Читать книгу Rentadep - Jens Otto Holländer - Страница 12

Manny

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Mönchengladbach und Rheydt sind zwei nebeneinander liegende mittelgroße Städte. Sie wurden schon so oft zusammengelegt und wieder getrennt, dass nur erfahrene Historiker durchblicken. Klumpfuß Göring, der sich, gemäß seiner Lehre, eigentlich selber als minderwertig hätte aussortieren müssen, war ein Sohn der Stadt Rheydt gewesen, worauf gewisse Leute bis heute stolz sind. Errare human est. Das Ergebnis sind nun zwei verkehrsberuhigte Fußgängerzonen, zwei Zentren, Bahnhöfe usw. Und zwei Drogenszenen. Alter Markt in Gladbach und Marktplatz Rheydt. Was die Drogenszene angeht, so ist die von Rheydt größer und liegt am Marktplatz, schöner, neben einer Kirche. Der dort zuständige Priester machte aus der Not eine Tugend, indem er einem der dort täglich sitzenden, älteren Junkies Besen, Schaufel, Eimer usw. bereitstellte, damit der morgens den Platz säuberte, Glasscherben, Dreck, ab und an eine Spritze, einsammelte, wegkehrte, einfach sauber hielt. Der Betreffende bekam dafür etwas zu seinem Unterhalt beigesteuert und er hatte die Achtung von den meisten der anderen, die auch lieber einen aufgeräumten Platz hatten, als im Müll und Dreck zu ersticken. Dort bekam man von morgens um sechs bis abends um acht, im Sommerhalbjahr auch länger, Heroin und anderes. Da Holland um die Ecke liegt, erhält man ein Gramm Heroingemisch für 30 EU$. Allerdings ist die Qualität des Zeugs mehr schlecht als recht. Eine Drogenszene ist der ideale Ort, um Nachrichten zu verbreiten. Hier sitzen den ganzen Tag Dealer, Kunden, Substituierte, denen langweilig ist und sonstige Abhängige oder Menschen bei einem Bier und tratschen oder sitzen nur herum, trinken, tun nichts oder beides. An Orten wie diesem wurde viel über Euphorin „gefachsimpelt“. Bezeichnenderweise von Menschen, die es gar nicht nahmen. Die meisten Argumente gegen Euphorin wurden von Leuten vorgebracht, die es gar nicht kannten. Das ist ja oft so. Als die E-Zigarette als Tabakersatzmittel ihre Verbreitung fand, kamen die größten Widerstände nicht von Nichtrauchern, die sich vom Dampf gestört fühlten, sondern von Rauchern, die laut, mit einer Zigarette in Hand oder Mund, darüber wetterten, wie schädlich das Dampfen wäre. So sind die Menschen und Menschen auf Drogenszenen unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von anderen. Wenn Manny mal auf die Schnelle etwas brauchte, deckte er sich am Marktplatz ein. Heroin nahm er nicht mehr oft, aber kiffen tat er doch ganz gerne. Er war seit einigen Wochen, im Grunde ständig über die Frage am Grübeln, ob er umsteigen sollte oder nicht. Zwei Wochen nach dem er den Verdampfer in der Apotheke abgegeben hatte, rief er Sabine an.

Sie trafen sich in der Altstadt von Möchengladbach bei ein paar Gläsern Altbier und waren sich sichtlich sympathisch. Es hatte eindeutig gefunkt und so war es nur logisch, dass eine angeheiterte, verliebte Sabine einem ebenfalls angesäuselten Manny, in ihrer Altbauwohnung, aus den Klamotten half. Sie liebten sich stürmisch und lagen dann erschöpft und glücklich rauchend im Bett.

Um kurz nach elf abends leuchtete der Verdampfer und gab grünes Licht. Sabine inhalierte zweimal tief und hielt Manny den Verdampfer hin, so dass er das letzte Drittel ihrer Nachtdosis bekam.

„Ist das eine Rentadep Methode Neukunden zu werben?“ fragte Manny scherzhaft und bekam als Belohnung einen derben Stoß in die Seite.

„Du Schuft. Ist das eine Methode Dankbarkeit zu zeigen?“

Von den Hormonen und dem Euphorin beseelt, schmusten die beiden im dunklen Zimmer. Sabine hatte etliche uralte CDs. Simply Red lief leise im Hintergrund.

„Wie bist Du zu Rentadep gekommen? Wie lange arbeitest du schon für die?“

„Bist du neugierig auf meine Lebensgeschichte? das dauert.“. Als keine Antwort kam erzählte sie weiter.

„Ich bin Vollwaise. Mit 17 abgerutscht. Hatte eine unglückliche Liebe und fing an zu trinken. Erst heimlich, Flachmänner immer in der Tasche. Das wurde immer schlimmer. Ich ging entgiften und wurde direkt wieder rückfällig. Nach der zweiten Entgiftung sollte das anders laufen, dachte ich. Trotzdem kaufte ich direkt vor der Klinik am Kiosk einen Jägermeister. Nur einen. Zum Aufhören. Mit Drogen hatte ich keinen Kontakt. Ich stürzte direkt wieder ab, schlimmer als je zuvor. Ich schaffte locker zwei große Flaschen Wodka, Bier gar nicht gezählt. Therapie wollte ich jedoch nicht. Dann lernte ich eine Frau kennen und die gab mir meinen ersten Euphorin Schnief. So wie du eben von mir. Ich war so gut drauf, hatte keinerlei Verlangen angetörnt. Dann machte in Rheydt der Rentadep Laden auf, hinterm Marktplatz, wo es jetzt zu McDonald geht. Kennst du doch. Da bin ich dann zum Beratungsgespräch und die haben mir gesagt, sie seien für suchtkranke Opiat Abhängige da. Aber es hätte sich auch gezeigt, dass Alkoholismus mit Euphorin durchaus zu bekämpfen wäre. Ich bettelte förmlich darum, ins Programm aufgenommen zu werden."

„Sag mal, willst du sagen, du warst noch gar nicht drauf, als du zu Rentadep kamst?“ Manny setzte sich im Bett auf und machte die Lavalampe an.

„Ich war drauf. Nur nicht auf Opiaten. Ich war voll auf Alkohol und dabei kaputt zu gehen.“

„Und dann?“

„Dann musste ich zum Arzt. Fettleber, beginnende Zirrhose, Hepatitis C, wer weiß woher, entzündete Pankreas. Es gab eine Teambesprechung und der Arzt befürwortete meine Aufnahme in das Programm und eine Hepatitis Behandlung wurde eingeleitet. Ich bekam eine relativ kleine Dosis, die sich in den ersten sechs Monaten aber steigerte. Ich nahm anfangs nur einmal, dann zweimal dann dreimal täglich Euphorin. Es dauerte fast ein Jahr bis zu meiner jetzigen Erhaltungsdosis. Und ich habe seither fast nichts mehr getrunken. Heute Abend ein paar kleine Bier. Das kommt im Jahr zwei oder dreimal vor. Mehr nicht. Klar bin ich abhängig von Euphorin, doch es gibt im Grunde nichts, was deswegen nicht tun kann. Und ich fühle mich nicht nur gesund, ich bin es auch, wie sämtliche Untersuchungen beweisen.“

„Nimm es mir nicht übel, aber für mich klingt das so, als hätten die dich wissentlich abhängig gemacht.“

„Das ist doch Quatsch. Ich war schwer suchtkrank und Euphorin war mein Mittel der ersten Wahl. Mich hat niemand von irgendwas abhängig gemacht. Außerdem bin ich nicht die einzige Alkoholikerin bei Rentadep. Mein Beispiel hat Schule gemacht und schon einige haben mittels Euphorin den Sprung ans trockene Land geschafft. Und die Idee ist auch nicht von Rentadep. Es gab früher schon Versuche Alkoholiker mit Opiaten vom Trinken weg zu bekommen. Das ganze verteufeln von Opiaten. Sie haben so einen schlechten Ruf, weil sie sich relativ rasch, für den Organismus unentbehrlich machen. Aber dabei bleibt es dann auch. Man kann damit 90 Jahre alt werden. Alkohol ist ein Zellgift und zerstört so ziemlich alles. Hirn, Magen, Darm. Ein echtes Zellgift. Und Euphorin ist eben ein maßgeschneidertes Opiat nur für Abhängige. Kein nicht abhängiger Mensch erhält Euphorin verschrieben. Und ich bin froh, dass ich so den Absprung vom Alkohol hinbekommen habe.“

„Weil sie eine Sucht mit einer anderen vertauscht haben.“

„Warum sagst du sowas? Das klingt so, als fändest du es nicht richtig.“

„Du kennst doch meine Meinung zu eurem Laden. Ich finde ihr lockt die Mäuse mit einem besonders leckeren Käse, aber eine Falle bleibt es trotzdem. Die Leute werden abhängig gemacht und dürfen als Belohnung dafür umsonst arbeiten“.

„Die Leute SIND abhängig, wenn sie zu uns kommen,“ schrie sie fast, „ihr soziales Leben ist ein Trümmerhaufen und wir verhelfen ihnen zu etwas Achtung und Respekt, vor sich selbst und der Gesellschaft“

„und beutet sie dabei aus.“ beendete er den Satz.

Sabine hatte sich in Rage geredet und atmete heftig.

„Wenn du mich damals gesehen hättest, würdest du nicht so abfällig reden“.

Er nahm sie in den Arm und küsste sie auf Mund, Wangen, Stirn.

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich finde du machst deinen Job gut. Du warst offen und ehrlich in unserem Gespräch vor paar Wochen. Ich bin einfach selber so unsicher, ob ich nun wechseln soll oder nicht und da versuche ich wahrscheinlich, mir das Programm madig zu machen, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Verdienst du eigentlich etwas?“

„Die Wohnung wird bezahlt und zur Sozialhilfe darf ich pro Woche noch einen Hunni behalten und den bekomme ich von Rentadep. Rentadep ist meine Heimat. Ich liebe die Arbeit und stehe voll dahinter.“

Sie küssten sich, er legte sich wieder hin, sie streichelten sich und liebten sich erneut, im Lichte der Lavalampe.

Rentadep

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