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ENTSTEHEN UND VERGEHEN
ОглавлениеDer zweite Teil des Refrains ruft uns auf, bei jedem Objekt unserer Aufmerksamkeit in der Betrachtung der Natur des Entstehens, der Natur des Vergehens und der Natur von beidem zu verweilen. Der große burmesische Meditationsmeister Ledi Sayadaw sagte: Entstehen und Vergehen nicht zu sehen, sei Verblendung, während das Erkennen der Unbeständigkeit aller Phänomene das Tor zu allen Stufen der Einsicht und des Erwachens sei. Der Buddha betonte die Wichtigkeit dieser Erkenntnis auf vielfältige Weise:
»Die Vorstellung der Vergänglichkeit, ihr Mönche, wird sie entfaltet und häufig geübt, bezwingt alle Sinnlichkeits-Gier, sie bezwingt alle Körper-Gier, bezwingt alle Daseins-Gier, bezwingt alles Nichtwissen und vernichtet alle Unwissenheit und Verblendung.«1
»Und lebt man hundert Jahre auch,
Doch merkt nicht das Entstehn-Vergehn,
Besser ein Lebenstag des Manns,
Der das Entstehn-Vergehn erkennt.«2
Was bedeutet das hinsichtlich dessen, was wir in unserem Leben schätzen und wofür wir arbeiten, und was bedeutet das im Hinblick auf die befreiende Wirkung, die Wahrheit der Veränderung unmittelbar zu sehen – im jeweiligen Augenblick und in Bezug auf uns selbst?
Ānanda war ein Cousin des Buddha und stand ihm viele Jahre lang als Begleiter zur Seite. Als er einmal die vielen wundervollen Eigenschaften des Buddha aufzählte, antwortete der Buddha, indem er sich selbst als den Tathāgata (»der so Gegangene«) bezeichnete:
»Nachdem das so ist, Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis: Ānanda, da sind dem Tathāgata Gefühle bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Wahrnehmungen sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden; Gedanken sind ihm bekannt, wie sie erscheinen, wie sie gegenwärtig sind, wie sie verschwinden. Ānanda, behalte auch dies als eine wunderbare und erstaunliche Eigenschaft des Tathāgata im Gedächtnis.«3
Ein tiefes Verständnis der Wahrheit der Unbeständigkeit – nicht als Konzept, sondern als direkte Erfahrung – eröffnet den Zugang zu noch tieferen Einsichten. In seiner ersten Unterweisung über Selbstlosigkeit an die fünf Asketen spricht er über jede der fünf Daseinsgruppen – materielle Formen, Gefühle, Wahrnehmungen, geistige Formationen und Bewusstsein –, verweist auf deren Unbeständigkeit und erklärt, wie das Unbeständige unweigerlich unzuverlässig und unbefriedigend ist und wie das Unzuverlässige und Unbefriedigende nicht wirklich als »ich« oder »mein« betrachtet werden kann. Als sie diese Lehre hörten, wurden alle fünf Asketen erleuchtet.
Wie geschieht das? Worin liegt die befreiende Kraft dieser Lehre? Wenn wir tief erkennen, dass alles, was dem Entstehen unterliegt, auch aufhören wird, dass, was immer erscheint, auch vergeht, dann wird der Geist ernüchtert, wir werden desillusioniert. Sind wir desillusioniert, werden wir leidenschaftslos. Durch Leidenschaftslosigkeit wird der Geist befreit.
Die Wörter ernüchtert, desillusioniert und leidenschaftslos haben alle einen negativen Beigeschmack. Doch bei näherer Betrachtung steckt in ihrer Bedeutung eine Verbindung zu Freiheit. Wenn wir ernüchtert werden, wird ein Bann gebrochen und wir erwachen zu einer größeren, reichhaltigeren Wirklichkeit. Die Ernüchterung ist das glückliche Ende vieler Märchen. Desillusioniert zu sein ist nicht dasselbe wie entmutigt oder enttäuscht zu sein. Es entspricht vielmehr einer Rückverbindung mit dem, was wahr und frei von Illusionen ist. Und leidenschaftslos zu sein ist nicht gleichbedeutend mit Gleichgültigkeit oder Apathie, sondern verweist auf eine große geistige Weite und Gelassenheit.