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Kurt Tucholsky über Berliner auf Reisen 6 Redaktion der Weltbühne (Charlottenburg)

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Sitz der ehemaligen Redaktion der Weltbühne in der Wundtstraße 65

Kennen Sie Peter Panter? Oder Theobald Tiger? Oder vielleicht Ignaz Wrobel? Hinter all den Pseudonymen steckt ein und derselbe: Kurt Tucholsky. Er war so produktiv, dass er den Großteil der Weltbühne füllte, der Berliner Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, und sich hinter anderen Namen versteckte, um nicht zu dominant zu erscheinen. Nach dem Tode des Gründers Siegfried Jacobsohn im Dezember 1926 wurde Tucholsky für kurze Zeit sogar selbst zum Herausgeber. Es war die Zeit der Wirtschaftskrise, des Ruhrkampfs. Mit scharfer Feder kämpfte der gebürtige Berliner gegen Revanchismus und Völkerfeindschaft, suchte den Friedenskurs und die Aussöhnung mit Frankreich. Die Weltbühne hatte nicht die höchsten Auflagen, ihr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aber war nicht zu unterschätzen. Gerne gelesen wurden nicht nur die politischen Artikel, sondern auch Tucholskys Glossen. Im Januar 1926, noch Korrespondent in Paris, beschrieb er das Benehmen seiner lieben Berliner im Ausland. Hier einige Auszüge aus der Weltbühne:

»Es gibt zwei Sorten von Berlinern: die ›Ham-Se-kein-Jrößern?‹-Berliner und die ›Na-faabelhaft‹-Berliner. Die zweite Garnitur ist unangenehmer. Der nörgelnde Berliner ist bekannt. Er vergleicht alles mit zu Hause, ist grundsätzlich nicht begeistert, und, viel zu nervös, um in Ruhe etwas Fremdes auf sich wirken zu lassen, bekleckert er, was er sieht, mit faulen Witzen. Seine Stadt hat das schöne Wort ›meckern‹ erfunden. Dieser Berliner meckert.

Sein Kollege, der ›Unerhöört‹-Berliner, tut etwas anderes, nicht minder Schauerliches. Ich hab jetzt seit etwa achtzehn Monaten lobende Berliner vor Augen gehabt, und wenn sie anerkennen, machen sie das so:

Der lobende Berliner hebt sich zunächst selbst, wenn er lobt. Sein Lob, das meist kritiklos und unbegründet ist, bringt ihn in innige Verbindung mit dem gelobten Objekt, nach der Melodie: ›Was ich mir ansehe, ist eben immer gut – sonst sehe ich's mir gar nicht erst an!‹

Hat der Berliner aber einmal gelobt, dann gibt’s keine Widerrede und vor allem nichts mehr am Ort, was nun noch des Lobes wert wäre. ›Wenn Se den nich jesehn ham, ham Se übahaupt nischt jesehn –! Dixit.‹

Die Form des Berliner Lobes lässt deutlich erkennen, wie sehr der Tadel in dieser Stadt das Primäre ist – es wirkt immer wie ein ins Freundliche umgebogener, für dieses Mal nicht anwendbarer Tadel. ›Das ist schon sehr begabt!‹ – wieviel Huld, wieviel Leutseligkeit steckt darin! Dies Lob grüßt wie eine dicke Hand aus einer hochherrschaftlichen Limousine.

Bevor der Berliner aber tadelt oder lobtadelt, setzt er sich gestrafft aufs Richterstühlchen, und niemals, unter keinen Umständen, ist er locker und unbefangen. Er will diss nu mal genau feststellen – und die eingezogenen Lippen und das leicht zurückgenommene Kinn demonstrieren, wessen sich das Objekt der Kritik zu gegenwärtigen hat. ›Na, nu zeijen Sie mal, was Sie könn!‹ Worauf sich Notre-Dame, Sacha Guitry, die Seine und die Sonne von Chantilly abzuschwitzen haben.

Und ewig werde ich an das Wort eines Landsmanns denken, der nach vierwöchigem Aufenthalt das Wort der Worte über Paris gesprochen hat. Dieses: ›Paris – wat ist denn det für ne Stadt! Hier jibts ja nich mah Schokoladenkeks –!‹«

Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 in Moabit geboren. An seinem Geburtshaus in der Lübecker Straße 13 erinnert eine Tafel an den großen Publizisten, dessen großes Vorbild Heinrich Heine gewesen ist, eine weitere Tafel findet sich in Friedenau an der Bundesallee 79, wo er von 1920 bis 1924 lebte. Sein Einfallsreichtum war legendär. Um den Verkauf seiner Erzählung Rheinsberg: ein Bilderbuch für Verliebte zu fördern, hatte er auf dem Kurfürstendamm eine Bücherbar errichtet: Jeder, der ein Exemplar erwarb, bekam einen Schnaps dazu serviert. Sein Jurastudium brachte er nur mit Mühe zum Abschluss, er lebte schon ganz für die Schriftstellerei. Als er, zunehmend angefeindet, 1929 Deutschland verließ, schrieb er aus dem Exil Deutschland, Deutschland über alles, eine kritische Abrechnung mit dem dumpf-nationalen, bürgerlich-militärischen Denken vieler Deutscher. An deren Ende aber heißt es: »Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Feier, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat.«


Gedenktafel am Haus Wundtstraße 65

Wer war der Mensch Tucholsky? Dazu die hübsche Anekdote einer Buchhändlerin. Ende der Zwanzigerjahre betrat ein sehr normal aussehender, untersetzter, etwas dicklicher Herr ihre Charlottenburger Buchhandlung, trat an den Tisch mit den Neuerscheinungen und suchte sich einige Bücher aus mit der Bitte, sie ihm zuzusenden. Als er seinen Namen nannte, sah die Buchhändlerin erstaunt auf. Kurt Tucholsky! Der bekannte Schriftsteller und Journalist! In ihrer Buchhandlung, konnte das sein? Er lachte und sagte: »Ja, es ist richtig, ich bin Tucholsky – ich seh’ nur nicht so aus!«

Wenig später machte sich Hermann, der kleine Lehrling, auf den Weg, die Bücher zu liefern. Es verging eine Stunde, es vergingen zwei Stunden – Hermann kam nicht zurück. Endlich aber erschien er, mit freudestrahlendem Gesicht. »Wo bist du denn gewesen?«, fragte ihn seine Chefin. – »Na, doch bei Tucholsky.« – »Was, so lange?« – »Ja, als ich ihm die Bücher gab, fragte er mich: ›Was willst du lieber haben, ein Trinkgeld oder dass ich dir was auf dem Klavier vorspiele?‹ Natürlich habe ich gesagt: ›Was vorspielen.‹ Da hat er mich auf den Stuhl gesetzt und sich ans Klavier und hat mir bis jetzt vorgespielt. Es war wunderbar.«

Redaktion der Weltbühne

Wundtstraße 65

14057 Berlin


Kurt Tucholsky

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