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Die vier Qualitäten des Geistes

1. Unermüdlich

Der ausdauernde Geist

Nach der Behauptung, dass die Praxis der vier Wege, Achtsamkeit zu entwickeln und zu verankern, der direkte Weg zur Befreiung ist, finden wir im Satipaṭṭhāna Sutta eine präzise Definition dieses Weges und seiner wesentlichen Merkmale. Der Buddha verweist als Erstes auf die vier Felder zur Entwicklung der Achtsamkeit: Körper, Gefühle, Geist und Dhammas (Kategorien der Erfahrung). Haben wir in diesen vier Bereichen Achtsamkeit entwickelt und verankert, können wir sicher verweilen. Wenn wir nicht achtsam sind, nicht wach, verlieren wir uns in unheilsamen Reaktionen und erschaffen damit Leiden für uns selbst und für andere.

»Welche vier? Hier, ihr Bhikkhus, verweilt ein Bhikkhu hinsichtlich des Körpers den Körper betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich der Gefühle verweilt er die Gefühle betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich des Geistes verweilt er den Geist betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt. Hinsichtlich der Dhammas verweilt er die Dhammas betrachtend, unermüdlich, wissensklar und achtsam, frei von Verlangen und Betrübtheit hinsichtlich der Welt.«1

In dieser Definition stellt der Buddha auch die mentalen Voraussetzungen für den Weg dar: Wir müssen unermüdlich sein, wissensklar und achtsam sowie frei von Verlangen und Trauer hinsichtlich der Welt. Unermüdlich verweist auf eine ausgeglichene, nachhaltige Anwendung des Bemühens; es geht damit jedoch auch eine gewisse Wärme einher, jene Begeisterung oder Hingabe, die daraus entstehen, dass wir den Wert und die Bedeutung von etwas erkannt haben.

Wenn der Buddha sagt, ein Bhikkhu (das heißt wir alle auf dem Weg) verweile unermüdlich, ruft er uns zu großer Sorgfalt auf, mit Beständigkeit und Beharrlichkeit bei unserem Tun zu bleiben.

Der große chinesische Ch’an-Meister Hsu Yun erlangte im Alter von 56 Jahren Erleuchtung und lehrte dann 64 Jahre lang. Er verstarb im Alter von 120 Jahren. Er nannte diese Qualität der Unermüdlichkeit den »ausdauernden Geist«. Dieser trägt uns durch all das Auf und Ab der Praxis.

Spirituelle Unermüdlichkeit ist die Quelle eines mutigen Herzens. Sie schenkt uns die Kraft, alle Schwierigkeiten der Reise durchzustehen. Daher stellt sich die Frage, wie wir Unermüdlichkeit praktizieren und kultivieren können, sodass sie in unserem Leben eine starke und vorwärtsführende Kraft wird.

BETRACHTUNG DER KOSTBARKEIT DES DHARMA

Eine Möglichkeit, Unermüdlichkeit zu kultivieren, besteht darin, über den Sinn und Zweck unserer Praxis nachzusinnen und die ungeheure Kostbarkeit des Dharma zu erkennen. Recht verstanden ist der Dharma der Ursprung jeglichen Glücks. Ajahn Mun, ein hoch anerkannter Meditationsmeister der thailändischen Waldtradition, erinnert uns daran, dass ein Verständnis des Geistes einem Verständnis des Dharma entspricht und die Erkenntnis der tiefsten Wahrheiten des Geistes zur Erleuchtung führt.

Wir können unsere Unermüdlichkeit auch stärken, indem wir uns bewusst machen, wie selten wir in unserem Leben mit Lehren in Berührung kommen, die Herz und Geist befreien. Dilgo Khyentse Rinpoche, einer der großen tibetischen Dzogchen-Meister des vergangenen Jahrhunderts, erinnert uns daran mit den Worten:

»Fragt euch, wie viele der Milliarden von Erdbewohnern auch nur eine Ahnung davon haben, wie selten es ist, als Mensch geboren zu sein. Wie viele von jenen, die die Seltenheit der menschlichen Geburt begreifen, denken je daran, diese Chance zu nutzen, um den Dharma zu praktizieren? Wie viele von jenen, die daran denken, den Dharma zu praktizieren, tun es auch? Und wie viele von denen, die damit beginnen, machen auch weiter? … Doch wenn ihr einmal die einzigartige Möglichkeit erkannt habt, die das menschliche Dasein euch bietet, werdet ihr zweifellos mit aller Kraft danach streben, sie voll und ganz zu nutzen, indem ihr den Dharma praktiziert.«2

Diese Gedanken erzeugen große Achtung für den Dharma, für unsere Mitpraktizierenden und für uns selbst. Diese Achtung lässt uns in jedem Augenblick sorgfältiger und unermüdlicher werden.

BETRACHTUNG DER UNBESTÄNDIGKEIT

Wir können die Qualität der Unermüdlichkeit auch durch die Betrachtung der Vergänglichkeit aller Phänomene stärken. Betrachten wir nur all die Dinge, an denen wir anhaften – seien es Menschen, Besitztümer, Gefühle oder körperliche Zustände. Nichts von dem, was wir haben, niemand in unserem Leben und kein Geisteszustand ist frei von Veränderung. Nichts kann den universellen Prozess von Geburt, Wachstum, Verfall und Tod verhindern.

Solange wir die Wahrheit der Unbeständigkeit nicht wirklich verstehen, verbringen wir unser Leben und sogar unsere Meditationspraxis mit der Suche und dem Verlangen nach anderen Menschen, Besitztümern und Erfahrungen. Wir verheddern uns in all den Erscheinungen von Saṃsāra, den Zyklen von Geburt und Tod, und verfestigen dabei unser Empfinden eines Selbst. Da gibt es keinen Frieden.

Das Folgende ist ein Auszug aus Das Leben des Shabkar, einem Buch über die Lehren eines tibetischen Wander-Yogis aus dem 18. Jahrhundert. Es ist ein starkes Zeugnis über die Wahrheit der Veränderung:

»An einem anderen Tag ging ich zu einer blumenübersäten Wiese, um etwas frische Luft zu atmen. … Beim Singen, im Zustand des Gewahrseins der vollkommenen Sicht, bemerkte ich in der Fülle von Blumen, die sich vor mir ausbreitete, eine besondere Blume, die sich sanft auf ihrem langen Stängel wiegte und einen süßen Duft verströmte. Während sie sich von Seite zu Seite neigte, hörte ich im Rascheln ihrer Blütenblätter dieses Lied:

Hör mich an, Bergbewohner: …

Ich möchte deine Gefühle nicht verletzen,

Aber dir fehlt tatsächlich sogar das Gewahrsein

Von Vergänglichkeit und Tod,

Von der Verwirklichung der Leerheit ganz zu schweigen.

Wer dieses Gewahrsein hat,

Den lehren alle äußeren Phänomene Vergänglichkeit und Tod.

Ich, die Blume, werde dir, dem Yogi,

Jetzt einige hilfreiche Ratschläge

Über Tod und Vergänglichkeit erteilen.

Als Blume, die auf einer Wiese geboren wurde,

Erfreue ich mich vollkommenen Glücks

Mit meinen farbenfrohen Blütenblättern in voller Blüte.

Umgeben von einer Wolke eifriger Bienen,

Tanze ich fröhlich, sanft im Winde wiegend.

Wenn feiner Regen fällt,

Hüllen meine Blütenblätter mich ein;

Wenn die Sonne scheint, öffne ich mich wie ein Lächeln.

Im Augenblick sehe ich ganz gut aus.

Aber das wird nicht lange vorhalten,

Überhaupt nicht.

Unwillkommener Frost wird diese lebhaften Farben

Stumpf werden lassen,

Bis sie braun werden und ich verwelke.

Wenn ich daran denke, bin ich beunruhigt.

Später noch werden Winde –

Stürmisch und gnadenlos –

Mich auseinanderreißen,

Bis ich mich in Staub verwandele. …

Du, Einsiedler, …

Bist von der gleichen Natur.

Umgeben von einer Menge Schüler,

Erfreust du dich eines schönen Aussehens,

Dein Körper aus Fleisch und Blut ist voller Leben;

Wenn andere dich loben, tanzt du vor Freude; …

Im Augenblick siehst du ganz gut aus.

Aber das wird nicht lange vorhalten,

Überhaupt nicht.

Ungesundes Altern wird dich

Deiner gesunden Lebenskraft berauben;

Dein Haar wird weiß werden

Und dein Rücken krumm. …

Wenn die unbarmherzigen Hände

Von Krankheit und Tod dich berühren,

Wirst du diese Welt

Für das nächste Leben verlassen. …

Weil du, durch die Berge streifender Einsiedler,

Und ich, eine Bergblume,

Berg-Freunde sind,

Habe ich dir diese guten Ratschläge angeboten.

Dann verfiel die Blume in Schweigen.

Als Erwiderung sang ich:

Oh prächtige, auserlesene Blume,

Dein Diskurs über Vergänglichkeit

Ist wahrlich wundervoll.

Aber was sollen wir beide tun?

Gibt es gar nichts, was getan werden kann? …

Die Blume antwortete: …

Unter allen Aktivitäten in Sāṃsara

Ist nicht eine von Dauer.

Was immer geboren wird, wird sterben;

Was immer zusammengesetzt wird, wird auseinanderfallen;

Was immer gesammelt wird, wird sich zerstreuen;

Was immer hoch ist, wird fallen.

Eingedenk dessen beschließe ich,

Nicht an diesen saftigen Wiesen anzuhaften.

Selbst jetzt, im vollen Glanz meiner Erscheinung,

Selbst während meine Blütenblätter sich prächtig entfalten …

Auch du, noch stark und gesund,

Solltest ablassen vom Anhaften. …

Suche das reine Feld der Freiheit,

Die große Gelassenheit.«3

BETRACHTUNG VON KARMA

Das Verständnis des Gesetzes des Karma ist die dritte Möglichkeit zur Erzeugung von Unermüdlichkeit in unserer Praxis. Dabei geht es um die grundlegende und wesentliche Erkenntnis, dass all unser willentliches Tun des Körpers, der Rede und des Geistes je nach dahinter stehender Absicht Konsequenzen nach sich zieht. Handeln wir aus Gier, Hass oder Verblendung, führt es zu unangenehmen Ergebnissen. Handeln wir aus Nicht-Gier, Nicht-Hass und Nicht-Verblendung, entstehen vielerlei Arten von Glück und Wohlbefinden.

Dem Gesetz des Karma entsprechend können wir nur von unseren Handlungen und deren Folgen wirklich sagen, dass sie zu uns gehören. Die Konsequenzen unseres Tuns verfolgen uns wie ein Schatten oder, um ein altes Bild zu verwenden, wie das Rad des Karrens, das dem Fuß des Ochsen folgt. Dieses Prinzip ist so grundlegend und weitreichend, dass es vom Buddha und anderen großen erleuchteten Wesen bis heute immer wieder betont wurde. Die allerersten Zeilen der Dhammapada verweisen auf genau diese Erkenntnis:

»Der Geist ist der Wegbereiter aller Dinge. Sprich oder handele mit unreinem Geist, und Leiden folgt wie das Wagenrad dem Huf des Ochsen.

Der Geist ist der Wegbereiter aller Dinge. Sprich oder handele mit friedvollem Geist, und Glück folgt wie ein Schatten, der nie weicht.«4

Es gibt die berühmte Aussage von Padmasambhava, dem großen indischen Adepten, der den Buddhismus nach Tibet gebracht hat: »Meine Sichtweise ist so weit wie der Raum. Meine Aufmerksamkeit auf das Gesetz des Karma ist so fein wie Gerstenmehl.« Der Dalai Lama sagte: Müsste er wählen, ob er in seinen Lehren den Schwerpunkt auf Leerheit oder auf Karma legen wolle, würde er die Lehren des Karma wählen, so wichtig das Verständnis der Leerheit auch sei. Der koreanische Zen-Meister Seung Sahn Sunim fasst die Quintessenz der Integration von Leerheit und Karma mit den Worten zusammen: »Es gibt weder richtig noch falsch, doch richtig ist richtig und falsch ist falsch.«

Es reicht jedoch nicht, Karma einfach zu verstehen; wir müssen dieses Verständnis auch in unserem Leben umsetzen. Denken wir daran, unsere Absicht zu erforschen, wenn wir handeln wollen oder wenn bestimmte Gedanken oder Gefühle dominieren? Fragen wir uns: »Ist dieses Handeln oder dieser Geisteszustand geschickt oder ungeschickt? Ist dies etwas, was ich kultivieren oder aufgeben will? Wohin führt diese Absicht? Will ich da wirklich hin?«

1. Anālayo, Der direkte Weg. Aus dem Englischen übersetzt von Ilse Maria Bruckner und Siegfried C.A. Fay, Verlag Beyerlein & Steinschulte, Stammbach 2010. https://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/pdf/5-personen/analayo/direkte-weg.pdf. (Da der Text online steht, sind bei den betreffenden Zitaten keine Seitenzahlen angegeben. Jede Stelle kann leicht mit der Suchfunktion gefunden werden.)

2. Zitiert in Dilgo Khyentse Rinpoche, »Teachings on Nature of Mind and Practice«, Tricycle: The Buddhist Review, Winter 1991.

3. Shabkar Tsogdruk Rangdrol, Das Leben des Shabkar, Manjughosha Edition, Berlin 2011, 58–59.

4. Aus der Dhammapada. Es gibt zahllose Übersetzungen der Dhammapada. Dies ist meine eigene Version, die sich im Laufe der Jahre bei der Lektüre verschiedener Quellen herausgebildet hat.

Achtsamkeit Bd. 1

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