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5. Problematisierung: Religion als Kommunikation
ОглавлениеIn Anbetracht dieser Lage lässt sich der Begriff „Reichsreligion“ nicht einfach fortführen; es gibt keine communis opinio, die nur zu präzisieren wäre. Ich möchte daher eigene Ansätze zur Begriffsbildung nicht direkt aus dem begriffsgeschichtlichen Material entwickeln, sondern zunächst versuchen, mit einem eigenen Modell das religionsgeschichtliche Material, wenn auch auf einer sehr abstrakten Ebene, zu systematisieren und etwas anzureichern. Erst daraus ergeben sich die Befunde, die mit Hinblick auf die Begriffsgeschichte mit Namen zu versehen sind.
Die Frage, von der ich ausgehen möchte, lautet: Wo kann man nach Reichsreligion überhaupt suchen? Dazu betrachte ich religiöses Handeln, Kult, als ein kommunikatives Geschehen, als symbolische Kommunikation. Diese Kommunikation lässt sich unter folgenden Aspekten beschreiben: Wer kommuniziert mit wem? Wer sind die Teilnehmer der Kommunikation? Worüber wird gesprochen? Was sind die Inhalte der Kommunikation? Womit wird kommuniziert? Welche Medien finden Verwendung? Über den unmittelbaren Kommunikationsakt hinausgehend kann man sich schließlich noch fragen: Wer organisiert und kontrolliert die Kommunikation? Und: Wozu, zu welchem Zweck findet die Kommunikation statt?
Teilnehmer
Die erste Frage nach den Teilnehmern kann für antike Religion sehr eindeutig beantwortet werden: Religion ist ein lokales, unter Umständen sogar privates Geschehen. Die Teilnehmer(innen) kommunizieren miteinander, religiöse Rollen verstärken oder modifizieren soziale Rollen in Texten, Kleidung, Choreographie. Dieses Primat der lokalen Dimension gilt auch für den Kaiserkult,42 den Kult der Kapitolinischen Trias, aber auch rituelle Akte stärker zentralisierter Religionen wie des Judentums oder Christentums. Ein solches Ritual kann vor allem durch eine Inschrift festgehalten werden und damit zumindest die zeitliche Einschränkung auf die Aufführungsdauer überwinden; die Überwindung räumlicher Grenzen durch Berichte über konkrete Rituale ist auf Ausnahmen beschränkt, namentlich außergewöhnliche Eide auf den Princeps, regelmäßig Kulte in Militäreinheiten, die in Tagesberichten festgehalten werden.43 Nur hier scheinen lokale Rituale konzeptuell auf translokale, überörtliche Kommunikation hin angelegt zu sein.
Natürlich kann die lokale Geltung auch durch auswärtige Gäste überwunden werden, das Prinzip der theoría, der Festgesandtschaft. Die römische Verwaltungsspitze scheint aber solche Aufgaben nicht generell wahrgenommen zu haben; auf dieser Ebene ist nicht nach einer regelmäßigen symbolischen Kommunikation auf Reichsebene zu suchen. Adventus-Rituale des Princeps dürften ebenfalls Ausnahmen darstellen. Spiegelbildlich funktioniert personale Repräsentation: Repräsentanten verschiedener Orte einer Region führen gemeinsam Kult an einem Zentralort durch. Historisch scheint sich im Laufe der Kaiserzeit auf dieser Ebene ein Raster von regionalen Netzen gebildet zu haben, das wir nur fragmentarisch kennen: Wir wissen weder, ob es flächendeckend war, ob die Provinzen immer den jeweiligen geographischen Rahmen vorgaben noch ob eine übergeordnete Integration stattfand – letzteres ist zumindest unwahrscheinlich. Wohl ausschließen kann man eine Identität der regionalen Strukturen. Nicht überregionale Vereinheitlichung, sondern der Wettbewerb einzelner Orte im regionalen Kontext, und damit lokaler Stolz und lokales Engagement, prägt diese Kultform.44 So liegt es nahe, die primären politischen Funktionen der lokalen, und das heißt nach dem zuvor Gesagten: aller Rituale im lokalen Kontext zu verankern. „Reichsreligion“ lässt sich in dieser Perspektive nur schwer ausmachen; wenn es sie gibt, trägt sie lokalen Charakter.
Ein solches Kommunikationsmodell darf aber nicht in die Sackgasse führen. Die prinzipielle Kleinräumigkeit vormoderner Gesellschaften prägt zwar den Charakter größerer Einheiten, hat die Ausbildung derartiger großräumiger Strukturen aber nicht verhindert. Die Qualität und Frequenz von temporären und permanenten Ortswechseln gewinnt in dieser Perspektive große Bedeutung. Neben den „klassischen“ (Fern-)Händlern sind für das Imperium Militärangehörige und Funktionseliten in Militär und Verwaltung zu beobachten, auch Wirtschaftsmigranten einschließlich wandernder Professioneller (Künstler, Rhetoren) und Touristen. Gerade wenn sie nicht auf ausgebaute überregionale Kommunikationsnetze zurückgreifen können, muss man fragen: Wie schnell können sie sich an lokaler religiöser Kommunikation beteiligen? Existieren im Bereich des Imperiums Formen religiöser Kommunikation, die ähnlich oder identisch sind? Die Beantwortung dieser Frage hängt an den Inhalten und Medien, die nun etwas näher zu betrachten sind.
Inhalte
Wenn von symbolischer Kommunikation gesprochen wird, ist damit impliziert, dass Kommunikationsinhalte insbesondere in den Medien zum Ausdruck kommen. Das gilt vor allem angesichts einer Quellenlage, in der Dedikationsinschriften, die im Wesentlichen die göttlichen Adressaten und die Stifter nennen, einen Großteil der Zeugnisse ausmachen. Dennoch möchte ich analytisch Inhalt und Medium zu trennen versuchen. Anlass des Rituals, der Weihung könnten sowohl unmittelbar private oder lokale wie überregionale Intentionen sein. Ein Beispiel für letzteres liefern die Weihungen an Victoriae in Africa.45 Dass die Verehrung einer Siegesgöttin gehäuft in Grenzregionen und strategischen Orten nachzuweisen ist, erscheint nicht weiter verwunderlich, doch zeigen Dedikationen an Victoria Parthica oder Armeniaca im selben Gebiet, dass die Dedikanten ihre Situation im Rahmen des Gesamtreiches interpretieren.46
Eine vergleichbare Rückbindung lokalen Handelns an die Reichsebene, vermittelt durch die Person des Kaisers, besteht in den stereotypen Dedikationen pro salute imperatoris, die mit den unterschiedlichsten Adressaten und eigenen Anliegen verbunden werden können. Dieser „Inhalt“ lässt sich im gesamten Römischen Reich nachweisen, ist also in doppelter Weise als „Reichsreligion“ zu analysieren.
Identische Inhalte können auch durch reichsweit beachtete Daten, Feiertage, mit reichsbezogenen Inhalten konstituiert werden, in erster Linie Feste der domus Augusta. Diese dominieren das Feriale des Militärs, bezeugt im Feriale Duranum. Aber auch für den zivilen Bereich sind in den Flavischen leges municipales solche Tage „wegen der Verehrung des Kaiserhauses“ als Ausschlusstage für Gerichtssachen definiert,47 als Tage für lokale öffentliche oder private Rituale genießen sie einen hohen Rang.48 In einer Welt zahlreicher lokaler Kalender ist die Bedeutung gemeinsamer, korrekt übersetzter Festdaten sowohl als Bestätigung alter persönlicher Zeitraster des „Migranten“ wie in der zugleich gegebenen translokalen Konstanz des Themas dieser religiösen Kommunikation nicht zu unterschätzen.
Identische Inhalte müssen aber keineswegs in identischen Formen vorgetragen werden. Das belegt die Diskussion um das christliche Gebet für den imperator (nicht das imperium), wie sie etwa bei Tertullian greifbar ist.49 Dieses Gebet, das gerade ein Gebet an den christlichen Gott ist, erlaubt dem Christen die (durchaus prekäre) Aufrechterhaltung einer Identität als civis Romanus und kommt den seit den Severern deutlich erkennbaren Bemühungen um eine religiöse Grundlegung des Imperiums entgegen, wie sie in der religiösen Dimension der Begründung zur Verleihung des Bürgerrechts durch die constitutio Antoniniana (P. Giess. 40 = FIRA 1,88) greifbar ist. Eine Öffnung des religiösen Kommunikationsraumes über das Christentum hinaus leistet dieses Gebet nicht.
Medien
Als „Medien“ der symbolischen Kommunikation verstehe ich zunächst die Rituale, aber auch Sakralarchitektur und nicht zuletzt die inschriftliche Dokumentation religiöser Akte als solche.50 Hier die Verbreitung von Formen festzustellen, besitzt für die Feststellung einer religiösen „Koine“, die Religion für den Ortsfremden problemlos identifizierbar und praktizierbar werden lässt, große Bedeutung. Der identitätsstiftende Wert einer solchen „Koine“ wäre an ihrem Kontrast zum umgebenden Barbaricum, soweit dieser Kontrast wahrgenommen wird, abzulesen. Es scheint mir aber fraglich, auf dieser Ebene, etwa in der Verbreitung blutiger Opfer, präzisere reichsbezogene Inhalte festzumachen: Gleichwohl gilt es, die Verbreitung solcher Medien und ihre emblematische Bedeutung, die Art des Bezuges auf das zentrale Wertsystem im jeweiligen lokalen Kontext festzuhalten.51 Gerade für die Charakterisierung lokaler und (lokale Partikularitäten umgreifender) regionaler (provinzialer) Religionssysteme ist die Frage der religiösen „Koine“ zentral.52 Das Praktizieren von Gelübden mit spezifischen Anforderungen an die Dokumentation, die Organisation von Kulten als Mysterien, die Übernahme von Mustern priesterlicher Organisation, der Siegeszug der Astrologie, die Definition magischer und die Ausgrenzung „bösartiger“ Formen – das alles konstituiert überregionale Kompatibilität und regionale Variation.
Als Medien verstehe ich auch die in den Ritualen (beziehungsweise Dedikationsinschriften) angesprochenen Götter: Erst die durch sie bestimmte konkrete religiöse Handlung wird zum Medium realer symbolischer Kommunikation. Auch diese Götter sind primär (in polytheistischem Kontext) Mitglieder des lokalen Pantheon. Indes ist dieses Pantheon durch vorhandene Kultanlagen, Tempel im Ort, nur bedingt begrenzt; der individuelle Spielraum, auch (noch) nicht präsente Gottheiten anzusprechen, ist oder (was eine religionsgeschichtlich interessante und für mein Thema einschlägige Frage bildete) wird nahezu unbegrenzt:53 Religiöse – und politische – Identität dürfte grundsätzlich nicht über die Summenbildung lokaler Panthea definiert worden sein.54
Bei aller Bedeutung traditioneller, vorrömischer Lokalgottheiten vor allem jenseits der lokalen Eliten ist nicht zu übersehen, dass die Medien der symbolischen Kommunikation häufig Götter römischen oder (selbst im Westen) griechischen Namens sind.55 Subjekte dieser interpretatio Romana sind nun keineswegs nur römische Bürger, sondern durchaus auch Einheimische, die – wenigstens in verschriftlichter Form und in politisch signifikanteren Kontexten – die Benutzung indigener Namen scheuen, selbst wenn man im Einzelfall lokale Gottheiten hinter dem aus der Zentralkultur stammenden Namen vermuten kann. Natürlich kann man mit Verweis auf den letztgenannten Sachverhalt, gewissermaßen aus einer realistischen Position heraus, die Bedeutung dieser Namen herunterspielen, doch bleibt eine nominalistische Position möglich: Es werden, durch den Namen ausgewiesen, neue Götter in den lokalen Kontext eingeführt. Dass deren Namen unter Umständen im ganzen Reich verbreitet sind, sollte nicht vorschnell als Existenz „reichsweiter Kulte“ interpretiert werden: Es mag sich oft genug um mehr oder weniger gelehrte Konstruktionen handeln, die allein an (ältere) Texte, nicht an direkt vermittelte Handlungstraditionen anknüpfen.56 Gerade im Bereich der als Mysterien typischerweise hochorganisierten Kulte ist indes eine Formstabilität zu beobachten, die sie zur langfristigen Option in lokalen Kultgefügen werden lässt und Konstanz von Mitgliedschaft57 beziehungsweise am neuen Ort erneuerte Mitgliedschaft für Migranten besonders nahelegt. So wird auf der Ebene der „Medien“ der religiösen Kommunikation eine im Einzelfall bis in Details reichende Identität deutlich, deren fundamentale Bedeutung für die Möglichkeit reichsweiter Kommunikation nicht leicht überschätzt werden kann.
Kommunikationskontrolle
An dieser Stelle ist auch die metakommunikative Frage nach der Kontrolle und Organisation der Kommunikation anzusprechen. Einerseits muss festgehalten werden, dass römische Religionspolitik zumeist Politik für die Stadt Rom ist, egal ob es sich um die Platzierung von Tempeln oder die Vertreibung unerwünschter Gruppen handelt. Vorstöße der Pontifices in den italischen Raum, sei es in der Form von Prodigienprokurationen58 oder bei der Zuweisung von stadtrömischer Dedikationen an außerrömische Tempel,59 haben eher den Charakter von aktuell politisch motivierten Einzelentscheidungen denn systematischen Umsetzungen fixierten Sakralrechts. In die gleiche Richtung weist auch die laxe Handhabung des sakralen Bodenrechts, nämlich ohne Konsekration ex auctoritate populi Romani Grundstücke sakraler Nutzung in den Provinzen pro sacro zu behandeln (Gai. inst. 2,7). Lokale Tempel wurden so gut wie nie auf Initiative höherer Ebenen errichtet. Andererseits zeigt sich gerade in den Anfragen, die der Einrichtung großer Kultanlagen oder Festspiele im Kaiserkult vorausgehen, dass die Approbation der Zentrale gesucht wurde und dieselbe von der Zentrale als Kontrollinstrument hinsichtlich des Symbolvorrats wahrgenommen wurde.60 Erneut erkennt man hier den Kaiserkult trotz seiner polymorphen Erscheinung als privilegierten Bereich überörtlicher Kommunikation.
Überörtliche Kontrolle ist indes nicht auf den Senat beziehungsweise Kaiser und dessen Kult beschränkt. Synoden oder concilia können auch in anderen Religionen „Medienkontrolle“ ausüben, ägyptische Priester oder christliche Bischöfe zusammenführen; ἀπόστολοι können den Kontakt jüdischer Gemeinden mit dem Patriarchen sicherstellen.61 Solche Strukturen mögen mit dem Reich oder politisch umschriebenen Teilen identisch sein, können aber auch darüber hinaus reichen. Auch ohne direkte funktionale Beziehungen zum politischen Gebilde des Imperiums besitzen solche Verbindungen Interesse für die Konstituierung regionaler und überregionaler Systeme, insofern die Zentren solcher Strukturen mit dem politischen Zentrum deckungsgleich sind oder die Zahl der für eine bestimmte Peripherie gegebenen Zentren multiplizieren. Immerhin scheint die jeweils stadtrömische „Gemeinde“ auch gegenüber historisch-ideologisch anders gewichteten Zentren etwa für den Isiskult, aber auch Judentum und Christentum, an Bedeutung überproportional gewonnen zu haben. Politische Funktionen von „Reichsreligion“ werden hier unfreiwillig wahrgenommen.
Funktion
Das führt zum zweiten metakommunikativen Aspekt, der Frage des intendierten Zwecks und der realisierten Funktion. Wiederum auf „Reich“ bezogen, ist zu fragen, ob eine eufunktionale Beziehung zum imperium, das Erbringen einer fördernden Leistung in Hinblick auf die politische Ebene, notwendige Bedingung für die Identifizierung von „Reichsreligion“ ist. Eine solche Verknüpfung ergibt sich ohne weiteres, wenn man von der lokalen „Staatsreligion“ zur „Reichsreligion“ wechselt, ist aber nicht selbstverständlich, wenn „Lokalreligion“ als das Gesamt lokaler Religionsausübung den Ausgangspunkt bildete. Der „reichsweite Kult“ könnte das Reich durchaus bekämpfen.