Читать книгу Fachkräftemangel oder Machkräftemangel? - Jessica Lackner - Страница 18
Gegenwind
ОглавлениеEs gibt immer pessimistische Menschen, die gerne dagegenreden, wenn sich ihr Gegenüber fleißig weiterbildet. Ich wurde sogar mal als »Seminarjunkie« bezeichnet. Vermutlich sind diese kritischen Menschen selbst noch nicht in den Genuss gekommen, zu erleben, was es bedeutet, sich persönlich weiterzuentwickeln und dadurch neue, aufregende Resultate zu erzielen.
Viele dieser Menschen bleiben am liebsten in ihrer Komfortzone, und zwar an der Stelle, wo es windstill ist: auf ihrem geliebten Sofa mit einer Tüte Chips oder am Pool mit einem Cocktail in der Hand. Hauptsache, nicht anstrengen. Diese Menschen haben oft schlicht Angst vor der Veränderung und vor dem Schmerz, den sie bereitet. Sie geben sich damit zufrieden, wie es ist – können sich aber leider nicht weiterentwickeln.
Ja, inneres Wachstum hat immer mit einem gewissen Schmerz zu tun und der spielt sich nur außerhalb deiner Komfortzone ab. Da ist es stürmisch, es blitzt, es donnert, es geht den Berg steil rauf und wieder runter, es kommt mal Sonnenschein und dann wieder Regen. Mit diesem ständigen Wechsel musst du umgehen lernen. Manche ertränken ihre Angst vor Veränderung oder die Tiefschläge, die sie erlebt haben, gleich in Alkohol oder werden selbst zum Sturm, sie schreien oder brechen zusammen, anstatt gemeinsam zu überlegen und das Beste aus der Situation zu machen. Denn jede Herausforderung, vor die wir gestellt werden, hat immer einen Sinn im Leben. Nur welcher das ist, erfahren wir oft erst später.
Dann gibt es noch diejenigen, die das zwar verstehen und ihre Mitarbeiter auf Seminare schicken, die aber selbst nicht daran teilnehmen. Das sind besonders spannende Fälle. Diese Menschen geben viel Geld aus, weil sie glauben, dass ihre Mitarbeiter dadurch besser werden oder sie ihnen damit etwas Gutes tun.
Diese besorgten Führungskräfte leben diesen Ansatz jedoch nicht selbst und wundern sich, wenn ihre Bemühungen im Endeffekt nichts bringen. Die Mitarbeiter kommen dann zwar Feuer und Flamme zurück, aber sie sind die Einzigen, die etwas verstanden haben, und kommen somit selten in die Umsetzung. Wenn die anderen Mitarbeiter inklusive Chef nicht auf demselben Wissensstand sind, dann wird sich im Betrieb auch nichts ändern.
Manche Firmen wiederum geben Unmengen an Geld für Workshops, Incentives und Coachings aus, weil sie eben ein bestimmtes Budget im Jahr für Weiterbildung zur Verfügung haben – in der Hoffnung, dass das Team dann motivierter ist und noch mehr Umsatz erwirtschaftet. Leider bringt das oft nicht viel, weil meist nur die Führungskräfte auf eine Fortbildung geschickt werden. Sie kehren dann voller Euphorie zurück, aber ihr Funke will nicht auf die Teammitglieder überspringen, weil diese nicht verstehen, warum sie Dinge plötzlich anders machen sollen. Es fehlt einfach an der Umsetzung, weil keiner im Betrieb das Team auf einen Stand bringt – und die Flamme erlischt.
Daher gilt: Leadership fängt immer bei dir selbst an. Stehe nicht vor deinem Team, sondern hinter ihm, und bringe jeden Einzelnen in seine Kraft.
Ich bildete mich also weiter und war unter anderem auf dem Speaker-Seminar von Tobias Beck: Vier Tage und drei Nächte mit ganzen elf (!) Stunden Schlaf. Was wir da gemacht haben? Ja, das muss man erleben … Auf diesem Seminar habe ich gemerkt, wie verkopft ich war und wie schwer es mir fiel, auf der Bühne meine Emotionen zuzulassen. Durch einige Übungen hat sich bei mir ein Schalter umgelegt. Die Zeit wurde intensiv genutzt, um uns völlig aus unserer Komfortzone rauszukatapultieren. Denn erst dann fangen wir an, zu lernen und uns zu verändern.
Ich habe gelernt, meine Emotionen zuzulassen, zu erkennen, dass ich gut bin, so wie ich bin, und aus meiner Vergangenheit meine erfolgreiche Zukunftsstrategie zu machen.
Auf diesem Seminar lernte ich auch Nico Gundlach kennen. Wir merkten in unseren Pausengesprächen schnell, dass wir eine ähnliche Herangehensweise hatten, ein Team zu führen. Zusammen mit ihm und seiner Kreativagentur »Bestes Pferd im Stall« entwickelte ich schließlich das FAN-Modell.
Schon damals hatte ich das Problem, geeignete Fachkräfte zu finden, von Azubis ganz zu schweigen. Deshalb fing ich an, gezielt nach begabten Quereinsteigern zu suchen. Nico ging es ähnlich. Er selbst beschäftigt heute etwa 50 Prozent Quereinsteiger, und das im Marketingbereich. Ich will damit nicht sagen, dass Quereinsteiger besser oder schlechter sind als Fachkräfte. Der große Vorteil bei ihnen ist aus meiner Sicht, dass sie unvoreingenommen und offen sind und sehr motiviert, etwas Neues zu lernen. Wenn sie es verstanden haben, sind sie oft schneller in der Umsetzung und man kann sie besser formen als Fachkräfte.
Bei Fachkräften steht oft das Können im Vordergrund, das, was sie gelernt haben. Dadurch haben sie meist auch ein (zu) großes Ego. Das gründlich Gelernte ist so stark in ihrem Kopf verankert, dass sie nicht immer mit der Zeit gehen. Sie tun sich oft schwer damit, das »alte Wissen« an neue Bedingungen anzupassen. Sie sind nicht immer bereit, neue Dinge anzunehmen. Sie sind oft verbohrt. Doch das gilt natürlich nicht für alle. Es gibt positive Ausnahmen. Solche Ausnahme-Mitarbeiter findest du in beiden Gruppen, bei Quereinsteigern und Fachkräften. Also sei aufmerksam und sensibel, um erkennen zu können, wo sich deine A-Mitarbeiter befinden und wer diese sind.
Ein Beispiel: Meine Mitarbeiterin Martina hatte sich ohne Ausbildung bei mir beworben und sagte im Bewerbungsgespräch: »Ich mache alles, außer zu kellnern.« Sie arbeitete etwa fünf Jahre bei uns in den Betrieben und hatte 2019 sogar die Restaurantleitung der Schützen-Wirtin inne. Das Erstaunliche: Martina war schon nach kurzer Zeit die beliebteste Kellnerin; sie selbst hätte nie gedacht, dass sie das kann, geschweige denn, dass es ihr Spaß macht. Zwischendurch hatte ich ihr angeboten, bei uns eine Ausbildung zu machen, aber das wollte sie aus finanziellen Gründen nicht. Sie wollte frei sein, auch andere Branchen ausprobieren und die Welt bereisen.
Mittlerweile beschäftige ich reichlich Quereinsteiger. Deshalb kann ich zwar vielleicht über Fachkräftemangel klagen, aber nicht über Personalmangel. Denn Leute, die arbeiten wollen, gibt es genug. Nein? Oh doch!
Ich glaube, dass unser Hauptproblem ein anderes ist: Wir erwarten fertige Menschen. Doch seien wir mal ehrlich – fertige Menschen gibt es nicht! Doch es gibt diejenigen, die einfach anpacken und bereit sind, alles zu lernen. Denn wir lernen alle, ein Leben lang. Ich nenne solche tollen Menschen auch Machkräfte.