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23. Kapitel Auf der Fahrt durch das Atlantische Meer. Kleinigkeiten aus dem täglichen Leben an Bord
ОглавлениеJetzt erst fühlte ich im Ernst, daß meine große Reise um die Erdkugel nicht nur angefangen hatte, sondern schon voll im Gange war.
Denn jetzt befand ich mich nicht nur auf einem gewöhnlichen Dampfer, der mich — wie schon so oft bis dahin — von einem europäischen Lande zu einem anderen führte … Nein, jetzt war es ganz anders: Ich hatte soeben eine Langfahrt angefangen, die mich von einem Weltteil nach einem andern bringen sollte, von dem alten Europa nach einer jungen Welt, dem amerikanischen Kontinent …!
Diese herrliche Vorstellung wirkte erhebend und bezaubernd auf mein Gemüt und meine Phantasie.
Ich wollte diese Hochgefühle ein wenig genießen und suchte und fand bald einen einsamen Platz oben auf dem Deck.
Dort setzte ich mich auf eine Bank und überließ mich meiner poetischen Stimmung. Diese Träumerei dauerte aber nicht lange, denn bald wurde ich durch Schritte aufgeschreckt.
Das wird wohl mein Freund Garfield sein, dachte ich. — Doch diesmal hatte ich mich getäuscht. Die Schritte kamen näher, und auf einmal erschien gerade vor mir ein kleiner Englisch sprechender Junge, den ich schon mehrere Male während der zwei letzten Tage mitten in der Menschenmenge gesehen hatte.
Er konnte ungefähr zwölf Jahre alt sein.
Jedesmal, wenn er mir zu Gesicht kam, machte er einen guten Eindruck auf mich, denn er war höflich, gut erzogen, dazu auch heiter und gesprächig.
Als er in meine unmittelbare Nähe gekommen war, schaute er mich einen Augenblick an, grüßte mich, indem er seine Mütze abnahm, und sagte: „Good day, Sir!“ (Guten Tag, mein Herr!)
Ich erwiderte ganz kurz seinen Gruß, weil ich meinte, daß er gleich weitergehen würde. Das tat er aber nicht, sondern blieb stehen und sprach mich sehr höflich an: „Mein Herr, darf ich Sie fragen, wieviel Uhr es ist?“
Ich nahm meine Uhr aus der Tasche und zeigte ihm, wieviel Uhr es war.
Er dankte.
Dann fragte auch ich ihn: „Du bist wohl ein Engländer?“
„Nein, mein Herr, ich bin ein Amerikaner.“
So, so. Du bist ein Amerikaner … Aber du hast gefragt, wieviel Uhr es sei. Ich dachte, daß alle amerikanischen Jungen eine Uhr hätten.“
„Das haben sie auch, mein Herr. Auch ich habe eine Uhr, nur ist sie stehengeblieben. Ich habe vergessen, sie aufzuziehen.“
„Dann ziehe sie jetzt auf und stelle sie nach meiner Uhr. Die geht nämlich ganz richtig.“
Das tat der kleine Amerikaner sofort.
Während er noch damit beschäftigt war, fragte ich ihn: „Bist du aus den Vereinigten Staaten?“
„Ja, mein Herr.“
„Aus welcher Stadt?“
„Aus Neuyork“, erwiderte er. Dann aber fragte er mich: „Sie fahren wohl auch nach Neuyork, mein Herr?“
„Ja, gewiß. Und ich werde in Neuyork eine Zeitlang wohnen.“
„Das freut mich. Neuyork wird Ihnen sicher gefallen, mein Herr.“
„Das denke ich auch. Aber wieviel Einwohner hat Neuyork?“
„Zehn Millionen, mein Herr. Sie ist die größte Stadt, nicht nur Amerikas, sondern auch der ganzen Welt.“
Ich lächelte, denn ich hatte oft sagen hören, daß die Amerikaner diese Redewendung gern gebrauchen.
Dem freundlichen kleinen Jungen erwiderte ich: „Welch eine gewaltige Menge Einwohner! Dann wäre die Stadt Neuyork noch größer als London.“
„O ja, das ist sie auch, mein Herr. London kommt erst an zweiter Stelle.“
„Ich will dir gern glauben, mein kleiner Freund, obwohl die Londoner gewöhnlich sagen, daß ihre Stadt die größte sei.“
„Ja, das sagen sie. Aber Neuyork ist schneller gewachsen als London.“
„Ja, das ist wahr. — Aber hat Neuyork ebenso viele Prachtbauten wie London?“
„Ja, ich glaube, mein Herr. Wenigstens sind die großen Häuser in Neuyork viel höher als die in London.“
„Ja, davon habe ich auch gehört. Wie hoch sind wohl die höchsten Häuser in Neuyork?“
„Das höchste Haus in Neuyork heißt ‚The Empire State Building.‘ Es hat 102 Stockwerke.“
„Das ist eine sehr große Höhe. Solche Häuser gibt es nirgendwo in Europa, auch nirgendwo in der ganzen Welt. — Bist du schon einmal droben gewesen auf diesem ungeheuer hohen Haus?“
„Ja, mein Herr, schon mehrere Male. Ich war auch schon einmal auf dem Eiffelturm in Paris. Dieser ist 300 Meter hoch. Er ist aber nicht ganz so hoch wie ‚The Empire State Building‘. Auch London hat keine so hohen Häuser wie Neuyork.“
„Ja, da hast du recht, kleiner Freund. Die Amerikaner können stolz sein auf ihre hohen Häuser, wie die Engländer auf ihre großen Schiffe.“
„Ja“, sagte billigend der kleine Amerikaner, „wir haben kaum so große und so schöne Schiffe wie zum Beispiel die ‚Berengaria‘, aber mit der Zeit werden wir die Europäer auch darin überflügeln.“
Ich wunderte mich über die schöne Vaterlandsliebe, das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit des kleinen amerikanischen Knaben.
Jetzt wurde er aber plötzlich vom unteren Deck her gerufen …
Er entschuldigte sich höflich bei mir, daß er nun gehen müsse.
Er nahm Abschied von mir mit den Worten: „I will see you again, Sir, if you will allow me.“ (Ich werde wieder zu Ihnen kommen, wenn Sie es mir erlauben wollen.)
„Du bist immer willkommen, kleiner Freund“, entgegnete ich ihm.
Dann verbeugte er sich und lief die Treppe hinunter, welche zum nächsten Deck führte, und wo seine Angehörigen auf ihn warteten …
Unterdessen glitt das große Schiff mit ungeheurer Schnelligkeit vorwärts.
Große Scharen von schneeweißen Möwen umschwärmten das stetig gleichmäßig voraneilende Schiff.
Viele von den Passagieren hatten sich mit Brot versehen. Sie warfen häufig Brotkrumen in die Luft hinauf. Sofort schnappten die flinken schneeweißen Vögel danach und verschlangen sie gierig droben in der Luft. Dann setzten sie ihre Flugkünste fort, indem sie ab und zu beim Vorbeifliegen die Passagiere auf dem Deck mit ihren Flügeln sanft berührten.
Der kleine Amerikaner, mit dem ich das soeben erwähnte Gespräch gehabt hatte, kam zuweilen an mir vorbei, grüßte freundlich oder blieb gelegentlich auch bei mir sitzen und sprach auf kindliche Weise von seinem großen Vaterland, auf das er stolz war.
Einmal machte er mich auf die Möwen aufmerksam: „Jetzt folgen die Möwen noch unserem Schiff, aber nach zwei Tagen werden sie uns verlassen.“
„Wo fliegen sie dann hin?“ fragte ich ihn.
„Sie fliegen dann nach der englischen Küste zurück.“
„Und warum tun sie das?“ fragte ich weiter.
„Weil sie nicht gerne so weit aufs Meer hinaus ziehen. Sie haben damit offenbar schlechte Erfahrungen gemacht. Es scheint, daß sie an den Küsten mehr Futter finden, und daß sie sich dort sicherer fühlen. Auch lieben sie es, ab und zu auf festem Boden auszuruhen.“
„Wenn die Möwen aber fort sind, werden dann keine Vögel mehr ans Schiff kommen?“
„O doch“, erwiderte der kleine Amerikaner, „wenn die Möwen uns verlassen haben, dann kommen andere Vögel und schließen sich uns an, gerade wie die Möwen es bis jetzt getan haben. “
„Und was sind das für Vögel?“ fragte ich.
„Das sind schwarze Vögel, etwas kleiner als die Möwen. Man nennt sie Wasserhühner.“
Ich muß sagen, daß ich mich wunderte über die Kenntnisse des kleinen Amerikaners. Er hat mir manche angenehme Unterhaltung verschafft.
Es gab auch sonst sehr viel Abwechslung auf der „Berengaria“.
Am zweiten Tag unserer Fahrt zum Beispiel ging ich durch einen langen Gang unten im Schiff. Auf einmal hörte ich viele Menschenstimmen, viel Lachen und Spaßen …
Ich näherte mich langsam dem Orte, woher die Laute zu kommen schienen. Schließlich kam ich in die Nähe einer eisenbeschlagenen Tür. Ich blieb einige Augenblicke stehen und merkte bald, daß dort irgend etwas Ungewöhnliches vor sich ging …
Nach einiger Überlegung machte ich die Tür langsam auf und blieb staunend in der Türöffnung stehen.
Denn …, was sah ich da?
Eine prachtvoll eingerichtete Schwimmhalle …
Das schöne weite Bassin war gefüllt mit reinstem Wasser.
Ein Mann, der in der Nähe des Bassins stand, fragte mich, ob ich ein Seebad nehmen wolle.
„Ein Seebad …!?“ rief ich erstaunt aus … „Wo ist denn das Seewasser?“
Da deutete er auf das große Bassin hin und sagte: „Dies Wasser ist reinstes, lauwarmes Seewasser. — Hierin kann man jeden Tag baden.“
„Das freut mich sehr“, erwiderte ich. „Ich werde gleich ein Bad nehmen. Aber zuerst möchte ich mir die Badehalle ein wenig ansehen.“
Ich betrachtete eine Zeitlang die prachtvoll eingerichtete Badehalle: rund um das große Bassin liefen schöne Galerien mit eleganten Säulengängen.
Diese Säulengänge befanden sich mehrere Meter hoch über dem Wasser. In dem großen Raum waren augenblicklich viele Männer in Badeanzügen. Einige schwammen in dem geräumigen Wasserbehälter herum, andere liefen durch zierliche Wendeltreppen in die Galerien hinauf, um dann von dort aus kopfüber in das tiefe Schwimmbassin hinunter zu springen.
Dann aber schwammen sie in dem kristallklaren Meereswasser nach Herzenslust …
Natürlich ließ ich mir eine solche Gelegenheit, ein kräftigendes Seebad zu nehmen, nicht entgehen.
An demselben Tage hatte ich ebenfalls ein interessantes Erlebnis: Alle männlichen Passagiere wurden auf Deck kommandiert. Auch ich mußte mit.
Als wir uns dort oben versammelt hatten, kamen auch Matrosen, von Offizieren geführt, dorthin und gesellten sich zu uns.
Es hing dort in der Nähe eine Menge Rettungsapparate, Rettungsgürtel, auch eine Art Tornister aus dicken, schweren Korkplatten und vieles andere. Es wurden dann verschiedene Sachen unter uns verteilt: Die Korkplatten wurden uns gegen Brust und Rücken angebracht und festgebunden. Dann kamen die Rettungsgürtel an die Reihe: diese mußten wir um den Leib festmachen.
In solcher Ausstaffierung mußten wir dann in die Rettungsboote hineinsteigen. Jetzt sollten wir mit den Rettungsbooten eigentlich an der Außenseite des Schiffes hinuntergelassen werden bis aufs Wasser. Diese Übung wurde uns aber geschenkt.
Zum Schluß wurde uns eindringlich nahegelegt, doch genau diese Stelle auf dem Schiff sowie auch die Rettungsboote zu merken, damit wir im Falle einer Gefahr unsere Plätze rasch finden könnten.