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ZU DIESEM WERK

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Als wissenschaftlicher Insider wusste Littlejohn, dass die akademische Welt lieber falsche Thesen verteidigt, als sich neuen wirklich zu öffnen. Das war damals nicht anders als heute. Deshalb konzentrierte er sich von Beginn an ganz auf die junge Generation der Osteopathen, was die Herausgabe mehrerer osteopathischer Fachzeitschriften und seine umfangreichen Unterrichtsskripte im Vergleich zu den eher spärlichen Veröffentlichungen von Monografien erklärt. Sein Einfluss auf die frühe Osteopathie kann daher gar nicht genug gewürdigt werden, die wenigen Veröffentlichungen sollten aber auch dazu führen, dass sein enormes Vermächtnis nach seinem Tod eigentlich nur von dem englischen Osteopathen John Wernham in seiner ganzen Tragweite verstanden und am Leben gehalten wurde.

Der wohl größte bisher ungehobene Schatz der Osteopathie liegt in Littlejohns bisher unveröffentlichten umfangreichen Unterrichtsskripten. Aus seiner Zeit in Amerika sind das Principles, Physiology exhausted, Osteopathic Therapeutics: Diagnosis, Psychiatry, Psychophysiology und Osteopathy for lay people), aus seiner englischen Zeit die lecture notes.4

Da es zu den lecture notes bis heute keinen Zugang gibt, sind die drei großen amerikanischen Skripte die umfangreichste und beste Quelle, um Littlejohns Wissenschaft der Osteopathie wirklich studieren zu können. Und obwohl eine Veröffentlichung von Principles und Physiology exhausted vor dem zwischen 1898–1906 entstandenen Osteopathic Therapeutics: Diagnosis sinnvoll erscheint, habe ich Letzteres vorgezogen. Nach fast einem Jahrzehnt der Vorarbeit in Bezug auf die Veröffentlichung deutscher Texte, die den theoretischen, d. h. den philosophischen Unterbau der klassischen Osteopathie darlegen, war es nun einfach an der Zeit, auch den Vorhang in Bezug auf die klinische Arbeit in den Gründerjahren zu lüften. Und hierzu eignet sich meiner Meinung nach keine andere Abhandlung so hervorragend wie das Ihnen vorliegende Werk.

Wer Stills Bücher studiert hat erkennt bei Littlejohn sofort dessen Fähigkeit, die zwischen den Zeilen versteckten Ideen seines Lehrers minutiös freizupräparieren, sie wissenschaftlich zu durchleuchten und entsprechend so aufzubereiten, dass auch Fachleute sich ein kritisches Urteil darüber bilden konnten und auch noch immer können.5

Die Kernaussage dabei: Osteopathie ist keine alternative oder komplementäre Form der Medizin, sondern die höchste und modernste Weiterentwicklung der (funktionellen) Medizin jener Zeit. Und anders als Still, der seine Philosophie in einer Sprache für das einfache Volk verklausulierte, belegte Littlejohn dies mit unzähligen unwiderlegbaren anatomisch-physiologisch Argumentsketten. Die Brillanz seiner logischen Überlegungen, gepaart mit dem enormen akademischen Wissen seiner Zeit sind dabei bis heute einfach nur faszinierend. Abgesehen davon, dass Osteopathie historisch eindeutig nachweisbar die Grundlage der Chiropraktik und Chirotherapie ist, bilden die Arbeiten von Littlejohn und einigen Schülern wie H. H. Fryette und C. P. McConnell den Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Entwicklungen innerhalb der Medizin. Und Sie bietet klassischen Medizinern ebenso viel Stoff zur Inspiration und Diskussion wie ‚modernen‘ Osteopathen. Hier nur eine Auswahl, was Ihnen in diesem Buch begegnen wird:

Die Salutogenese steht im Zentrum allen Denkens und Handelns. Symptome sind niemals pathologisch, sondern stets ein physiologischer Ausdruck des lebendigen Körpers. Daher geht es niemals um das Behandeln einer Krankheit, sondern um das Optimieren physiologischer Prozesse durch Anpassung (nicht: Korrektur!) der anatomischen Rahmenbedingungen.

• Dies ist Grundlage für das freie Fließen der Körperflüssigkeiten als Medium der ‚Widerstandskraft‘. Eine künstliche Unterstützung (z. B. Medikation) ist nur in absoluten Ausnahme- und Notfällen vonnöten.

• Jede Form der Anwendung, die in diesem Sinne verfährt, repräsentiert Osteopathische Medizin in Reinform.6

• Osteopathie versteht sich daher nicht als Konkurrenz oder Ergänzung zur Medizin, sondern in der funktionell-klinischen Anwendung, d. h. also vorrangig im Bereich der Allgemeinmedizin als deren Weiterentwicklung.

• Zur Grundausstattung eines Osteopathen gehören Stethoskop, Blutdruckmessgerät und Mikroskop.

• Nicht nur Funktion und Struktur, sondern auch die Umwelt sind im Menschen aufeinander bezogen.7 Patientenzentrierte Überlegungen zur Ernährung, Psychosomatik, Sozialisation etc. sind Bestandteil jeder osteopathischen Behandlung.

• Osteopathie beschäftigt sich mit allgemeinen Erkrankungen. Muskuloskelettale Beschwerden fallen dabei oftmals unter die Rubrik ‚Symptome‘. Daher widmet sich das vorliegende Skript auch nicht einmal zu 5 Prozent dem Bewegungsapparat als Ursache für Erkrankungen.

• Stills und Littlejohns Zugang zur Osteopathie war rein anatomisch-physiologisch. Für Sie galt die Prämisse: Physiologisch denken, anatomisch (be)handeln!

• Bei den Anwendungen erfolgt niemals eine Korrektur, sondern stets eine Anpassung der Strukturen an sich selbst. Damit wird nie konzept- sondern stets prozessorientiert gehandelt.

• Still und Littlejohn haben Techniken demonstriert, aber niemals unterrichtet. Sie waren davon überzeugt, dass mit exzellenter Kenntnis der Anatomie und Physiologie sowie einem gesunden Menschenverstand die Techniken leicht antizipiert werden können. Die Überzeugung, dass Osteopathie ausschließlich hands-on vermittelt werden kann, ist demnach falsch.

• Für Still und Littlejohn drücken sich alle Aspekte des Menschen, d. h. auch seine nicht-physischen Anteile, im Körper aus, weshalb der Behandler auch nur darüber wirken kann. Eine direkte metaphysische Wirkung, so wie etwa in der energetischen Osteopathie, ist in der klinisch-osteopathischen Arbeit nicht möglich.

• Die Nervensysteme (ZNS und Vegetativ) spielen eine zentrale Rolle. Alle Techniken der anatomischen Anpassung, v. a. die Techniken zum Ausbalancieren der Nervensysteme zielen alle darauf ab, Behinderungen im freien Fließen der Körperflüssigkeiten zu beseitigen. Den vaso- und viszeromotorischen Funktionen des Vegetativen Nervensystems kommt dabei die überragende Bedeutung zu.

• Folgende Behandlungselemente werden in Ansätzen oder ausführlich beschrieben: Physiotherapeutische Übungen, Kraniale Behandlung, Viszerale Behandlungen, Lymphdrainage, Thermodiagnostik, Elektrotherapie, Atlas-Therapie, Rhythmische Arbeit (wie etwa bei Maitland), Farblicht-Therapie, Muskeltriggerpunkte, METs, Orthopathische Therapie, Ernährungsberatung, Augenhintergrunddiagnostik, Übertreibungstechniken, HVLA-Techniken, etc. etc. Und alles in einem System integriert, namentlich Osteopathie.

Diese Liste ließe sich noch beliebig erweitern, und interessierte Leser werden sicherlich noch einige Stellen finden, die gerade die moderne Osteopathie v. a. in ihrer Stellung zur Medizin zu unbequemen Fragen zwingt. Gleichermaßen finden sich einige Überlegungen, deren Grundsätze sich v. a. die moderne Chiropraktik und Chirotherapie auf die Fahne schreiben, die aber historisch nachweislich von Still und Littlejohn stammen. Auch hier fordert das Buch indirekt zur Korrektur in der Außendarstellung auf.

Osteopathische Diagnostik und Therapie

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