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Geleitwort von Elfie Czerny und Dominik Godat

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Stellen Sie sich vor, alle Menschen würden einander als Expert*innen für ihr eigenes Leben ernstnehmen und einbeziehen. Stellen Sie sich vor, alle hätten Interesse an den guten Gründen, die auch abweichendem Verhalten zugrunde liegt. Und dies nicht nur zwischen Erwachsenen, sondern vor allem auch mit Kindern und Jugendlichen. Stellen Sie sich vor, was wir voneinander lernen könnten, wenn wir so im Gespräch wären. Aus einem hierarchischen Verhältnis würde ein wahrhaftiges miteinander.

Johanna Kiniger macht genau dies in ihrer Arbeit: Sie hört zu. Sie nimmt die Jugendlichen ernst. Sie möchte mehr über die guten Gründe erfahren. Sie entwickelt ihre Arbeit gemeinsam mit den Jugendlichen. Und Sie lässt sie zu Wort kommen. Aus „Schulverweigerung als Problem“ wurde so in Gesprächen mit den Jugendlichen „Schulverweigerung als Entwicklungschance“. Aus einem Problem wird eine mögliche Lösung. Aus destruktivem Verhalten werden Entwicklungschancen. Und wenn wir ernsthaft zuhören, dann merken wir, dass Jugendliche – auch die, die nicht zur Schule gehen – lernen möchten. Sie möchten sich entwickeln. Oder wie Max es ausdrückt: „Ich will (…) wieder neugierig sein dürfen auf das Leben und die Zukunft.“

Dieser unkonventionelle Blickwinkel mag einige Leser*innen vielleicht verwirren. Uns begeistert er. Wir erinnern uns noch gut an die Jahrestagung des Austrian Solution Circle (ASC) 2019, an dem Johanna als Gewinnerin der ASC Forschungsförderung aufgezeigt hat, wie sich Jugendliche während ihrer Zeit der Schulverweigerung entwickeln. Jugendliche lernen in dieser herausfordernden Zeit mit Aufs und Abs das, was viele Erwachsene im Erwachsenenalter anstreben. Sie machen sich übers Leben Gedanken. Sie entdecken, was sie wirklich wollen. Sie entwickeln Strategien. Sie merken, was ihnen wichtig ist. Sie setzen sich mit sich und ihrer Umwelt auseinander.

„Für mich sind Schulverweigerer*innen erstmals junge Menschen, die längere Zeit nicht zur Schule gegangen sind“, antwortet unser geschätzter Kollege Michael Eisele, Schulleiter des LZB St. Anton, auf die Frage, ob sie in ihrer Schule einen speziellen Begriff gebrauchen, für Jugendliche, die Schule verweigern. Seine Aussage verdeutlicht, dass es immer zuerst um den Menschen gehen sollte. Schulverweigerung wird dann nicht nur für die Jugendlichen eine Entwicklungschance, sondern auch für die Schule.

Wir stellen uns gerne vor, wie die Welt aussehen würde, wenn alle Erwachsenen Jugendliche und Kinder so ernst nehmen. Wie ein Bildungssystem aussehen würde, in dem Lehrer*innen und Schüler*innen wirklich gemeinsam von- und miteinander lernen. Aus vorgegebenen Lerninhalten entstünde ein gemeinsamer Lernraum. Aus Ein- und Unterordnung würde ein gemeinsamer Dialog. Aus passend und unpassend würde ein Erkennen und Ernstnehmen von Unterschiedlichkeiten. Aus einem Einheitsbrei entstünde eine wahrhafte Vielfalt. Auseinandersetzen miteinander, Zuhören, Ernstnehmen, im Dialog bleiben und gemeinsam nach guten Möglichkeiten suchen, wären die Folge. Und sind dies nicht genau die Fähigkeiten, die wir in der Welt in Zukunft benötigen?

Wir erhoffen uns, dass die vorliegende Arbeit von Johanna Kiniger anregt, Jugendliche und Kinder ernster zu nehmen und mit ihnen gemeinsam heute die Schule von morgen zu entwickeln.

Elfie Czerny & Dominik Godat

Zentrum für Lösungsfokussierte GesprächsFührung

Schulverweigerung als Entwicklungschance?

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