Читать книгу Bergbaukonflikte in Cajamarca, Peru, und gesellschaftlichpolitische Entwicklung - Josef Lustenberger - Страница 23
3.1.2 Hypothesen, hypothetische Modelle, Variablen, Indikatoren
ОглавлениеIn dieser Arbeit versuche ich, Mechanismen zwischen Bergbaukonflikten einerseits und der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung andererseits zu identifizieren und soweit wie möglich zu verstehen. Es geht also um eine mechanismenorientierte Annäherung.42 Ich lege im Folgenden dar, wie ich die Begriffe Hypothesen, hypothetische Modelle, Variablen und Indikatoren verwende.
Hypothesen haben in einem mechanismenorientierten Erklärungsversuch eine andere Funktion als bei relationsorientierten Erklärungsstrategien, bei denen die Forscherin oder der Forscher das Vorwissen in Form statistisch zu überprüfender Hypothesen über Zusammenhänge zwischen Variablen formuliert. Der mechanismenorientierte Erklärungsversuch will Hypothesen weder prüfen, noch widerlegen oder bestätigen. Hypothesen haben in der mechanismenorientierten Erklärungsstrategie die Funktion, die empirische Erhebung und die Auswertung anzuleiten, indem sie das Erkenntnisinteresse genauer formulieren. Ausserdem drückt die Forscherin oder der Forscher durch Hypothesen die Vorannahmen aus, die einen Einfluss auf die Erhebung und Auswertung haben.
Die Hypothesen sollen der komplexen sozialen Realität gerecht werden. Deshalb stelle ich die Mechanismen der Bergbaukonflikte in Cajamarca auf die gesellschaftlich-politische Entwicklung in einem hypothetischen Modell dar. Dieses zeigt meine Annahmen über Ausprägungen der Variablen und über Mechanismen, die zwischen den Variablen spielen. Auf praktischer Ebene gibt das hypothetische Modell Hinweise auf die Art von Informationen, die ich in der Erhebung durch Expertinnen- und Experteninterviews und in der Auswertung durch die qualitative Inhaltsanalyse suche.
Wie detailliert sozialwissenschaftlich Forschende ein hypothetisches Modell entwerfen, hängt damit zusammen, wie weit sie das vorhandene Wissen und die greifbaren Theorien für die Forschungsfrage nutzbar machen (können).
Für die Forschungsfrage nützliche Theorien beinhalten komplexe Variablen, die die Forschenden als Suchraster einsetzen können – auch wenn der Begriff Variable meist nicht benutzt wird.43 Der Bezug auf Variablen erinnert an quantitative Sozialforschung, in einer qualitativen Untersuchung mag es auf den ersten Blick befremdend wirken, mit Variablen zu arbeiten. In relationsorientierten Erklärungsstrategien setzt die Forscherin oder der Forscher Variablen eindimensional und in einer quantifizierbaren Skala ein. Für die mechanismenorientierte Erklärungsstrategie gilt es, dieses enge Variablenkonzept zu überwinden. Mechanismenorientierte Forschende können Variablen in einem allgemeineren Verständnis definieren als „Konstrukte, die veränderliche Aspekte der sozialen Realität beschreiben.“44 Im Gegensatz zu Variablen in relationsorientierten Erklärungsstrategien können Variablen in mechanismenorientierten Erklärungsstrategien mehrere Dimensionen haben. Die Dimensionen ihrerseits können unterschiedlich skaliert sein; die Merkmalsausprägungen sind in der Regel nominalskaliert, also ausschliesslich mit Worten beschreibbar.45
Die mechanismenorientierte Erklärungsstrategie lässt also auch komplexe Variablen zu, die nicht in eindimensionale Indikatoren aufgelöst werden können. Um Kausalmechanismen zu erklären, genügt es jedoch nicht, die Ausprägungen dieser komplexen Variablen zu erheben. Das hypothetische Modell muss zusätzlich Vermutungen über soziale Prozesse aufnehmen, die die Wechselwirkung zwischen den Variablen beschreiben, also Annahmen über Kausalmechanismen.
Jochen Gläser und Grit Laudel unterscheiden für das hypothetische Modell einer mechanismenorientierten Untersuchung unterschiedliche Arten von Variablen. Die Forschungsfrage gibt die Rolle vor, die die Variablen einnehmen. Die Art einer Variablen ergibt sich also nicht aus der Natur der Sache, sondern aus dem Zweck der Untersuchung. Variablen können also folgende Rollen spielen: a) Unabhängige Variablen sind interessant als Ursache, sie spielen in diesem Sinne eine aktive Rolle. b) Bei den abhängigen Variablen dagegen interessiert uns, wodurch sie beeinflusst werden; ihre Wirkung ist nicht wichtig, sie sind also passiv. c) Intervenierende Variablen beeinflussen die vermittelnde Handlung, deren Kausalmechanismus im Zentrum des Interesses steht, und über diese eine oder mehrere abhängige Variablen. d) Vermittelnde Variablen schliesslich beschreiben Vermittlungsprozesse.
Grafik 4: Typen von Untersuchungsvariablen
Forschende definieren Variablen so genau wie möglich. Die Definition legt fest, welche Phänomene die Variable in der sozialen Realität beschreibt. Darüber hinaus soll die Definition erlauben, diese bestimmten Phänomene von anderen zu unterscheiden. Da die Variablen der mechanismenorientierten Erklärungsstrategie wie besprochen mehrdimensional sind, muss die Forscherin oder der Forscher mindestens zwei Dimensionen festlegen: die Zeitdimension und eine oder mehrere Sachdimensionen. Die Zeitdimension beschreibt den Zeitpunkt oder den Zeitraum, in dem die beschriebene Merkmalsausprägung vorkommt.
Forscherinnen und Forscher müssen sich vor Erhebung und Auswertung überlegen, wie empirische Informationen über die Merkmalsausprägungen beschaffen sein mögen, um die Variablen für die empirische Untersuchung nutzbar zu machen. Sie müssen deshalb Indikatoren suchen, die für die Expertinnen- und Experteninterviews gezielte Fragen erlauben und in der qualitativen Inhaltsanalyse erkennen lassen, dass ein empirisches Phänomen eine Merkmalsausprägung einer Variablen ausdrückt. Die Untersuchungsvariablen müssen einerseits abstrakt genug sein, um die Vielfalt an empirischen Phänomenen zu erfassen – anderseits müssen sie so konkret sein, dass sie die Suche nach relevanter empirischer Information anleiten können.
Die theoretischen Vorüberlegungen sollten Variablen also nach dem folgenden Muster beschreiben: Name der Variable, Definition, Indikatoren, Zeitdimension, Sachdimension(en). Wie weit und genau die theoretischen Vorüberlegungen zu einem gut strukturierten Modell mit klar definierten Variablen führen, ist vom Stand der relevanten Theorien abhängig. Theorien über den Zusammenhang zwischen zentralstaatlichen Entscheiden und Korruption bezüglich der Bergbaukonflikte in Cajamarca fehlen zum Beispiel gänzlich, Kritiker des Bergbaus verweisen jedoch stets auf Korruption, die mit staatlichen Entscheiden verbunden ist. Wo ich nicht auf eine spezifische Theorie zurückgreifen kann, ist es sinnvoll, die Variablen mit allgemeinen handlungstheoretischen Überlegungen in Dimensionen zu gliedern.46 Das erlaubt ohne weiteres Vorwissen folgende Strukturierung: a) Akteure, b) Handlungsbedingungen und c) Handlungen.
Das Ergebnis der theoretischen Vorüberlegungen besteht im günstigen Fall „aus im Kontext einer Theorie definierten, in Dimensionen strukturierte Variablen, Vermutungen über die Kausalmechanismen, die Zusammenhänge zwischen diesen Variablen vermitteln, und Überlegungen zu Indikatoren, die Ausprägungen der Variablen anzeigen.“47
Ich konnte diesen hohen Anspruch in den Vorüberlegungen zu dieser Untersuchung nur teilweise erfüllen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zu verschiedenen Variablen keine Ad-hoc-Theorien oder Theorien mittlerer Reichweite48 existieren. Ich musste die Variablen also mit allgemeinen handlungstheoretischen Überlegungen gliedern.
Grafik 5: Hypothetisches Modell