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5.2 Politische Strukturen in Peru

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Das politische System Perus, durch Gesetze und Verfassung definiert, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Peru ist trotz lange andauernden Wirtschaftswachstums ein schwacher Staat, der in einigen geografischen und sozialen Räumen kaum präsent oder kraftlos ist. Die subversiven Aktionen des Sendero Luminoso und seit Anfang der 1990er Jahren der Neoliberalismus haben die traditionell schwache Republik Peru zusätzlich geschwächt. Viele Merkmale des schwachen Staates Peru lassen sich auch als Symptome eines anomischen Staates lesen.130

Um das politische System Perus zu verstehen ist es wichtig, auch die sozialen Strukturen zu berücksichtigen, die den politischen Prozessen und Institutionen zu Grunde liegen. Ich beschränke mich im Folgenden nicht ausschliesslich auf das formale politische System, also Institutionen und Prozesse, wie das bei der Beschreibungen politischer Strukturen westeuropäischer Staaten, Kanadas oder der USA üblich ist, sondern zeige auch soziale Gegebenheiten auf, die den formalen politischen Strukturen zugrunde liegen.131

Das formale politische System Perus beruht weitgehend auf der Verfassung von 1993.132 Die Demokratie übernahm die Konstitution aus der Zeit Alberto Fujimoris nach dem Sturz des Diktators mit wenigen Änderungen. Bis heute streiten sich peruanische Politikerinnen und Politiker und Intellektuelle darüber, ob es sinnvoller ist, diese Verfassung beizubehalten, grundlegend zu reformieren, eine ganz neue Verfassung auszuarbeiten oder die Verfassung von 1979 wieder in Kraft zu setzen. Es scheint aber, dass die Verfassung von 1993 sehr wohl Grundlage eines demokratischen Rechtsstaates sein kann. Die Verfassung von 1993 ermöglichte die autoritäre Herrschaft Fujimoris nicht. Diese gründet sich vielmehr auf deren andauernde Verletzung.

Die Verfassung von 1993 umfasst sechs Titel mit 206 Artikeln. Im ersten Titel sind die Menschenrechte und die politischen Rechte und Pflichten festgelegt. Neben den fundamentalen Menschenrechten wie der Schutz von Leib und Leben und grundlegenden Freiheitsrechten (Kapitel 1) sind auch soziale und wirtschaftliche Menschenrechte (Kapitel 2) verankert.

Im zweiten Titel sind Grundsätze des Staatswesens und der Volkssouveränität festgelegt; die Gewaltenteilung wird erwähnt (Art. 43), jedoch erst im vierten Titel ausführlicher eingeführt.

Der Kongress bildet die Legislative; er ist die einzige Kammer und umfasst 120 Abgeordnete.133 Zu den zentralen Aufgaben des Kongresses gehören die Gesetzgebung und die Bewilligung des Staatsbudgets. Der Staatspräsident, die Kongressmitglieder oder die Regierungen der Regionen können die Initiative für Gesetze ergreifen. Vom Kongress verabschiedete Gesetze setzt der Staatspräsident in Kraft oder gibt sie mit der Bitte um Änderung an den Kongress zurück. Überarbeitet und verabschiedet der Kongress ein Gesetz auf Aufforderung des Staatspräsidenten hin zum zweiten Mal, so setzt es anschliessend der Präsident des Kongresses in Kraft.

Der Staatspräsident dominiert die Exekutive, er „personifiziert“ als Staatschef die Nation (Art. 110).134 Das Volk wählt den Staatspräsidenten in direkten Wahlen im Majorzsystem für fünf Jahre. Gewinnt im ersten Wahlgang kein Kandidat das absolute Mehr, so kommt es in einem zweiten Wahlgang zu einer Stichwahl mit relativem Mehr. Nach der fünfjährigen Amtsperiode schliesst die Verfassung nach einer Verfassungsänderung von 2000 eine Wiederwahl aus; für die übernächste Wahl ist jedoch eine weitere Kandidatur möglich (Art. 112). Die Kandidaten für das Präsidialamt stellen sich mit zwei Vizepräsidenten zur Wahl.

Der Präsident handelt durch seine Regierung, er überwacht die Einhaltung der Gesetze, ist oberster Chef der Streitmächte und der Polizei. Die Regierung ist nur ausführendes Organ; der Staatspräsident ernennt den Regierungschef, der seinerseits die einzelnen Minister ernennt. Die Minister sind im Gegensatz zum Staatspräsidenten individuell verantwortlich für alle angeordneten Massnahmen. Der Kongress kann einzelne Minister oder die gesamte Regierung mit einem Misstrauensantrag zur Verantwortung ziehen. Auch die Regierung selber kann eine Vertrauensabstimmung im Kongress verlangen. Entzieht der Kongress zwei Regierungen eines Staatspräsidenten das Vertrauen, so kann der Präsident den Kongress auflösen und Neuwahlen ansetzen.

Die Judikative ist wie in jeder modernen Verfassung unabhängige dritte Gewalt (Art. 139). Die richterliche Gewalt besteht aus zwei Institutionen, dem Obersten Gerichtshof und dem Verfassungsgericht. Der Kongress wählt die Richter des Obersten Gerichtshofes. Der Consejo Nacional de Magistratura, ein speziell dafür geschaffenes unabhängiges Organ, wählt die Richter des Verfassungsgerichtes.135 Die Verfassung schreibt weitere unabhängige Institutionen der Judikative vor, so die Staatsanwaltschaft (Fiscalía de la Nación), die Defensoría del Pueblo und die oberste Wahlbehörde.

Justiz und Richter geniessen in Peru geringes Ansehen. Ulrich Mücke urteilt in seinem Überblick über „Das politische System Perus“ der Gegenwart:136 „Auf mittlerer und tieferer Ebene funktioniert die Rechtsprechung heute nicht besser als in den 1980er und 1990er Jahren. Korruption und Schwierigkeiten, Urteile durchzusetzen, bleiben zentrale Mängel des Justizwesens.“ Für die höhere Ebene des Obersten Gerichtshofes und des Verfassungsgerichtes lässt sich ein positives Urteil nur mit Vorbehalt abgeben: Die Exekutive und allen voran die Staatspräsidenten haben seit der Absetzung Fujimoris die Bedeutung einer unabhängigen Rechtsprechung betont. Allerdings hat es seither keinen heftigen Konflikt zwischen Exekutive und Judikative gegeben, so dass sich die Unabhängigkeit der Judikative hätte bewähren müssen.137

Parteien und Verbände

Parteien und Verbände in Peru sind schwach.138 Die Schwäche der politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen lässt sich einerseits mit der jüngeren Geschichte erklären. Die Militärregierungen von 1968 bis 1980, die Regierungen während des Bürgerkrieges von 1980 bis 1992 und schliesslich die autoritäre Regierung Fujimoris von 1990 bis 2000 schränkten politische zivilgesellschaftliche Organisationen ein, schwächten und verboten sie. Andererseits ist das politische Leben in Peru wie überhaupt in Lateinamerika stark personalisiert und wenig institutionalisiert.

In Peru gibt es nur zwei dauerhafte und über längere Zeit stabile politische Parteien. Alle anderen Parteien sind entweder als Wahlbündnisse zu betrachten, die sich nach den Wahlen wieder auflösen, oder als organisierte Gefolgschaft einer bestimmten Politikerin oder eines bestimmten Politikers. Das gilt besonders für die Acción Popular, der Partei von Fernando Belaúnde Terry, der 1963 bis 1968 und 1980 bis 1985 zwei Mal Präsident Perus war. Spätestens nach dem Tod Belaúndes im Jahr 2002 hat die Partei jede programmatische Bedeutung verloren, dient jedoch weiterhin als Bezeichnung für Wahlbündnisse.

Die ältere der dauerhaften Parteien, die Partido Civil, wurde bereits im 19. Jh. gegründet. Die Partei gilt als Honoratiorenpartei und vertritt die Interessen der Oligarchie. Sie war in den 1870er Jahren und zwischen 1895 und 1919 führend. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. verlor der Partido Civil an Bedeutung.

Die zweite dauerhafte und bis heute bestehende Partei ist die Alianza Popular Revolucionaria Americana (APRA).139 Víctor Raúl Haya de la Torre gründete die APRA zuerst 1924 in Mexiko als Lateinamerika übergreifende Partei, 1930 dann in Peru als nationale Partei. Die APRA vertrat in Peru die Arbeiter auf den Küstenplantagen und in den industriellen und handwerklichen Betrieben der Städte an der Pazifikküste. Die APRA war, typisch für lateinamerikanische Parteien, stets auf einen starken Parteiführer ausgerichtet. Bis zu seinem Tod im Jahre 1979 war das Víctor Raúl Haya de la Torre, der Gründer der Partei. Ab 1982 übernahm Alan García die Rolle des unangefochtenen Parteiführers. Er wurde 1985 der erste Staatspräsident der APRA. Während seiner Regierung breitete sich der Terrorismus des Sendero Luminoso aus, und es kam zu einer Hyperinflation. Trotz einer miserablen Amtsführung wählte ihn das Volk 2006 zum zweiten Mal zum Präsidenten.

Obwohl die herrschenden Eliten die APRA bis 1980 meistens verboten, gelang es Haya de la Torre und den Parteifunktionären schon früh, einen effizienten Parteiapparat aufzubauen. 1931 töteten Parteimitglieder bei einem Aufstand in Trujillo, der Stadt der APRA, mehrere Soldaten und Offiziere. Danach verhinderte das Militär konsequent, dass die APRA die Macht ergreift. Armee und herrschende Oligarchie hielten so die wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtige Gruppe der Unter- und Mittelschicht bis 1980 von der politischen Macht fern.

Die geltende Verfassung von 1993 erwähnt zwar Parteien, dies jedoch nur als mögliche Institutionen neben anderen wie Bewegungen oder Allianzen, und nur als eine von mehreren Möglichkeiten, die individuellen politischen Rechte auszudrücken.

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