Читать книгу Und ich immer dazwischen - Josef Franz Kaspar - Страница 11
ОглавлениеKein Mensch ist frei von Zweifeln.
Die gegensätzlichen Meinungen und Anschauungen zur Pandemie machen mich handlungsunfähig. Wo liegt die Wahrheit? Nur mich verbiegen, damit das Leben mit meinem Umfeld unproblematisch verläuft, kann nicht Sinn einer objektiven Betrachtung sein. Alles zu glauben, was man vorgesetzt bekommt, erst recht nicht. Es muss doch eine objektive „Wahrheit“ geben. Es gibt natürlich verschiedene Perspektiven, aus denen man einen Sachverhalt betrachten kann und es gibt nicht nur „gut“, denn ohne „schlecht“, kann es kein „gut“ geben.
Warum muss ausgerechnet ich in meinem Innersten den ständigen Kampf zwischen Protagonisten und Antagonisten ausfechten? Wer hat die Saat des Zweifels in mir ausgebreitet? Warum kann ich nicht ohne Zweifel an der Richtigkeit von Informationen aus den Medien mein Leben gestalten? Es wäre bedeutend einfacher. Es gibt zu viele Entwicklungen, die meine Zweifel schüren.
Wenn in China in der Corona-Krise eine Ortungsüberwachung der Infizierten via Handy legalisiert wurde, dann ist das ein Angriff auf die demokratische Welt, eine Entwicklung zum totalitären Staat.
Was zählt mehr, Freiheit oder Sicherheit? Sicherheit kann man kaufen, Freiheit nicht.
Auch in Deutschland wird die verpflichtende Corona-App bereits in politischen Kreisen diskutiert, aber zum Glück mehrheitlich noch abgelehnt. Als Risikopatient mit Herzrhythmusstörungen werde ich nun als über siebzigjähriger Mann zum schützenswerten Exemplar erklärt, das ohne staatlichen Schutz nicht überlebensfähig zu sein scheint. Da habe ich doch schon schwierigere Zeiten überlebt. Ich empfinde es als eine Entmündigung.
Wenn es einen Schöpfer gibt, der unsere menschliche Lebenserwartung genetisch begrenzt hat, wird der Mensch dies nur mit unmenschlichem Aufwand verändern können. Die vielen Kriege verleiten uns Menschen zu der Annahme, dass der einzige natürliche Feind des Menschen der Mensch selbst ist. Dabei vergessen wir aber die vielen Organismen wie Viren, Bakterien und Pilze, die uns nützlich sein können, uns aber auch zerstören können.
Ja, ich bin gespalten. Gespalten, durch zwei Herzen in meiner Brust.
Heute möchte ich die Frühlingssonne genießen, ohne mich ständig mit meinen Zweifeln herumzuschlagen. Mein Versuch „Social-Distance“ mit Lesen auf dem Balkon zu bewältigen, scheitert trotz wärmender Sonne am eiskalten böigen Wind, der mir das Buch fast aus der Hand reißt. Dann gebe ich vorerst auf, in der Hoffnung, dass der eiskalte Wind nachlässt und der zweite Anlauf „Social-Distance auf dem Balkon“ gelingen möge.
Dass wir immer mehr Wind verzeichnen, könnte auch ein Zeichen der Klimaveränderung sein, vielleicht eine Folge erhöhter Kohlendioxid-Werte in der Atmosphäre.
Zu weiteren Recherchen am Computer zur Corona-Krise verspüre ich gegenwärtig keine Lust. Ich will einfach mal ohne ständige Zweifel an der Richtigkeit meines Handelns das tun, was viele andere auch machen, nämlich nichts. Meine Frau behauptet, das hätte ich doch gestern auch schon getan und ich antworte ihr wie Sid aus Ice-Age: „Ich bin damit nicht ganz fertig geworden!“
Nachdem unser geplanter Urlaub an der Amalfiküste wegen der Covid-Pandemie storniert wurde, bleibt uns nur noch „Urlaub auf Sagrotan“.
Ich beneide Menschen, die Krisensituationen mit Humor bewältigen können. Leider gelingt mir das nicht immer, weil ich mich ständig in Zweifeln wälze, wie in einer schlaflosen Nacht von einer Seite auf die andere.
Meine Frau befindet sich heute auf der Jagd. Sie ist einkaufen und jagt nach Toilettenpapier. Zwei Rollen dieser Wertpapiere liegen noch in unserem Depot, und wenn sie heute wieder leer ausgeht, müssen wir Küchenrollen teilen. Sie meint, man könnte aus einer Küchenrolle zwei Toilettenpapierrollen machen. Ich bin für drei. Vielleicht sind die leeren Toilettenpapierregale in den Supermärkten auch der Angst geschuldet, wenn einer hustet, machen sich zehn in die Hose.
Soeben kommt meine Frau erfolglos von ihrer Jagd zurück und berichtet, was sich am Supermarkt abgespielt hat: Lange Menschenschlangen vor dem Markt, die am Eingang zum Markt von zwei maskierten Security-Männern überwacht und kontrolliert wurden, damit Abstand und Anzahl der eintretenden Konsumenten eingehalten werden. Sie hätte gesehen, dass sich Menschen die letzten Päckchen Nudeln aus der Hand gerissen haben und sich gegenseitig mit „panisch!“ und „psychisch krank!“ beschimpft haben, als hätten sie ein Tourette-Syndrom.
„Das sind doch Szenarien, die man nur aus
Horrorfilmen kennt“
ist meine Reaktion, als sie ganz aufgelöst von ihrer Einkaufsjagd erzählt.
Und da sollen in mir keine Zweifel aufkommen?
Eigentlich ging es mir doch vorhin noch ganz gut, als ich mich darauf einstellte, heute mal gar nichts zu tun. Doch nun arbeiten sie wieder in mir, die Zweifel, die aufsteigen wie Sodbrennen. Ursache und Sinn der ständigen Auseinandersetzung lasten auf mir und ich fühle mich blockiert, geradezu handlungsunfähig. Es wird Zeit, dieser Frage mal nachzugehen. Warum nicht heute; denn heute habe ich nichts vor.
Doch wo fange ich an? Ich beschließe, den Weg zurückzugehen und auf dem Pfad in die Vergangenheit mir selbst auf die Schliche zu kommen.