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Vorwort

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In meiner langjährigen Praxis mit Kindern und Jugendlichen aus dem Autismus-Spektrum hatte ich viele berührende Begegnungen mit diesen besonderen Menschen. Eine Situation werde ich sicher nie vergessen: Einmal fragte mich der kleine, fünfjährige Albert mit seinen verwuschelten Haaren in einer Therapiestunde, warum Bill, sein Gruppenpartner, so kauzig sei. Dieses Wort »kauzig« aus dem Munde eines kleinen Jungen zu hören war schon besonders. Die Frage erstaunte mich jedoch insofern umso mehr, als mir Albert mit seiner enthusiastischen Art, Schnecken zu sammeln, selbst als sehr skurril und kauzig aufgefallen war.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus dem Autismus-Spektrum verarbeiten die Eindrücke aus ihrer Umwelt sehr individuell. Aufgrund einer anderen Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung haben sie besondere Schwierigkeiten in den Bereichen Kommunikation und Sozialverhalten. So führt z. B. ihr wortwörtliches Sprachverständnis im Alltag oft zu Missverständnissen. Ein Teufelskreis von gegenseitiger Ablehnung beginnt. Die Betroffenen kämpfen in der Folge nicht nur mit einem erhöhten Stresslevel, sondern leiden in der Regel auch unter einem geringen Selbstwertgefühl und oft zusätzlich an Depressionen und Ängsten.

Die meisten der bestehenden pädagogischen und therapeutischen Konzepte konzentrieren sich darauf, Unterstützung dahingehend anzubieten, dass diese Menschen an ihren autismusbedingten Schwachstellen gezielt trainieren, um sich so besser anpassen zu können. Demgegenüber erlebe ich immer wieder, wie hilfreich es für meine Klienten ist, dass sie achtsam für ihre autismusspezifischen Bedürfnisse werden. Auch fällt es ihnen meist schwer wahrzunehmen, was ihnen bereits alles gelingt. Zu intensiv haben sie gelernt, dass sie an ihren Schwächen »arbeiten« müssen.

Anders ist eine Variation von richtig nimmt eine neue Sichtweise auf die Unterstützung von Menschen aus dem Autismus-Spektrum ein. Bewusst verzichte ich in diesem Buch auf die Bezeichnung »Autismus-Spektrum-Störung«, wie sie laut der WHO (Weltgesundheitsorganisation) genannt wird. Diesem Buch liegt eine Haltung zugrunde, die Autismus nicht per se als Störung betrachtet. Stärken und Fähigkeiten werden gewürdigt und unterstützt, ohne autismusspezifische Probleme zu vernachlässigen.

Ich schließe mich der Äußerung von Phil Schwarz, Vizepräsident der Asperger’s Association of New England (AANE), an (Schwarz 2020):

»Ich glaube, dass Autismus so ein subtiler Mix von neurologischen Abweichungen von der Norm ist, dass man, wenn man ihn wirklich auf einer genetischen Ebene verhindern wollte, nicht nur die Kombination aus Behinderungen verhindern würde, die daraus entstehen, sondern auch Genius, Humor, Talent und nützliche unterschiedliche Arten zu denken und zu fühlen, Kunst zu schaffen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, die ebenfalls aus diesen neurologischen Abweichungen resultieren können. Die meisten autistischen Menschen, die ich kenne, gehören zu den zutiefst menschlichen Personen, die ich kenne. Die Menschheit wäre weit, weit ärmer ohne Leute wie sie.«

Linus Müller, der Gründer von Autismus-Kultur.de schreibt in seinem Blog, dass es viele unterschiedliche autistische Menschen gibt:

»Wir sind alt oder jung, schwul oder transgender, Migrant*innen oder Geflüchtete, schwarz oder jüdisch, lernbehindert oder hochbegabt, depressiv oder obdachlos. Diese Vielfalt muss sich widerspiegeln in der Unterstützung für autistische Menschen.«

Bei so vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen von Autismus wird deutlich, wie entscheidend es für eine gelungene Unterstützung ist, dass sie auf den jeweiligen Menschen individuell angepasst wird und Eigendynamiken berücksichtigt werden.

Menschen aus dem Autismus-Spektrum benötigen also unterschiedlichste Hilfen, je nach Grad der individuellen Abweichungen von der Norm. Entscheidend ist, dass man Methoden findet, die ihnen helfen, ihre Potenziale zu entdecken, wertzuschätzen und zum Ausdruck zu bringen. Dementsprechend ist es meine therapeutische Grundhaltung, gemeinsam mit dem Klienten neue Wege zu finden, wenn alte ausgetretene Wege nicht oder nicht mehr hilfreich sind. Entscheidend ist für mich die Erfahrung, dass Kreativität bei jedem anders aussieht und individuelle Zufriedenheit bei jedem auf andere Weise entsteht.

In meiner täglichen Arbeit begleite ich in der Regel Menschen aus dem Autismus-Spektrum, denen die Sprache als Ausdrucksmittel zur Verfügung steht. Eine Methode für solche Klienten ist die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie, kurz PEP®. Sie ermöglicht eine strukturierte und vorhersehbare Arbeitsweise, die neue Sichtweisen eröffnet. PEP beinhaltet verschiedene Techniken und Interventionsstrategien, die den Umgang mit heftigen Gefühlen oder belastenden Erlebnissen erleichtern und die Bearbeitung hinderlicher Beziehungsmuster, Glaubenssätze und Überzeugungen unterstützen.

Damit PEP wirksam eingesetzt werden kann, ist es wichtig, Vertrauen zu sich und zum Gegenüber aufzubauen. Kreative Angebote eignen sich dafür bei Menschen aus dem Autismus-Spektrum sehr gut. Denn diese Menschen haben zu oft gehört, was sie alles lernen und woran sie »arbeiten« müssen. »Arbeiten« und »müssen« – das klingt nicht nach Lebensfreude und Leichtigkeit. Doch gerade Leichtigkeit, Zuversicht und Humor öffnen Wege, Neues zu entdecken und damit zu experimentieren.

Das gilt nicht nur für die Betroffenen selbst: Auch Eltern, Erzieher, Lehrer oder Therapeuten können die Herausforderungen leichter meistern, wenn sie eigene Ressourcen und Potenziale (wieder-)entdecken und sich von einschränkenden Glaubenssätzen lösen. Das in diesem Buch beschriebene Klopfen aus der PEP ist eine einfach zu erlernende Technik, die jeder selbst anwenden kann, um negative Gefühle und Glaubenssätze zu überwinden sowie Blockaden und Hindernisse für ein leichteres Miteinander aus dem Weg zu räumen.

Natürlich ist PEP keine neue »Wundermethode«. Manchmal ermöglicht sie eine erstaunlich schnelle Entlastung für den Anwender. Wenn sich nicht die gewünschte Entlastung einstellt, ist jedoch auch ein beständiges Anwenden – bei festsitzenden Blockaden auch mit Unterstützung eines darin geschulten Therapeuten – notwendig, um die gewünschte Veränderung herbeizuführen. Wenn sich beim Lesen dieses Buches und beim Anwenden der PEP also nicht gleich die gewünschte Wirkung zeigt, scheuen Sie sich nicht, sich Unterstützung zu holen.1

Die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie ist eine sehr hilfreiche Methode, um in der Begleitung von Menschen aus dem Autismus-Spektrum neue Wege zu gehen. PEP zusätzlich mit künstlerischen Mitteln zu verknüpfen ist für mich als Kunsttherapeutin, aber auch für viele meiner Klienten, die eher visuell denken, eine weitere Quelle von Kraft. Und davon kann man bekanntlich nie genug haben.

Aber ich durfte auch zehn Jahre lang Künstler aus dem Autismus-Spektrum begleiten, die der Sprache gar nicht oder nur sehr reduziert mächtig waren. Wenn Sprache als Ausdrucksmittel nicht möglich ist, ist Kunst ein wunderbares Medium, um verborgene Potenziale zu entfalten. Kunsttherapeutische Interventionen helfen, die eigene Kreativität zu entdecken, dabei Stärken und Ressourcen zu erkennen und zu lernen, wie man diese wertschätzen kann. Das eigene aktive Handeln und Verwandeln von Farben, Formen und Materialien fördert das Erleben von Selbstwirksamkeit. Denn jeder hat ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial in sich!

Zu diesem Buch

Es werden zunehmend mehr wissenschaftliche Publikationen zu Autismus veröffentlicht. In ihnen werden die Symptomatik, diagnostische Kriterien, Häufigkeit und mögliche Ursachen ausführlich beschrieben und nach wissenschaftlichen Normen belegt und ausgewertet. Auch gibt es schon viele Bücher, in denen die Geschichte der Entdeckung dieser Besonderheiten bis hin zu den unterschiedlichen Therapieansätzen ausführlich geschildert sind. Im vorliegenden Buch stehen persönliche Erfahrungen mit Kindern und Erwachsenen aus diesem Wahrnehmungsspektrum im Vordergrund.

Wenn Sie als Psychotherapeut oder Coach mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum arbeiten, erfahren Sie hier, wie hilfreich es für die Betroffenen ist, wenn autismusspezifische Bedürfnisse und Potenziale (wieder) in den Vordergrund rücken.

Vielleicht begleiten Sie auch als Erzieher oder Lehrer Kinder und Jugendliche mit dieser besonderen Wahrnehmung und wollen deren Erleben besser nachvollziehen können? Hier erfahren Sie, wie hilfreich es ist, sich von alten Glaubenssätzen und destruktiven Gedanken zu befreien. Ein Wechsel von der Defizitorientierung zur Potenzialentfaltung und das Nutzbarmachen eigener Ressourcen ist dabei sehr förderlich.

Wenn Sie das Buch gelesen haben, wissen Sie,

•wie Menschen mit und ohne Autismus ihre Selbstbeziehung verbessern und mehr Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können und wie Sie als Therapeut beides nachhaltig aktivieren können;

•dass es Muster gibt, die für dysfunktionale Selbstbeziehungen und dysfunktionale Beziehungen zu anderen verantwortlich sind, und wie man diese auflösen kann.

Anhand von zahlreichen Behandlungsbeispielen werden konkrete Vorgehensweisen für unterschiedliche Therapiesituationen dargestellt. In den Kapiteln 1 bis 4 geht es um die Grundhaltung und grundsätzliche Vorgehensweise dieser Art der Unterstützung. Hier lohnt es sich, diese Kapitel in der gegebenen Reihenfolge nacheinander zu lesen.

Ab Kapitel 5 können Sie, wenn Sie gerade ein besonders Anliegen haben – z. B. mehr über den Umgang mit Überforderungen erfahren möchten –, direkt zu dem entsprechenden Kapitel springen.

PEP ist gut zu erlernen und eignet sich als Selbsthilfetechnik für die eigenständige Anwendung. Die Arbeitsblätter am Ende des Buches erleichtern das eigenständige Arbeiten mit dieser Klopftechnik. Zusätzliche Tipps für den Umgang mit neurotypischen Mitmenschen finden sich ebenfalls im Anhang.

Josephin Lorenz Hannover, im April 2020

1Wenn Sie PEP in Ihre professionelle Arbeit als Therapeut, Psychiater oder Lehrer integrieren wollen, ersetzt dieses Buch natürlich nicht die umfassende und detaillierte Ausbildung bei Michael Bohne.

Anders ist eine Variation von richtig

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