Читать книгу Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa - Joachim Bitterlich - Страница 33
Zwei Präsidenten, neun Premierminister
ОглавлениеIch möchte auf das Verhältnis zu den beiden Präsidenten François Mitterrand und Jacques Chirac näher eingehen, zugleich aber auch die neun Premierminister Frankreichs nicht vergessen, mit denen es Helmut Kohl zu tun hatte.
Helmut Kohl hat in den sechzehn Jahren seiner Kanzlerschaft insgesamt neun Premierminister an der Seite von zwei Staatspräsidenten erlebt, einige davon waren, wie man in Frankreich gerne sagt, präsidentiabel – und nur ein einziger schaffte es schließlich, und das war Jacques Chirac, im dritten Anlauf!
Dies sagt aber nichts über das für den Partner nicht leicht zu durchschauende Verhältnis zwischen Staatspräsident und Premierminister. Vor der ersten „Cohabitation“ mit Chirac hatte Helmut Kohl bereits zwei Premierminister „erlebt“ (Pierre Mauroy und Laurent Fabius), in meiner Zeit sollten unter Mitterrand fünf weitere hinzukommen (Jacques Chirac, Michel Rocard, Edith Cresson, Pierre Bérégovoy, Edouard Balladur) sowie dann unter Chirac selbst zwei: Alain Juppé und Lionel Jospin.
Der Bundeskanzler bezeichnete sich bei der dritten Cohabitation dann öfters scherzhaft als „Spezialisten“ im Umgang mit diesem französischen Phänomen, das mit den Koalitionsregierungen im deutschen Sinne nicht vergleichbar ist. Naturgemäß standen die Premierminister politisch und verfassungsmäßig im Schatten des Präsidenten, der eine oder andere versuchte es trotzdem, sich einen gewissen Freiraum zu verschaffen oder zu erkämpfen. Dies galt besonders in Zeiten der Cohabitation für Chirac selbst, für Edouard Balladur und für Lionel Jospin, aber auch in Zeiten „gleicher politischer Flagge“ für Michel Rocard oder Alain Juppé.
Trotzdem suchte der Bundeskanzler, soweit möglich, zu dem einen oder andern ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Ich denke insoweit besonders an Michel Rocard oder Alain Juppé, mit denen ich mich selbst freundschaftlich verbunden fühle, auch wenn sie ganz unterschiedliche Persönlichkeiten waren bzw. sind.
Mit Michel Rocard bin ich nach seinem Ausscheiden „warm“ geworden, ich musste erst die besondere Persönlichkeit dieses Mannes kennen und schätzen lernen. Er wurde für mich zu einem älteren Freund, mit dem die Diskussion, ja der politische Disput immer eine Freude war. Er entpuppte sich als ein „Querdenker“, der die Diskussion, ja den inhaltlichen Disput zur Sache suchte, vom Inhalt her eher ein skandinavisch geprägter Sozialdemokrat, der einsehen musste, dass sich seine Partei nicht in diese Richtung entwickeln ließ. Die regelmäßigen Gespräche mit ihm bis zu seinem Tode im Jahre 2016 waren jedenfalls immer ein Vergnügen! Gerade die Gegensätze in der französischen Parteienlandschaft und Führungsstruktur, die einfach mit der deutschen politischen Kultur in keiner Weise vergleichbar oder vereinbar sind, waren für uns wie für andere aber nicht leicht zu handhaben.