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Einführung

1 Was ist Gesundheit? – Wie kann man sie messen und wovon hängt sie ab?

Wer sich mit dem Gesundheitswesen beschäftigt, mit seiner Organisation, seinen Einrichtungen, Berufen usw., tut gut daran, sich zunächst Gedanken darüber zu machen, was Gesundheit eigentlich ist. Man mag denken, die Antwort auf diese Frage sei einfach, gleichwohl ist die Definition von Gesundheit bzw. von Krankheit eines der diffizilsten Probleme des Gesundheitswesens. Die wohl berühmteste und am häufigsten zitierte Definition von Gesundheit ist jene der WHO (World Health Organisation), einer Unterorganisation der Vereinten Nation (UNO). Sie lautet: »Gesundheit ist der Zustand des vollkommenen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit.«

Wer wäre nach dieser Definition über einen längeren Zeitraum gesund? – Wohl kaum ein Mensch. Ist diese Definition nicht eher eine Zielsetzung oder eine Aufforderung an die Politik, für die Gesellschaft bzw. für jeden einzelnen Bedingungen zu schaffen, dass jeder dem WHO-Zustand möglichst nahekommt?

Unstrittig dürfte sein, dass die Definition der WHO für Leute, die sich pragmatisch mit dem Gesundheitswesen befassen, nicht brauchbar ist. Was ist aber dann Gesundheit? Man mag einwenden, Gesundheit sei wohl eher auf individueller Ebene, also von jedem einzelnen Menschen zu definieren. Würde man Leute mit Schnupfen befragen, ob sie krank seien oder nicht, so würde dies ein Teil von ihnen bejahen, ein anderer Teil würde argumentieren, ein Schnupfen sei noch lange keine Krankheit. Stellte man Ärzten die Frage, ob ein Schnupfen eine zu therapierende Krankheit ist oder nicht, so ergäbe sich mutmaßlich Ähnliches. Ein Teil von ihnen würde die Frage mit ja, ein anderer Teil mit nein beantworten. Was fängt nun der Pragmatiker im Gesundheitswesen damit an? Tatsache dürfte sein, dass es Zustände gibt, die niemand als gesund bezeichnen würde. Dies betrifft etwa einen Menschen mit einer Krebserkrankung im fortgeschrittenen Stadium oder einen verunfallten Menschen mit schweren Verletzungen. Das Schnupfen-Beispiel zeigt, dass es eine Schnittmenge gibt, in der Gesundheit und Krankheit nicht klar abgegrenzt werden können.

Krankheit ist ein versicherbares Risiko, ob nun in einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung. Und tatsächlich stellt die Unschärfe der Definition von Gesundheit bzw. Krankheit eines der größten Probleme für die Kalkulation der Versicherungen dar. Hinzukommt: Der Gesundheitsbegriff ist keineswegs statisch, sondern er verändert sich. Durch medizinischen Fortschritt ist es immer wieder möglich, neue Zustände in der Anamnese zu erkennen, als Krankheiten zu diagnostizieren und zu therapieren. Hier kann z. B. auf das während der SARS-CoV-2 Pandemie entdeckten PIMS (paediatric inflammatory multisystem syndrome) hingewiesen werden.

Wie also soll man etwas messen, das man nicht definieren kann? Verschiedene Symptome (Altgr: symptoma = zufälliges Anzeichen) können unterschiedlich bewertet werden. Hier behilft man sich in aller Regel damit, dass man sogenannte harte Indikatoren (Lat.: indicator = Anzeiger) verwendet, vor allem Mortalitäts- (Lat.: mortalitas = sterblich) und Morbiditätsziffern (Lat.: morbidus = krank).

Unterschiede in der Sterblichkeit bzw. der Lebenserwartung zeigen sich zwischen verschiedenen Ländern; sie hängen hauptsächlich vom Wohlstand der jeweiligen Gesellschaften und dessen Verteilung auf die Mitglieder der Gesellschaft ab. Je höher das Durchschnittseinkommen eines Landes ist und je gleichmäßiger das Einkommen verteilt ist, desto höher ist tendenziell die Lebenserwartung.

Durchschnittlich am ältesten werden Menschen Hongkong, Japan und der Schweiz (Liste der UNO 2010–2015). Japanische Frauen werden im Durchschnitt 86 Jahre alt, japanische Männer 80 Jahre. Die niedrigste Lebenserwartung findet sich in den ärmsten Ländern der Welt südlich der Sahara. Die Lebenserwartung in der Zentralafrikanischen Republik beträgt für Männer und Frauen nur 49 Jahre.

Der Unterschied in der Lebenserwartung der reichsten und der ärmsten Bevölkerungen auf der Erde beträgt also in etwa 30 Lebensjahre. Deutschland nimmt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 83 Jahren für Frauen und 78 Jahren für Männer (Angaben für 2013/15) im Vergleich aller Länder einen vorderen Platz, im Vergleich der entwickelten wohlhabenden Länder einen Mittelplatz ein.

Auch innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede in der Sterblichkeit. Belegbar sind soziale Unterschiede in Deutschland, aber auch in allen übrigen entwickelten Volkswirtschaften: Menschen mit körperlich belastenden Berufen werden im Durchschnitt nicht so alt wie Menschen gehobener Berufsgruppen (leitende Angestellte, Unternehmer). Menschen aus höheren Einkommensschichten weisen eine überdurchschnittliche Lebenserwartung auf, ebenso Menschen mit höherer Ausbildung. 2020 in Deutschland Geborene Männer haben statistisch die Chance 78,8 Jahre und Frauen 83,5 Jahre alt zu werden (14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, destatis).

Einer statistischen Überprüfung hält auch nicht die oft geäußerte Meinung stand, Herzinfarkte und andere möglicherweise stressbedingte Krankheiten seien sogenannte Managerleiden. Das Gegenteil ist der Fall. Das Infarktrisiko steigt mit zunehmender Armut. Als bedrückend werden auch die in letzter Zeit häufig in den Medien thematisierten Morbiditätsunterschiede zwischen Kindern aus wohlhabenden und armen Familien beschrieben. Je geringer der sozioökonomische Status von Familien ist, desto eher entwickeln die Kinder eine ungünstige Gesundheitsbiografie.

Die aufgeführten Zusammenhänge sind zwar statistisch nachweisbar, sie dürfen jedoch nicht auf einzelne Menschen bezogen werden. Statistische Erkenntnisse werden anhand von großen Kollektiven von Menschen gewonnen und haben nichts mit einem einzelnen Individuum zu tun. Ein weiterer Fehler der Interpretation wäre es, einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge zu unterstellen.

Mortalität und Morbidität werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, wie z. B. den Arbeits-, Bildungs-, Herkunfts- und Wohnbedingungen sowie den mit ihnen einhergehenden Belastungen, der Sicherheit des Straßenverkehrs, der Umweltbelastung, dem erlernten Verhaltensmuster und nicht zuletzt dem Zugang zur medizinischen Versorgung. Welchen Stellenwert die einzelnen Variablen bei der Erklärung der Mortalitäts- und Morbiditätsunterschiede haben, kann schwerlich beziffert werden.

2 Morbiditäts- und Mortalitätsstatistik in Deutschland

In Deutschland existiert bisher keine vollständige (die gesamte Bevölkerung umfassende) und systematische Morbiditätsstatistik. Erfasst werden einzelne Indikatoren wie etwa der Krankenstand der Pflichtmitglieder der gesetzlichen Krankenkassen. Vom Robert-Koch-Institut (RKI, einer Bundesbehörde, die für die Überwachung des Infektionsgeschehens zuständig ist) werden Daten über meldepflichtige Krankheiten gesammelt ( Kap. IV 9). Darüber hinaus gibt es Statistiken über die Ergebnisse der Vorschul- und der Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern. Erfasst wird das Krankheitsgeschehen an bösartigen Neubildungen (Krebserkrankungen) bei Kindern unter 15 Jahren.

Vollständige und systematische Informationen liefert eher die Mortalitätsstatistik nach Todesursachen, gegliedert nach dem ICD-10-WHO (International Classification of Diseases, 10. Version, Kap. VI 1.4). In Tabelle 1 sind die wichtigsten Todesursachen in Deutschland als Prozentsatz aller Sterbefälle ausgewiesen.

Die Anteile der einzelnen Todesursachen an der gesamten Sterblichkeit, wie sie die Tabelle zeigt, sind in Deutschland weitgehend stabil. Knapp 40 % der Todesfälle werden durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen (zu denen neben Herzerkrankungen auch Schlaganfälle zählen) verursacht, etwa ein Viertel durch Krebs. Die Häufigkeit beider Krankheitsarten steigt – wenngleich sie auch junge Menschen befallen können – mit dem Lebensalter an. Die Tatsache, dass diese beiden Todesursachen dominieren, ist der hohen Lebenserwartung in Deutschland geschuldet ( Tab. 1).

Tab. 1: Anteil einzelner Todesursachen an den Sterbefällen in Deutschland 2018



Todesursachen nach ICD-10Anteil an allen Sterbefällen 2018

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen

http://www.gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=3&p_aid=10356137&nummer=6&p_sprache=D&p_indsp=-&p_aid=21340635 (Zugriffsdatum 22.8.2020)

3 Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Gesundheit

Werden Menschen in Meinungsumfragen gebeten anzugeben, was ihnen im Leben am wichtigsten ist, dann nimmt Gesundheit immer einen der vorderen Ränge ein. Gute Gesundheit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, ist ein Grundbedürfnis. Aber Gesundheit besitzt nicht nur in individueller Hinsicht hohe Priorität, sie ist vielmehr auch in gesamtgesellschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Hinsicht ein hohes Gut. Wer gesund ist und zudem eine gute Ausbildung genossen hat, ist leistungsfähig – sei es im Beruf, sei es als Eltern von Kindern, als Großeltern, die ihre Enkel betreuen usw. Deshalb zählt man Gesundheit neben der Ausbildung zum sogenannten Humankapital einer Gesellschaft. Investitionen, die der Gesundheit der Menschen dienen, haben damit einen Stellenwert wie Investitionen in die Bildung.

Den Wert der Gesundheit kann auch an der Höhe der Ausgaben für Gesundheit gemessen werden. Gut 407 Mrd. Euro entsprachen 2019 einem Anteil von gut 12 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ( Abb. 1).

Die Verbreitung von AIDS in vielen Staaten Afrikas ist – zusätzlich zum menschlichen Leid – auch eine ökonomische Katastrophe. Die Krankheit befällt vor allem junge Erwachsene, also Menschen, die im Arbeitsleben stehen. Der Ausfall wirtschaftlicher Aktivitäten, der durch die Krankheit verursacht wird, vermindert Chancen auf Wohlstand für jetzige und künftige Generationen. Erstes Ziel vernünftiger Entwicklungspolitik werden deshalb Investitionen zur Bekämpfung der HIV-Infektion sein.


Abb. 1: Gesundheitsausgaben nach Ausgabenträgern Quelle: https://www.vdek.com/presse/daten/c_einnahmen-ausgaben.html (Zugriffsdatum 27.12.2020)

Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Wie viele andere reiche Länder ist es mit dem Problem der Überalterung der Bevölkerung konfrontiert ( Kap. II 1.2.1). Es ist absehbar, dass in den kommenden Jahrzehnten der Anteil von Menschen im erwerbsfähigen Alter zurückgeht. Deshalb ist es nicht zu umgehen, die Lebensarbeitszeit der Menschen zu verlängern und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufzusetzen. Wenn Menschen aber bis in ein höheres Alter hinein im Erwerbsleben stehen, werden verstärkte Anstrengungen nötig sein, um ihre Gesundheit und ihre Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten.

Kaufmann/Kauffrau im Gesundheitswesen

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