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2.Demokratie für unverschämte Bürger
ОглавлениеFür eine Analyse politischer Gefühle bieten sich, wie dargestellt, zumal in unseren Tagen Zorn, Wut und Empörung als aussagekräftige Repräsentanten an. Ihre Bedeutung steigert sich noch, zieht man das entgegengesetzte Gefühl der Scham hinzu. Eine solche Gegenüberstellung ist gewiss zunächst einmal schlicht binär, aber sie hat immerhin einen klärenden Effekt. Denn so wie sich über den Zorn und seine Verwandten sagen lässt, dass sie zentrifugal, aktivierend, aggressiv, nach außen gerichtet sind, lässt sich umgekehrt über die Scham sagen, dass sie zentripetal, passiv, privatisierend ist.
Es gibt aber noch einen Grund, um sich in einer Analyse politischer Gefühle auf Zorn und Scham zu konzentrieren, und das ist der Umstand, dass die beiden Gefühle in der Haltung der Unverschämtheit eine zeitgemäße verdichtende Ausformung erhalten haben. Auf diesen Punkt möchte ich nun eingehen, um zu zeigen, dass die Haltung der Unverschämtheit, mit der wir es heute zu tun haben, in der Tat ein modernes Phänomen ist; dass sie erst in der Moderne und ihrer ästhetisch-visuellen Kultur der Selbstdarstellung möglich ist.