Читать книгу Lethal Vacation - Josephine Lessmann - Страница 13
Kapitel 10
ОглавлениеGolfclub, Kapellenvorplatz
10. Oktober 2014, 20:30 Uhr
Die Menschen saßen bester Laune unter den strengen Augen der Wachleute auf den Bänken und warteten. Nach und nach brachten die Köche ein üppiges Mahl zu den Tischen. Krüge mit Wasser, selbstgebrannten Alkohol und geplünderte Weinvorräte wurden geöffnet und an die Beteiligten ausgeschenkt. Es war wahrlich eine ausgelassene Stimmung.
Aus dem Golfclubhaus kam der Richter mit schweren Schritten heraus stolziert. Die Knopfleiste des weißen Hemdes spannte unter seinem voluminösen Bauchfett. Er stieg auf ein kleines Podest und sah mit stolzgeschwellter Brust über die Gemeinschaft.
»Heute ist ein besonderer Tag. Für uns alle. Aber vor allem für Susi, die heute in den Kreis der Erwachsenen mit allen Rechten und Pflichten und unter Gottes wachen Augen aufgenommen wird«, verkündete er und zeigte auf die kleine Kapelle.
Eine Jugendliche im weißen Kleid, barfuß und mit kunstvoll geflochtenen Haaren, kam in Begleitung ihrer Eltern aus der Kapelle heraus. Der Richter küsste die Mutter auf die Wange und reichte die Pranke dem Vater, der mit Tränen in den Augen dem Bären seine Tochter übergab. Das verschüchterte Mädchen schritt zaghaft in die wuchtigen Arme des imposanten Mannes.
»Ich danke euch für das entgegengebrachte Vertrauen«, brummte er den Eltern entgegen, die in der Menge Platz nahmen. Der Richter erhob das Glas und grinste das Mädchen an.
Ivy sah voll Argwohn zu ihren Leuten, die stirnrunzelnd einander ansahen.
Melanie beugte sich zu einer älteren Dame, die ihr gegenübersaß und tippte sie an. »Entschuldigung, aber was passiert hier?«
Die ältere Dame lehnte sich zu ihr, ließ ihren Blick nicht vom Richter. »Der Richter nimmt das Mädchen in unserem und dem Kreis Gottes auf, in dem er die erste Nacht mit ihr verbringt.«
Melanie starrte sie verständnislos an und vermochte sich nicht vorzustellen, wie dieser Riese von einem Mann dieses kleine wehrlose Mädchen mit in sein Zimmer nehmen würde. »Ernsthaft?! Das ist doch krank!«, echauffierte sich Melanie.
Der Richter setzte sich mit dem Mädchen an die Stirn einer Tafel und begann mit ihr zu essen.
»Oh nein, dieses Ritual gehört zu unserer Gemeinschaft. Manchmal segnet Gott die Mädchen mit einem Kind«, verriet sie ahnungslos lächelnd.
Fassungslos wandte sich Melanie zu Ivy, die das Gespräch gehört hatte.
Er aß genussvoll das Abendmahl, während das Kind eingeschüchtert neben ihm saß. Sie beobachteten, wie er die kleine Susi antippte, worauf sie ihm den Mund mit einem Tuch abtupfte. Selbst, als sie neben ihm saß, war sie gut zwei Köpfe kleiner als er.
»Warum tut niemand etwas dagegen?«, fragte Ivy die Dame, die vollkommen überzeugt dem Mahl folgte.
Entrüstet schüttelte die Greisin den Kopf. »Das ist Tradition!«
Nach einer geraumen Zeit applaudierten die Leute. Der Richter stand mit dem Mädchen auf, nahm ihre Hand und winkte ihnen freudvoll zu.
Ratlos schauten sich Melanie und Ivy an. Sie und die Jungs waren die Einzigen, die nicht applaudierten.
Der Richter beugte sich zu dem Mädchen, gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange und drückte sie an den voluminösen Wanst.
»STOPP!«, schrie Melanie wutentbrannt vom Platz aufschnellend.
Der Applaus stoppte abrupt, der Richter sah mit finsterem Blick zu der Rothaarigen, die wie ein Fels in der Brandung in der Menge stand.
»Melanie, setzʼ dich!«, drängte Ivy nervös, zerrte an ihrer Hand und blickte angsterfüllt in die sich verfinsternde Miene des Richters.
Doch Melanie schüttelte ihre Hand von sich. »Merkt denn keiner von euch, was dieses kranke Schwein diesem wehrlosen Kind antut?! Unterstützt ihr die Vergewaltigung eines unschuldigen Mädchens?!« Melanie starrte in die wortlosen, ungläubigen Gesichter der Menschen. »Das hat nichts mit Glauben zu tun!«
»Das ist unsere Tradition!«, rief jemand aus der Menge.
»Tradition? Das ist doch krank!«, schrie Melanie entrüstet.
Der Richter nickte den Wachen zu, die ohne Zeitverzug Melanie packten und von der Bank wegzerrten.
»Lasst mich los! Ihr dürft das nicht zulassen!« Melanie schlug und trat um sich. Ihre Wut war unerbittlich.
Verwirrt standen Ivy, Jerome, Klaas und Elmar auf, sahen ihr nach und waren drauf und dran, sie aufzuhalten, doch die anderen Wachen richteten ihre Waffen auf die Gefangenen.
Melanie schrie aus vollem Halse und wurde von den Aufsehern in den Gefängnistrakt gebracht.
Seine Wut herunterwürgend blickte der Richter der Rothaarigen hinterher. Er atmete tief ein und aus und räusperte sich für alle hörbar. Niemand traute sich, nur einen Ton von sich zu geben. »Entschuldigt diese Unterbrechung einer Ungläubigen. Sie muss mit den neuen Gepflogenheiten vertraut gemacht werden … Bringt die anderen in den Container«, befahl er den Wachen, die Ivy und die anderen an den Armen packten und wegzerrten.
Plötzlich fuhr ein Wagen vor. Miller und sein Kollege stiegen aus. Aufmerksam schauten die Überlebenden aus Poughkeepsie zu den Wachen, die mit dem Gefangenen auf den Richter zu kamen.
Außer Atem schleuderten sie Railey vor die Füße des Bären.
Ivy und der Rest ihrer Gruppe starrten in Angst und Schrecken versetzt zu ihnen. Wo ist Sebastian?, schoss es Ivy durch den Kopf.
Die Wachleute bockten den schwergezeichneten Railey auf die Beine. Sein Gesicht war übersät von offenen Wunden, sein rechtes Auge war zugeschwollen. Er regte sich nicht.
»Wir konnten ihn erwischen«, japste Miller und schien selbst einiges abbekommen zu haben. »Die Rückreise gestaltete sich nur etwas schwierig. Wir mussten erst ein Auto finden.«
Der Richter nickte ihnen verständnisvoll zu und legte seine bärenartige Tatze auf Millers Schulter.
Schlagartig riss sich Ivy aus dem Griff des Wachen, schnellte zwischen den Bewohnern zu Railey und kniete vor ihm nieder. Behutsam nahm sie seinen Kopf in ihre Hände. »Railey … Wo ist Sebastian?!«, fragte sie mit zitternder Stimme, doch der Richter drehte sie zu sich.
»Ihr solltet gehen. Ihr habt es nicht verdient, dieser Zeremonie beizuwohnen.«
»Wo ist mein Mann!?«, schrie sie ihn verzweifelt an. Zwei Ordnungshüter packten Ivy und schliffen sie hinter sich her zum Container.
Jerome beobachtete den Richter, der sich prüfend umsah. »Entschuldigt die Unannehmlichkeiten. Ich werde Susi erst einmal ins Haus bringen und kümmere mich um die Gefangene im Trakt. Genießt das Mahl.« Das Mädchen schaute mit Zittern und Zagen zu ihm auf. Behutsam lächelte er ihr ins Gesicht und begleitete sie in das Golfclubhaus.
Polternd wurden die Gefängnisinsassen in den Container gestoßen. Provozierend bäumte sich Jerome vor ihnen auf, doch die Tür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen. Er vernahm das klägliche Weinen Ivys.
Weinend fiel Ivy auf die Pritsche und schluchzte vor Verzweiflung. Ein Feuer entfachte in ihr und brannte von innen heraus.
»Wo ist Basti?«, ächzte sie nach Elmars Hand greifend.
»Scht … Alles wird wieder gut … Die Wachen haben erzählt, dass er sich verletzt hat und nun versorgt wird.«
Ivys Weinen verstummte für einen Moment und blickte ihn aufgebracht an. »Du wusstest es? Warum hast du mir nichts erzählt?!«
»Ich wollte nicht, dass du dich aufregst. Er wird versorgt und ist bald wieder fit für die Weiterreise«, versicherte der sanfte Hüne und strich ihr liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht.
Unglaubwürdig runzelte sie die Stirn und starrte ihn an.
»Bis dahin müssen wir ruhig bleiben. Wenn sich die Gemüter beruhigt haben, können wir ihn vielleicht morgen sehen«, meinte Klaas zuversichtlich aus dem Fenster spähend.
Seufzend ließ sich Jerome auf das quietschende Bett nieder. »Wenn wir überhaupt weiterkommen«, zweifelte er. »Ohne Railey, Sebastian und Melanie können wir nicht weg. Wir müssen diesen Jamie finden. Nur so können wir von hier verschwinden.«
Ivy, Elmar und Klaas schauten ihn zweifelnd an.
***