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Ungewohntes löst bei vielen Menschen – ob mit oder ohne Autismus – anfangs Angst und unangenehme Empfindungen aus. Die Situation, mit einem fremden Menschen Kontakt aufzunehmen – sei es auch mit einem Therapeuten, bei dem man Hilfe sucht –, kann unterschiedliche Emotionen wachrufen. Klienten aus dem Autismus-Spektrum, Erwachsene ebenso wie Kinder und Jugendliche, haben jedoch häufiger Schwierigkeiten, ihre Gefühle passend zum Ausdruck zu bringen. Sie wirken dabei bisweilen förmlicher oder gefühlsärmer, als sie in Wirklichkeit sind. Unverständliches Verhalten wird nachvollziehbar, wenn man es sich erklären lässt. Denn hinter vermeintlichen Provokationen steht oft einfach ein Missverständnis, das es zu klären gilt. Betroffene haben in der Regel nicht die Absicht, andere anzugreifen oder zu verletzen, sondern verstehen einfach nicht, wie sie reagieren sollen.

Die Frage ist dann: Vor welchen Herausforderungen steht der Betroffene gerade? Ist es womöglich das Gefühl, dass es dem Betroffenen wichtig ist, mit mir in Verbindung zu kommen, er aber nicht weiß, wie er das bewerkstelligen kann oder soll?

Der Erfolg einer Behandlung hängt, nach dem Konzept von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer, maßgeblich von einer guten Beziehung zwischen Klient und Therapeut ab. Therapieerfolge können sich danach nur einstellen, wenn der Behandler mit dem Klienten kooperiert und dessen Anliegen wirklich ernst nimmt.

Es ist für Therapeuten sehr hilfreich, sich die Art der Beziehung zum Klienten genauer zu betrachten. Denn jeder der im Folgenden beschriebenen drei Interaktionsstile bedarf einer speziellen Haltung. De Shazer beschreibt in seinem lösungsfokussiertem Therapiekonzept drei verschiedene Stile, wie Klienten und Behandler in Beziehung treten können (de Shazer 2008):

1) Interaktion vom Typ des Kunden

2) Interaktion vom Typ des Klagenden

3) Interaktion vom Typ des Besuchers

So ist die Interaktion vom Typ des Kunden geprägt durch konkrete Veränderungswünsche des Klienten. Er leidet in unterschiedlichem Maße unter einem Problem, das er alleine nicht lösen kann. Oder er hat ein Ziel vor Augen, das er trotz seiner Bemühungen bislang noch nicht erreicht hat. Er hat auch schon eine Vorstellung davon, dass er selbst etwas zur Lösung beitragen kann. Aber er hat noch keine konkrete Idee, bzw. ihm fehlt noch die geeignete Methode, wie er sein Problem lösen oder sein Ziel erreichen kann.

Wenn junge Klienten einen konkreten Wunsch an mich herantragen, erkläre ich ihnen die Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn wir mit der Prozess- und Embodimentfokussierten Psychologie, kurz PEP, arbeiten. Bei Kindern, die sich mögliche Lösungen auf gestalterische Art erarbeiten möchten, beginnen wir mit kunsttherapeutischen Angeboten.

Wenn ein junger Klient in einer Interaktion vom Typ des Klagenden vor mir sitzt, benötigt er erst mal eine angemessene Würdigung seines bislang erlebten Leids. Gerade für Klienten mit einer Autismus-Diagnose ist es wichtig, dass der Behandler versteht, welche autismusbedingten Probleme der Klient hat, die von der Umwelt bislang nicht verstanden wurden. Nach meinen Erfahrungen kann sich das Gegenüber für meine Kreativangebote öffnen, wenn derjenige sich in diesem Leid angenommen fühlt. Im kreativen Gestalten kann der Klient in dem therapeutischen Setting dann möglicherweise erste Erfahrungen sammeln, wie er sich selbst als Handelnder erlebt.

Oft stellt eine kreative Gestaltung jedoch schon ein derartig großes Hindernis dar, dass es erst mal hilfreich ist, nach den Interessen des Klienten zu fragen. Die Beschäftigung mit den Spezialinteressen gibt dem Klienten oft die nötige Sicherheit, sich in der ungewohnten Therapiesituation auch neuen Themen zu öffnen. Gerade bei Jugendlichen ist es immer hilfreich, sie bei den Themen »abzuholen«, mit denen sie sich gerade gerne beschäftigen. Sie können sich so entscheiden, mit welchem Thema sie in die Beziehung zum Therapeuten einsteigen. Dieses erste aufkommende Gefühl von Selbstwirksamkeit beim Klienten ist entscheidend, um eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Klient aufzubauen.

Bei der Interaktion vom Typ des Besuchers stellt der Beginn eines Beziehungsaufbaus eine größere Herausforderung dar. Dieser Kliententyp scheint ja aus seiner Sicht selbst gar keine Probleme zu haben. Es sind ja die anderen, die »Idioten«, die »bescheuert« oder eben »einfach ätzend« sind. Kinder und Jugendliche sind von Eltern geschickt, oder die Lehrer sind daran schuld, dass man zur Therapie muss. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist oft nicht bzw. kaum ausgeprägt. Kreative Angebote werden dann als langweilig, nervig oder sinnlos abgewiesen.

Oft konnte ich jedoch feststellen, dass ein solcher, nach außen zwar cooler, nach innen jedoch eher ängstlicher, abwehrender Klient schnell in einen ruhigeren Zustand wechselt, wenn er in irgendeiner Form Verbundenheit wahrnimmt. Schließlich ist es ein Grundbedürfnis aller Menschen – mit oder ohne Autismus. Dieses Wahrnehmen von Verbundenheit eröffnet dann neue Möglichkeiten für die Kommunikation. So beobachtete ich z. B. bei Dennis3 (14 Jahre) ein Strahlen in den Augen, als ich ihn nach seinem Lieblingsfilm fragte und wir uns wunderbar über die lustigen Szenen im Film austauschen konnten.

Findet man nicht schnell genug eine Gemeinsamkeit, kann die Betonung darauf, wie bemerkenswert es ist, dass sie doch gekommen sind und mit dem Therapeuten reden, ein erster Schritt sein, doch noch in eine wertschätzende Beziehung zu kommen. Haben diese Klienten ein Spezialgebiet, erweist sich das als sehr hilfreich. Bei kleineren Kindern ist immer das Angebot des Spielens wichtig. Wobei es auch da wichtig ist, mit dem autistischen Kind zu kooperieren und dessen ganz eigene »Spielbedürfnisse« wertzuschätzen.

Während, bzw. zum Abschluss des ersten Kennenlernens, erkläre ich auch, dass der junge Klient und seine Eltern sich in Ruhe zu Hause darüber unterhalten können, ob sie sich bei mir verstanden fühlen und der Klient die Therapie aufnehmen möchte. Mit der Möglichkeit, dass sie diese Frage nicht sofort klären müssen, respektiere ich mögliche, autismusspezifische Schwierigkeiten, wie z. B., sich nicht schnell entscheiden zu können. Diese Fragestellung ist meist ein guter Indikator dafür, ob die Beziehungsaufnahme bereits gelungen ist. Wenn sich der Klient schon in der Stunde für den Beginn der Therapie entscheiden kann, ist die Beziehungsaufnahme bereits geglückt. Manchmal ist aber auch genau diese Möglichkeit, sich erst zu einem späteren Zeitpunkt telefonisch oder per Mail melden zu können, das Zeichen für den Klienten, dass hier seine autismusspezifischen Bedürfnisse geachtet werden.

Am Ende des Erstgesprächs verabschiede ich mich sehr wertschätzend, indem ich zusammenfasse, was mir bei dem jungen Klienten und seiner Begleitperson an konstruktiven Eindrücken und besonderen Ressourcen aufgefallen ist und was sie in dieser ersten Stunde bei mir geleistet haben.

»Es hat mich tief beeindruckt, dass du uns so genau beschreiben konntest, wie es dir in der Schule ergangen ist und welche Gefühle das in dir ausgelöst hat.«

»Es ist bemerkenswert für mich, wie du diese fremde Situation hier gemeistert hast!«

Diese wertschätzende Haltung ist nicht nur für den Klienten wichtig. Es ist mir als Therapeutin wichtig, die positiven Fähigkeiten und Ressourcen eines jungen Klienten deutlich wahrzunehmen und zu benennen. Ich bin überzeugt, dass diese Grundhaltung, von Anfang an Potenziale in den Fokus zu nehmen, eine Art »Brücke« zwischen dem Gegenüber und mir bauen kann. Es ist manchmal geradezu rührend zu sehen, wie meine kleinen Klienten vor Stolz übers ganze Gesicht strahlen oder auf einmal ein ganzes Stück größer scheinen.

Zusätzlich kann dieses Wissen später für mich immer wieder zur Leichtigkeit beitragen, wenn autismusspezifische Schwierigkeiten uns in einen »Es-verändert-sich-gar-nichts-Strudel« zu reißen drohen.

Anders ist eine Variation von richtig

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