Читать книгу Take care, Baby! - Jolene Thompson - Страница 5

Beno

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Schnell zurück in den Eiskeller, dann wurde ich auch wieder munter. Jessi saß bereits wieder an ihrem Platz, als ich zurückkam. Sie wedelte mit einer Akte und deutete aufgeregt in Richtung Büro, während sie das Telefon am Ohr klemmen hatte. Ich verstand sie nicht so richtig und nahm ihr die Akte ab. „Benicio del Santo“, murmelte ich vor mir her, während ich den Gang zu meinem Büro hinunter ging. In Klammern stand dahinter „Beno“. Wieder einer von diesen Jungs. Geboren in Puerto Rico. Ein Latino also, davon gab es hier etliche. Ich sah noch mal genauer hin. „Ach, du gute Güte!“ Das schien ja der Chef höchstpersönlich zu sein! Nach all den Erzählungen und Berichten seiner Jungs hatte ich mir mein eigenes Bild eines mittelalten, zähen Kommandanten um die 50 gemacht. Fast Glatze, durchtrainiert und von den ganzen Einsätzen mit Narben gekennzeichnet. Der Job musste einfach einen Menschen in diese Richtung prägen. Aus Puerto Rico stammend, passte ja schon mal nicht in dieses Bild, und, da stand es ja, er war erst dreiunddreißig! Noch so jung, nur vier Jahre älter als ich. Ich blätterte weiter in der Akte. Und schon zwölf Jahre hier im Dienst. „Na, früh übt sich und immer noch am Leben“, dachte ich sarkastisch. „Dann mal los.“ Ich war sogar ein bisschen aufgeregt und machte mir Mut. Seit zwölf Jahren im Einsatz. Das war eine lange Zeit, so lange hielten nicht alle durch. Die Liste der Einsätze war endlos lang. Schon ziemlich unheimlich so ein Typ! Wie viele Menschen wohl wegen ihm das Leben lassen mussten? Wie oft sein Leben schon am seidenen Faden gehangen war? Als ich mein Büro betrat, musste ich mich erst mal umsehen. Wo war er denn? Ganz hinten am Fenster saß jemand auf einem Stuhl, auf den sich zuvor noch nie ein Patient gesetzt hatte. Ich saß manchmal da hinten, die Füße auf die Heizung gestützt, mit den Unterlagen auf den Knien. Der Blick nach draußen lenkte mich fast immer von meiner Arbeit ab. Dieser Mann hatte ein Knie angezogen und den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Es sah aus, als ob er eingeschlafen war. Er rührte sich jedenfalls nicht, als ich den Raum betrat. Auch die Kleidung passte nicht in das übliche Bild. Weißes T-Shirt, das sich perfekt seinem durchtrainierten Oberkörper anpasste, ausgewaschene Jeans und ausgelatschte Cowboystiefel. Der durfte sich ja einiges rausnehmen! Auch sah ich keine kurzgeschorenen Haare, sondern schwarzes mittellanges Haar, das schwer zu bändigen schien. Das war sehr unüblich und machte mich neugierig. „Guten Tag, Beno.“ Ich machte mal den Anfang. Keine Reaktion. Ich ging zu ihm rüber und berührte ihn an der Schulter. „Hallo?“ Langsam glitt ein Arm herunter, er drehte den Kopf und sah mich müde und matt lächelnd an. „Hi.“. Auch wenn er total fertig war, mit dunklen Rändern unter den Augen, sah er umwerfend aus. Ich musste mich erst räuspern, so einen Eindruck hatte bislang noch keiner meiner Patienten auf mich hinterlassen. Eigentlich hatte ich mich, was das anbelangte, ganz gut im Griff. Hübsche Männer waren ja oft dabei, aber der hier toppte alles. Meine Knie waren tatsächlich ganz wackelig, und ich setzte mich auf den Stuhl hinter mir. Hoffentlich merkte er mir nichts an. „Alles gut? Wann bist du denn von deinem letzten Einsatz wiedergekommen?“ Warum duzte ich ihn einfach? Machte ich doch sonst auch nicht. „Letzte Nacht.“ Er sah mich nicht einmal an dabei, sondern starrte aus dem Fenster. „Willst du dich nicht erst mal ausschlafen und dann treffen wir uns morgen früh wieder hier?“ Ich hatte ja fast ein schlechtes Gewissen, ihn mit zur Physio zu schleppen und sah auch wenig Sinn in einer Befragung. Das Gespräch würde wohl auch eher auf einen Monolog meinerseits hinauslaufen. „Okay. Ich werde es mal versuchen“, meinte er müde. „Kannst du denn nicht schlafen?“, fragte ich, ganz der Psychologe und wieder Herr der Lage. „Hatte einfach wenig Gelegenheit dazu.“ Er stand auf und kam zu mir rüber. Er war gut einen halben Kopf größer als ich und sehr athletisch gebaut. „Wann soll ich morgen früh hier sein?“ „Ähm, so gegen 9.00 Uhr und wir machen dann gleich danach die Physio.“ Er sah mich fragend an. „Diesen Gesundheitscheck. Hast du doch bestimmt schon mal gemacht“, meinte ich fast verlegen. Er sah eher so aus, als ob er die Geräte zum Überkochen bringen würde. „Ah ja. Bis morgen dann.“ Er schenkte mir ein erschöpftes und dennoch umwerfendes Lächeln und verließ den Raum. Ich setzte mich erst mal auf meinen Schreibtisch und fächelte mir mit seiner Akte Luft zu. Puh, ich bekam Hitzewallungen. Ob meine Entscheidung richtig war? Durfte ich überhaupt Termine verschieben? Ob er morgen tatsächlich erscheinen würde? Er machte den Eindruck, als ob ihm das alles hier total egal wäre. Keine unnötigen Verpflichtungen. Ich studierte noch eine Weile seine Akte und verließ dann mein Büro. Bevor ich Jessi Bericht erstatten konnte, musste ich erst einmal meine Fassung wiedergewinnen. Sie würde mich bestimmt mit Fragen löchern. Auf dem Flur kam mir General Spencer entgegen. Ein lautpolternder, selbstgefälliger Mann älteren Semesters. Er schien immer in einem militärischen Tarnanzug rumzulaufen. „Und, kann ich das Gutachten von ihrem letzten Patienten haben?“ Manieren schien er auch nicht zu kennen. „Entschuldigen Sie bitte, ich werde es morgen schreiben.“ Er sah mich ungläubig an. „Was? Wie meinen Sie das? Jetzt war der Termin und ich brauche, verdammt noch mal, das Gutachten.“ Sein Kopf lief rot an und ich gruselte mich vor den Schweißperlen auf seinem kahlrasierten Schädel. Was für ein hysterischer Mensch! „Entschuldigen Sie, Sir. Del Santo war zu müde. Wie soll ich jemanden befragen, der im Stehen schläft? Er soll etwas schlafen und frisch morgen früh bei mir erscheinen.“ Er schnaubte verächtlich. „Holen Sie ihn umgehend zurück. Ich brauche augenblicklich das Gutachten. Oder glauben Sie im Ernst, er wird sich morgen nochmal hierher begeben?“ Ich holte tief Luft. Sollte ich mich doch getäuscht haben? „Sir, gleich morgen früh erscheint er hier bei mir. Da bin ich mir sicher. Dann schreibe ich sofort das Gutachten und lege es Ihnen noch bis morgen Mittag vor. Einverstanden?“ Er sah mich durchdringend an. Frauen, die ihre eigene Meinung vertraten und sich nicht von ihm einschüchtern ließen, gingen ihm offensichtlich gegen den Strich. Er hob seinen Zeigefinger und deutete auf mich „Ich warne Sie. Morgen zwölf Uhr. Nicht später!“ Dann rauschte er davon. Ich atmete erst mal tief durch und bog dann langsam in den nächsten Gang ein. Mein Herz raste. Im ganzen letzten Jahr hatte ich noch nicht eine Begegnung dieser Art. Der Knoten meiner Jacke löste sich, und sie fiel zu Boden. Da ich den Stapel Akten trug, konnte ich sie nicht mehr auffangen und hangelte unbeholfen nach ihr. Erst jetzt bemerkte ich, dass neben mir doch tatsächlich Beno stand, lässig gegen die Wand gelehnt, die Hände in den Hosentaschen. Sein Grinsen war fast frech, aber auch das stand ihm unverschämt gut, schoss es mir sofort durch den Kopf. Er musste jedes Wort mitbekommen haben. So ein Flegel! Er bückte sich und hob meine Jacke auf. Dann trat er vor mich, band mir meine Jacke mit einem festen Knoten wieder um die Hüfte und sah mir dabei unverfroren in die Augen. „Dann bis morgen, Kristy. Neun Uhr? Und nimm doch bitte ein paar Laufschuhe mit.“ Wofür denn Laufschuhe? Ich fand allmählich meine Sprache wieder: „Ich rate Dir dringend, morgen zu erscheinen! Ich hänge an meinem Job!“ Er lachte laut auf und verschwand grinsend in die andere Richtung. Ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Langsam ärgerte ich mich über diese Hitzewallungen und nahm mir vor, morgen immun gegen sein freches, aber unverschämt charmantes Auftreten zu bleiben. Diesmal war ich vorbereitet und wusste, was mich erwarten würde. „Sei stark!“, dachte ich mir und machte mich mit dringendem Mitteilungsbedarf auf den Weg zu Jessi.

Am nächsten Morgen verzichtete ich auf meine Joggingrunde. Wer wusste, was heute noch auf mich zukam? Stattdessen nahmen Paula und ich ein herrlich erfrischendes Bad im Meer. Nach einer Dusche machten wir uns auf den Weg zum Bunker. Meine noch nassen, langen Haare hatte ich zu einem Zopf gebunden und trug eine dreiviertellange Jogginghose. Meine Turnschuhe hatte ich im Korb dabei. Für alle Fälle gerüstet, aber auch so gekleidet, wie es durchaus für mich üblich war. Ich wollte noch kurz Jessi aufsuchen, aber die war untypischerweise nicht an ihrem Platz. Wo sie wohl steckte? Sie kam geradewegs aus meinem Büro, als ich die Tür öffnen wollte. Ich sah sie überraschend an. Der Grund ihrer leicht geröteten Wangen und weshalb sie wie ein Backfisch kicherte, hockte lässig auf meinem Schreibtisch. Sieh einer an, heute wurden mir meine Unterlagen sogar direkt auf den Tisch gelegt. „Hi, wie sieht’s aus? Wie du siehst, ich bin hier und auch noch pünktlich.“ Beno lächelte mich frisch und munter an. Er sah topfit aus, stellte ich überraschend fest. Wo waren die mitleidserregenden Augenringe? Schien sich schnell zu erholen, der Bursche. „Sei tapfer, lass dich nicht aus dem Konzept bringen!“, sagte ich zu mir selbst. „Na, du bist tatsächlich gekommen. Ich gestehe, ich bin ein wenig überrascht. Und du siehst deutlich besser aus als Gestern. Nicht so halbtot“, bemerkte ich trocken. Warum war ich bloß so humorlos? Er grinste nur noch breiter. „Ich befrage dich hier kurz und dann gehen wir eine Etage tiefer und machen diesen Fitnesstest. Was meinst du?“ Er nickte. „Du auch?“ „Was? Den Test?“, fragte ich überrascht. „Ich mache ihn mit dir, also, ich meine bei dir.“ Ich könnte mich ohrfeigen für dieses Gestammel! „Bei mir, mit mir. Ich stehe zu deiner Verfügung.“ Das klang ja verlockend, dachte ich und er fuhr fort. „Könnten wir vielleicht auch einen kleinen Lauf über das Gelände starten? Anstelle des Zeugs da im Keller?“ Dabei sah er mich so unschuldig und harmlos an, dass ich fast lachen musste. Bestimmt war das eine perfekte Tarnung. „Du kannst kaum mit den ganzen Drähten über das Gelände laufen! Und den Kasten dabei schleppen“, lachte ich laut los. Locker war es ja mit ihm. „Okay, dann laufen wir jetzt und du befragst mich dabei, ohne Drähte. Hier bin ich nicht sehr redselig.“ Im Moment hatte ich zwar einen anderen Eindruck, aber warum nicht. „Einverstanden, aber danach machen wir den Test. Du wirst jawohl fit genug für beides sein. Und nur, wenn wir gemütlich laufen, kein Rennen. Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich eine leidenschaftlicher Läuferin bin?“ „Du hast schließlich gestern jedem hier einen Blick auf deine durchaus trainierten Beine gewährt.“ Er grinste frech und hatte mal wieder gewonnen, aber es brachte mir Spaß. Das musste ich mir ja eingestehen. Ich zog meine Laufschuhe an und folgte ihm auf den Flur. Jessi sah uns verwundert hinterher. Ich winkte ihr noch schnell lässig zu. Wir gingen erst eine Weile. „Kennst du dich hier gut aus?“ Beno ging rückwärts vor mir her. „Eigentlich so gar nicht. Außer in dem Gebäude, in dem mein Büro ist, dem Physiokeller und der Kantine bin ich noch nirgends gewesen“, musste ich zu meiner Schande gestehen. „Na, dann wird es ja Zeit!“ Wir liefen in einem gemütlichen Tempo los und passierten mehrere Gebäude. Er erklärte mir genau, was in welchem Haus stattfand. Und das war durchaus interessant. „Wohnt Ihr eigentlich auch hier?“ „Ja, da drüben.“ Er zeigte auf eine Reihe etwas abseits gelegener flacher Barracken. Vor den Häusern standen etliche Motorräder, Autos konnte ich keine sehen. „Dann bist du wahrscheinlich auch nicht so oft draußen, oder? In der Stadt oder am Strand?“ „Doch, recht oft, wenn ich mal hier bin. Ich jogge gern draußen und laufe meist Richtung Strand.“ Er war noch so gar nicht aus der Puste. „Läufst Du viel?“, frage ich neugierig. „Stressbewältigung, es macht einen klaren Kopf. Ich gehe lieber laufen, als ins Gym.“ Wir liefen an einem Zaun entlang, der hinter dem der Flugplatz lag. Etliche Helikopter standen dort und schienen auf den nächsten Einsatz zu warten. Hierzu erwähnte er gar nichts. Wahrscheinlich war es nicht sein Lieblingsort. So langsam gelangten wir an meine gewohnte Laufzeit. Selten lief ich länger als dreißig bis vierzig Minuten. Er schien es zu bemerken und steuerte auf einen Grasstreifen zu. Dort setzte er sich ins Gras und fing an, Liegestützen zu machen. Dankbar setzte ich mich hin und beobachtete fasziniert, wie er erst beidarmig, dann einarmig, den Arm wechselnd usw. seine Übungen zelebrierte. Es sah so einfach aus. War das jetzt Imponiergehabe? Ich würde zusammenbrechen. „Hast du schon mal überlegt, aufzuhören? Du bist ja schon sehr lange dabei.“ Er setzte sich hin und war immer noch nicht so richtig außer Atem. „Natürlich, ständig. Man denkt so ungefähr nach jedem Einsatz daran. Aber, aus welchem Grund auch immer, man macht immer weiter. Was soll ich auch sonst machen?“ Diese Frage konnte ich natürlich auch nicht beantworten. „Bist du schon mal verletzt worden?“ „Beulen trägt man oft davon, aber ernsthaft? Nein, zum Glück noch nicht.“ Er klopfte sich mit der Faust an seinen Kopf. „Hast du Familie?“ Er sah schweigend auf den Boden. Ich war wohl doch etwas zu indiskret geworden. „Sind das Fragen aus dem Fragenkatalog? Ja und nein. Kaum jemand von uns hat Familie. Die Jungs hier sind wie meine Familie“, bemerkte er trocken. „Irgendwann werde ich hier als Ausbilder landen und die Einsätze vom Boden aus koordinieren.“ Er legte sich rücklings ins Gras. „Ich muss sagen, der Gedanke gefällt mir.“ „Ich soll nachher dein Gutachten schreiben. Was möchtest du denn? Eine kleine Auszeit? Sie werden dich sonst bestimmt bald wieder einsetzen.“ Ich hatte so etwas noch nie einen Patienten gefragt. Er stand auf, reichte mir die Hand und zog mich hoch. „So läuft das hier also!“ Er grinste mal wieder frech. Ich schaute verlegen zu Boden: „Nein, eigentlich lief das noch nie so.“ „Also, wie immer. Einem nächsten Einsatz steht nichts im Wege.“ Dabei sah er mir tief in die Augen und ich versank fast in diesem Blick. „Nein, ehrlich. Kein Problem. Das ist mein Job. Können wir eventuell auf den Sporttest verzichten? Ich muss gleich los. Habe ein Meeting.“ Ich musste lachen: „Ich glaube, das geht klar. Scheinst ja fit genug zu sein. Wir haben auch keine Zeit mehr dafür. Ich muss den Bericht bis Mittag fertig haben.“ Wir machten uns im Schritt auf den Heimweg. „Kannst du die ganzen Eindrücke, die du erlebst, verdrängen? Beiseite schieben, wenn du wieder hier bist?“ Jetzt war ich mehr neugierig, als fachmännisch. „Manchmal ja, manchmal nein. Man muss sich auf seinen Auftrag konzentrieren. Wenn du abweichst, kann es dich das Leben kosten.“ „Hast du ein Beispiel für mich?“ Er wurde langsamer. „Du weißt, ich darf nichts erzählen. Das sind alles Staatsgeheimnisse. Ja, aber es gibt viele Beispiele. Bei der letzten Mission musste ich mit ansehen, wie ein Soldat einer harmlosen Zivilistin von hinten in den Rücken schoss. Sie trug ihr Kind auf dem Arm. Es war noch ganz klein, konnte noch nicht laufen. Sie stürzte um und das Kind fiel auf die Straße und lag schreiend da. Niemand kümmerte sich um das Kind. Zahlreiche Leute liefen an ihm vorbei. Panisch vor Angst, nur an sich selbst denkend. Ich wäre am liebsten hingelaufen und hätte es gerettet. Aber das kann mich mein Leben kosten. Und das war auch nicht mein Job! Ich helfe nicht, in dem ich eine einzelne Person rette. Mein Auftrag ist, die Personen, die oben auf der Pyramide stehen, zu beseitigen. Die Befehlshaber, darunter das ausführende Organ. Die leidtragende Bevölkerung steht ganz unten.“ Er machte eine kleine Pause. „Werden die Befehlshaber eliminiert, hat das Volk eine Chance, sich neu zu organisieren. Es wird noch viele Tote geben, bis Stabilität eintritt, aber der Stein wird dadurch ins Rollen gebracht, der einzige Weg dadurch frei gemacht.“ Ich sah ihn entsetzt an und musste unweigerlich an die Nachrichten von vor drei Tagen denken. Irgendwo in einem östlichen Gebirgsstaat war ein Diktator ausgeschaltet worden. Ob Beno was damit zu tun hatte? Unglaublich! Ich war ganz betroffen. Was lebte ich bloß in einer kleinen, heilen Welt! Und die große Welt da draußen war so brutal. Und es gab tatsächlich Menschen, die diesem Terror den Kampf angesagt hatten und ihr Leben dafür riskierten. Ich fühlte mich ganz armselig. „Tut es dir leid, so etwas zu tun?“ Beno sah mich überrascht an. „Hättest du Mitleid mit jemanden, der zahlreiche Menschen foltern und umbringen ließ? Oder etwa mit Typen, die Drogen in Umlauf bringen und zahlreiche Menschen dadurch in Abhängigkeit bringen und töten?“ „Nein, du hast Recht. Trotzdem könnte ich niemanden töten.“ „Du weißt nur nicht, wie du sie töten kannst. Das kann man hier durchaus lernen.“ Ich erschauerte und er ergänzte schnell. „Nein, nein, damit scherzt man nicht.“ Wir waren wieder bei meinem Bürogebäude angekommen. „Dann schreib mal schön. Ich gehe jetzt duschen. Bis morgen.“ Er drehte sich um und joggte schnell davon. Gedankenverloren stand ich vor dem Eingang. Warum hatte er es jetzt so eilig? Noch nie hatte mich ein Gespräch mit einem Patienten so beschäftigt. War er eigentlich ein Patient? Sollte er ja, aber es fühlte sich so anders an. Irgendwie vertrauter und ich war total neugierig, mehr über ihn zu erfahren. Er hatte ‚Bis Morgen‘ gesagt. Mal sehen, was das bedeutete.

Schnell nahm ich eine Dusche und schrieb dann den Bericht. So, wie Beno es wünschte. Ich legte ihn pünktlich auf den Schreibtisch von General Spencer, vermied es aber, ihm zu begegnen. Dann suchte ich Jessi, um mit ihr etwas essen zu gehen. Sie bombardierte mich natürlich mit Fragen, aber sehr redselig war ich nicht. „Kristy, den darfst du dir bloß nicht durch die Lappen gehen lassen. Der ist ja umwerfend. Ein echtes Sahneschnittchen. Ob sich noch mehr davon hier rumtreiben?“ Das war mal wieder typisch Jessi. Immer auf Angriff. Nicht nur das unterschied uns voneinander. Wir sahen auch grundverschieden aus. Ich war relativ groß und eher zu dünn. Jessi war klein und sexy, mit weiblichen Rundungen und einem Kussmund, den sie gern mit rotem Lippenstift noch betonte. Ihre blonden Locken fielen ihr ständig ins Gesicht. Sie flirtete immer mit den Jungs, die gern an ihrem Tresen anhielten und sich schwerlich von ihr trennen konnten, um zu mir ins Büro zu gehen. Ich schüttelte den Kopf und musste unweigerlich lachen. Sie strahlte mich an. „Mausi, wie wär es denn heute Abend mit einem Mädelsabend? Jackie hat mich gefragt. Um acht Uhr im Henry’s? Und dann musst du einfach mehr erzählen. Ich platze vor Neugierde.“ Die Idee gefiel mir. „Gern, das ist eine gute Idee. Wollt ihr danach noch weiter? Wenn nicht, nehme ich Paula mit.“ Jessi war voll in ihrem Element. „Das lassen wir doch mal locker auf uns zukommen. Ich freue mich schon!“

Take care, Baby!

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