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3.4 SCHULTHEORETISCHE ASPEKTE UND SCHULVERWEIGERUNG
ОглавлениеDie Schultheorie beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Ausformungen und Fundamenten des schulischen Handelns (vgl. Winkel 1997, S. 22 ff.). Die Schule hat u. a. den gesellschaftlichen Auftrag Kenntnisse und kulturelle Werte zu vermitteln, gleichzeitig aber auch als pädagogische Einrichtung zu fungieren (vgl. Ricking/Dunkake 2017, S. 25 f.). Die schultheoretischen Ansätze befassen sich auch mit den strukturellen Problemen des Schulsystems. Der Entwicklungsstand und die Erfahrungs- bzw. Lebenswelten der Schüler*innen sind sehr unterschiedlich.
Durch Überforderungssituationen, Informations- und Reizüberflutung reagiert das Gehirn durch Distanz und Ausblenden von Dingen. Die Personen stehen „neben sich“. Dieses Phänomen nennt sich Dissoziation. Schüler*innen und Lehrpersonen treten in solchen Situationen emotional aus dem schulischen Geschehen heraus, um sich zu schützen und einen Überblick zurückzugewinnen. In diesem Trancezustand können auch die Ressourcen und Kompetenzen vorübergehend verschwinden (vgl. Herrmann, 2018, S. 120).
Ein strukturelles Grundproblem der Schule scheint zudem die fehlende oder geringe Passung zwischen den Erwartungen und Bedingungen des Schulsystems und den Bedürfnissen der Schüler*innen (vgl. Ricking/Dunkake 2017, S. 26). Die KiGGS- Studie (vgl. Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland 2018, o. S.) belegt, dass 20,2 % der unter 18-Jährigen zur Risikogruppe „psychische Auffälligkeiten“ gehört (vgl. Klipker/ Baumgarten et al. 2018, S. 37 ff.).
Für Groeben haben dauerhafte Versagenserlebnisse schädigende Auswirkungen auf die kindliche bzw. jugendliche Psyche (negatives Selbstkonzept und negative schulische Einstellung) sowie auf die Motivation. Ihrer Meinung nach ist es heutzutage von Schulen zu erwarten, dass die Kinder und Jugendlichen bedarfsgerechte und differenzierte Unterstützungsangebote erhalten, sodass jene Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen ausgebildet werden, die für ein selbstbestimmtes Leben und eine partizipierende Daseinsentfaltung benötigt werden (vgl. Groeben 2011, S. 14 ff.).
Voraussetzung hierfür ist die Passung als Leitziel. Bohnsack spricht von einer unzureichenden „[…] Passung von Institution und Klientel und der mangelhaften ‚Passung‘ von Lerngleichschritt und individuellen Lernmöglichkeiten, Interessen und Bedürfnissen“ (Bohnsack 2013, S. 35).
Für Bohnsack stellt die Schule in ihrer jetzigen Form eine Gefahr für Versagen dar. Die Destabilisierung eines Kindes oder Jugendlichen durch Versagen gehört aufgrund der strukturellen Gegebenheiten zur Regelschule dazu (vgl. Bohnsack 2013, S. 238).
Die Schule verliert durch fehlende Passung viele Schüler. Sie verlieren die Freude am schulischen Tun, sehen keinen Sinn im Lernen und im Erkennen die persönliche Bedeutung von Lernhandlungen nicht (vgl. Helmke 1993 S. 77 ff.).