerung zu verharren.

»Lassen Sie mich los«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

»Gleich. Aber erst müssen Sie mir sagen, dass Sie verstanden haben, was ich meine.«

»Mag sein, dass ich unvorsichtig gewesen bin, aber dumm bin ich nicht. Ich habe alles bestens verstanden.«

Ein kurzes, lautloses Lachen ging, wie sie spürte, durch seinen Körper. »Sie sind nicht nur kühn, sondern haben auch eine spitze Zunge. Das dürfte ausreichen. Aus diesem Grund werde ich den Unterricht beschleunigen, damit wir so bald wie möglich ein Match mit Floretten austragen können. Zunächst jedoch gibt es noch einige weitere Einzelheiten, die Sie wissen sollten.«

So abrupt, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los. Sie geriet aus dem Gleichgewicht und schwankte ein wenig. Rasch streckte er die Hand aus, um ihr zu helfen, doch sie sah ihn nur verständnislos an.

Es hätte ihr zuwider sein müssen, von ihm festgehalten zu werden, und es hätte sie freuen müssen, losgelassen zu werden. Dass weder das eine noch das andere der Fall war, verblüffte sie über alle Maßen. Seine Schnelligkeit hatte sie überrascht, seine Dreistigkeit hatte sie geärgert, die Hitze und Härte seines Körpers hatten sie aufgewühlt. Abgestoßen hatte sie sich jedoch auf unerklärliche Weise nicht gefühlt. Dass er von ihr wegtrat, ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen entstehen, als hätte er sie zurückgewiesen. Das war in höchstem Maße beunruhigend und sogar ein wenig erschreckend. Was für eine Frau war sie denn, dass sie sich auf diese Weise beeinflussen ließ?

Sie hatte alles so sorgfältig geplant. Sie hatte gewusst, dass Gavin Blackford auf Frauen anziehend wirkte. Warum hatte sie diesen Umstand nicht berücksichtigt?

Tatsache war, dass sie sich selbst für immun gehalten hatte. Weil sie sich in körperlicher Hinsicht nicht mit Männern auskannte, sah man einmal von ihrem ältlichen Ehemann ab, der lediglich ihr Mitgefühl geweckt hatte, weil sie in den Salons von Paris keinem Mann begegnet war, bei dem ihr Herz schneller geschlagen hätte, hatte sie die Möglichkeit einer körperlichen Reaktion nicht in Erwägung gezogen. Das war ein Fehler gewesen, einer, den sie von nun an würde vermeiden müssen. Sie hatte durchaus die Fähigkeit, aus ihren Fehlern zu lernen.

»Madame?«

Sie hob den Blick, um sein Gesicht nach Anzeichen von Triumph oder Amüsement abzusuchen, nach irgendetwas, das darauf hinwies, dass er sich ihres Dilemmas bewusst war. Die blauen Tiefen seiner Augen waren klar, sein fester, sinnlich geschwungener Mund zu keinem Lächeln verzogen; die gerunzelte Stirn drückte nichts als höfliches Interesse aus.

Als er von ihr weggetreten war, hatte er ihr das Florett abgenommen und es auf den Beistelltisch gelegt. Was sicher besser war. Sie brauchte eher einen lebenden Lehrer als einen toten.

»Sie haben von weiteren Einzelheiten gesprochen«, sagte sie mit gepresster Stimme.

Nachdem er einen ausgedehnten Moment lang reglos dagestanden hatte, deutete er ein Nicken an. »In der Tat. Lassen Sie uns von Durchhaltevermögen und Atemtechnik, der Positionierung der Füße, Kreidelinien und vor allem von der Beherrschung reden.«

»Beherrschung.« Während er sprach, hatte sie tief Luft geholt. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass ihre Stimme jetzt einigermaßen ausgeglichen klang.

»Unserer Waffen wie auch unserer selbst«, erklärte er, um sogleich fortzufahren: »Kommen Sie, stellen Sie sich hier auf die piste.«

Er unterließ es, sie anzufassen, und gab ihr nur mit einer eleganten Geste seiner Hand zu verstehen, wo sie sich hinstellen sollte. Mit zusammengepressten Lippen nahm sie ihren Platz ein und drehte sich ihm zu. Sein Gerede von Beherrschung ließ darauf schließen, dass er ihre Verwirrung doch bemerkt hatte. Das ging nicht an. Er durfte unter keinen Umständen annehmen, dass ihrer Einstellung zu ihm etwas Persönliches anhaftete. Ihr Stolz würde es ihr nicht gestatten, weibliche List anzuwenden, um ihn in die Falle zu locken. Überdies würde ihr das in keiner Weise Genugtuung bereiten.

»Und jetzt«, sagte er mit ernstem Gesichtsausdruck, während er sich zu ihr auf den Segeltuchstreifen gesellte, »strecken Sie bitte Ihre Arme auf diese Weise aus.«

Sie folgte seinem Beispiel und streckte die Arme vom Körper weg, so gerade, wie die enganliegenden Ärmel ihres Kostüms es erlaubten. Dann ging er mit gespreizten Knien in die Hocke, wobei sein rechter Arm ausgestreckt blieb, während er den linken so anwinkelte, dass seine Hand sich in Kopfhöhe befand.

»Gehen Sie auch in diese Position.«

Sie tat, wie er ihr geheißen hatte, obwohl sie merkte, wie sie knallrot wurde. Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr eingeschärft, dass eine Dame beim Sitzen oder Stehen nie die Knie spreizte. Sie vorsätzlich zu spreizen – und noch dazu vor diesem Engländer – war, als gebe sie jegliche Sittsamkeit auf. Das Ganze hatte etwas Anzügliches, ja, Erotisches, obwohl ihr bewusst war, dass es sich dabei um eine typische Position beim Fechten handelte, wie sie sie schon oft in der Oper und im Theater gesehen hatte.

»Weiter nach unten«, sagte er. »Sie müssen Ihre Knie stärker beugen. Und heben Sie die Arme höher.«

Ihre Röcke breiteten sich auf dem Fußboden aus, während sie dem ersten Befehl nachkam. Ihre engen Ärmel hinderten sie jedoch daran, die Arme höher zu heben. Sie zerrte an dem Stoff, der ihre Schultern einschnürte, und versuchte, ihn weiter nach oben zu ziehen.

Er schüttelte den Kopf. »Lassen Sie das, das bringt nichts. Allerdings werden Sie etwas Bequemeres tragen müssen, wenn wir weitermachen. Und jetzt heben Sie Ihre Hacken, bis Sie auf den Zehenspitzen stehen. Jetzt wieder nach unten. Auf und nieder. Und noch einmal. Exzellent. Diese Übung werden Sie jeden Morgen und jeden Abend hundert Mal machen, um die Beinmuskulatur zu stärken. Sehen Sie?«

»Ja.« Was sie sah, war das Spiel der Muskeln in seinen langen Beinen, war seine Männlichkeit, die sich undeutlich in seinem Schritt abzeichnete. Als sie den Blick abwandte und hochsah, bemerkte sie, dass seine Augen amüsiert funkelten. Offenbar verstand er ihr Unbehagen, hielt es jedoch für unangebracht. Vielleicht meinte er auch, dass sie kein Recht habe, sich zu beklagen, da sie sich das Ganze selbst zuzuschreiben hatte. Und sie würde sich auch nicht beklagen, obwohl sie die Zähne zusammenbiss, bis ihre Kiefermuskeln schmerzten.

»Bien. Und jetzt machen Sie einen Ausfall, und zwar so.«

Er ballte die Faust, als hielte er ein Florett in der Hand, und ließ seinen rechten Arm vorschnellen. Die Bewegung war so geschmeidig, als hätte er sie schon unzählige Male gemacht, als wäre sie für ihn etwas so Natürliches wie das Atmen. Sie erfolgte rasch und lautlos und wurde mit solcher Kraft ausgeführt, dass seine Faust in unmittelbare Nähe ihrer Brust gelangte. Seine Gesichtszüge waren wie erstarrt, seine Augen undurchdringlich, als hätte er alle Gefühle ausgeschaltet und sich derart in sich selbst zurückgezogen, dass niemand ihn mehr zu erreichen vermochte. Wenn er einen Degen in der Hand gehabt hätte, dann wäre sie jetzt tot gewesen, das wusste sie mit Sicherheit.

Sie war nicht zurückgezuckt und hatte sich auch sonst nicht bewegt. Das war ein gewisser Trost.

Als er sich in seine Ausgangsposition zurückbegab, kochte plötzlich Wut in ihr hoch. Sie schnellte ebenfalls hoch, ihre imaginäre Waffe fest umklammernd. Durch ihren Ärmel behindert, vermochte sie nur ein tief liegendes Ziel zu erreichen, so dass ihre geballte Faust seine Lendengegend streifte.

Wie erstarrt standen sie einander gegenüber. Gleich darauf zuckte es um seine Lippen, während in seinen Augen unbändige Heiterkeit auffunkelte. Dann wandte er sich ab und brach in Gelächter aus.

Ariadne fühlte sich so gedemütigt, dass sie sich eine Zeit lang nicht zu rühren vermochte. Dann kehrte sie ihm den Rücken zu und schlug die Hände vor die glühenden Wangen.

Sie wusste, oh, sie wusste in der Tat, was sich hinter dem glatten Stoff seiner Hosen verbarg, an der Stelle, an der ihre Knöchel ihn gestreift hatten, wusste, was diese stählerne Härte, die sie berührt hatte, zu bedeuten hatte. Dass sie die Tollkühnheit besessen oder das Pech gehabt hatte, genau dort zu landen, war eine Sache. Dass er sie deshalb auslachte, stand jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Sie konnte überhaupt nichts Komisches daran finden.

Überdies entsetzte es sie, dass ihn irgendetwas an dem bisherigen Unterricht erregt hatte. Die männliche Leidenschaft hatte etwas Willkürliches. Zumindest hatte ihr Aufenthalt in der Pariser Gesellschaft ihr diesen Eindruck vermittelt. Aber das hier war höchst unpassend. Wie sollte sie denn weitermachen, wenn sie befürchten musste, dass er zudringlich wurde?

Gleichwohl konnte sie sich nicht verhehlen, dass in ihrem Innern gewisse, halb bewusste Empfindungen aufstiegen. Zum Teil war es Genugtuung darüber, dass ein Mann, der als so gefährlich galt, sie begehrenswert fand. Was den Rest dieser Empfindungen anging, so zog sie es vor, nicht allzu genau hinzusehen.

Leidenschaften der übersteigerten, verzweifelten Art, wie die unglücklichen Liebespaare in ihren Lieblingsopern sie erlebten, waren Ariadne fremd. Sie hatte ihren Ehemann gemocht, hatte ihn in Ehren gehalten, weil er freundlich zu ihr gewesen war und dafür gesorgt hatte, dass sie ein bequemes Leben hatte. Ihm zu gestatten, Liebe mit ihr zu machen, hatte sie als Pflicht empfunden, eine nie zu lästige Pflicht, der nichts sonderlich Aufwühlendes angehaftet hatte. Hinterher war er immer so dankbar, so liebevoll gewesen, dass sie sich fast damit zufriedengab. Doch manchmal, wenn er schnarchend neben ihr lag, hatte sie, von Unruhe und unbefriedigter Sehnsucht erfüllt, in die Dunkelheit gestarrt und bittere Tränen vergossen. In solchen Momenten hatte sie sich immer gefragt – wie sie es auch jetzt tat –, ob es mit einem anderen Mann nicht anders gewesen wäre.

Aber nicht mit diesem. Nein, nie und nimmer mit diesem.

Kampf der Gefühle

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