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GRUNDLEGENDE TRAININGSKONZEPTE
IN DIESEM KAPITEL lernen Sie die grundlegenden Begriffe des Trainings kennen. Jedes der behandelten Themen hat sich aus Erkenntnissen darüber entwickelt, wie der menschliche Körper – insbesondere im Ausdauersport – funktioniert. Gut möglich, dass Sie viele dieser Zusammenhänge eigentlich schon verinnerlicht haben. Vermutlich haben Sie sich jedoch nie viele Gedanken dazu gemacht, weil sie Ihnen allzu simpel und einleuchtend erschienen. Diese Konzepte sind jedoch so entscheidend für den Erfolg im Triathlon, dass Sie jedes einzelne vollumfänglich verstehen und beherrschen müssen. Auf den folgenden Seiten werden Sie zunächst lernen, worum es bei diesen grundlegenden Trainingskonzepten jeweils geht, und in späteren Kapiteln zeige ich Ihnen dann, wie Sie sie anwenden müssen, damit Ihr Training zu den erhofften Resultaten führt. Sobald Sie verstanden haben, wie Sie das alles in der realen Welt des Trainings nutzen können, werden Sie Ihre Fitness und Ihre Wettkampfleistungen signifikant verbessern.
TRAININGSPRINZIPIEN
Bei der Vorbereitung auf einen wichtigen Triathlon gilt es, viele verschiedene Dinge richtig zu machen. Aber alles beginnt damit, dass Sie ein umfassendes Verständnis der vier Grundprinzipien des Trainings erlangen: Überlastung, Spezifität, Umkehrbarkeit und Individualität. Eine effektive Wettkampfvorbereitung erfordert es, sich eng an diese Prinzipien zu halten. Zwar sind diese das Ergebnis wissenschaftlicher Arbeiten, dennoch klingen sie für die meisten Sportler unmittelbar so einleuchtend, dass ich mir sicher bin, dass Sie während dieses Kapitels durchweg zustimmend mit dem Kopf nicken werden. Gelegentlich passieren aber dennoch Fehler im Training, weil ein Grundprinzip nicht vollständig verstanden wurde. Letztlich lässt sich alles im Training auf die genannten vier Prinzipien herunterbrechen, und ein erheblicher Teil von dem, was Sie in diesem Buch noch zu lesen bekommen, beruht auf ihnen. Deshalb sollten Sie bei der Lektüre dieses Kapitels überlegen, ob Sie sie in der Vergangenheit immer richtig angewendet haben. Später werde ich Ihnen dann erläutern, wie Sie sie gezielt nutzen, um sich als Sportler weiterzuentwickeln.
Das Prinzip der progressiven Überlastung
Das Pensum ist ein Maß, wie anspruchsvoll Ihre Einheiten sind. Bleibt es immer gleich, wird sich Ihr Körper darauf einstellen und nicht mehr stärker und fitter. Das bedeutet, dass Ihr Leistungsvermögen auf demselben Niveau verharrt. Es gibt Zeiten, wo dies erstrebenswert ist, z.B. kurz vor einem Wettkampf, wenn Sie sich Ihrer Erschöpfung entledigen wollen. Aber meistens ist es erwünscht, dass sich die Fitness positiv entwickelt.
Damit sich Ihre Fitness im Laufe der Zeit kontinuierlich verbessert, müssen Sie das Trainingspensum nach und nach steigern. Hier kommt der Begriff Überlastung ins Spiel. Sie machen Ihre Trainingseinheiten anspruchsvoller. Das geschieht, indem Sie die Häufigkeit, die Dauer oder die Intensität des Trainings erhöhen.
Der andere entscheidende Begriff lautet progressiv. Sie dürfen die Schwierigkeit des Trainings nicht in zu großen Schritten oder zu schnell steigern, sonst überfordern Sie Ihren Körper, insbesondere wenn Sie gleichzeitig Ruhe und Regeneration begrenzen, um härter trainieren zu können. Um progressiv zu trainieren, sollten die Steigerungen des Pensums klein ausfallen. Steigerungen bis zehn Prozent werden vom Körper recht gut verkraftet. Wenn eine Trainingsbelastung eindeutig darüber hinausgeht, erhöht sich das Risiko von Verletzungen, Krankheit, Burnout und Übertraining erheblich. Das gilt insbesondere, wenn Sie das Pensum über Wochen (oder auch nur Tage) hinweg immer wieder um deutlich mehr als zehn Prozent steigern. Dann werden Sie nicht an Fitness zulegen, sondern sehr wahrscheinlich einen Rückschritt machen.
Der Merksatz zur progressiven Überlastung lautet: Gehen Sie bei der Frage, wie schnell die Schwierigkeit des Trainings erhöht werden soll, immer recht konservativ vor. Erinnern Sie sich, was in Kapitel 2 über das Maßhalten gesagt wurde? Wenn Sie aufmerksam sind, wird Ihr Körper Ihnen sagen, wann der rechte Moment gekommen ist, um den Schwierigkeits-Regler ein wenig weiter aufzudrehen. In späteren Kapiteln werden wir uns genauer ansehen, wie Sie effektiv auf Ihren Körper hören, um eine angemessene progressive Überlastung sicherzustellen.
Das Prinzip der Spezifität
Die Veränderungen der physischen Fitness, die sich durch sportliche Betätigung in Ihrem Körper vollziehen, fallen in zwei größere Kategorien: Sportwissenschaftler bezeichnen diese mit den Begriffen zentral und peripher. Die zentralen Veränderungen sind jene, die vorrangig in Herz, Lunge und Blut erfolgen. Dabei macht es keinen großen Unterschied, welchen Ausdauersport Sie ausüben. Das Herz z.B. kennt keinen Unterschied zwischen Laufen und Radfahren. Unabhängig davon, welche körperliche Anstrengung unternommen wird, pumpt es ganz einfach sauerstoffreiches Blut. Folglich sind die übergreifenden Effekte des Triathlontrainings für die zentralen Systeme exzellent.
Die periphere Fitness hat mit den Muskeln zu tun. Ihren Wadenmuskel können Sie nicht hereinlegen. Er kennt den Unterschied zwischen Laufen und Radfahren. Zwar wird er bei beidem beansprucht, jedoch auf unterschiedliche Weise. Folglich können Sie ihn nicht fitter fürs Laufen machen, indem Sie Rad fahren. Dasselbe gilt für alle anderen Muskeln, die als Hauptbeweger (Prime Mover) in den drei Teildisziplinen genutzt werden. Sie alle müssen auf spezifische Weise für die jeweilige Sportart trainiert werden. Eine mögliche Ausnahme sind das Krafttraining mit Gewichten und ähnlich gelagerte Übungen im Fitnessstudio. Aber hierfür müssen die Bewegungen der Übungen die Art und Weise, wie der Muskel in der betreffenden Sportart genutzt wird, möglichst exakt nachahmen. Es reicht nicht, einen Muskel mit hohen Gewichten zu belasten. Vielmehr müssen Sie den Muskel unter dieser Last genauso bewegen, wie es während des Schwimmens, Radfahrens oder Laufens der Fall ist. In Kapitel 13 erfahren Sie, wie Sie das Prinzip der Spezifität auf die Muskulatur anwenden.
Was also ist wichtiger: die zentrale oder die periphere Fitness? Wie Sie wohl annehmen, sind beide wichtig. Sie werden als Triathlet niemals hohe Leistungen erreichen, wenn nicht beide Systeme gut trainiert sind. Im Allgemeinen startet die Trainingssaison mit Schwerpunktsetzung auf den zentralen Systemen, um sich dann allmählich auf das Muskelsystem zu verlagern. Anders gesagt: Je näher Ihr wichtigster Wettkampf rückt, desto stärker sollte die Betonung auf der muskulären Fitness liegen, was eine erhöhte Spezifität des Trainings erfordert. Die Anforderungen der Einheiten werden sich mehr und mehr denen des Renntages annähern.
Mir ist aufgefallen, dass Sportler, wenn sie über das Training der Muskulatur reden, damit häufig nur das meinen, was sie im Kraftraum unternehmen. Zwar lässt sich die Fitness der Muskeln dort zweifellos verbessern, wichtiger jedoch ist das Training der Muskeln, das erfolgt, indem Sie schwimmen, Rad fahren und laufen. Sie müssen Ihren Muskeln beibringen, effektiv und effizient zu kontrahieren, indem Sie die Bewegungen Ihres Sports beim Sport ausüben. In Kapitel 6 erfahren Sie, worum es bei Trainingseinheiten für die Kraft und die Kraftausdauer geht. Beide sind eng mit der Aufgabe verknüpft, mittels spezifischer peripherer Übungen das Wettkampfpotenzial zu erreichen.
Letztlich sind Ihre Muskeln dafür verantwortlich, wie schnell Sie im Rennen sind. Denn sie erzeugen die Kraft, die Sie durchs Wasser treibt, die Pedale bewegt und Sie beim Laufen vom Boden abstößt. Die Aufgabe des Herzens, der Lunge und des Blutes ist es, auf die Anforderungen der Muskeln zu reagieren und sie mit dem zu versorgen, was sie für ein kraftvolles Kontrahieren benötigen. In diesem Sinne könnte man schlussfolgern, dass die Muskeln das Sagen haben, während Herz, Lunge und Blut nur tun, was man von ihnen verlangt.
Je kräftiger Ihre Ausdauermuskulatur wird, desto größere Anforderungen stellt sie natürlich auch an die zentralen Systeme. Im Endeffekt ist es also so, dass keines der beiden ohne das andere auskommt. Um als Triathlet Höchstleistungen zu erreichen, müssen Sie es schaffen, dass beide auf Topniveau arbeiten. Beachten Sie aber, dass beide unterschiedlich trainiert werden können. Die zentralen Systeme sprechen gut auf Belastungen an, unabhängig davon, welchen Sport man gerade ausübt. Aber die Muskeln, die womöglich das entscheidende (und von Triathleten öfter vernachlässigte) System sind, erfordern im Training Spezifität. Sie müssen sie trainieren, indem Sie den Sport betreiben, in dem Sie sich steigern wollen, und nicht mittels Ausgleichssportarten, die zwar Ihren Puls auf Trab bringen, aber Ihre Triathlonmuskeln nicht auf spezifische Weise beanspruchen.
In Kapitel 7 und 8 erfahren Sie, wie das Prinzip der Spezifität bei der Planung Ihrer Trainingssaison zum Tragen kommt und wie sich die Inhalte Ihrer Trainingseinheiten infolgedessen im Saisonverlauf ändern werden.
Das Prinzip der Umkehrbarkeit
Umkehrbarkeit hat mit dem Verlust von Fitness zu tun. Es wird während einer Saison viele Zeiten geben, wo dies der Fall ist (manchmal auch unbeabsichtigt, wie wir noch sehen werden). Wann immer Ihr Trainingspensum zurückgeht, hat das negative Auswirkungen auf Ihre Fitness. Deshalb habe ich in Kapitel 2 die Bedeutung der Konsistenz im Training so nachdrücklich betont.
Ein »Nuller« im Trainingstagebuch bedeutet einen Verlust an Fitness. Bei einem verpassten Training werden die Verluste wahrscheinlich klein sein, vermutlich deutlich unter ein Prozent, aber das Wiedererlangen dieser Fitness bedeutet für gewöhnlich, für jedes verpasste Training zwei oder mehr Einheiten zu absolvieren.
Es kann gelegentlich auch akzeptabel und sogar gut sein, etwas Fitness aufzugeben. Dies betrifft z.B. die Tage unmittelbar nach Ihrem wichtigsten und belastungsreichsten Triathlon des Jahres. Es gibt nicht sehr viele dieser Nach-Wettkampf-Phasen, und das reduzierte Traningspensum (in der Regel nicht gleich ein Haufen »Nuller« in Serie) dauert nur einige Tage. Vorausgesetzt, Sie sind nicht mehrere Tage am Stück verletzt oder krank, erfolgt der wichtigste Verlust an Fitness am Ende Ihrer Saison, wenn Sie sich eine längere – und notwendige – Pause vom fokussierten Training gönnen. Mehr dazu in Kapitel 7.
Der entscheidende Punkt hier ist, dass sich die Fitness immer verändert – manchmal zum Positiven, manchmal zum Negativen. Sie haben die volle Kontrolle, in welche Richtung es geht. Maßvolle Einheiten führen zu einem konsistenten Training, das in höherer Fitness resultiert.
Das Prinzip der Individualität
Sie sind einzigartig. Ich bin sicher, das ist keine große Offenbarung für Sie. Genau wie Sie größer sind als einige Sportler und kleiner als andere, sind Sie auch dahingehend einzigartig, wie schnell Sie schwimmen, Rad fahren und laufen können. Womöglich sind Sie ein toller Läufer, ein erbärmlicher Schwimmer und ein mittelmäßiger Radfahrer – oder irgendeine andere Kombination. Das Wissen darum hilft zu bestimmen, wer Sie als Triathlet sind. Und genau wie Ihre Körpergröße und Ihr Leistungsvermögen in den drei Disziplinen definieren, wer Sie sind, ist Ihre Physiologie auch hinsichtlich vieler weiterer Aspekte einzigartig. Womöglich kommen Sie gut mit Hitze klar oder aber Sie leiden mehr als die meisten anderen, wenn es heiß ist. Womöglich sind Sie an Anstiegen stark, aber nicht so gut, wenn der Kurs bretteben ist. Es könnte sein, dass Ihr Körper die Verpflegung bei langen Wettkämpfen gut verarbeitet, während anderen übel wird, wenn sie die gleichen Sachen essen. Ja, Sie sind fraglos in vielerlei Hinsicht einzigartig.
Weil Sie einzigartig sind, folgt daraus, dass Ihr Training auch einzigartig sein muss. Sie können nicht einfach nachmachen, was Ihr Trainingspartner tut, und die gleichen Ergebnisse erwarten. Auch wenn Ihr Lieblings-Profi ein bestimmtes Training absolviert, bedeutet das nicht, dass es gut für Sie wäre. Das Trainingsprogramm, dem Sie folgen, muss genau Ihren Fähigkeiten entsprechen, wollen Sie Ihr Potenzial erreichen. Beginnend mit Kapitel 5 werden Sie Ihre einzigartigen Eigenschaften als Triathlet erforschen, und in den Kapiteln 7, 8 und 9 erfahren Sie dann, wie Sie einen Trainingsplan entwerfen, der für Sie effektiv ist.
HÄUFIGKEIT, DAUER UND INTENSITÄT
Werfen wir nun einen Blick auf ein anderes Konzept, das Sie vermutlich längst durchschauen, an das Sie aber vielleicht noch nicht viele Gedanken verschwendet haben. Es hat damit zu tun, was sportliche Aktivität definiert; und es zu verstehen, ist eine Grundvoraussetzung, um nachvollziehen zu können, wie das Training zu planen ist.
Unabhängig davon, wie erfahren Sie als Triathlet sind, gibt es drei Dinge, die Sie in Ihrem Training variieren können: Häufigkeit, Dauer und Intensität. Ganz gleich, ob Sie ein mit allen Wassern gewaschener Triathlonveteran sind oder ein blutiger Anfänger: Die drei Trainingsvariablen, die Sie ändern können, um Ihre Fitness zu verbessern, sind: a) wie oft Sie trainieren, b) wie lange Ihre Einheiten dauern und c) wie intensiv diese ausfallen.
Eigentlich gibt es noch eine weitere Sache, die Triathleten beachten müssen – die Sportart, die man in der jeweiligen Trainingseinheit ausübt. Aber das ist ja gewissermaßen vorgegeben, so dass wir es hier nicht als Variable betrachten. In späteren Kapiteln werde ich natürlich darauf eingehen, welche Disziplinen wie zu trainieren sind. Zunächst aber gilt es, ein fundiertes Verständnis der drei grundlegenden Trainingsvariablen zu erlangen: Häufigkeit, Dauer und Intensität.
Häufigkeit
Wie oft trainieren Sie? Für Profis ist es üblich, an den meisten Tagen zwei oder drei Mal zu trainieren und pro Woche auf etwa 18 bis 20 Einheiten zu kommen. Anfänger absolvieren eher ein Training pro Tag – also ungefähr sieben Einheiten in einer Woche. Dafür gibt es offensichtliche Gründe. Weil sie ihrem Potenzial bereits sehr nahe sind, müssen Profis mit großer Frequenz trainieren, um so die kleinen noch möglichen Zugewinne zu aktivieren. Für einen Anfänger wäre so etwas sicherlich katastrophal. Bei jemandem, der neu in diesem Sport ist, werden ein paar Trainingseinheiten pro Woche zu einer deutlichen Verbesserung führen.
Wie oft trainieren Sie? Wie viele Einheiten absolvieren Sie pro Woche? Für die meisten von uns hängt die Antwort von unserem Lebensstil ab. Für Profis ist es ihr Job, für Wettkämpfe zu trainieren, aber bei Ihnen ist das wahrscheinlich nicht der Fall. Sie haben bestimmt einen Beruf, eine Familie und viele andere wichtige Dinge, die Sie Tag für Tag auf Trab halten. Dennoch schaffen Sie es irgendwie, ein paar Trainingseinheiten in Ihrem vollen Tagesablauf unterzubringen. Für ambitionierte Altersklassen-Athleten ist es durchaus üblich, zwei Einheiten am Tag zu absolvieren und in der Woche auf 10 bis 12 Trainingseinheiten zu kommen. Das ist nicht leicht und stellt große physische und emotionale Anforderungen an einen Sportler.
Entscheidend für Agegrouper ist es also, ihre wertvolle, begrenzte Freizeit optimal zu nutzen. Das bedeutet, die richtige Einheit zur richtigen Zeit zu unternehmen. Es ist kein Spielraum für Trainingsfehler. Sie dürfen nicht nachlässig werden. Jedes Training muss zählen. Deshalb rate ich Ihnen eindringlich, einen detaillierten Plan für Ihr Training aufzustellen. Ich weiß, Planung klingt nicht unbedingt nach Spaß. Aber es ist notwendig, wenn Sie Ihr Potenzial erreichen wollen. Teil IV hilft Ihnen dabei.
Dauer
Die Dauer ist ein Maß für das zeitliche Ausmaß eines Trainings, nicht für seine Distanz. Athleten neigen dazu, in Kilometern zu denken, weil Rennen nach Distanz ausgeschrieben sind. Aber ein erfolgreicher Triathlet wird sich auf einen Wettkampf vorbereiten, indem er bestimmt, wie viel Zeit er dafür braucht. Denn es ist die Renndauer, nicht die Renndistanz, die über den Erfolg entscheidet. Also müssen Sie auch im Training in Stunden und Minuten und nicht in Kilometern denken.
Mit wenigen Ausnahmen beruhen die Trainingseinheiten, über die Sie in diesem Buch lesen, auf Dauer, nicht auf Distanz. Der Grund dafür ist, dass die Intensität eines Trainings spezifisch ist für seine zeitliche Dauer, aber nicht unbedingt für die zurückgelegte Entfernung. Wenn zum Beispiel zwei Läufer an einem 10-km-Rennen teilnehmen und der eine ist nach 30 Minuten im Ziel, während der andere 60 Minuten braucht, war ihre Intensität nicht die gleiche. Gemessen als Prozentsatz der VO2max (mehr dazu im nächsten Kapitel), hat der doppelt so schnelle Läufer mit einer viel höheren Intensität gearbeitet. Würden hingegen beide 30 Minuten lang so schnell wie möglich laufen, wären sie bei etwa der gleichen Intensität; der eine würde lediglich eine längere Strecke zurücklegen als der andere. Aber so funktionieren Rennen nicht.
Hier noch ein weiteres Beispiel, das Ihnen ein besseres Verständnis dafür liefern soll, warum es sinnvoll ist, sich im Training an der Dauer zu orientieren: Nehmen wir an, dass Sie bei einer Mitteldistanz an den Start gehen werden. Auf dem Rad haben Sie eine brettebene 90-km-Strecke zu absolvieren, so dass Sie trainiert haben, dies mit einer bestimmten Intensität zu erledigen. Am Renntag jedoch ist es dann plötzlich extrem windig, so dass die Radstrecke wahrscheinlich 30 Minuten mehr als gedacht in Anspruch nehmen wird. Mit welcher Intensität sollten Sie fahren? Sollten Sie sich an den ursprünglichen Plan halten? Es liegen immer noch genau 90 Radkilometer vor Ihnen. Das hat sich nicht geändert. Oder sollten Sie die Intensität verringern, weil die Dauer länger wird?
Die Antwort lautet, dass Sie die Intensität reduzieren sollten. Intensität ist immer direkt abhängig von der Dauer, nicht von der Distanz. Wenn Sie die Intensität beibehalten, das Radfahren aber eine halbe Stunde zusätzlich dauert, werden Sie auf den letzten paar Kilometern vermutlich einbrechen und folglich auf der Laufstrecke furchtbar leiden.
Die zugrundeliegende Regel besagt, dass Intensität und Dauer umgekehrt proportional sind. Nimmt das eine zu, nimmt gleichzeitig das andere ab. Dauert ein Wettkampf oder Training länger, wird sich die Intensität, die Sie aufrechterhalten können, verringern. Das liegt auf der Hand. Sie können keinen Marathon mit Ihrer 5-km-Pace bestreiten. Sie laufen beim Marathon langsamer, weil Sie für eine längere Zeit laufen müssen. Im Grunde bestreiten bei einem 10-Kilometer-Lauf ein 30- und ein 60-Minuten-Läufer zwei unterschiedliche Wettkämpfe, und folglich sollten sie auch auf unterschiedliche Weise trainieren. Wenn ein Rennen aufgrund äußerer Bedingungen wie beispielsweise dem Wind länger dauert als geplant, müssen Sie die Intensität reduzieren. Häufig braucht es seine Zeit, bis Sportler wirklich verinnerlicht haben, dass die Intensität ihrer Trainingseinheiten und Wettkämpfe enger mit deren Dauer als deren Distanz verknüpft ist. Schauen wir uns aber nun den Begriff der Intensität genauer an.
Intensität
Häufigkeit und Dauer sind einfach zu messen. Alles, was Sie brauchen, sind ein Kalender und eine Uhr. Die Intensitätsmessung ist deutlich schwieriger. In Kapitel 2 sagte ich, dass ich bei fortgeschrittenen Triathleten, die ich betreue, voraussetze, dass Sie eine Pulsuhr, ein GPS-Gerät und ein Powermeter besitzen. Warum? Weil die Intensität umso entscheidender für die Wettkampfleistung ist, je erfahrener und fitter ein Athlet ist. Anfänger müssen sich auf die Häufigkeit des Trainings konzentrieren, indem sie möglichst oft schwimmen, Rad fahren und laufen. Auch wenn sie es dabei belassen, ohne sich darum zu kümmern, wie lange die Einheiten dauern – kurz ist gut – oder wie schwer diese ausfallen – einfach ist am besten –, werden sie sich in ihrem ersten Jahr enorm steigern. Triathleten in ihrem zweiten und dritten Jahr sollten sich darauf konzentrieren, die Dauer der Einheiten auszudehnen. Im vierten Jahr ist dann die Zeit gekommen, um mehr Gewicht auf die Trainingsintensität zu legen. Bis dahin hat ein Triathlet den Großteil der möglichen Leistungssteigerungen umgesetzt, die sich mittels Häufigkeit und Dauer erzielen lassen. Das bedeutet nicht, dass diese beiden Trainingskomponenten fortan ignoriert werden sollten. Sie sind immer noch wichtig. Für jemanden, der sich auch nach den ersten Jahren als Triathlet weiterentwickeln will, muss die Intensität jedoch nun zum Trainingsschwerpunkt werden.
Zahlreiche Studien bestätigen dies. Dennoch glauben viele erfahrene Triathleten weiterhin, lange Einheiten seien der Schlüssel zum Erfolg. Das liegt zum Teil daran, dass die Dauer einfach und billig zu messen ist und sich viele Sportler früh in ihrer sportlichen Karriere daran gewöhnt haben. Eine genaue Intensitätsmessung ist weder einfach noch billig. Es erfordert einige Übung, bis man gut mit den erforderlichen Geräten umzugehen versteht. Zudem sind diese fraglos teurer als eine Stoppuhr.
In Kapitel 4 werden wir einen genaueren Blick auf die Intensität werfen und ich erläutere Ihnen, wie sie Ihnen hilft, als Triathlet bestmögliche Leistungen zu erreichen.
UMFANG
Umfang ist die Kombination aus Häufigkeit und Dauer. Addieren Sie einfach die Trainingsstunden für eine Woche und Sie haben den Umfang. Wenn Sie in einer Woche zehn Einheiten von je einer Stunde absolvieren, beträgt Ihr Wochenumfang 10 Stunden. Die meisten Triathleten betrachten Ihren Trainingsfortschritt in Bezug auf den Umfang. Fragt man sie, wie es im Training läuft, antworten die meisten, wie viele Wochenstunden sie trainieren. Warum? Weil dieser Wert einfach mess- und nachvollziehbar ist. Dennoch ist, wie oben erläutert, die Intensität für erfahrene Athleten der Schlüssel zum Erfolg.
Das bedeutet nicht, dass der Umfang für fortgeschrittene Triathleten unwichtig wäre. Er ist nur weniger wichtig als die Intensität. Bei erfahrenen, leistungsstarken Triathleten ist der Umfang für etwa 40 Prozent der Fitness verantwortlich, während die Intensität die restlichen 60 Prozent ausmacht.
Es liegt folglich auf der Hand, dass Ihr Fokus auf der Intensität Ihres Trainings liegen sollte. Das soll nicht heißen, dass Ihre Einheiten jeweils mit der größtmöglichen Intensität erfolgen sollten. Es gibt verschiedene Intensitätsstufen, die sogenannten Zonen, die wir im nächsten Kapitel behandeln werden. Während Ihres Trainings werden Sie alle diese Zonen verwenden. Wie viel Zeit Sie jeder einzelnen Zone widmen, hängt von dem Wettkampf, für den Sie trainieren, Ihren individuellen Anforderungen und der aktuellen Saisonphase ab. Wir werden in den verbleibenden Kapiteln mehrmals auf dieses Konzept zurückkommen, weil es für Ihren Erfolg so entscheidend ist.
DOSIS UND DICHTE
Für bestmögliche Wettkampfleistungen müssen Sie im Training die Schwerpunktsetzung auf Umfang und Intensität richtig hinbekommen – ungefähr im Verhältnis von 40 Prozent Umfang zu 60 Prozent Intensität, so wie oben erklärt. Dies führt uns zu den Begriffen Dosis und Dichte.
Die Dosis hat damit zu tun, wie hart eine Einheit ist. Ein sehr hartes Training wird als hohe Dosis bezeichnet. Dies könnte eine Einheit von großer Dauer sein, also ein sehr langes Schwimm-, Rad- oder Lauf-Training. Oder es könnte eine Einheit von sehr hoher Intensität sein, wie Intervalle oder Wiederholungen am Berg. Es könnte auch eine Kombination von Dauer und Intensität sein – z.B. eine lange Ausdauer-Einheit mit moderater Intensität im Rahmen des Ironman-Trainings. Auf der anderen Seite ist eine Einheit mit geringer Dosis in der Regel kurz und von niedriger Intensität.
Mit Dichte ist gemeint, wie nah die Einheiten hoher Dosis aufeinanderfolgen. Hochdichtes Training bedeutet, dass Ihre härtesten Trainingseinheiten sehr nahe beieinander liegen – vielleicht nur mit einem Tag dazwischen oder sogar an direkt aufeinanderfolgenden Tagen. In der gleichen Weise würde ein Training geringer Dichte bedeuten, dass es zwischen den härtesten Einheiten mehrere Tage mit niedriger Dosis gibt.
Dosis und Dichte sind nicht für alle Athleten gleich. Gemäß dem Prinzip der Individualität sind beide von Ihren spezifischen Bedürfnissen und Fähigkeiten abhängig. Die Dosis eines jeden Trainings muss auf der Grundlage Ihrer aktuellen Anforderungen gewählt werden. Aber alle fortgeschrittenen Athleten müssen gelegentlich Einheiten hoher Dosis absolvieren, die spezifisch auf ihr Wettkampfziel abgestimmt sind. Die Dauer und Intensität dieser Trainingseinheiten variiert dabei je nach Art des Rennens, für das Sie trainieren. Langdistanz-Triathleten unternehmen in den letzten Wochen vor dem Wettkampf Einheiten mit hoher Dauer und mäßiger Intensität. Bei Kurzstrecken-Triathleten fallen die Einheiten kürzer aus, dafür sind aber die Trainingsintensitäten größer.
Innerhalb dieser wettkampfspezifischen Parameter ist die Dosis für alle Sportler ziemlich ähnlich. Die Dichte hingegen variiert erheblich zwischen Athleten, die für die gleiche Art von Wettkampf trainieren. Typischerweise trainieren jüngere und fittere Triathleten mit relativ hoher Dichte – ihre harten Einheiten folgen nah aufeinander. Je älter oder weniger fit Sie sind, desto geringer fällt die Dichte Ihres Trainings aus. Mit anderen Worten, es gibt mehr einfache, niedrig dosierte Einheiten zwischen den Tagen hoher Dosis.
Womöglich ist Ihnen dieses Konzept von Dosis und Dichte neu, aber wenn Sie bereits seit ein paar Jahren ernsthaft Triathlon betreiben, dürften Sie es dennoch problemlos nachvollziehen können, da Sie es zweifellos bereits so gehandhabt haben – vielleicht ohne je explizit darüber nachgedacht zu haben. Später, wenn wir uns mit der Periodisierung des Trainings beschäftigen, werden Sie sich ausgiebig Gedanken über die Dosis und Dichte machen, weil diese Parameter letztlich großen Einfluss darauf haben, wie fit Sie werden.
TRAININGSPENSUM
Durch Kombination von Umfang und Intensität ergibt sich das Trainingspensum. Einige Triathleten können ein extrem hohes Pensum bewältigen, möglicherweise 20 Stunden in einer Woche, darunter hochintensive Intervalle und andere Einheiten, die ähnlich anspruchsvoll sind. Solche Sportler trainieren mit hoher Dosis und Dichte. Andere hingegen schaffen pro Woche nur eine Handvoll Trainingsstunden und ein oder zwei hochdosierte Einheiten. Der Grund dafür ist oftmals das Individualitätsprinzip. Aber es gibt andere Faktoren, die das Trainingspensum bestimmen, und meist ist dies die verfügbare Zeit.
Wenn Ihr Beruf Sie stark beansprucht, v.a. mit langen Arbeitszeiten, bewegt sich Ihr Pensum wahrscheinlich am unteren Ende des Spektrums. In gleicher Weise bestimmen Familien- und Haushaltspflichten Ihre verfügbare Zeit und somit das Trainingspensum. Solche Faktoren haben großen Einfluss auf den Umfang. Wenn die Trainingsdauer unterhalb dessen liegt, was Sie ohne solche Einschränkungen bewältigen könnten, müssen Sie die Intensität entsprechend erhöhen, um ein adäquates Pensum zu erzeugen. Dies ist ein Dilemma, mit dem viele Altersklassen-Athleten umgehen müssen. Wie Sie es hinbekommen, erfahren Sie in Kapitel 7, wo es um die Periodisierung geht.
SUPERKOMPENSATION
Das Trainingspensum sollte manchmal groß ausfallen. Im Resultat werden Sie häufiger erschöpft sein. Das ist der Grund, warum Ruhe- und Regenerationstage zwischen harten Einheiten vorzusehen sind. Es geschieht während dieser lockeren Tage, dass Ihr Körper tatsächlich fitter wird. Denn hochdosiertes Training erzeugt letztlich nur das Potenzial für Fitness. Verwirklicht wird dieses erst mit dem sich anschließenden Tag geringer Dosis, den Sie entweder als kompletten Ruhetag oder mit einer kurzen, gering dosierten Einheit gestalten. Dieser Prozess sich abwechselnder Belastung und Ruhe ist notwendig, um an Fitness zuzulegen.
Wenn Sie ausschließlich Belastungen hoher Dichte und Dosis vorsehen und sich nicht regelmäßig erholen, wird dies wahrscheinlich in Übertraining münden (siehe Kapitel 10). Dabei handelt es sich um mehr als nur ein wenig Müdigkeit. Übertraining ähnelt sehr einer schweren Erkrankung wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder dem chronischen Erschöpfungssyndrom. Sie müssen es unbedingt vermeiden. Ich habe erlebt, wie es ganze Triathlon-Karrieren beendet hat. Andererseits werden Sie auch keine positiven Veränderungen Ihrer Fitness hervorrufen, wenn Sie nur niedrig dosierte Trainingseinheiten unternehmen und sich häufig Ruhetage gönnen. Denn Sie würden gegen das Prinzip der progressiven Überlastung verstoßen, und Ihre Wettkampfleistungen würden leiden.
Der Prozess des Fitnessaufbaus durch den Wechsel von Belastung und Ruhe heißt Superkompensation. Der menschliche Körper ist ein erstaunlicher Organismus, der durch konsequentes Training geformt werden kann, so dass ein Athlet entsteht, der im Sport große Dinge erreichen kann. Superkompensation lässt sich dem Körper aber nicht aufzwingen. Sie können nicht dafür sorgen, dass sie sich schneller vollzieht, als von der Natur beabsichtigt. Einige Glückliche wurden mit einer schnellen Reaktionszeit gesegnet. Andere reagieren langsam. Auch hier zeigt sich wieder das Prinzip der Individualität. Der Unterschied zwischen Sportlern mit schneller und langsamer Superkompensation ist wahrscheinlich genetisch bedingt. Deshalb müssen Sie, um Übertraining zu vermeiden und gleichzeitig Ihre Fitness zu verbessern, genau darauf achten, wie Ihr Körper reagiert, und sich hüten, dies künstlich beschleunigen zu wollen.
FITNESS, ERSCHÖPFUNG UND FORM
In diesem Buch habe ich bereits mehrfach die Begriffe fit und Fitness verwendet. Und ich bin davon ausgegangen, dass diese Ihnen etwas sagen. Im Ausdauersport sprechen wir oft über Fitness, ohne jemals darüber nachzudenken, was genau damit gemeint ist. In Kapitel 6 werden wir uns ausführlich mit dieser Frage auseinandersetzen. Vorerst können wir einfach annehmen, dass Fitness ausdrückt, wie wettkampfbereit ein Athlet ist. Im Folgenden werde ich Ihnen eine Betrachtungsweise der Wettkampfbereitschaft vorstellen, die zwar relativ neu, aber Ihnen dennoch vermutlich bereits vertraut ist, weil Sie sie bestimmt unbewusst schon so angewendet haben. Weiterhin möchte ich auch zwei andere Begriffe beleuchten, die direkt mit der Wettkampfbereitschaft zusammenhängen: Erschöpfung und Form.
Fitness
Für Triathleten gibt es vier gängige Möglichkeiten, Veränderungen der Wettkampfbereitschaft zu bestimmen. Am meisten interessiert uns jene, die mit Wettkampfresultaten zu tun hat. Zeiten und Platzierungen sind das ultimative Maß für ambitionierte Athleten. Haben Sie Ihr Ziel erreicht? Falls ja, waren Sie am Renntag sehr fit. Und es lässt sich schlussfolgern, dass Ihr Training zuvor gut gelaufen sein muss. Wettkampfresultate lügen nicht.
Obschon das Erreichen des gesetzten Ziels der ultimative Maßstab sein mag, um die Wettkampfbereitschaft zu messen, hat es doch einen Nachteil: Es kommt ein wenig spät. Vermutlich werden Sie in der Nacht vor dem Rennen ruhiger schlafen, wenn es in den vergangenen Wochen Indikatoren gab, dass Ihre Fitness stetige Zugewinne gemacht hat. Wie also verschaffen Sie sich diese Sicherheit? Hier sind drei weitere gängige Möglichkeiten.
TABELLE 3.1 »Score« für eine 60-minütige Einheit auf Basis der in jeder Trainingszone verbrachten Zeit
A. ZONE UND WERT | B. ZEIT IN DER ZONE (MINUTEN/GERUNDET) | ZONEN-SCORE (A × B) |
1 | 30 | 30 |
2 | 8 | 16 |
3 | 5 | 15 |
4 | 15 | 60 |
5 | 2 | 10 |
Gesamt: 60 Minuten | Score der Einheit: 131 |
Während Sie sich auf einen Wettkampf vorbereiten, nehmen Sie häufig zur Kenntnis, wie Ihre Einheiten laufen und wie Sie sich während des Trainings fühlen. Dies gibt Ihnen Hinweise darauf, wie sich die Fitness entwickelt: Steigt sie, ist sie stabil oder nimmt sie ab? Zwar mag dies ein sehr subjektives Maß sein, dennoch liefert es brauchbare Informationen hinsichtlich Ihrer Fortschritte. Fest darauf bauen können Sie allerdings nicht.
Wenn Sie ein objektives Feedback zu Ihren Fitness-Fortschritten erhalten möchten, können Sie sich einem sportmedizinischen Test unterziehen. Das Laborpersonal wird Sie an Hightech-Geräte anschließen und Sie werden sich mit schrittweise gesteigerter Belastung einige zunehmend zermürbende Minuten lang verausgaben. Wenn es vorbei ist, erhalten Sie dann einen Ausdruck mit einer Reihe von Zahlen, die Ihnen sagen, wie fit Sie sind. Dies ist eine aussagekräftige Information, und wenn ein solcher Test ein paar Mal in einer Saison durchgeführt wird, zeigt er Ihre Fitness-Fortschritte auf, während Sie sich auf Ihr Rennen vorbereiten. Das Problem: Solche Tests gehen ziemlich ins Geld.
Eine vierte Möglichkeit besteht darin, Ihr tägliches Pensum zu messen und dessen Fortschritt im Zeitverlauf zu bestimmen. Dieses Verfahren wendet lediglich Zahlen auf die oben beschriebene »Wie fühlen Sie sich?«-Methode an. Wie bereits erwähnt, ist das Trainingspensum die Kombination aus Umfang und Intensität. Wenn das Pensum zunimmt, steigt auch Ihre Fitness, weil Sie in der Lage sind, eine größere Dosis und eventuell eine höhere Dichte zu verkraften. Das ist ein indirektes Maß für eine Zunahme an Fitness. Fortlaufende Aufzeichnungen Ihres Pensums können Ihnen also sehr viel darüber verraten, wie fit Sie werden.
Die Herausforderung ist, die einfach zu messende Dauer mit der Intensität zu kombinieren, die viel schwieriger zu erfassen ist. Und selbst wenn es Ihnen gelingt, die Intensität zu erfassen, wie kombinieren Sie diese dann mit der Dauer? Eine schon länger genutzte Möglichkeit besteht darin, mittels Puls- und Stoppuhr jeden Tag einen Score für die absolvierten Trainingseinheiten zu berechnen. Die Tageswerte werden dann am Ende der Woche addiert, um einen Score für das Wochenpensum zu erhalten, der sich mit den Werten der vorangegangenen Wochen vergleichen lässt.
Und so funktioniert das Ganze: Nach Beendigung des Trainings laden Sie die Daten von der Pulsuhr auf Ihren Rechner. Die dort installierte Software sollte so eingerichtet sein, dass sie anzeigt, wie viel Zeit Sie in den einzelnen Herzfrequenz-Zonen verbracht haben. (Kapitel 4 hilft Ihnen bei deren Einrichtung.) Verwenden Sie das am häufigsten genutzte Fünf-Zonen-System, wird jeder Zone automatisch ein numerischer Wert zugewiesen. Beispielsweise entspricht Zone 1 einem Wert von 1 und die Zone 5 einem Wert von 5. Dann multiplizieren Sie den Wert jeder Zone mit den Minuten, die Sie in dieser Zone verbracht haben. Addieren Sie nun alle Ergebnisse, und Sie haben den Score für die Trainingseinheit. Dasselbe können Sie auch mit einem Leistungsmesser, einem GPS-Gerät oder mit jeder sonstigen Intensitätsmessung machen, für die Sie entsprechende Zonen definiert haben. Tabelle 3.1 veranschaulicht beispielhaft, wie sich eine Einheit mit diesem System bewerten lässt.
Das einstündige Training, das in Tabelle 3.1 gezeigt wird, ergab für die gesamte Einheit eine Punktzahl von 131. In der gleichen Manier würden Sie für jedes Training im Laufe der Woche einen solchen Score ermitteln und dann am Ende der Woche die einzelnen Ergebnisse addieren, um das Wochenpensum zu bestimmen. Dieses Verfahren ist zwar simpel, aber auch zeitraubend.
Einfacher ist es, eine Software zu verwenden, die automatisch den Score Ihrer Einheiten für Sie berechnet, sobald Sie Ihre Pulsuhr (oder Ihr Powermeter oder GPS-Gerät) angeschlossen haben. Die womöglich brauchbarste Lösung wurde von dem Sportwissenschaftler Andrew Coggan entwickelt und findet sich auf der Website von TrainingPeaks. Sein System, der so genannte Training Stress Score (TSS), wird von Athleten in vielen Ausdauersportarten genutzt.
Indem Sie Ihr Pensum mit Hilfe eines solchen Systems aufzeichnen, erhalten Sie eine gute Vorstellung davon, wie sich Ihre Fitness entwickelt. Wenn Sie in der Lage sind, Ihr Pensum sukzessive zu erhöhen, können Sie daraus schließen, dass Sie fitter werden. Mit dem PMC-Diagramm (Performance Management Chart) bietet TrainingPeaks ein weiteres Tool, das die Entwicklung Ihres Pensums im Laufe der Saison aufzeigt. Und in ähnlicher Weise offenbart es auch Ihre Erschöpfung.
Erschöpfung
Wenn das Trainingspensum steigt, können Sie davon ausgehen, dass die Fitness zunimmt. Ebenso müssen Sie aber annehmen, dass auch die Erschöpfung wächst. Das hat seine Gründe. Wenn Sie mit größerem Umfang und höherer Intensität trainieren, sind Sie zwangsläufig erschöpft. Auf der anderen Seite büßen Sie Fitness ein, sind aber auch nicht so erschöpft, wenn Sie das Pensum zurückfahren. Fitness und Erschöpfung entwickeln sich parallel in Gleichklang mit dem Pensum. Wenn das eine steigt, steigt auch das andere. Wenn eines abnimmt, nimmt auch das andere ab.
Erschöpfung tritt immer vor Fitness auf. Wenn Sie heute ein hartes Training absolvieren, werden Sie morgen müde sein. Das können Sie ganz eindeutig spüren. Aber Sie werden nicht schon am nächsten Tag auch eine Änderung der Fitness feststellen können. Die Fitness verändert sich sehr langsam, die Erschöpfung schnell. Das ist eine gute Sache und in Kapitel 8 werden Sie lernen, dies auszunutzen, wenn Sie direkt im Vorfeld eines wichtigen Rennens ein »Tapering« vorsehen. Dessen Zweck besteht darin, Form für den Tag des Wettkampfs zu erzeugen.
Form
Sie werden das Wort Form vermutlich häufig hören, v.a. bei TV-Übertragungen, wenn ein Reporter seine Einschätzung kundtut, welche Leistungen ein Sportler zeigt. »Er ist in Form«, heißt es dann, oder aber auch: »Es fehlt ihm an Form.«
Der Begriff der Form soll Ende des 19. Jahrhunderts im Pferderennsport entstanden sein. Wenn man zu einem Rennen ging und eine Wette platzieren wollte, suchte man sich einen »Bookie«, der Buch über die Wetten führte. Dieser Buchmacher stellte eine (als Formular bzw. form bezeichnete) Liste zur Verfügung, in der alle Pferde aufgeführt waren, die an diesem Tag starteten, samt ihrer jüngsten Resultate. Dann wählte man eines aus, auf das man sein Geld setzte, weil es laut Form gut drauf zu sein schien. Der Radrennsport, der sich etwa zur gleichen Zeit in Europa verbreitete, war auch ein Wettsport und adoptierte den Begriff. Im Laufe des nächsten Jahrhunderts begannen dann auch andere Sportarten, von Form zu sprechen.
Also was genau bedeutet, in Form zu sein bzw. Form zu haben? Aus dem oben Gesagten können Sie schließen, dass so etwas wie wettkampfbereit gemeint ist. Das wiederum lässt sich so auslegen, dass ein Sportler frisch und ausgeruht ist. Wenn Ihre Erschöpfung groß ist, können Sie nicht in Form sein, egal wie groß Ihre Fitness ist. Die Erschöpfung wird Ihre Leistung abwürgen. Die einzige Möglichkeit, am Renntag frisch zu sein, ist, sich in den vorhergehenden Tagen auszuruhen und das zu unternehmen, was wir im Ausdauersport gemeinhin als Tapering bezeichnen.
Führen Sie sich noch mal vor Augen, dass sich Fitness und Erschöpfung stets in die gleiche Richtung bewegen. Wenn also Ihre Müdigkeit zurückgeht, was passiert dann mit der Fitness? Auch diese geht zurück. Ich weiß, das klingt beängstigend, gerade unmittelbar im Vorfeld eines Rennens. Wie können Sie einen guten Wettkampf abliefern, wenn Ihre Fitness abnimmt? Der entscheidende Punkt, um dies zu verstehen, wurde auch bereits genannt: Die Erschöpfung verändert sich schneller als die Fitness, wenn Sie sich ausruhen. Während Sie also mit einem Tapering vor einem Wettkampf rasch eine Menge Ermüdung loswerden, wird die Fitness gleichzeitig nur sehr langsam zurückgehen. Am Renntag fühlen Sie sich, als hätten Sie an Fitness zugelegt, obwohl dieses Gefühl tatsächlich das Ergebnis einer geringeren Erschöpfung ist. Es spielt keine Rolle – Sie werden in Form sein. In Kapitel 9 zeige ich Ihnen, wie Sie es anstellen, nur ein klein wenig an Fitness einzubüßen und gleichzeitig die komplette Erschöpfung zu beseitigen. Das Verständnis und die richtige Anwendung dieses Konzeptes ist der Schlüssel zu Topleistungen im Wettkampf.
FAZIT: GRUNDLEGENDE TRAININGSKONZEPTE
Puh! Das war eine ganze Menge über etwas, was Sie wahrscheinlich bisher als simple Ideen zum Training betrachtet haben. Aber ich gehe davon aus, dass Sie vielleicht nun auf andere Weise über die vorgestellten Konzepte denken. Und ich hoffe, dass Sie ein tieferes Verständnis von ihnen gewonnen haben. In den folgenden Kapiteln werden wir häufig auf diese Konzepte zurückkommen und Sie werden lernen, diese auf Ihr Training anzuwenden. Ein solides Wissen um die in diesem Kapitel erläuterten Zusammenhänge wird Sie in die Lage versetzen, viele subtile Nuancen des Trainings richtig ein- und wertschätzen zu können.
Training ist nichts anderes als das Zusammenspiel all dieser Konzepte. Es geht nicht nur darum, wie lang die Einheiten sind oder wie viele Stunden Sie trainieren, sondern auch darum, mit welcher Intensität Sie arbeiten. Es geht nicht nur darum, wie hart das Training ist, sondern auch darum, wie dicht die Einheiten aufeinanderfolgen. Das Ziel ist nicht, sich viele harte Trainingsstunden aufzubürden, das Ziel ist Superkompensation durch Ruhe zur rechten Zeit. Fitness ist stets in Bezug auf Erschöpfung und Form zu betrachten, nicht als ein unabhängiges, eigenständiges Ziel. Und all dies gilt es gemäß der Prinzipien des Trainings zusammenzuführen: Überlastung, Spezifität, Umkehrbarkeit und Individualität. Wenn Sie all das richtig hinbekommen, werden Sie Ihre Ziele erreichen.
Haben Sie ein hohes Ziel für die kommende Saison, wird Ihr Erfolg dabei maßgeblich davon abhängen, wie gut Sie die Trainingsintensität steuern. Dies macht ungefähr 60 Prozent Ihrer Wettkampfleistung aus, während die Dauer für den Rest verantwortlich ist. Folglich benötigen Sie ein fundiertes Verständnis der Trainingsintensität. Genau dem widmen wir uns als Nächstes.