Читать книгу Und ich immer dazwischen - Josef Franz Kaspar - Страница 7
ОглавлениеDer Zweifel ist`s, der Gutes böse macht. (Goethe, Iphigenie auf Tauris)
Die Zukunft hat begonnen
„Alles Gute zum Geburtstag, Seppl!“
Diese Stimme kommt aus dem Fernsehgerät, und die Person, die sich auf dem Bildschirm bewegt, hat sich seit fünfundvierzig Jahren nicht verändert. Freudentränen füllen meine Augen:
„Danke Mama! Schön, dass du daran gedacht hast. Wie geht es dir und Papa?“
Keine Antwort. Der Film steht, zeigt nur noch ein Bild von meiner Mutter. Sie kann nicht antworten, denn sie existiert nicht. Sie ist nur ein digitales Hologramm, das von meinen Super-8-Filmen angefertigt wurde.
Heute Nachmittag hatte ich mir einige meiner alten Filme über den rasselnden alten Filmprojektor angeschaut. Eine kurze Sequenz aus der Weihnachtszeit 1975. Meine Mutter und mein Vater sitzen fast unbeweglich auf dem alten Sofa, als würden sie fotografiert. Eine Hand meiner Mutter bewegt sich zu ihrer Nase und mein Vater zieht genüsslich an einer Zigarette. Neben dem Sofa steht der Christbaum, der wirkt, als spiele er die Hauptrolle in dieser Szene, umgeben von einer einfachen, düster wirkenden Wohnungseinrichtung in den Farben dunkelbraun bis beige, eingezwängt in enge Raumverhältnisse. Alles ist plötzlich so gegenwärtig.
„Ich möchte euch für alles danken, was ihr für mich getan habt“
liegt mir auf den Lippen. Was würde ich dafür geben, meinen Eltern das Leben angenehmer zu gestalten, ihnen den einen oder anderen Wunsch zu erfüllen.
„Ich bin wieder in eurer Nähe, habe ein Haus in Bodenmais. Ich komme euch morgen abholen und dann koche ich für euch. Ja, ich kann inzwischen kochen, auch wenn ihr das nicht glaubt. Für Papa mache ich einen Schweinebraten, der ihm bestimmt schmecken wird. Mama, ich weiß, dein Schweinebraten ist unübertrefflich. Gut, dann koche ich etwas, das ihr noch nie gegessen habt: Paella mit Garnelen. Mama, du brauchst dich um Küche und Abwasch nicht zu kümmern. Ich habe eine Spülmaschine. Kennst du nicht? Ich zeige sie dir und erkläre dir alles. Ihr könnt auch hier in meinem Haus in meiner Ferienwohnung übernachten, und wenn sie euch gefällt, könnt ihr sogar hier einziehen. Schade, dass ihr zu meinem siebzigsten Geburtstag nicht dabei sein konntet. Alle waren da: Ida, Kathi, Annerl, Rosi, Waldemar. Bis auf Fritz, der leider nicht mehr lebt, und Anna, die, wie ihr wisst, weit weg in Amerika lebt. Ida hat sogar eine Geburtstagsrede gehalten; das hat es noch nie gegeben. Und Waldemar hat mit seiner Band den Abend musikalisch gestaltet.“
Wenn ich meine Super-8-Filme digitalisieren lasse, könnte man dann von einigen Ausschnitten digitale Hologramme herstellen. Bevorzugt von den Personen, die nicht mehr am Leben sind. Sie könnten digital weiterleben, praktisch digital unsterblich werden.
Machbar ist es schon heute. Für manche Menschen ein Traum, für andere ein Alptraum. Leben und Vergänglichkeit wird damit in Frage gestellt, der Schizophrenie Tür und Tor geöffnet. Würden damit Erinnerungen zerstört oder wieder aufgefrischt? Ist die Grenze zwischen Realität und Illusion noch nachvollziehbar? Ich weiß es nicht, denn ich bin gespalten.