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Vorwort zur zweiten Auflage
ОглавлениеDie römische Religionsgeschichte der Kaiserzeit lässt sich nicht länger als ein Wettkampf von ostmediterranen Mysterienkulten – erst mit den zunehmend unattraktiveren öffentlich finanzierten Kulten der Städte des Mittelmeerraums und dann untereinander – verstehen. Von Jupiter zu Christus – das war in erster Linie einWechsel eines Symbols. Die weltgeschichtliche Veränderung, die sich damit verband, war die enorme Bedeutung, die – weit über religiöse Praktiken hinaus – religiöse Identitäten und religiöse Organisationen im Laufe der Kaiserzeit gewannen. Fasst man die These des hier in zweiter Auflage vorgelegten Buches in diesen drei Sätzen zusammen, so hat sie ebenso breite Zustimmung gefunden wie Diskussionen und vor allem Forschungen im Detail ausgelöst. Davon zeugen die Übersetzungen ins Italienische, Spanische (2013) und Englische (2014), aber auch die Resonanz, die mein Aufsatz über „Reichsreligion“ in der Historischen Zeitschrift (2011) erfahren hat.
Als Ergebnis dieser und weiterer dadurch berührter Diskussionen kann man festhalten, dass der Begriff der „orientalischen Religionen“ endgültig verabschiedet werden muss: nicht, weil er „politisch inkorrekt“ wäre, sondern weil es den dadurch suggerierten Gegenstand, eine Gruppe ähnlicher Religionen, die individuelles Heil durch Mysterien versprächen und aus dem Ostmittelmeerraum oder dem Iran stammten, schlicht nicht gab (Christoph Auffarth, Corinne Bonnet). Das Phänomen exklusiver, aber überregional angelegter religiöser Gruppenbildungen, die eine dominante kollektive Identität anbieten und entsprechende Lebensführung einfordern, hat sich in Kaiserzeit und Spätantike überhaupt erst entfaltet. Ein Plural konkurrierender Religionen ist Ergebnis, nicht Ausgangspunkt der Religionsgeschichte des ersten bis siebten Jahrhunderts n. Chr.
Viel deutlicher geworden ist der Ausgangspunkt dieser Entwicklung im Blick auf die Strukturen und vor allem intellektuellen und rituellen Veränderungen in der römischen Republik. Die Untersuchung dieser Epoche, der Vorbereitung der kaiserzeitlichen Entwicklung, konnte ich unter dem Titel Römische Religion in republikanischer Zeit: Rationalisierung und ritueller Wandel im vergangenen Jahr (2014) in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft vorlegen. Vor allem unter dem Druck der sich im Zuge der militärischen Expansion schnell wandelnden sozialen Verhältnisse und des kulturellen Austausches zumal mit dem hellenistisch-griechischen Raum, seiner kulturellen Produktion und seinen universalistischen Deutungs- und Argumentationstechniken in „Philosophie“ und „Rhetorik“ veränderten sich auch religiöse Praktiken in Rom. Aber nicht Verfall, sondern Systematisierung, Intellektualisierung und Intensivierung und eine Explosion der verfügbaren religiösen Symbole kennzeichneten die Epoche. Caesar und Augustus griffen das auf und machten aus religiösen Praktiken eine Ressource zurMonopolisierung von Herrschaft, die sie in dieser Form vorher nicht war.
Aber weder kaiserliche Religionspolitik noch Herrscherkult dürften die entscheidenden Faktoren für die weitere Entwicklung gewesen sein. Eine bedeutsamere Rolle spielten, so legen unsere jüngsten Forschungen amMax-Weber-Kolleg in Erfurt nahe, Prozesse der Individualisierung, die schon in hellenistischer Zeit verstärkt in religiösen Praktiken und Reflexionen, zunehmend aber auch in religiösen Institutionen vorangetrieben wurden. Wie diese „gelebte antike Religion“ im Detail angeeignet wurde und so traditionelle Praktiken und Sozialbeziehungen veränderte, bedarf intensiver weiterer Untersuchung. Dafür ist der Blick auf die antike Christentumsgeschichte (etwa durch Eve-Marie Becker, Hartmut Leppin, Harry Mayer oder Markus Vinzent) nicht weniger wichtig als der Blick in die inschriftlichen und archäologischen Befunde (etwa durch Rubina Raja, Wolfgang Spickermann oder William van Andringa) oder die Sozialgeschichte (Roberto Alciati, Hans Kippenberg, Anne- Marie Luijendijk, John Scheid).Weiterer intensiver Erforschung bedarf auch die Rolle der Reichsbildung selbst für religiöse Veränderungen. Clifford Ando wie Greg Woolf haben dazu bereits wichtige Vorarbeiten geliefert, die zeigen, wie religiöse Kommunikation und Identitäten an Stelle von politischen treten. Und schließlich bleibt es eine zentrale Herausforderung, die Rolle jüdischer religiöser Praktiken, Institutionalisierungen und Texte in dem beschriebenen größeren Prozess weit über die sich zunehmend als Christus-Anhänger ausgrenzende Untergruppe besser zu verstehen; Nicole Belayche, Daniel Boyarin, Tessa Rajak, Seth Schwartz, Günther Stemberger, Sacha Stern und für die wissenschaftsgeschichtliche Reflexion Cristiana Facchini, Martin Mulsow und Michael Stausberg haben hier wichtige Anstöße geliefert.
Allen vorstehend Genannten bin ich für die zum Teil langjährige Zusammenarbeit und freundschaftliche Verbundenheit zu tiefem Dank verpflichtet; jeder Versuch einer zukünftigen Synthese wird sich mit diesen Positionen auseinandersetzen müssen. Die neue Zeitschrift „Religion in the Roman Empire“ (Mohr Siebeck) hat dafür ein Forum geschaffen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft gilt erneut mein Dank für die Förderung in Form der Kolleg-Forschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“, dem European Research Council für den Advanced Grant „Lived Ancient Religion“, die mir selbst eine konzentrierte Bearbeitung des Feldes in den letzten Jahren ermöglicht haben, der Alexander-von-Humboldt- Stiftung für die mehrfache Förderung internationaler Zusammenarbeit. Das Max-Weber-Kolleg mit allen seinen Fellows wie Kolleginnen und Kollegen an der Universität Erfurt selbst bot für diese Art weitgespannter und vergleichender Arbeit mit seinen vielfachen Anstößen, bohrenden Nachfragen und seiner vorzüglichen Infrastruktur einen kongenialen Ort. Stellvertretend für viele seien hier Ursula Birtel- Koltes, Ilona Bode, Martin Fuchs, Bettina Hollstein, Antje Linkenbach, Dietmar Mieth, Diana Püschel, Hartmut Rosa und Jutta Vinzent genannt. Der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft möchte ich für die gute Zusammenarbeit namentlich in der Person von Julia Rietsch danken.
Erfurt, im Mai 2015
Jörg Rüpke