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bb) Generalpräventive Ausweisungsgründe

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Wie bereits ausgeführt, kann eine Ausweisung grundsätzlich auch dann erfolgen, wenn sie darauf gerichtet ist, andere Ausländer von der Begehung ähnlicher Straftaten oder sonstiger ordnungsrechtlicher Verstöße abzuhalten. Die Ausweisung aufgrund generalpräventiver Erwägungen ist besonders misslich, da sie unabhängig vom persönlichen Verhalten des Ausländers verfügt werden kann. Daher ist stets zu prüfen, ob die Möglichkeit der generalpräventiv motivierten Ausweisung ausnahmsweise ausgeschlossen ist.

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Ausländern, die nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genießen (vgl. Rn. 99 ff.), dürfen die Freizügigkeitsrechte nicht aus generalpräventiven Gründen aberkannt werden;[86] gleiches gilt für die Familienangehörigen des Freizügigkeitsberechtigen. Bzgl. türkischer Arbeitnehmer, die die in Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei genannten Voraussetzungen erfüllen (vgl. Rn. 120), sind generalpräventive Erwägungen ebenfalls unzulässig.

Hinweis

Ein/e Nicht-EU-Ausländer/in, der/die mit einem/er freizügigkeitsberechtigten EU-Ausländer/in verheiratet ist, kann somit nicht aus generalpräventiven Gründen ausgewiesen werden;[87] für Nicht-EU-Ausländer/innen, die mit einem/er deutschen Staatsangehörigen/er verheiratet sind, soll dies allerdings nicht gelten,[88] was einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellen dürfte.

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Kann die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, gilt es folgende Besonderheiten zu beachten:

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Nach der umstrittenen Rechtsprechung des BVerwG dürfen Behörden und Gerichte grundsätzlich davon ausgehen, dass eine aus Anlass strafrechtlicher Verurteilung verfügte Ausweisung als Teil einer kontinuierlichen Verwaltungspraxis zur Verwirklichung des generalpräventiven Zwecks geeignet ist.[89] Eine generalpräventiv motivierte Ausweisung kommt nach den bislang nicht angepassten Anwendungshinweise zum AufenthG[90] (vgl. 53.0.3.2.2 ) insbesondere in Betracht bei

Sexualdelikten, sexuellem Missbrauch von Kindern[91],
Raub oder raubähnlichen Delikten, Eigentums- und Vermögensdelikten sowie Hehlerei, Steuerhinterziehung[92], Schmuggel und Handel mit unverzollten sowie unversteuerten Waren[93],
Waffendelikten[94],
Eidesdelikten[95], Urkundendelikten[96],
Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr[97], Fahren ohne Fahrerlaubnis[98],
gravierenden Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht oder Arbeitserlaubnisrecht,
schwerwiegenden Körperverletzungsdelikten (z.B. Messerstechereien)[99],
Rauschgiftdelikten[100].

Nach der umstrittenen Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts kann die Ausweisung im Falle der Verurteilung wegen illegalen Rauschgifthandels auch dann auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, wenn der Ausländer zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat.[101]

Hinweis

Wird dem ausländischen Mandanten ein Verstoß gegen das BtmG zur Last gelegt, sollte der Verteidiger daher stets sorgfältig prüfen, ob er seinem Mandanten zur Aufklärungshilfe i.S.d. § 31 BtmG rät. Im Regelfall wird es ratsam sein, den Weg der Verständigung zu suchen, wobei auch die Ausländerbehörde, die bereits im Ermittlungsverfahren eine sie bindende Zusage abgeben kann,[102] einbezogen werden sollte. Geht die Ausländerbehörde auf die Anregung der Verteidigung nicht ein, muss im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob der Mandant das mit einem Geständnis verbundene Risiko der generalpräventiv motivierten Ausweisung zugunsten der möglichen Strafmilderung in Kauf nehmen will.
Will die Ausländerbehörde die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen stützen, macht dies eine Einzelfallprüfung grundsätzlich nicht entbehrlich, weshalb im Regelfall die Strafakten beizuziehen und die persönlichen Verhältnisse des betroffenen Ausländers von Amts wegen aufzuklären sind.[103]

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Wiegt das Bleibeinteresse des betroffenen Ausländers besonders schwer, wird eine rein generalpräventiv motivierte Ausweisung regelmäßig unverhältnismäßig sein.[104]

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Der generalpräventive Ausweisungszweck ist schließlich nur begründet, wenn der Ausweisungsgrund durch ein zurechenbares Verhalten verwirklicht wurde. Bei krankheits- oder suchtbedingten Handlungen, Hangtaten[105], gänzlich singulären Verfehlungen – sog. Leidenschafts- oder Konflikttaten[106] – oder leicht fahrlässigen Delikten[107], derentwegen im Falle der Ausweisung keine messbare Verhaltenssteuerung anderer Ausländer erreicht werden kann, entfällt somit die generalpräventive Wirkung der Ausweisung[108].

Hinweis

Insbesondere bei Kapitalstrafsachen ist es somit von besonderer Bedeutung, ob die Straftat in den Urteilsgründen als „Konflikttat“ gekennzeichnet wird; ist dies der Fall und erstellt der Sachverständige darüber hinaus eine positive Sozialprognose, kann die Ausweisung selbst im Falle hoher Freiheitsstrafen vermieden werden.[109]

Im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität gewinnt vor diesem Hintergrund die Unterbringung nach § 64 StGB erhebliche Bedeutung, da diese einen Hang voraussetzt, d.h. eine generalpräventiv motivierte Ausweisung ausscheidet. Kann die Therapie erfolgreich abgeschlossen werden, ist auch einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung die Grundlage entzogen, so dass die Ausweisung unterbleiben muss; diesbezüglich hat das neue Ausweisungsrecht – paradoxer Weise – eine erhebliche Verbesserung gebracht, da nach altem Recht bei hohen Freiheitsstrafen in der Regel die Voraussetzungen der „Ist-“ oder „Regelausweisung“ vorlagen, so dass im Ergebnis kein Ermessenspielraum vorlag. Bzgl. der neuen Rechtslage gilt es jedoch auch zu beachten, dass die Ausländerbehörde grundsätzlich nicht gehalten ist, den Verlauf einer Therapie abzuwarten. Wird eine Ausweisungsverfügung vor Abschluss der Therapie erlassen, sollte daher unbedingt Widerspruch eingelegt werden. Im Strafvollzug ist auf diesen Umstand ebenfalls hinzuweisen, wenn dem Gefangenen unter Hinweis auf die drohende Ausweisung die notwendige Drogentherapie (§ 35 BtmG) verweigert wird. Soweit die Rechtsprechung[110] vereinzelt davon ausgeht, das die Zurückstellung der Strafvollstreckung der Ausweisung nicht entgegensteht, sollte einem möglichen Missverständnis entgegengetreten werden; die Rechtsprechung verweist allein auf die Zurückstellung, nicht den zeitlich nachfolgenden Therapieerfolg. Wird dieser erzielt, ist die weitere Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht gerechtfertigt.

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