Читать книгу SCHWARZE KITTEL - Katastrophen-Medizin - Jennifer Wegner - Страница 5

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Ankunft in Port-au-Prince

Trotz der kurzen Distanz von rund 30 km zog sich die Fahrt endlos hin. Die Haitianer waren stumm, wahrscheinlich müde von ihrem nächtlichen Dienst, aber sie schienen, nicht gefährlich zu sein. Jasmin war heilfroh, als sie sich der Stadtgrenze von Port-au-Prince näherten.

Haitis Hauptstadt zählte laut Wikipedia ca. zwei Millionen Einwohner, wobei man allerdings in den zahlreichen Slums nie genau wusste, wie viele Menschen dort lebten. Es war gespenstisch, im Licht der aufgehenden Sonne an den Ruinen und Schuttbergen vorbeizufahren. Der Jeep musste sich hier den Weg im Schritttempo über die kaum erkennbare Straße suchen, um Steinhaufen zirkeln, hupend Überlebende aus dem Weg treiben, um von dem größtenteils zerstörten Außenbereich ins Zentrum vorzudringen. Jasmins Augen konnten gar nicht so rasch die vielfältigen Eindrücke ans Gehirn melden. Natürlich erinnerte vieles an die zerstörten Häuser und Hotels an 2006 nach dem Tsunami, aber hier schienen die eingestürzten Gebäude kein Ende zu nehmen. Vereinzelt sah sie ein Haus oder eine Hütte, die zumindest teilweise erhalten geblieben waren und unheimlich wirkten, wie sie zwischen den Steinbergen herausragten. Jasmin kannte ähnliche Bilder von den bombenzerstörten Städten nach dem 2. Weltkrieg, aber auf den Schwarz-Weiß-Fotos oder Wochenschau-Filmen hatte man nicht in Bunt all die Möbel, Kleidung, Decken und persönlichen Sachen aus den Trümmern herausstechen sehen.

Autos waren zerbeult oder verschüttet. Strom, Gas, Wasser waren abgeschaltet. Am Straßenrand, wenn man ihn noch als solchen bezeichnen konnte, hockten überall Menschen. Unzählige, kaum bekleidete Kinder sahen mit großen Augen auf, wenn sich der Wagen näherte. Stapel von „Lumpen“, die sie erst nach mehrerer solcher Anhäufungen als Leichenhaufen erkannte, entlang des Wegs.

Je weiter sie stadteinwärts gelangten, umso langsamer kam der Wagen voran, kam immer wieder zum Stillstand, bis sich das Straßengewühl teilte und einen schmalen Gang freigab. Schließlich hielt der Fahrer an einem kleinen Platz an, stellte den Motor ab und stieg nun selbst aus. Unsicher, was sie tun sollte, schaute Jasmin den Beifahrer an, der daraufhin ebenfalls ausstieg, ihr die Hand bot, um sie beim Aussteigen zu unterstützen und dann ihr Gepäck annahm, das der Ältere von der Ladefläche herunterreichte.

Jasmin breitete als erstes ihre Matte auf dem Boden aus, legte den eingestaubten Schlafsack darauf und rollte beides miteinander zusammen, befestigte ihre Schlafstatt unten an ihrem Trekking-Rucksack und schlüpfte in die Trageriemen, als der junge Soldat ihn ihr hochhielt. Beinah wäre sie rücklings gestürzt, als die 30 kg plötzlich ihren Körperschwerpunkt verlagerten, nachdem der Soldat losgelassen hatte. Er griff rasch nach ihrer Hand und bewahrte sie vor einem Sturz.

„Merci bien“, dankte Jasmin umgehend. Jetzt in der Morgensonne konnte sie gar nicht mehr verstehen, dass sie vor den beiden hilfsbereiten Soldaten eine derartige Angst gehabt hatte. Erleichtert, dass sie endlich am erhofften Ziel war, schnallte sie sich den schwarzen Rucksack mit ihren persönlichen Sachen vorne um und verabschiedete sich mit aneinander gelegten Händen und einer leichten Kopfbeugung, einer Abschiedsgeste aus Asien, die aber erfahrungsgemäß weltweit verstanden wurde.

Der Fahrer zeigte mit ausgestrecktem Arm nach links und stieg wie sein Untergebener wieder ein. Sie bogen nach rechts ab. Mit den 11 kg des kleinen Rucksacks vor dem Bauch war es etwas leichter, das Gleichgewicht wieder zu finden. Jasmin machte die ersten Schritte in die angegebene Richtung.

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