Читать книгу Bergbaukonflikte in Cajamarca, Peru, und gesellschaftlichpolitische Entwicklung - Josef Lustenberger - Страница 50

5.5.1 Wirtschaft in Cajamarca

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Die wirtschaftliche Entwicklung Cajamarcas ist im Kontext einerseits der wirtschaftlichen Entwicklung Perus, andererseits speziell des Bergbaus von Minera Yanacocha und später von anderen grossen Bergbauunternehmen zu betrachten.

Peru hat in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten eine extrem wechselvolle wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht. Nach den „verlorenen 1980er Jahren“ mit Bürgerkrieg, wirtschaftlicher Stagnation und Hyperinflation folgten in den 1990er Jahren unter dem autoritären Regime von Alberto Fujimori eine zunehmende Befriedung, neoliberale Reformen und Wirtschaftswachstum. Die Regierungen seit der Jahrhundertwende haben die wirtschaftsliberale Politik weitergeführt. Das Wirtschaftswachstum erreicht, verglichen mit anderen südamerikanischen Ländern, Spitzenwerte.192


Grafik 8: Wirtschaftswachstum des BIP von Peru 1980–2011, in %193

Die Region Cajamarca hat in den letzten zwanzig Jahren durchschnittlich 2,75% zum BIP beigetragen.194 Die Schwankungen waren gering; in den für den Bergbau sehr guten Jahren stieg der Anteil auf 3,2% (2003). Cajamarca steht dabei verglichen mit den anderen 26 Regionen Perus an 9. Stelle.

Seit Betriebsbeginn von Minera Yanacocha hat sich die produktive Struktur der Region Cajamarca stark verändert. 1990 machte die Land- und Waldwirtschaft 42% des regionalen BIP aus – 2010 waren es noch 20,1%. Der Anteil des Bergbaus am BIP dagegen ist im gleichen Zeitraum von 5,9% auf 20,2% gestiegen. Mehr als verdoppelt hat sich der Bereich Handel, Gastronomie und Hotellerie, der Anteil stieg von 6% im Jahre 1990 auf 13,1% im Jahre 2010; diese Entwicklung hängt eng mit dem Bergbau zusammen.

Die lokale Wirtschaft in Cajamarca boomt, Cajamarca ist zu einer Goldgräberstadt geworden. Minera Yanacocha und heute andere Bergbauunternehmen haben bestimmte wirtschaftliche Bereiche stimuliert. Dies zeigt sich besonders stark in der Ausrichtung der kleinen und mittleren Betriebe und in der konsumorientierten Haltung, die in Cajamarca heute vorherrscht.

Die lokale Wirtschaft in Cajamarca ist heute weitgehend abhängig von Minera Yanacocha.195 Stellt Minera Yanacocha den Betrieb der Minen einige Tage ein, wie im Jahr 2009 und 2010 geschehen, spürt dies das lokale Gewerbe innerhalb einer Woche. Die lokale Wirtschaft ist heute einseitig auf den Bergbau ausgerichtet. Die Politik hat bisher versäumt, die traditionellen Wirtschaftsbereiche wie Land- und Viehwirtschaft und alternativ neue Bereiche zu entwickeln.196

Wer direkt im Bergbau tätig ist oder indirekt vom Bergbau profitiert, hat Geld und gibt es aus.197

Die Lebenshaltungskosten in Cajamarca sind durch die Präsenz von Minera Yanacocha stark gestiegen.198

Es ist nicht gelungen, Cajamarca durch den Bergbauboom und das damit einhergehende wirtschaftliche Wachstum zu entwickeln.199 Neu gegründete Unternehmen sind fast alle vom Bergbau abhängig. Sie bieten Dienstleistungen für den Bergbau an: Transport von Waren, Personentransporte, Nahrungsversorgung der Bergbauarbeiter; sie verkaufen Gebrauchsgegenstände der Minen und ihrer Angestellten: Eisenwaren, Kleider für Mineure, Plastikstiefel etc. Es wurden keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen, insbesondere die Landwirtschaft blieb ohne Unterstützung durch den Staat, die Infrastruktur wie Strassen bleiben von schlechter Qualität.

Diese durch Minera Yanacocha stimulierte Entwicklung ist jedoch nicht nachhaltig. Die Bildung ist nicht besser geworden, Cajamarca produziert ausser Metallen weiterhin nichts. Es herrscht ein Konsumhaltung. Doch die Schliessung der Minen absehbar, und damit das Geld aus dem Canon minero. „Cajamarca hat sich daran gewöhnt, vom Bergbau zu leben. Und niemand kümmert sich darum, Alternativen der wirtschaftlichen Entwicklung zu suchen.“200

Armut und Ungleichheit

Aktuelle Schätzungen nehmen an, dass in Peru etwa jeder dritte aller Einwohnerinnen und Einwohner arm ist; das World Factbook der CIA gibt den Anteil der peruanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze für 2010 mit 31.3% an.201 Als Grundlage dient ein national entwickelter Mass-stab, der der von der UNO entwickelten Limite von 4 $ pro Tag entspricht.

Die vom Instituto Nacional de Estadística e Informática (INEI) und dem Fondo de Población de las Naciones Unidas (UNFPA) berechnete „Mapa de Pobreza Provincial y Distrital 2009“ stellt Armut und Ungleichheit auf nationaler, provinzialer und distriktaler Ebene dar.202 Der Fokus liegt bei dieser geografisch detaillierten Studie auf monetären Indikatoren. Arm ist, wer nicht genügend Einkommen hat oder nicht genügend Geld ausgeben kann, um einen sozial akzeptieren minimalen Konsum zu finanzieren. Als extrem arm gilt, wer weniger ausgeben kann, als für Nahrung nötig wäre.203

Die regionale und lokale Zuordnung von Armut zeigt primär: Armut in Peru ist vor allem ein ländliches Phänomen. Armut konzentriert sich auf Distrikte der Departemente Apurímac, Huancavelica, Huánuco, Loreto, Puno, Ayacucho, Cajamarca und Cusco. Distrikte mit hoher extremer Armut befinden sich vor allem in den Departementen Apurímac, Huánuco, Huancavelica und Cusco.204 Mit der herausragenden Bedeutung des Bergbaus für die nationale Volkswirtschaft und – mit der Zunahme des Canon minero – auch für die regionale und lokale Wirtschaft stellte sich zentral die Frage: Wie wirkt sich der Bergbau auf die ländliche Armut aus?

Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Roxana Barrantes stellt in ihrer Studie fest, dass in dieser Frage alles davon abhängt, aus welcher Perspektive man die Sache betrachtet.205 Ein grundsätzliches Problem, um diese Frage zu beantworten, ist die Zeitdauer des direkten Einflusses der Minenunternehmen auf die ländlichen Gemeinden. Die Zeitdauer von 10 bis 15 Jahren ist zu kurz, um nachhaltige positive oder negative Wirkung des Bergbaus auf die Armut nachzuweisen. Dazu kommt, dass die Unternehmen über direkte finanzielle Unterstützung im Rahmen der sozialen Verantwortung in die lokale und regionale Wirtschaft eingreifen – oft ohne wirtschaftliche Strukturen nachhaltig zu verändern. Weiter spielt die Definition von Armut und absoluter Armut eine Rolle. Und es kommt drauf an, auf welcher geografischen Ebene die Forscherin oder der Forscher Armut und Bergbau betrachtet.

José de Echave und Victor Torres argumentieren, dass zwischen Bergbau und Armut eine kausale Beziehung besteht.206 Eduardo Zegarra, José Carlos Orihuela und Maritza Paredes ziehen ein differenziertes und zugleich ambivalentes Fazit.207 Die Untersuchung vergleicht die Entwicklung verschiedener ökonomischer Indikatoren in Distrikten mit und ohne Bergbau. Die Forscher zeigen auf, dass der Bergbau in der Regel einhergeht mit höheren Einkommen in den städtischen Haushalten. In den ländlichen Haushalten dagegen stagnieren die Einkommen. Eine Ausnahme bilden die ländlichen Haushalte in den nördlichen Anden; hier stiegen die Einkommen pro Haushalt. Dies ist eventuell auf die ausgebaute soziale Verantwortung von Minera Yanacocha in Cajamarca zurückzuführen. Sowohl in ländlichen wie in städtischen Haushalten ist der Anteil an armen Haushalten in Distrikten mit Bergbau kleiner als in vergleichbaren Distrikten ohne Bergbau.

Zunahme der Haushaltseinkommen und die verminderte Armut sind allerdings sehr ungleich verteilt.208 Von der wirtschaftlichen Dynamik des Bergbaus können vor allem Haushalte profitieren, bei denen der Haushaltsvorstand209 mindestens die Primarschule abgeschlossen hatte. Die Haushalte, deren Vorstand über keine oder sehr wenig Bildung verfügt, vermögen nicht, von der Situation zu profitieren. Es scheint daher, dass der Bergbau die Ungleichheit bezüglich Einkommen vertieft.

Die Region Cajamarca gehörte anfangs der 1990er Jahre zu den ärmsten und am wenigstens entwickelten Provinzen Perus. Heute, zweieinhalb Jahrzehnte später und geprägt vom Bergbau nimmt die Region Cajamarca in der Rangliste des Human Development Index den viertletzten Platz ein, Armut ist weiterhin stark verbreitet.210

Dass Cajamarca trotz der Bergbautätigkeit von Minera Yanacocha eine arme Region geblieben ist, bestätigen auch meine Interviewpartner. Peru konnte in den letzten Jahren ein Wachstum des BIP von 7.5 oder 8.5% vorweisen.211 Das Wachstum ist eng mit dem Bergbau verbunden. Cajamarca ist trotz Bergbau eine der Regionen mit hoher Armut und absoluter Armut geblieben. Anders ausgedrückt: Der Reichtum durch den Bergbau kommt nur wenigen zugute.

Ein Teil der neu zugezogenen Bevölkerung im Umfeld der Stadt Cajamarca sind ehemalige Campesinas und Campesinos, die ihr Land an Minera Yanacocha verkauft haben und es dann verlassen mussten.212 Diese ehemaligen Campesinas und Campesinos sind stark gefährdet, in die Armut abzusinken. In der Agglomeration Cajamarca können sie sich nicht wieder Land kaufen, um als Landwirte oder Viehzüchter zu arbeiten; eine berufliche Ausbildung in einem nicht landwirtschaftlichen Bereich fehlt. Viele schlagen sich als ambulante Händler durch, doch das Einkommen reicht nicht für eine einzelne Person, geschweige denn für eine Familie.

In den ersten Jahren wurden wegen der Installation von Minera Yanacocha etwa 2′500 Campesinas und Campesinos umgesiedelt.213 Einige wenige haben es geschafft, sich in Cajamarca oder an der Küste eine neue Existenz aufzubauen. Die meisten fristen ihr Dasein in Armut. Umgesiedelte Campesinas und Campesinos, Minera Yanacocha und der Staat haben nicht bedacht, wie eng die Campesinas und Campesinos an die traditionelle Lebensweise gebunden sind – auch im wirtschaftlichen Bereich.

Vertreterinnen und Vertreter von Minera Yanacocha heben allerdings den Trickle-down-Effekt hervor.214 Auch die Armen würden letztlich vom Reichtum profitieren, der mit Minera Yanacocha nach Cajamarca gebracht würde.

Die Gleichheit, respektive Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverhältnisse vermag den breit akzeptierten Indikator des Wirtschaftswachstums zu relativieren. Dabei bleibt es eine philosophische und wirtschaftspolitische Frage, wie weit wirtschaftliche Gleichheit als Gut anzustreben ist und welches Mass an Ungleichheit im Sinne eines gesunden Wettbewerbs dem allgemeinen Wohl dient.215

Gleichheit, bzw. Ungleichheit wird in der Regel mit dem Gini-Koeffizient angegeben.216 Der Gini-Koeffizient drückt mit dem Wert 0 eine grösstmögliche Gleichheit innerhalb der ausgewählten Bevölkerung aus, der Wert 1 drückt aus, dass eine Person alle Güter bei sich konzentriert.

Bereits unter Fujimori zeigte sich, dass mit dem aussergewöhnlichen Wirtschaftswachstum nicht automatisch auch eine soziale Entwicklung einhergeht.


Grafik 9: Gini-Koeffizient Peru, jährlich 1997–2011217

Der Bergbau in Cajamarca hat ein starkes Wachstum erzeugt. Doch Wachstum heisst nicht automatisch Entwicklung. Darin sind sich Kritiker wie Befürworterinnen und Befürworter des Bergbaus einig. „In Cajamarca gibt es viele Niveaus, einigen geht es ökonomisch gut, aber die Mehrheit bleibt arm.“218

Der Bergbau in Cajamarca hat die wirtschaftliche Ungleichheit verstärkt. Die Präsenz von Minera Yanacocha hat in Cajamarca für diejenigen, die mit oder für das Unternehmen arbeiten, wirtschaftliche Vorteile gehabt.219 Für alle anderen ist jedoch die Kaufkraft gesunken, da die Preise des täglichen Lebens stark angestiegen sind.

In Porcón gibt es weiterhin extreme Armut in Churupampa und Potrero.220 Sie ist sogar noch schlimmer geworden als vor der Installation von Minera Yanacocha. Wirtschaftliche Entwicklung gibt es auch hier für bestimmte Familien, die von der Zusammenarbeit mit Minera Yanacocha profitieren. Alle anderen leben weiterhin nach traditionellen Wirtschaftsformen. „Wir leben von der Landwirtschaft, von der Viehzucht, der Milchwirtschaft, einige Herren, die ihre Weiden haben.“221

Bergbaukonflikte in Cajamarca, Peru, und gesellschaftlichpolitische Entwicklung

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