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bb) Das „besonders schwerwiegende“ Bleibeinteresse

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Das Bleibeinteresse des Ausländers wiegt gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG „besonders schwer“, wenn der Ausländer

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nrn. 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4. mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
5. die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG genießt oder
6. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 4 AufenthG, den §§ 24, 25 Abs. 4a Satz 3 AufenthG oder nach § 29 Abs. 2 oder 4 AufenthG besitzt.

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§ 55 Abs. 1 Nr. 1. Die Vorschrift setzt neben dem Besitz einer Niederlassungserlaubnis einen rechtmäßigen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren voraus; Fiktionzeiten werden nach Maßgabe des § 55 Abs. 3 AufenthG angerechnet.

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§ 55 Abs. 1 Nr. 2. Ausländer, die im Bundesgebiet geboren oder als Minderjährige in das Bundesgebiet eingereist sind, genießen gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG besonderen Schutz; gefordert ist ein kontinuierlicher Aufenthalt, weshalb die Regelung nicht eingreift, wenn der Minderjährige zwischenzeitlich ausgereist und als Volljähriger in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist.[60]

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§ 55 Abs. 1 Nr. 3. Neben einer Aufenthaltserlaubnis – eine bestimmte Art ist nicht gefordert[61] – verlangt die Vorschrift die Existenz einer tatsächlich geführten familiären oder lebenspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft; ein Verlöbnis genügt nicht.[62]

Hinweis

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Ausweisungsschutzes ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung;[63] auf diesen Umstand ist der ausländische Mandant hinzuweisen, sofern er z.B. beabsichtigt (nach der Haftentlassung), eine Ehe bzw. Lebenspartnerschaft mit einer der in § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG genannten Personen einzugehen.

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§ 55 Abs. 1 Nr. 4. Familiäre Beziehungen zu einem deutschen Staatsangehörigen werden in § 54 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG als besonders schutzbedürftig eingestuft. Zu den Familienangehörigen gehören in erster Linie die Kernfamilie – Eltern, Ehefrau bzw. Ehemann und Kinder -; nach den Umständen des Einzelfalles können aber auch weitere Verwandte – z.B. Großeltern, Enkel oder Schwiegerkinder – erfasst sein, wenn zu diesen eine eng geprägte, familiäre Beziehung besteht.[64] Soweit § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Ausübung eines Umgangsrechtes voraussetzt, ist ein familiäres Zusammenleben im Sinne einer häuslichen Gemeinschaft nicht erforderlich.[65]

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§ 55 Abs. 1 Nr. 5. Der Vorschrift kommt keine Bedeutung zu, da subsidiär schutzberechtigte i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG den erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG genießen.[66]

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§ 55 Abs. 1 Nr. 6. Humanitäre Gründe können unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz begründen.

Hinweis

Da Unionsbürger bzw. Drittausländer mit vergleichbarer Rechtsposition zwischenzeitlich umfassenden Ausweisungsschutz genießen, kommt Art. 3 ENA nach heute geltendem Recht keine praktische Relevanz mehr zu.[67]
Freizügigkeitsberechtigte Ausländer genießen besonderen Ausweisungsschutz nach dem FreizügG/EU; unter bestimmten Voraussetzungen gilt dies auch für deren Familienangehörige, wobei es auf die Staatsangehörigkeit des Familienmitgliedes nicht ankommt (vgl. dort Rn. 100 ff.).
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