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ОглавлениеMontag, 25. November, 10.30 Uhr
Tomás
Britney Spears sah lüstern zu Tomás herauf, das Kinn auf ein Schambein gestützt. Und das Geilste daran war, dass es sein Schambein war, dachte Tomás. Sie lagen zwischen zerwühlten Laken in seinem Bett, über dessen Kopfende die getragenen Hemden der letzten Woche hingen. Ein Teller mit Edamame-Schalen auf dem Schreibtisch verbreitete einen unangenehmen Geruch. Nichts davon schien Britney zu stören, zumindest ließ der Ausdruck von Verzückung auf ihrem Gesicht das vermuten. Er richtete den Blick zur Decke, als sie den Kopf wieder senkte und sich zwischen seinen Beinen zu schaffen machte. Tomás ließ sich von der Lust mitreißen, während er über die begnadete Kehle der Sängerin sinnierte. Die Wonne verwandelte sich in Bestürzung, als Britney anfing, sonderbare Laute auszustoßen, als würde sie jeden Moment krepieren.
Schweißgebadet schrak er auf, den erigierten Penis in der Hand. Jemand klingelte hartnäckig an seiner Wohnungstür. Er warf sich den Morgenmantel über und schlurfte den kleinen Flur entlang zum Eingang. Kurz darauf blickte er in Marios hochrotes, verschwitztes Gesicht.
»Was ist denn? Du hast mich aus dem Schlaf gerissen, ich war gerade kurz davor, Britney Spears zu vögeln«, beschwerte sich Tomás und ließ Mario herein, verwirrt und sauer über den vereitelten Fick.
»Mit oder ohne Kondom?«
»Wer vögelt im Traum schon mit Kondom?«
»Na, dann hättest du dir ohne mich vielleicht noch einen Tripper eingefangen«, erwiderte Mario.
Tomás, der am liebsten gleich wieder zu Britney ins Bett gekrochen wäre, tröstete sich mit dem Gedanken, dass man sich im Traum auch nicht anstecken konnte. Aber in einem Punkt musste er Mario recht geben: Meine niederen Instinkte könnten durchaus einen besseren Geschmack haben.
»Ich versuche seit Stunden, dich anzurufen. Hast du noch überhaupt nichts mitgekriegt?«, fragte Mario mit gequälter Miene und ließ den Blick auf der Suche nach dem Handy seines Freundes durchs Zimmer schweifen.
»Was ist denn los, Mann? Brennt’s irgendwo?«
Das Problem mit Mario ist, dachte Tomás, dass er es mit seiner Sorge um andere immer übertreibt, vor allem, wenn es um mich geht. Man merkt, dass er nicht besonders viele Freunde hat.
»Kann ich noch nicht sagen, aber wie’s aussieht, kann’s ein Flächenbrand werden.«
»Jetzt sag endlich, was los ist, da kriegt man ja Angst.« Im Grunde glaubte Tomás nicht, dass Mario in der Lage war, jemandem Angst zu machen, aber er konnte einen in den Wahnsinn treiben.
»In den Nachrichten gibt es heute Morgen kein anderes Thema als deine Kolumne. Der Staatsanwalt hat sie als heiße Luft abgetan, aber jemand von der PRD hat in der Sendung von Carmen Aristegui bestätigt, dass sie gegen den Innenminister ein Verfahren einleiten wollen.«
Tomás war noch zu verschlafen, um sich zu erinnern, was er am Tag zuvor geschrieben hatte. Doch die Erwähnung des Staatsanwalts und des einflussreichen Innenministers ließen bei ihm die Alarmglocken schrillen und vertrieben den letzten Hauch seiner Nacht mit Britney. Allmählich erinnerte er sich an die eine oder andere Zeile der eilig getippten Kolumne, die er am Vorabend an die Zeitung geschickt hatte.
»Und Los Pinos? Haben die in der Residenz des Präsidenten schon was von sich hören lassen? Wie spät ist es?«, fragte Tomás und blickte zum Fenster.
Der schmale Streifen Sonnenlicht, der durch den Spalt zwischen den Vorhängen drang, machte lediglich den im Zimmer schwebenden Staub sichtbar und gab kaum Hinweise darauf, wie weit fortgeschritten der Tag schon war, an dem es, glaubte man Mario, einen Flächenbrand geben würde. Tomás versuchte, sich an die Einzelheiten seiner Kolumne zu erinnern, aber der Kater machte es ihm schwer. Er war stolz auf seine gesunde Einstellung, sich über einen Text, unter den er einmal einen Schlusspunkt gesetzt hatte, keine weiteren Gedanken mehr zu machen. Es war schon lange her, dass er sich über die Wirkung seiner Kolumne den Kopf zerbrochen hatte. Doch nach dem, was Mario berichtete, würde sein gestriger Artikel nicht so schnell im Reich des Vergessens versinken wie die anderen.
Während Tomás in der Hoffnung auf Antworten in seinem Gedächtnis kramte und den Computer hochfuhr, zog Mario die Vorhänge auf und durchsuchte die Küchenschränke nach Kaffee.
Der erste Blick auf den Bildschirm bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Normalerweise schrieb er über Politik, nicht über Polizeimeldungen, aber diesmal hatte er spontan ein paar exklusive Informationen verwertet, nebensächliche Details über den Fund von Pamela Dosantos’ Leiche vor fünf Tagen. Er hatte ansonsten lediglich zusammengefasst, was über den Fall bekannt war, und ein paar vage Bemerkungen hinzugefügt, um auf die neunhundert Wörter zu kommen, die der Meinungsredakteur verlangte. Wie so viele seiner letzten Artikel hatte er auch diesen einfach runtergetippt, beflügelt von der Aussicht, anschließend seine Freunde im La Nueva Flor del Son zum Salsatanzen zu treffen.
Mario riss ihn aus seinen abschweifenden Gedanken. »Jetzt geh schon Duschen und zieh dir eine Krawatte an, die Journalisten werden dir heute die Bude einrennen.«
Die Bemerkung lenkte Tomás’ Gedanken auf ein anderes, wenngleich im Moment nebensächliches Problem: den erbärmlichen Zustand seiner insgesamt vier Krawatten, die er so gut wie nie trug.
»Woher hast du eigentlich die Informationen?«, wollte Mario wissen.
»Welche Informationen? Was soll die ganze Aufregung überhaupt? Ich habe doch nur den Fall Dosantos zusammengefasst, von dem sowieso die halbe Welt redet«, verteidigte sich Tomás und begann laut vom Bildschirm abzulesen:
Medienberichten zufolge betraten Alfonso Estrada, von Beruf Maurer, und Ricarda Pereda, Hausfrau, für ein romantisches Tête-à-tête das verlassene Brachgelände in der Calle Filadelfia in der Colonia Del Valle. Eine große Teppichrolle im Gestrüpp, vom Bürgersteig aus nicht sichtbar, schien ihnen für ihr Vorhaben gerade recht: »Ein kuscheliger Plausch«, wenn es nach Ricarda ging – »eine schnelle Nummer«, hätte man Alfonso gefragt. Wie auch immer die Entscheidung ausgefallen wäre, das Stelldichein war beendet, als sie den Fuß entdeckten, der an einem Ende aus dem aufgerollten Teppich ragte.
»Im restlichen Text beschreibe ich nur den beruflichen Werdegang der Dosantos, ihre ruhmreiche Karriere, ihren gefeierten Auftritt in der Telenovela La Reina del Sur und als Geliebte großer Potentaten und einflussreicher Männer. Außerdem weise ich noch darauf hin, dass sie kürzlich ein Restaurant in Polanco eröffnet hat, mit großem Erfolg, und lege nahe, dass man vielleicht unter den Unternehmern und Politikern ermitteln sollte, die dort regelmäßig verkehren. Aber Namen habe ich keine genannt, keinen einzigen«, beendete Tomás erschöpft sein langes Plädoyer.
»Das war auch gar nicht nötig«, erwiderte Mario. »Es weiß auch so jeder, von wem die Rede ist.«
Und da fiel bei Tomás endlich der Groschen. In dem Artikel behauptete er, die Polizeikräfte gingen davon aus, dass man die Leiche auf dem Brachgelände deponiert habe, zumal das Fehlen von Blut darauf hindeute, dass die Dosantos an einem anderen Ort verstümmelt und ermordet worden sei. Zu allem Überfluss hatte er dann noch geschrieben, dass die Aufmerksamkeit der Behörden einer alten Villa mit der Hausnummer 18 in ebenjener Calle Filadelfia gelten sollte, vierzig Meter vom Fundort des Opfers entfernt.
Tomás musste einräumen, dass ein seriöser Journalist das Gebäude zuerst überprüft hätte, bevor er es in einem Zeitungsartikel erwähnte; er selbst hätte genau das vor ein paar Jahren noch getan. Aber er war schon seit einiger Zeit ziemlich frustriert wegen seiner Kolumne, die niemand zu lesen schien – außer Mario und vielleicht einem Dutzend Bekannter, und die auch nicht immer mit dem größten Wohlwollen.
Er verspürte wieder das unangenehme Stechen, das ihn schon am Vortag heimgesucht hatte, als er die Hausnummer erwähnt hatte, ohne den Bewohner des Hauses zu kennen. Noch hatte er genügend Skrupel, dass die Alarmglocken läuteten, wenn er gegen journalistische Grundregeln verstieß, doch manchmal überwog sein Zynismus. Jedenfalls führten die Gewissensbisse nicht mehr zwingend zur Selbstzensur. Tomás erinnerte sich jetzt, dass es in demselben Artikel noch eine weitere Stelle gab, die ihm Bauchschmerzen bereitet hatte. Er hatte geschrieben: »… so würde es am Ende doch niemanden überraschen, wenn wir nach erfolgreichem Abschluss der Ermittlungen feststellten, dass das Leben wieder einmal die Kunst nachahmt.« Ihn hatte nicht nur das alberne Klischee gewurmt, sondern auch die Andeutung, Dosantos’ Filme hätten etwas mit Kunst zu tun. Dennoch hatte er den Satz stehen lassen und den Text abgeschickt.
»Wem gehört denn das Haus?«, fragte Tomás inzwischen doch nervös.
»Du weißt es wirklich nicht?«, erwiderte Mario ungläubig und stellte die Geduld seines Freundes einmal mehr auf die Probe.
»Raus damit, wer wohnt da?«, bellte Tomás verärgert, weil Mario ihn so lange hinhielt.
»Wie zum Teufel konntest du eine Adresse veröffentlichen, ohne vorher zu überprüfen, wer da wohnt?«, gab Mario zurück und rächte sich für die jahrelange Demütigung, immer nur das fünfte Rad am Wagen zu sein.
Tomás war inzwischen so aufgebracht, dass er unwillkürlich Marios versehrtes Bein anstarrte, über das nie gesprochen wurde. Als er ihm wieder in die Augen sah, war dessen Blick wie gewohnt ausweichend.
Immerhin lieferte Mario ihm jetzt die gewünschte Information. »Wie es aussieht, befindet sich in dem Haus seit Kurzem das Ersatzbüro des Innenministers. Du hast also praktisch Salazar öffentlich an den Pranger gestellt.«
Das saß. Augusto Salazar war der meistgefürchtete Mann der neuen Regierung. Die PRI war nach zwölf Jahren in der Opposition unter einer schwachen, ineffizienten PAN-Regierung wieder in Los Pinos eingezogen. Der deutliche Sieg des neuen Präsidenten Alonso Prida war in den Augen vieler ein Zeichen dafür, dass das Land sich nach einer starken Führung sehnte. Die Opposition sowie zahlreiche Politikbeobachter waren der Auffassung, Salazar, als rechte Hand des Präsidenten, sei entschlossen, den Volkswillen als Vorwand zu missbrauchen, um ein autoritäres Regime aufzubauen und der PRI über mehrere Amtszeiten hinweg eine stabile Herrschaft zu garantieren.
Tomás klopfte Mario auf die Schulter und ließ sich auf einen Sessel sinken. Er brauchte jetzt einen Freund und keinen Sparringspartner. Er konnte sich zwar nicht denken, was Salazar mit dem Mord an Dosantos zu tun haben könnte, aber ihm war klar, dass er sich mit der Andeutung eines Zusammenhangs eine hübsche Grube gegraben hatte.
»Vielleicht sollte ich für eine Weile ins Ausland gehen, bis sich alles geklärt hat«, sagte Tomás wenig überzeugt. Mit den achthundert Dollar, die er zurückgelegt hatte, würde er nicht weit kommen.
»Jetzt warte erst mal ab«, erwiderte Mario. »Du bist im Moment der Einzige, der vermeintlich über den Tatort Bescheid weiß. Wenn du jetzt abhaust, könnte die Polizei annehmen, dass du selbst in die Sache verwickelt bist. Als Flüchtiger machst du dich verdächtig.«
»Mach keine Witze, ich hab mit der Sache nichts zu tun. Das Detail hab ich von einem Freund, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, es in meinen Artikel einzubauen, das ist alles«, verteidigte sich Tomás.
»Und wer ist dieser ominöse ›Freund‹?«, erkundigte sich Mario und malte Anführungsstriche in die Luft.
»Kennst du nicht«, antwortete der Journalist düster. Bei dem Gedanken an seinen Informanten wurde Tomás klar, dass es sich bei der Grube wohl eher um einen Abgrund handelte.
»Man hat dir eine Falle gestellt. Wir müssen uns mit Amelia und Jaime treffen.«