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ОглавлениеBesuch in der Trick-Hexenküche:
Hinter den Kulisssen von Moon 44
Am Set herrscht ein wildes Chaos aus Styropor, Holz und Plastik. Überall, auf dem Boden, auf Tischen oder Stühlen, liegen durcheinandergewirbelt Modellbaukästen von Flugzeugen, Häusern, Autos und Raumschiffen. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllt die Halle. Dutzende von Handwerkern zersägen Holzbalken- oder -platten, hämmern auf sie ein oder verkleistern sie. Die Kulissenbauer orientieren sich bei ihrer Arbeit an den aufwendigen Skizzen und Gemälden von Production Designer Oliver Scholl, die detailliert mit dem Regisseur abgesprochen wurden. „Eine solche Skizze legt fest“, so der Design-Künstler, „welche Richtung weiterverfolgt wird. Zum Beispiel bei den Helikoptern. Es wird entschieden, ob diese nun drei oder vier Flügel haben oder ob es Militär- oder Zivilmaschinen sind.“
Im Eingangsbereich der Lagerhalle in Magstadt prangt ein großes Signet aus Styropor und verkündet: Stan Gordon Pictures. Das Firmenzeichen spielte eine wichtige Rolle in Emmerichs vorherigem Film Hollywood Monster, der in derselben Halle gedreht wurde. Der Gang führt dann am Büro des Visual Effects Supervisor vorbei, an dessen Tür eine Tafel mit der Aufschrift hängt: „Es ist nicht nur ein Job, es ist ein Abenteuer.“ Weiter geht es zum Büro der Produktionsleitung, ganz hinten residieren die Designer und Modellbauer.
Auf halbem Weg stößt man auf eine gläserne Schwingtür, hinter der sich das Filmstudio verbirgt. Sobald sie geöffnet wird, glaubt sich der Besucher in einer fremden, geheimnisvollen Zukunftswelt. Dichter Nebel und blau fluoreszierendes Licht verstärken den Eindruck von einer anderen Sphäre. Wild zerklüftete Mondlandschaften, monströse Raumschiffe, gigantische Weltraumstationen und geheimnisvolle High-Tech-Helikopter warten in diesem Teil der Halle auf ihren filmischen Einsatz. Dies alles existiert freilich nur im Miniatur-Format. Zwischen den Pappmaché-Felsformationen stehen, sitzen und knien Techniker, Kameramänner und Trick-Experten. Ein dichtes Gedränge. Auch ihre Gesichter wirken wie Landschaften, durch die sich Wildbäche aus Schweiß winden. Es ist heiß, unerträglich heiß, die Luft stickig. Beinahe so wie in der Raumstation, auf der dieser Film spielen soll.
Wie bereits bei Hollywood Monster lässt Emmerich auch im Falle von Moon 44 seine Trick-Crew lange vor den Haupt-Dreharbeiten mit ihrer Arbeit beginnen. Diese Methode hat sich für ihn als sehr effizient herausgestellt. Sie ermöglicht dem Regisseur in einer frühen Phase der Vorproduktion, eine exakte Vorstellung von dem zu bekommen, was sich mit seinem Budget tricktechnisch realisieren lässt und an welchen Stellen Kompromisse zu machen sind. Somit weiß er bereits zu Beginn des Haupt-Drehs, welche Szenen wie geändert und gefilmt werden müssen, damit sie mit den Effektaufnahmen harmonisch verschmelzen können. Ein weiterer Vorteil: Die Schauspieler können sich die Tricks vorab anschauen und ein klareres Bild vom filmischen Endprodukt bekommen. Würden die Visual Effects erst zu einem späteren Zeitpunkt gefilmt, hätten die Akteure nicht die leiseste Vorstellung davon, wie die Raumstation, in der der Film spielt, überhaupt aussieht. Schließlich wurde ihre Außenfassade nur in Miniatur gebaut. Die Trick-Crew ist somit bereits im Sommer 1988 damit beschäftigt, die Modelle des Films zu bauen.
Als Chef der Visual-Effects-Abteilung engagierte Emmerich keinen Profi, sondern einen jungen filmbegeisterten Kunststudenten, der sich eines Tages in seinem Stuttgarter Büro vorstellte. Er führte dem Regisseur verschiedene Super-8-Filme vor, die er in jahrelanger Knochenarbeit gedreht hatte und in denen er sein tricktechnisches Know-how demonstrierte. Emmerich war begeistert von den hochkomplizierten Stop-Motion- und Mehrfachbelichtungs-Tricks, mit denen der junge Filmfan Modell-Raumschiffe zum Fliegen brachte. Der Bewerber wurde stante pede engagiert, denn Emmerich hielt ihn erstens für begabt und zweitens für verrückt genug, um den Job des Visual Effects Supervisor zu bewältigen. Der Hobby-Trickser avancierte so von einem Tag auf den anderen zum professionellen Kino-Illusionisten. Der Name des jungen Talents: Volker Engel. Jahre später würde er als Visual Effects Supervisor von Emmerichs Independence Day einen Academy Award erhalten.
„Roland“, so erinnert sich der spätere Oscar-Gewinner, „schmiss mich einfach ins kalte Wasser. Er bestellte mir eine ARRI-Kamera und ich begann sofort mit Testaufnahmen.“ Bei Moon 44, seinem ersten Profi-Job, kontrollierte Engel als Supervisor nicht nur die Arbeit der anderen Effekt-Spezialisten, sondern war selbst ununterbrochen am Basteln und Experimentieren. Besondere Fleißarbeit erforderte eine Sequenz, die im Film nur etwa zehn Sekunden dauert: eine Total-Aufnahme des Moon 44 Galactic Mining Headquarters.
Engel baute dafür eine futuristische Wolkenkratzer-Stadt aus verschiedenen ein Meter hohen Plexiglas-Röhren. Diese wurden schwarz bemalt und bestückt mit Teilen aus Modellbausätzen. Die Arbeit daran dauerte zwei Wochen. Als die Wolkenkratzer-City endlich fertiggestellt war, musste Engel kleine Punkte in die Röhren kratzen, die im Film von innen beleuchtete Fenster darstellen. Und weil der Eindruck eines gigantischen verglasten Bauwerks erzielt werden sollte, musste der Effekt-Tüftler 70.000 Punkte von Hand einritzen, was insgesamt 40 Stunden dauerte. Er selbst nahm es jedoch gelassen: „Es ist halt wichtig für die Atmosphäre.“
Auch die zahlreichen Helikopter- und Raumschiff-Duelle, die sich die verfeindeten Parteien in Moon 44 liefern, erforderten von den Tricktechnikern ein Höchstmaß an Engagement. „Man braucht unwahrscheinlich viele Leute“, so der Visual Effects Supervisor, „die koordiniert werden müssen, damit ein Rädchen ins andere greift.“
Sämtliche Aufnahmen dieser Art wurden selbstverständlich in Miniatur gedreht, in ca. eineinhalb Meter hohen Felsschluchten aus Schaumstoff, Styropor und Gips. Zwischen diesen künstlichen Schluchten hatten die Helikopter- und Raumgleiter ihre Flugmanöver zu absolvieren. Die Visual-Effects-Crew stellte die Luftkämpfe mit Hilfe einer längst vergessen geglaubten Trick-Methode her, die sehr erfolgreich in dem 1950er-Jahre-Klassiker Kampf der Welten angewandt worden war: Um die Raumschiff-Modelle zum Fliegen zu bringen, wurden sie an Drähten und Fäden befestigt, die wiederum mit einem Stativ oder einer Spezial-Angel verbunden waren. Für unkomplizierte Einstellungen und für Modelle der Federgewichts-Klasse wurden Nylonfäden verwendet, bei Schwergewichts-Helikoptern und Explosionen, bei denen Nylonfäden durchgebrannt wären, kamen Mandolinen-Saiten zum Einsatz.
So eindrucksvoll diese Aufnahmen im fertigen Film wirken, so viel Arbeit, Zeit und Nerven erfordern sie aber auch, um die Illusion perfekt zu machen. Stets müssen Crew-Mitglieder die Modelle bewegen und absichern, damit sie nicht mit den künstlichen Felsen kollidieren und Schaden nehmen. Auch für den Kunst-Nebel und -Regen, der in allen Aufnahmen benötigt wird, um den Trickbildern eine dramatischere Atmosphäre zu verleihen und die Modelle realistischer wirken zu lassen, werden zahlreiche Mitarbeiter gebraucht. Sie erzeugen diese Wetter-Effekte mit Spritzpumpen oder Nebelmaschinen. Bei all dem hat die Visual Effects Crew ständig gegen die wie im Fluge verrinnende Zeit zu kämpfen und muss zudem darauf achten, dass das Budget nicht überschritten wird.
Aber bekanntlich macht Not erfinderisch, weswegen ihrem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Um Explosionen herzustellen, füllten die Trickspezialisten Kondome mit einem speziellen Benzingemisch. Als dies nicht wie geplant funktionierte, wurde so lange herumexperimentiert, bis der zündende Funke übersprang und eine neue Bomben-Mixtur gefunden war, mit der sich eine überzeugende Detonation produzieren ließ.
Ein Trickgerät der besonderen Art ist das sogenannte Karussell. Es besteht aus einer runden Holzplatte, auf der die im Film zu sehenden Felsen kreisförmig montiert sind. Mittels Kugellager kann das Konstrukt bewegt werden. Damit ist es möglich, im Film den Eindruck zu vermitteln, die Kamera rase mit Hochgeschwindigkeit durch die Schluchten. In Wirklichkeit werden diese Sequenzen mit einer stillstehenden Kamera gefilmt. Das Einzige, was von den Tricktechnikern bewegt wird, ist das Karussell, das um die Kamera und die Helikopter-Modelle rotiert. Durchschnittlich schafft die Crew drei bis vier Trick-Einstellungen täglich. Volker Engel erinnert sich nur mit Grauen an das Effekt-Gerät: „Es war eine echte Foltermaschine!“
Während der Arbeit an Moon 44 lernt der Trick-Neuling auch zwei deutsche Altmeister der Special und Visual Effects kennen. Zum einen den Explosions-Spezialisten Charlie „Bumm Bumm“ Baumgärtner, zum anderen Theo Nischwitz. Letzterer übernimmt die Aufnahmen mit Frontprojektions-Technik, bei der sich die Schauspieler vor eine leere Wand stellen, auf die Hintergrundbilder des Weltraums projiziert werden. Damit lässt sich der Eindruck erwecken, als blickten die Akteure aus ihrem Raumschiff ins All. Für Engel ist Nischwitz ein Idol, „schließlich war ich schon immer ein Fan der TV-Kultserie Raumpatrouille und fand die Tricks, die er seinerseits entwickelte, enorm“. (Von dieser siebenteiligen Science-Fiction-Reihe ist der junge Visual Effects Supervisor noch immer so begeistert, dass er 1997 zusammen mit Emmerich und Devlin versuchte, das Raumschiff Orion noch einmal starten und neue TV-Missionen erleben zu lassen. Doch das Projekt blieb im Stadium der Verhandlungen mit einer deutschen Sendeanstalt stecken.)
Moon 44 war Emmerichs bis dahin teuerste Produktion. Die Kosten beliefen sich am Ende auf 7,5 Millionen Mark. Dabei war es für ihn der erste Film, bei dem er komplett ohne Fördergelder ausgekommen war und die Finanzierung vollständig von seiner hauseigenen Firma Centropolis Entertainment übernommen wurde. Nachdem die Haupt-Dreharbeiten abgeschlossen waren, zeigte sich der Regisseur mit dem Ergebnis jedoch nicht zufrieden und drehte einige Szenen nach, die es ihm ermöglichten, die Story in eine andere Richtung zu lenken. Im Original-Script spielte etwa die Liebesgeschichte zwischen Stone und seiner Freundin Terry (Lisa Eichhorn), die ebenfalls auf Moon 44 stationiert ist, eine zentrale Rolle. Am Schneidetisch stellte sich jedoch heraus, dass zwischen den beiden der Funke nicht recht überspringen wollte. So wurde die Romanze kurzerhand auf ein Minimum reduziert, die Action dafür gestärkt. Bei seinem ersten Kino-Einsatz war dem Film dennoch kein großer Erfolg beschieden. Sein Geld spielte er erst durch die Videoverwertung ein.
Obwohl Moon 44 dem Regisseur noch nicht den großen Durchbruch im deutschen Kinogeschäft, sondern nur die gewohnte Kritikerschelte einbrachte, war er in vielerlei Hinsicht der bis dahin wichtigste Film seiner Karriere. Er erwies sich sogar im Nachhinein als der große Einschnitt in seinem bisherigen Berufsleben. Dank seines untrüglichen Gespürs für junge Kinotalente hatte er bei dieser Produktion Volker Engel kennengelernt, den er erst zu einem Visual-Effects-Profi und später durch Independence Day zum Oscar-Preisträger machte. Seit Moon 44 sind die beiden miteinander befreundet und versuchen nach dem Motto „Never change a winning team“ so oft wie möglich zusammenzuarbeiten.
Auch Dean Devlin, der sich bei dieser Produktion noch als Schauspieler versuchte, bildet später mit Emmerich lange Zeit ein erfolgreiches Duo, das gemeinsam Stoffe entwickelt, Drehbücher schreibt und Filme wie Stargate, Independence Day oder Godzilla produziert. Für die größte Veränderung in Emmerichs bisherigem Leben sorgte jedoch etwas, das, hätte es in einem Drehbuch gestanden, von Kritikern als einfach zu klischeehaft abgetan worden wäre: der legendäre „Anruf aus Hollywood“! Der einflussreiche US-Produzent Mario Kassar, der u.a. Silvester Stallones Rambo-Filme produziert hatte, war von Moon 44 so begeistert, dass er den inzwischen 34-jährigen Regisseur sofort engagieren wollte. Und so sollte Emmerich seinen deutschen Kollegen schon bald die ersten „picture postcards from L.A.“ schicken.