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1. Einführung

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Unter den frühen großkirchlichen Texten, die im Rahmen des langen Kanonisierungsprozesses die Aufnahme in den Kanon der siebenundzwanzig Bücher des Neuen Testamentes nicht geschafft haben, zählt der „Hirte der Hermas“ zu dem Kreis, dessen Wertschätzung wenigstens stellenweise kanonischen Rang begründete. Schon im zweiten Jahrhundert fand der wohl in Rom entstandene Text Verbreitung von Gallien (Irenäus) bis Africa (Tertullian); ebenso zitieren ihn auch Alexandriner (Clemens und Origines). Der Canon Muratori – ein Verzeichnis der als kanonisch betrachteten Bücher, das auf ein stadtrömisches Dokument des späten zweiten Jahrhunderts zurückgehen dürfte2 – polemisiert bereits gegen den „Hirten“ und zeigt so, dass die „Gefahr“ einer kanonischen Geltung nahelag. Der Codex Sinaiticus nimmt an letzter Position den „Hirten“ zusammen mit dem Barnabasbrief auf.3

Bei aller kritischen Distanz, welche die Nichtbeachtung durch die großen Kirchenväter des vierten und fünften Jahrhunderts demonstriert – Hieronymus sagt sogar, „bei den Lateinern ist er nahezu unbekannt“ (vir. ill. 10) –, hat der Text in lateinischen Übersetzungen des zweiten und vierten Jahrhunderts im Westen wie im Osten größere handschriftliche Verbreitung erfahren; die zahlreichen Papyri gehen bis ins zweite Jahrhundert zurück.4 Übersetzungen wenigstens von Teilen ins Koptische (Achmimisch und Sahidisch), Äthiopische und Mittelpersische unterstreichen dies. Über die handschriftlichen Traditionen der lateinischen und griechischen Versionen hinaus zeigen, beginnend im Jahr 1513, allein vier Drucke des sechzehnten Jahrhunderts das Interesse an diesem Text, das in der Neuzeit von Martin Luther bis Carl Gustav Jung reicht.5

Das theologische Interesse, das sich in der Rezeptionsgeschichte primär widerspiegelt, liegt in der Bußlehre des „Hirten“. Wohl schon von der Taufpraxis des Johannes ausgehend, wurde die urchristliche Taufe in erster Linie als Reinigungsakt, als Akt der Sündenvergebung konzeptualisiert. Damit stellte sich aber, die Einmaligkeit der Taufe vorausgesetzt, das Problem postbaptismaler Sünden: Bei abklingender Naherwartung, also in dem Moment, als die Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Hereinbruchs des Reiches Gottes, der Wiederkunft Christi, zunehmend enttäuscht wurde, wurden Sünden, die von bereits getauften Christen begangen wurden, zum Problem: Würden diese Sünden den Betreffenden den Einzug ins Reich verwehren, den ewigen Tod bringen?

Eine geläufige Gegenstrategie bildet das Hinausschieben der Taufe bis aufs Totenbett – ein hohes Risiko, falls der Tod plötzlich kommen sollte. Hermas verkündet eine Alternative: Gott gewährt eine zweite Buße für bereits Getaufte. Das ist keine Institution, kein Ritual, das von nun an zur Verfügung stehen wird, sondern die Ankündigung einer Generalabsolution: „Wenn Ihr bis jetzt wenigstens einigermaßen gut gelebt habt, dann werden Euch die Verfehlungen vergeben, sofern Ihr nun aufs Ganze geht, Ernst macht mit Eurem Christentum.“ Der Zeitpunkt der Umkehr ist zunächst mit der Offenbarung selbst gegeben – „die Gnade tritt am Tag nach ihrer Verkündigung in der amtlichen Gemeindeversammlung in Kraft“ (ich karikiere) –, später wird eine kleine, aber unbestimmte Frist eingeräumt: Beeilen muss man sich.

Angesichts der individuellen und indirekt auch gemeindlichen Konsequenzen zählt die Bußlehre zu den zentralen Feldern theologischer Reflexion in der Antike, aber ebenso noch in Mittelalter und Neuzeit: Montanismus, Donatismus, Priscillianismus bis hin zum Jansenismus kennzeichnen Positionen und Konflikte, für welche die Bußlehre und ihre Widerspiegelung der Ethik zentral sind. Das hat das erbauliche wie dogmengeschichtliche Interesse am „Hirten“ bestimmt. Hinzu treten Hermas’ Kirchenlehre, seine Ekklesiologie, die Angelologie, seine Engellehre, in geringerem Maße Christologie6 und Eschatologie; in jüngster Zeit hat sich das Interesse an dem Quellenwert für eine Sozialgeschichte des frühen Christentums verstärkt.7

Im Folgenden sollen aber andere Fragen gestellt werden, die auf den religiösen Austausch lokaler und überregionaler Traditionen, ihrer Plausibilisierung und dann erst ihren sozialen Ort zielen: Wie verschafft sich der Träger einer religiösen Botschaft Gehör, wie gewinnt er selbst Glaubwürdigkeit? Welchen Ort haben Visionen in der Kommunikation einer institutionalisierten religiösen Gemeinschaft? Aus dem Text selbst lassen sich die Strukturen der Kommunikation wenigstens teilweise herausarbeiten. Der zentrale methodische Zugriff wird aber über eine Analyse derjenigen Argumentationsstrategie erfolgen, die sich auf der Ebene expliziter oder impliziter metakommunikativer Äußerungen manifestiert. Für den mit Visionen gesättigten Text heißt das: Wie stellt Hermas seinen Adressaten den Prozess des eigenen Wissenserwerbs und seine Rolle als Übermittler dar? Dieser eher literaturwissenschaftlichen Analyse muss dann aber die Frage nach der sozialen und lokalen Verortung folgen, welche die zweite Hälfte dieses Kapitels bilden wird.

Von Jupiter zu Christus

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