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ОглавлениеKapitel 1
Römische Religion und „Reichsreligion“: Begriffsgeschichtliche und methodische Bemerkungen
Im Zentrum der folgenden begriffsgeschichtlichen Bemerkungen soll der Begriff „Reichsreligion“ stehen. Von ihm aus ergeben sich Perspektiven auf die beiden anderen territorial orientierten Begriffe, „Provinzialreligion“ und „Lokalreligion“. Das Ziel der Ausführungen ist keine schlüssige Begriffs-Geschichte. Eine solche, kohärente Geschichte lässt sich aus dem Material nicht rekonstruieren. Was sich vielmehr ergibt, ist die Offenlegung von Vorannahmen, weiterführenden Ansätzen und Sackgassen, die ich zur abschließenden Formulierung einiger Perspektiven für die weitere Arbeit am Thema verwenden möchte.
Wenn wir von antiken Religionen sprechen, stellen wir leicht griechische und römische Religion nebeneinander oder zu Vergleichszwecken gegenüber. Griechische Religion – das ist zumeist klar – ist mehr als die Religion der Stadt Athen: ein System religiöser Kulte und Aussagen, das zahlreiche lokale Variablen kennt. Schon Otto Gruppe plante (nach Ansätzen zur Mythologie bereits von Karl Otfried Müller) eine griechische Religionsgeschichte nach Stämmen; ein Buch wie das von Fritz Graf über Nordionische Kulte ist zweifellos integraler Bestandteil griechischer Religionsgeschichtsschreibung.1 Griechische Religion ist die Religion eines Kulturraumes, der durch politische Strukturen und literarische Kommunikation zusammengehalten wird. Erst mit dem Hellenismus wird die Sache schwieriger. In den hellenistischen Reichen gibt es Religionen, die offensichtlich nicht mit den Kulten der Griechen etwa Alexandriens identisch oder auch nur teilweise deckungsgleich sind. Dennoch erscheint „hellenistische Religion“ als ein Über-System, das unterschiedlichste Kulte zu integrieren und zu prägen vermag.2 Glen Bowersock hat die Prägekraft des ‚hellenism‘ bis in islamische Zeit verfolgt.3
Demgegenüber ist römische Religion zunächst einmal, ja vielleicht sogar ausschließlich die Religion einer Stadt, die Religion der Stadt Rom. Das ist allerdings nicht irgendeine Stadt, sondern der Vorort Latiums, dessen Sprache durch den Aufstieg Roms zur dominierenden Sprache Italiens und zur Verwaltungs-, vielfach Verkehrssprache im Westen und – mit Einschränkungen – Osten des Mittelmeerraums wird. Konzentriert man sich auf die kaiserzeitliche Phase, erscheint das Imperium Romanum als Folge einer politisch-militärischen Expansion, die sich in durchaus unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen niedergeschlagen hat. Zunächst genügt es festzuhalten, dass die Expansion zur Integration oder zumindest Überlagerung eines alten kulturellen Großraums, nämlich des Mittelmeerraums und seiner Randgebiete, durch ein politisches System geführt hat, dessen Zentrum bis in den Anfang des vierten nachchristlichen Jahrhunderts Rom bildete.
Die religionsgeschichtliche Grundfrage lautet demnach: Entsprechen dem politischen Gebilde „Imperium Romanum“ koextensive kulturelle, und vor allem religiöse Konstrukte, die als „Reichsreligion“ angesprochen werden könnten? Und die Folgefrage: Welche Rolle spielten das Zentrum und seine Religion für eine solche Reichsreligion – oder ist auch hier das Gemeinsame eher als ‚hellenism‘ anzusprechen? Noch vor jeder Detailuntersuchung lässt sich feststellen: „Nordafrikanische Kulte römischer Religion“ wäre ein befremdlicher Titel; „Romanismus“ als religionsgeschichtliche Folge der Begegnung mit römischer Religion spricht man höchstens dem lateinischen Christentum zu – und dessen Zentrum war die Stadt Rom.