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Herz der Finsternis

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Knapp zehn Jahre nach der Geburt der Heimcomputer aus dem Geist der Garagen folgte der letzte und entscheidende Schritt zur Weltveränderung. Die ersten Rechner hatten der Mathematik zu universeller Anwendung verholfen. Durch Tüftler wie Bill Gates und Steve Jobs war diese Revolution jedermann zugänglich gemacht worden. Blieb noch die Erfindung des Internet. Was früher seine Zeit gebraucht hatte, geschah nun in Echtzeit. Alles war sagbar, darstellbar, speicherbar, versendbar geworden. Und dies über jede Distanz hinweg, ohne Zeitverlust, in absoluter Präzision.

1994 wurde durch den ersten Browser der Silicon-Valley-Firma »Netscape« das Internet für jedermann zugänglich gemacht. Es war die Einstiegsdroge. Jetzt konnte das Silicon Valley endgültig zum Zentrum der weltumspannenden Digitalkultur aufsteigen. Hatten Computer zuvor nur in geschlossenen Intranets kommuniziert, lernten sie nun, sich weltweit miteinander zu unterhalten. Durch das globale Netzwerk, das zuvor nur für Telefon und Telefax ausgelegt war, bildeten sämtliche angeschlossenen Computer eine kommunizierende Gemeinschaft. Fortan stand die Menschheit, wie in E. M. Forsters Vision, mit sich selbst im unendlichen Dialog. Aus dem Austausch, der zuerst Wissenschaft und Militär diente, hatte sich ganz natürlich das Dauergespräch der Menschen entwickelt, für die es keine Tageszeiten mehr gab. Man korrespondierte per E-Mail, plauderte in Chat Rooms und begann in den Social Media über Kontinente hinweg ein alternatives Leben zu führen.

Dass diese weltumspannende, alles einschließende Cyberwelt aus einem gänzlich unkommerziellen Impuls geboren wurde, ist heute fast vergessen. Auch, dass dies weit entfernt von Kalifornien stattfand. Es geschah am europäischen Kernforschungszentrum CERN, wo man sich 1989 vor eine bis dahin unlösbare Aufgabe gestellt sah. Da diese Anlage teils auf schweizerischem, teils auf französischem Gebiet lag, bedienten sich beide wissenschaftlichen Netzwerke unterschiedlicher Computersprachen. Bei der Zusammenarbeit am gemeinsamen Projekt verstand man sich gut, aber die Rechner verstanden sich nicht.

Ein englischer Physiker, Tim Berners-Lee, kam auf den, wie sich zeigen sollte, revolutionären Einfall, eine dritte Sprache zu erfinden. Mit ihr ließen sich auch alle anderen Sprachen verstehen. Die Hyper Text Markup Language (HTML) war geboren. Schon im 17. Jahrhundert hatte der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz diese Idee einer digitalen Universalsprache vorweggenommen. In seiner »Characteristica Universalis« wollte der geniale Mathematiker ein Zeichensystem schaffen, mit dem sich alles, was es auf, unter und über der Welt gab – alle Objekte und ihre Beziehungen, Materielles und Geistiges, Profanes und Heiliges –, mit mathematischen Symbolen darstellen und berechnen ließ. Sie sollte die Grundlage für Leibniz’ visionäre Universalwissenschaft bilden, wie sie heute auch dank Tim Berners-Lee im Cyberspace verwirklicht ist.

Da mit der HTML nun alle Netzwerke miteinander kompatibel waren, entstand wie von selbst das weltweite Internet. Womit die Erfindung einer Suchmaschine, die sämtliche Speicher nach bestimmten Begriffen abklapperte, förmlich auf der Hand lag. Die gewaltigen Chancen, die sich aus dieser digitalen Universalwissenschaft ergaben, wurden nicht von Berners-Lee oder dem CERN wahrgenommen, sondern von den geistesgegenwärtigen Junggenies des Silicon Valley. Mit ihren Desktops und fantasievollen Software-Anwendungen eroberten sie den Weltmarkt.

Dabei ging es anfangs eher bedächtig zu. Wählte man eine Website an, dauerte es oft Minuten bis sie sich stockend aufbaute. Man wartete gern, wohl wissend, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut worden war. Die Geschwindigkeit, mit der das Internet sich entwickelte, ließ sich auch an der Geschwindigkeit ablesen, mit der die einzelnen Seiten auf dem Bildschirm erschienen. Seit Beginn des neuen Jahrtausends wurden dem Heimcomputer durch das Breitbandkabelnetz zusätzliche Möglichkeiten eröffnet. Bis sich die bestellte Seite in voller Pracht darstellte, dauerte es kaum länger als die Eingabe des Suchbegriffs. Nie war schnelle Wunscherfüllung schneller gewesen. Aber auch hier war noch eine Steigerung möglich: Denn heute ahnt die Suchmaschine bereits nach wenigen Buchstaben, worauf man hinaus will. Und liefert, noch bevor man zu Ende gesprochen hat. Selbstverständlich darf sich Weltwohltäter Google das Recht nehmen, einem regelmäßig ins Wort zu fallen.

Noch vor der Jahrtausendwende hatte sich im Silicon Valley alles niedergelassen, was in der Cyberwelt zu Rang und Namen gekommen war. Neben den fünf Multis Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft findet man heute auch Whatsapp, Instagram, Adobe, Cisco, eBay, Intel, Sun Systems, Hewlett & Packard, Netflix, Oracle, Nvidia, Symantec, SAP, Tesla, Skype, Zoom, Twitter und Yahoo! Mit diesem Ausrufezeichen, das zum Namen dieser Suchmaschine gehört, könnten sich alle schmücken. Denn jede Corporation ist Ausrufer ihrer selbst.

Im blühenden Tal von Stanford, zum Zischen der nimmermüden Rasensprinkler, hatte sich der größte Brain Trust (»Denkfabrik«) der Welt angesiedelt. Die Produktionen dieses Supergehirns breiteten sich aus wie eine Pandemie, die noch den letzten Winkel der Welt beherrschte. Der Kulturwissenschaftler Yuval Noah Harari hat diese geistige Einflussnahme treffend mit der Allmacht der Papstkirche im Mittelalter verglichen. »Der Vatikan«, so der »Homo Deus«-Autor, »war im Europa des 12. Jahrhunderts beinahe das, was heute das Silicon Valley ist.« Beinahe. Das ideologische Versprechen, »wenn du uns folgst, steht dir der Himmel offen«12, ist das gleiche geblieben. Und die Menschen folgen, eins, zwei, drei im Sauseschritt.

Was aus menschheitsverbindendem Idealismus entstanden war, entwickelte sich zur größten Geld- und Machtmaschine aller Zeiten. Der im Silicon Valley lebende Investmentmanager John Doerr schrieb, das Tal sei »die größte legale Vermögensbildung, die wir jemals auf unserem Planeten erlebt haben«. Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, genannt die Big Five, stellen die größtmögliche Öffentlichkeit für alle her und kontrollieren sie zugleich. Doch sich selbst halten sie bedeckt. Wie die Allmacht der Kirche durch die »Geheimnisse des Vatikans« geschützt war, verbergen die Cybermultis sich selbst, als ungreifbare, undurchschaubare Organisationen. Sie sind das rastlos schlagende Herz der Finsternis im unergründlichen Raum des Digitalen.

Die Big Five sind Multis, weil sie, im ursprünglichen Sinn, multinational operieren. Sie sind aber auch Meister der Multiplikation. Was sie auf kleinstem Raum entwickeln und auf Mikrochips nach außen vermitteln, multipliziert sich zur gigantischen Dimension des Globalen. Man nennt diese Hebelwirkung, mit der das Große sich durch das Kleine bewegen lässt, Hyper Scale (Hypermaßstab). Nur eine relativ kleine Zahl hochqualifizierter Mitarbeiter ist nötig, um der digitalen Infrastruktur ständig ein neues Gesicht zu verleihen. Eine solche Umsetzung kleiner Investments in riesige Marktmacht und nie gesehene Gewinne bildet den Wunschtraum jedes Unternehmers. Im Silicon Valley ist er Wirklichkeit geworden.

Die Cybermultis haben nicht die ganze Welt unter Kontrolle. Sehr wohl aber die Welt, die mit der Welt kommuniziert. Sie geben ihr sogar die Zeichen vor, mit denen sie mit sich korrespondiert. Der Unicode sagt exakt, wie man sich ausdrücken muss, um verstanden zu werden. Sämtliche Schriftzeichen, die im digitalen Raum Gültigkeit besitzen, werden hier festgelegt. So umzäunt man den Bereich, in dem die Milliardenkundschaft sich austoben darf. Das Team, das der Weltkommunikation ihre verbindlichen Formen verleiht, tagt unweit von Stanford und legt den Code fest. Der hier definierte Zeichenstandard hat weltweite Geltung. Wer im Internet schreibt, folgt ihm. Da alle Tastaturen darauf eingestellt sind, bleibt ihm auch keine Wahl. Der Google-Mann Mark Davis, der an der Stanford University in Philosophie promoviert hat, präsidiert dem Konsortium des Universal Coded Character Set, das der Welt das Schreiben beibringt.

Nicht nur Buchstaben und Zahlen finden sich in den Unicode-Standards. Auch die Piktogramme, die man Emojis nennt, sind hier gelistet. Entwickelt für die Kurztext-Dienste, wirken diese Smiley-Gesichter wie Hieroglyphen aus dem Kinderzimmer. Hatte sich einst die Sprache aus Symbolen erhoben, sinkt sie mit den Emojis in die Bilderwelt zurück. Mit lachenden, weinenden, zornigen, Zähne oder Zunge zeigenden und tausend anderen Fratzen erspart man sich umständliche Gefühlsbeschreibungen. Wo einst Sprache war, herrschen Mondgesichter. Dank dieser Kinderfibelsymbolik werden weltweit alle Emotionen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Und die Menschen gleich mit.

Die fünf Giganten, die der Welt ihre Ausdrucksmöglichkeiten vorgeben, zählen zu den mächtigsten Corporations der Welt, ihre Gründer zu den reichsten Menschen. Deshalb ihre demonstrative Bescheidenheit. Sie selbst nennen sich High Tech, also Hohe Technik, wie man früher von der Hohen Priesterschaft sprach. Hoch, das heißt, über den anderen, über der Welt. Dabei erwecken sie bei ihrer weltumspannenden Kundschaft den Eindruck, als stünden sie ihnen mit Leib und Seele zu Diensten.

Das Eroberungsrezept des Silicon Valley bestand darin, die Welt über den Tisch zu ziehen, indem es ihr einredete, es sei eine neue Art von Umarmung. So konnten die Big Five ihre internationale Präsenz unbehindert ausbauen und Milliarden Kunden einsammeln. Zur Umarmungsstrategie gehörte es, das eigene Billionenvermögen als unbeabsichtigten Nebeneffekt darzustellen. Auch gelang es den Big Five, das Negativ-Image der klassischen Großunternehmen zu vermeiden. Ihre Fassade, die bis heute über die realen Machtverhältnisse hinwegtäuscht, gibt nicht die Wirklichkeit dieser Hochleistungsmaschinen wieder, sondern das entspannte Lebensgefühl der San Francisco Bay Area. Während ihre Denkmaschinen heißlaufen, sind sie cool bis ans Herz.

Auch für die amerikanische Journalistin Rana Foroohar bahnte sich Ende des 20.Jahrhunderts ein Bruch in der kalifornischen Computerwelt an. Anfangs sei alles von der Hippie- und Freiheitskultur der amerikanischen Studentenbewegung beeinflusst gewesen. »Schon im buntstiftbunten Google-Logo«, so die Financial Times-Journalistin, »zeigte sich der lebensfrohe, idealistische Geist des Unternehmens«13. Um dessen humanistische Ausrichtung zu betonen, lautete der erste Satz der offiziellen Firmenphilosophie, Don’t be evil (Tu nichts Böses). »Heute erscheint dies Motto«, so Foroohar weiter, »wie ein drolliges Überbleibsel aus den Anfangsjahren des Unternehmens«. Ihrem Buch über den moralischen Niedergang des Silicon Valley gab sie denn auch den Untertitel »Wie Big Tech seine ursprünglichen Prinzipien verriet«. 2015 ließ Google, nun eine Weltmacht, auch das verräterische Motto »Tu nichts Böses« fallen und ersetzte es durch das unverfängliche, weil sinnfreie Do the Right Thing (»Tu das Richtige«).

Den Ausgangspunkt der digitalen Weltrevolution hatte die Mikroelektronik gebildet, die vom militärisch-industriellen Komplex im Kalten Krieg entwickelt worden war. Doch die Studenten, die von Krieg nichts mehr wissen wollten, verfolgten das entgegengesetzte Ziel. »Statt sich in der Politik zu engagieren«, so die US-Historikerin Margaret O’Mara, »wollten sie Computer bauen, mit denen man dem Militär, den Universitäten und den Corporations die Macht entziehen würde, um sie in die Hände der Nutzer zu legen.« Man hoffte, dass die Computerrevolution für die Völker den Durchbruch zu einer neuen Gemeinschaft brächte. Die Technik, so O’Mara, sollte »die saubere und schöne Lösung für alle Probleme« der Menschheit bieten. »Heute lachen wir darüber.«14

Der Geist, der damals an Amerikas Universitäten herrschte, hatte auch Stanfords junge Technikgenies erfasst: Für sie stand nicht die kommerzielle Verwertbarkeit im Mittelpunkt, sondern die Chance für die Menschen, Kriege zu vermeiden und einander näherzukommen. Die Ergebnisse der Wissenschaft sollten allen zugänglich sein, das teure Telefon sollte durch die kostenlose Internetverbindung abgelöst werden. Endlich würde die ganze Welt im eigenen Zimmer abrufbar sein. »Mit der Computertechnik«, so der Computerpionier Alan Kay vom Xerox Parc, »wollten wir die Welt zu einem besseren Platz machen«. Tatsächlich schienen mit der Cyberwelt die Ideale der Französischen Revolution, Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, endlich erfüllt: Jeder hat die Freiheit, sich mit allem und allen in Beziehung zu setzen. In der Kommunikation wiederum herrscht absolute Gleichheit. Und dank weltumspannender Social Media ist Brüderlichkeit nicht länger nur Utopie.

Bald zeigten sich die Schattenseiten: Die Freiheit bot auch Freiheit zum Missbrauch. Die Gleichheit hob auch den Unterschied von Wahrheit und Unwahrheit auf. Und die solidarische Gemeinschaft blieb auf den virtuellen Bereich beschränkt, wo sie zur anonymen Feindschaft gegenüber anderen Gemeinschaften einlud. Dass das Internet diesen Tummelplatz des Hasses geradezu förderte, sollte sich erst später erweisen. Es war der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, der im November 2019 vor dem »digitalen Schreckensszenario« warnte, das sich für die Zukunft abzeichnete. Sein Appell gegen Desinformation, Hassrede, Zerstörung der Privatheit und Ausbeutung der Nutzer wurde, wie könnte es anders sein, auch von den einschlägigen IT-Firmen (IT gleich Information Technology) unterzeichnet. Denn einem Gegner zuzustimmen, war schon immer die eleganteste Art, ihn loszuwerden.

Im Silicon Valley spricht man nicht gern über das hässliche Gesicht des Massenmediums. In ihren öffentlichen Äußerungen bleiben die Superstars ihrem Weltverbesserungoptimismus treu. Ständig wird betont, wie sehr für sie der Mensch im Mittelpunkt stehe. Das höchste Ziel sei es, immer mehr Menschen die Freiheit zu schenken, sich in freundschaftlichen Austausch miteinander zu bringen. Für Mark Zuckerberg verdient sein Unternehmen Facebook wegen dieses hehren Ziels geradezu den Ehrentitel einer »Kirche«: Kirche der Freiheit, des Humanismus, der Völkerfreundschaft, der Weltenharmonie. Und es wird dem Mann mit dem unsicheren Auftreten eines Schülers auch noch abgenommen. Seine App »Newsfeed« erhebt laut Facebook den Anspruch, der Allwissenheit ganz nahe zu kommen: Man will, so sagt Zuckerberg, den »richtigen Menschen« die »richtigen Inhalte« zur »richtigen Zeit« anzeigen. Zwar bleibt es den Usern (Nutzern) überlassen, was ihnen jeweils als »richtig« erscheint, aber die Auswahl wird von Facebooks Supercomputern generiert.

Die Methode, die punktgenaue Informationen liefert, heißt Data Mining. Diesen Prozess kann man tatsächlich, wie der Name andeutet, mit der Ausbeutung eines Daten-Bergwerks vergleichen. Analysiert wird der Ertrag mittels Algorithmen. Diese komplizierten Rechenanweisungen organisieren und filtern unvorstellbar große Datenmengen. Mittels automatischer Handlungsanweisung wird die Datenmasse über eine Vielzahl von Schritten analysiert und zugeordnet. So entsteht ein Mehrwert aus den Daten, der vorher nicht abzusehen war. Die chaotische Masse macht plötzlich Sinn. Algorithmen räumen auf. Sämtliche gespeicherten Informationen eines bestimmten Gebietes werden durch einen mathematisch-statistischen Prozess geschleust, an dessen Ende das gewünschte Produkt steht. Das kann etwa die Antwort auf eine »Google«-Anfrage liefern oder die Eingrenzung der Menschen, die für die Empfehlung einer Ware oder eines Politikers besonders empfänglich sind. Da es nicht »die« Antwort, sondern immer eine Vielzahl davon gibt, errechnet der Algorithmus exakt die für den Fragenden geeignetste, für den werbenden Unternehmer oder Politiker wirksamste und zugleich für das eigene Unternehmen profitabelste.

Der Algorithmus wurde zuerst in der industriellen Warenproduktion angewandt: Statt Informationen ging es hier um ein Programm für konkrete Montageschritte, mit denen ein Werkstück zusammengebaut wurde. Im 19. Jahrhundert nannte man das »Rationalisierung«. Erst durch sie wurde Fließbandarbeit möglich. Auch hier entsteht über eine Vielzahl kleiner Schritte, von denen jeder an sich sinnlos ist, ein sinnvolles Ganzes, das Produkt. Dagegen lässt sich die Frage, inwieweit dieses selbst »rational«, also vernünftig ist, durch keinen Algorithmus feststellen. Denn über den Sinn einer Sache kann allein der Mensch entscheiden, dem freilich in der Industrieproduktion wie in der Informationsverarbeitung nur noch eine dienende Funktion zugeteilt ist. Wobei er, wie Charlie Chaplin schon 1933 in »Moderne Zeiten« demonstrierte, meist einen Schritt zu spät kommt.

Ein Problem des Algorithmus besteht in der Qualität der Informationen, die man ihm zur Bearbeitung liefert. Sind die Daten inkorrekt, stimmt auch seine Antwort nicht. Gerade in den Social Media dürften die Daten nur selten mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Was zur Folge hat, dass auch die Antworten, die der Computer gibt, nicht vollständig zutreffen. Da diese aber auf die Nutzer wie normative Werte wirken, bestärkt das Medium die Täuschung der Masse über sich selbst. Es ist eben nicht die Wahrheit, mit der die User sich vor anderen und sich selbst interessant machen, sondern, laut Facebook-Mitgründer Chris Hughes, »das, was sie sein wollen«.

Der YouTube-Algorithmus etwa zieht alles ins Kalkül, was der Nutzer je hoch- und heruntergeladen hat. Daraus ergibt sich ein Profil, das bei jedem neuen Aufrufen einer Seite aktiviert wird: Es werden nur solche Videos angeboten, die den Nutzer interessieren müssen. Teils genau zum Thema, teils scheinbar abseitig, aber eben doch für ihn geeignet. So wird er »im Spiel« gehalten. Er muss nicht einmal aktiv werden, kann seinen Fingern einmal Ruhe gönnen. Denn die Clips spielen von selbst ab, einer nach dem anderen. Damit es nicht langweilig wird, gibt es Werbeunterbrechungen, die der jeweiligen Stimmungs- und Interessenlage angepasst sind. Denn YouTube weiß, was der YouTuber will. Und besser als er selbst.

Verloren im Cyberspace

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