Читать книгу Wikinger der Liebe / Wikinger meiner Träume - Josie Litton - Страница 12

Kapitel 6

Оглавление

Auch Krysta nahm ein erfrischendes Bad. Sorgfältig zog sie sich an und wählte ein Kleid in jenem Taubenblau, das der Himmel manchmal kurz nach dem Sonnenuntergang zeigte. Dieses Gewand hatte sie nie zuvor gesehen. Offenbar enthielt ihre Truhe eine Garderobe, die ihrer Mutter gehört oder die Raven im Lauf der Zeit angeschafft hatte, zweifellos vom tüchtigen Thorgold unterstützt. Einerseits freute sich Krysta über die weise Voraussicht der beiden, andererseits überlegte sie, warum sie annahmen, sie würde so kostbare Kleider brauchen.

Ihr Halbbruder Sven behauptete, die Sachsen würden in ihrem eigenen Schmutz dahinvegetieren. Davon hatte sie auf Hawkforte nichts bemerkt. In der sommerlichen Wärme schienen die Leute regelmäßig zu baden, die Frauen machten unentwegt ihre Hütten sauber, lüfteten das Bettzeug und so weiter. Noch etwas war ihr aufgefallen. Sobald sich Daria abends zurückzog, wanderten die Dienstboten paarweise zum Fluss hinab. Der sanfte Abendwind wehte fröhliches Gelächter vom Ufer herauf, vermischt mit plätschernden Geräuschen.

Nun war sie froh, weil sie sich vor der Dienerschaft gepflegt und schön gekleidet zeigen konnte, und dankbar für Aelfgyths Hilfe. Die junge Frau bestand darauf, das Haar ihrer Herrin zu bürsten und bewunderte die goldene Farbe, während sie mit den widerspenstigen Locken kämpfte. »Hatte Eure Mutter auch so herrliches Haar, Mylady?«

Krysta wandte sich vom kleinen Bronzespiegel ab, der eine seltsame, fremdartige Miene reflektierte. »Das weiß ich nicht. Ich verlor sie, als ich noch ein Baby war.«

Sekundenlang hielt Aelfgyths Hand inne, bevor sie die rhythmischen Bürstenstriche fortsetzte. »Ist sie gestorben?«

»Nein, sie ging einfach fort. Raven und Thorgold erzählten mir nur, sie sei sehr schön gewesen.«

»Verzeiht mir, wenn ich zu viele Fragen stelle, Mylady, aber ist das im Norden üblich? Ich meine, dass eine Ehefrau ihren Mann verlässt? Hier geschieht das manchmal, wenn die Menschen den alten Traditionen folgen und eine Bindung ohne kirchlichen Segen eingehen. Sie versprechen einander, ein Jahr beisammenzubleiben oder etwas länger, falls sie ein Kind bekommen. Schließlich trennen sie sich.«

»Ja, das kommt auch im Norden vor. Allerdings glaube ich, nur wenige Frauen laufen ihrem Mann davon, nachdem sie ein Kind geboren haben.«

Aelfgyth schwieg nur so lange, wie es ihre Neugier gestattete. »Durftet Ihr Eure Mutter besuchen?«

Zu ihrer eigenen Verblüffung hatte Krysta etwas zu viel über ihre Vergangenheit ausgeplaudert. Zögernd überlegte sie, wie sie die heikle Frage beantworten sollte. »Weil sie weit weg ging, konnte ich ihr nicht folgen. Jedenfalls war mein Vater sehr gut zu mir. Vor einem Jahr starb er, und ich vermisse ihn schmerzlich.«

Mitfühlend nickte die Zofe und schlang ein blaues Band um die Locken ihrer Herrin, das zum Kleid passte. »Wie schön Ihr ausseht, Mylady!«

Krysta brachte ein schwaches Lächeln zustande, das sofort erlosch; noch bevor sie die Tür ihres Zimmers öffnete.

Am vorherigen Abend hatte sie sich gefragt, wie Hawks Leute die plötzliche Verwandlung der »Dienerin« hinnehmen würden. Diesmal galten ihre Gedanken nur ihm. Er hatte sich bereits in der Halle eingefunden und sprach mit einigen Rittern. Als sie die Treppe hinabstieg, verstummten sie abrupt. Einige Männer mit kantigen Gesichtszügen warfen ihr scharfe Blicke zu, andere verneigten sich. Wenn auch keiner das Wort an sie richtete, spürte sie, dass sie im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie musste den Impuls bekämpfen, wieder nach oben, in ihr Turmzimmer zu laufen. Aber Raven hatte Recht, sie war aus härterem Holz geschnitzt. Und so hielt sie mit gestrafften Schultern und stolz erhobenem Kinn die Stellung.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis Hawk zu ihr kam. Dafür war sie dankbar, ebenso für seine anerkennende Miene. Er führte sie zu ihrem Stuhl und setzte sich an ihre Seite. Auch die Ritter und Edvard nahmen an der Tafel des Festungsherrn Platz, die anderen Leute an den übrigen Tischen. Während die Diener mit gefüllten Schüsseln, Platten und Weinschläuchen umhereilten, schaute Krysta zu Thorgold und Raven hinüber. Beide wirkten gut gelaunt, der kleine Mann grinste sogar.

Vielleicht hing seine heitere Stimmung mit der erlesenen Mahlzeit zusammen. Einen Tag, nachdem verlautbart worden war, die Braut des Herrn sei angekommen, hatten sich der Koch und seine zahlreichen Hilfskräfte selbst übertroffen. Ein ganzes gebratenes Schwein wurde von vier Küchenjungen auf einer großen Trage hereingeschleppt und jubelnd begrüßt. Dann folgten andere Diener mit Hirsch- und Lammkeulen und Platten voller Krabben, Aale und Austern. Dazu gab es runde Brotlaibe und frisches Gemüse.

Wie üblich wurde Hawk zuerst bedient. Aber er suchte die appetitlichsten Leckerbissen für Krysta heraus. Sein höfliches Benehmen entging seinen Tischgefährten nicht. Viel sagend nickten sie einander zu. Von all den Köstlichkeiten verwirrt, fasste sich Krysta erst, als ihr Verlobter eine Scheibe Schweinefleisch auf ihre Seite des Silbertellers legte, den er mit ihr teilte. »O nein, danke«, protestierte sie.

»Magst du keinen Schweinebraten?«

»Zweifellos schmeckt er ausgezeichnet. Aber ich esse kein Fleisch.« Entschuldigend lächelte sie. »Alles andere sieht sehr verlockend aus.«

»Wenn du auf Fleisch verzichtest, wirst du krank«, gab Hawk zu bedenken und runzelte die Stirn.

Was sollte sie entgegnen, ohne ihm offenkundig zu widersprechen? Nach kurzem Zaudern zuckte sie die Achseln. »Für manche Menschen trifft das wohl zu – in meinem Fall nicht. Ich versichere dir, ich bin kerngesund, obwohl ich niemals Fleisch zu mir genommen habe.«

»Noch nie im Leben?«, fragte er ungläubig. Die einzigen Menschen in seinem Bekanntenkreis, die nahrhaften Fleischspeisen entsagten, waren ein paar Mönche. Und die wirkten nicht besonders kräftig. Alle anderen wussten einen saftigen Braten zu schätzen. »Dann hätten deine Eltern besser für dich sorgen müssen.«

»Oh, mein Vater war sehr gut zu mir.«

»Und deine Mutter?«

Krysta unterdrückte einen Seufzer. Schon zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde wurde sie auf ein Thema angesprochen, das sie normalerweise nur mit Thorgold und Raven erörterte. Trotz ihres Unbehagens zwang sie sich zu antworten. »Kurz nach meiner Geburt verließ mich meine Mutter. Mein Vater hatte ihr ein eigenes Haus geschenkt, nur einen Tagesritt von seinem Herrschaftssitz entfernt. Nachdem sie verschwunden war, wohnte ich dort – bis ich hierher kam.«

Nachdenklich schob Hawk das verschmähte Schweinefleisch auf seine Seite des Tellers. Krystas Erklärung ließ einiges zu wünschen übrig. Einerseits wollte er sie nicht bedrängen und womöglich alte Wunden aufreißen, andererseits musste er seine Neugier befriedigen. »Wohin ist deine Mutter gegangen?«

»Fort.« Hastig fügte sie hinzu: »Trotzdem wurde ich gut betreut.«

»Daran zweifle ich nicht. Und warum lebten deine Eltern nicht zusammen? Soviel ich weiß, ist es im Norden immer noch üblich, dass ein mächtiger Mann mehrmals heiratet.« Hatte eine ältere Gemahlin Krystas Mutter, die sicher eine Schönheit gewesen war, nicht in ihrem Heim geduldet?

»In meiner Familie wird diese Tradition nicht aufrechterhalten«, betonte sie ärgerlich. »Mein Vater nahm meine Mutter nach dem Tod seiner ersten Gemahlin zur Frau. Aus jener Ehe waren einige Kinder hervorgegangen, darunter mein Halbbruder Sven. Vermutlich fand mein Vater, es wäre besser, die beiden Familienzweige zu trennen.«

Dieses Arrangement erschien ihm außergewöhnlich. Aber er sagte nichts mehr dazu. Immerhin hatte er in den letzten Minuten sehr viel über seine Braut erfahren. Nun glaubte er zu wissen, warum sie so großen Wert auf eine erfolgreiche Ehe mit ihm legte. Offenbar hatten sich ihre Eltern nicht verstanden. Sonst wäre die Mutter nicht fortgegangen oder – was er für wahrscheinlicher hielt – weggeschickt worden. Ein solches Schicksal wollte sich Krysta verständlicherweise ersparen. Nachdem er diesen Schluss gezogen hatte, lächelte er zufrieden. Letzten Endes war es gar nicht so schwierig, eine Frau kennen zu lernen.

In bester Stimmung beschloss er, ihre merkwürdigen Essgewohnheiten vorerst auf sich beruhen zu lassen. Er legte ihr Krabben und Austern vor, die auch ihm schmeckten. Zwischendurch forderte er sie auf, am Weinkelch zu nippen, und freute sich über das Lob, das sie Hawkforte zollte. Anscheinend hatte Edvard gründliche Arbeit geleistet, denn Krysta erwähnte Vorzüge des Haushalts, die der Festungsherr bisher noch gar nicht entdeckt hatte. Gewiss, er wusste, dass Stoffe gewebt, Lebensmittel eingemacht, Kleidung geschneidert und gewaschen, Kinder und Tiere umsorgt und tausend andere Dinge erledigt wurden. Doch sie gehörten so untrennbar zu seinem Alltag, dass er sie nur wahrnehmen würde, wenn er sie entbehren müsste. Um Einzelheiten hatte er sich nie gekümmert. Auch jetzt begeisterten sie ihn nicht sonderlich, denn er fand es viel erfreulicher, Krystas sanfter Stimme zu lauschen und ihre rosigen Lippen zu betrachten. Was sie sagte, war nicht so wichtig.

Dieses Erlebnis entzückte ihn. Und so leerte der strenge Kommandant einiger Tausend Krieger, der nur selten einen Tag ohne ausgedehnte Waffenübungen verstreichen ließ, seinen Weinkelch und verkündete: »Morgen reiten wir beide aus.«

An diesem Tag wollte er seiner Frau das Hawkforte zeigen, das er liebte. Inständig hoffte er, sie würde wenigstens annähernd jene Gefühle empfinden, die ihn jedes Mal erfassten, wenn er von einer Reise zurückkehrte und den Rauch seiner heimischen Feuer emporsteigen sah. Die Stallburschen hatten seinen Auftrag erhalten und gewissenhaft ausgeführt. Nun präsentierten sie ihm eine hübsche, lebhafte kleine Stute. Über ihrem ebenholzschwarzen Fell lag ein silbriger Schimmer. Während er ihre Nüstern streichelte, schnaubte sie leise. Dann schnupperte sie an seinen Taschen, auf der Suche nach dem Apfel, den er ihr viel früher gab als beabsichtigt.

Lachend überlegte er, wie ähnlich sich Frauen und Pferde in gewissen Dingen waren. In diesem Augenblick kam seine Verlobte in den Hof, die üppigen Locken halbwegs unter einem Schleier gebändigt, der zu ihrem hellbraunen Kleid passte. Hawk vermutete, sie hätte diese Farbe gewählt, damit man die Schlammspritzer nicht so deutlich sehen würde. Erfreut über diesen klugen Entschluss, schenkte er ihr ein Lächeln, das gleich wieder erstarb, denn er bemerkte die Angst in ihren Augen. Obwohl die Stute nur graziös tänzelte, um sich wichtig zu machen, wich Krysta erschrocken zurück.

»Eins solltest du vielleicht wissen, Hawk – ich bin nur sehr selten ausgeritten.«

Verwundert hob er die Brauen. Er kannte niemanden, der nicht da- oder dorthin ritt. Sogar die Bauern schwangen ihre Beine über Eselsrücken. Und vornehme Damen setzten ihren ganzen Stolz daran, stundenlang zu reiten, ohne zu ermüden, und über alle Hindernisse hinwegzusprengen.

»Was bedeutet ›selten‹?«, fragte er.

Errötend wich Krysta seinem Blick aus. »In Vestfold muss man nicht reiten. Um diesen oder jenen Ort aufzusuchen, benutzen wir Boote.«

Gewiss, das ergab einen Sinn, wenn er auch vielen Wikingern begegnet war, die ausgezeichnet ritten. Aber er musste Krystas ungewöhnliche Erziehung berücksichtigen. »Hier pflegen wir zu reiten«, erklärte er sanft. »Also musst du’s lernen. So schwierig ist das gar nicht.«

Skeptisch beobachtete sie, wie er die Stute zu ihr führte. Dann ergriff er Krystas Hand und legte sie auf die Nüstern. »Wie weich sie sich anfühlt!«, rief sie zu seiner Belustigung.

»Ja, sie ist sanftmütig und benimmt sich vorbildlich«, versicherte er und bedeutete einem Stallburschen, die Zügel zu halten. Krystas Atem stockte, als Hawk ihre Taille umfasste und sie mühelos in den Sattel hob. Zum ersten Mal blickte sie ins Gesicht ihres künftigen Gemahls hinab – eine sonderbare Situation, die ihr Unbehagen noch verstärkte. »Oh, ich glaube nicht – wirklich, ich bin nicht bereit...«

»Doch, natürlich. Warte, ich zeige dir, wie du die Zügel halten musst.«

Nach einigen missglückten Versuchen fand sie heraus, wie sie die Riemen umklammern musste, und saß sicher im Sattel. Hawk ließ sein eigenes Pferd aus dem Stall holen, einen grauen Hengst, der wiehernd in den Hof trabte und die Stute erschreckte. Als sie scheute, tätschelte Krysta ihren Hals und flüsterte tröstliche Worte. Sofort beruhigte sich die Stute, was ihre Reiterin entzückte und überraschte. Während einer fast schlaflosen Nacht hatte sie sich beklommen gefragt, wie sie es schaffen sollte, mit Hawk auszureiten. Auf den Gedanken, sich zu weigern, wäre sie niemals gekommen. Sie hatte nur befürchtet, sie würde sich lächerlich machen. Zu dieser Sorge bestand offensichtlich kein Grund. Erleichtert lächelte sie ihn an und erschien ihm so bezaubernd, dass sein Atem stockte.

Sie ritten durch das Tor, den Pfad hinab, der hinter den Hügel und von der Stadt wegführte. Anfangs entschied sich Hawk für einen gemächlichen Trab, dann beobachtete er, wie Krystas Zuversicht wuchs, und beschleunigte das Tempo. Am Waldrand erreichten sie eine breite Klippe oberhalb des Meeres. Möwen kreisten über ihren Köpfen, Sonnenstrahlen spiegelten sich im Wasser. In den Salzgeruch mischte sich der Duft wilder Gräser und Blumen. Trotz des frühen Morgens hatte sich die Luft bereits erwärmt. Hawk wendete sein Pferd seitwärts und blickte zur Stadt zurück.

Als Krysta seinem Beispiel folgte, seufzte sie hingerissen. Jetzt befanden sie sich auf der anderen Seite der Bucht, und ganz Hawkforte erstreckte sich vor ihnen, von der geschäftigen Stadt am Wasserrand bis zur stolzen Festung auf dem Hügel. Boote steuerten den Hafen an oder liefen aus, und Krysta sah die Wagen, die den Kai entlangfuhren. Die Augen zusammengekniffen, glaubte sie die Patrouillen auf den Mauern auszumachen.

»Wie schön!«, flüsterte sie. Zum ersten Mal erkannte sie in Hawkforte ein Symbol für hart erkämpften Frieden und Wohlstand.

»O ja«, bestätigte Hawk.

Sie betrachtete seine markanten Züge, die straff über den Wangenknochen gespannte Haut. Nur mühsam widerstand sie dem Wunsch, eine Hand nach ihm auszustrecken. »Edvard hat mir von früheren Zeiten erzählt...«

»Vor einigen Jahren war Hawkforte eine einzige Leichenhalle – verbrannte Felder, verkohlte Ruinen, zerstörte Hoffnungen.« Hawk zeigte auf eine Baumreihe innerhalb der Stadt. »Siehst du diese Bäume? Die sind jünger als die anderen, die weiter entfernt wachsen. Sogar den Wald brannten die Dänen nieder, zumindest den Teil, den sie nicht abholzten und auf ihre Schiffe schleppten. Nachdem sie erkannt hatten, dass sie die Stellung in diesem Gebiet nicht halten konnten, beschlossen sie, Hawkforte zu verwüsten. Zum Schluss haben sie auch noch die Brunnen vergiftet.«

»Sicher hat es viel Mut und Entschlossenheit gekostet, die Stadt und die Festung wiederaufzubauen.«

»Den Mut der Verzweiflung. Die Überlebenden wussten nicht, wohin sie sonst gehen sollten. So viele Menschen waren nach Westen geflohen. Dort reichten das Land und der Viehbestand nicht aus, um alle zu ernähren, sie mussten den Hungertod fürchten.« Die Hände über dem Sattelknauf gefaltet, musterte er die Häuser. »Damals schwor ich mir, für Frieden zu sorgen. Wie ich mein Gelübde halten sollte, wusste ich nicht. Aber ich wollte mein Leben dafür wagen.«

Ihr ganzes Herz auf der Zunge, erwiderte Krysta: »Wie glücklich muss sich dein Volk schätzen, weil es einem Herrn wie dir gehorcht.«

Entschieden schüttelte er den Kopf. »Unser Glück verdanken wir Alfred of Wessex. Ohne ihn wären wir einsame Männer gewesen, jeder hätte für sich versucht, die Dänen abzuwehren.« Hawk hob eine Hand und spreizte die sonnengebräunten Finger. »Wären wir einzeln vorgegangen, hätten wir gar nichts erreicht – nur den Tod.« Nun ballte er die Hand zu einer mächtigen Faust. »Nur mit vereinten Kräften konnten wir den Sieg erringen.« Plötzlich unterbrach er sich. »Von solchen Dingen dürfte ich nicht sprechen. Eigentlich hatte ich geplant, einen erholsamen Tag mit dir zu verbringen.«

»Mir würde ein Tag, an dem wir uns besser kennen lernen, viel mehr bedeuten.«

Er lachte etwas gezwungen. Offenbar bereitete ihm dieser Gedanke immer noch ein gewisses Unbehagen. »Vor allem musst du reiten lernen. Komm mit mir!«

Gehorsam folgte sie ihm auf einem gewundenen Weg zum Strand hinab. Ein paar Mal hielt sie den Atem an, während die Stute mit vorsichtigen Schritten hinter dem Hengst hertrottete. Am Wasserrand angekommen, stieß Krysta einen so tiefen Seufzer der Erleichterung aus, dass Hawk grinsen musste. »So schlimm war’s doch gar nicht, oder?«, fragte er und hob sie aus dem Sattel.

In seiner Nähe, im Bewusstsein seiner Kraft, verdrängte sie ihre Angst. »O nein.«

Natürlich log sie, und er wusste es. Doch es störte ihn nicht, denn er bewunderte ihre Tapferkeit. Außerdem faszinierte ihn ihre schmale Taille, die genau in seine Hände passte. In seine Hände, die er nur ein wenig vorschieben müsste, dann würde er ihre Brüste liebkosen... Beinahe erlag er der Versuchung und dem Wunsch, mit Krysta in den Sand zu sinken, die Lust zu stillen, die ihn seit der ersten Begegnung quälte.

Daran hinderte ihn nur ihre Erklärung, vor der Ehe müssten sie einander besser verstehen, ebenso der seltsame Gedanke, Wolfs und Cymbras Glück wäre vielleicht gar nicht so einzigartig. Bisher hatte er die Liebe stets für ein romantisches Fantasiegebilde gehalten. Jetzt begann er sich zu fragen... Unmöglich! Nach so albernen Gefühlen würde er sich niemals sehnen. Er war einfach nur überrascht und ein bisschen verwirrt. Sonst nichts.

Nach dem Ritt wollte er Krysta eine Ruhepause gönnen, und er erinnerte sich an ihren fröhlichen Tanz am Strand unterhalb von Hawkforte. Deshalb band er die Pferde an einem Strauch fest, ergriff ihre Hand, und sie wanderten die Küste entlang. Soweit er sich entsinnen konnte, hatte er noch nie mit einer Frau einen Spaziergang am Strand unternommen, abgesehen von ein paar Schritten an der Seite einer Dame, die er in Alfreds Winchester-Palast zur Tafel geleitet hatte. Plötzlich wusste er nicht, worüber er mit ihr reden sollte. Von dem neuen Speer, den er entworfen hatte und den seine Männer gerade zu benutzen lernten, wollte sie sicher nichts hören. Ebenso wenig würde sie es genießen, die Schlachten zu erörtern, die er in Gedanken ausfocht, die Strategien, die er entwickelte, um seine Feinde zu schlagen. Die Frauen, die er am Hof getroffen hatte, beherrschten die Kunst der Intrige geradezu meisterhaft und schwärmten für die Finessen der Politik. Niemals würde er den Fehler begehen, eine dieser Ladys zu unterschätzen. Krysta war anders. Mit ihrer Sanftmut weckte sie Erinnerungen an seine Mutter. Trotzdem durfte er sie nicht für feige halten. Schon mehrmals hatte sie ihn wie eine Furie angefaucht. Lächelnd dachte er an ihre äußere Erscheinung nach dem unfreiwilligen Bad – triefnass, mit schwarzer Farbe bekleckst. Aber sie hatte ihre Würde gewahrt. Sicher würde sie ihm charakterfeste Söhne und Töchter schenken.

Dieser Gedanke war ein Fehler, denn er spürte, wie seine Erregung wuchs. Teils verblüfft, teils erfreut ließ er Krystas Hand los, bückte sich und hob eine graurosa Muschel auf. Sie war völlig unversehrt und schimmerte irisierend. Während er sie hin und her drehte, bewunderte er ihre schlichte Perfektion und ihre Fähigkeit, im stürmischen Meer zu überleben. Er wollte sie in die Wellen zurückwerfen. Doch dann besann er sich anders und übergab sie Krysta. Mit einem scheuen Lächeln nahm sie die Muschel entgegen.

Ein paar Sekunden lang glaubte er, in diesem Lächeln zu ertrinken. Dann riss er sich zusammen. »Dort drüben bei den Felsen tummeln sich manchmal Delfine.«

Sie folgte seinem Blick zum blaugrünen Wasser. Schäumend schlug es gegen Felsen, die so aussahen, als hätte sie ein verspielter Riese am Strand verstreut. »Ich habe noch nie Delfine gesehen. Nach Vestfold kommen sie nicht, weil es zu weit oben im Norden liegt.«

»Schauen wir, ob welche da sind.« Auf dem Weg zu den Felsblöcken mahnte er: »Pass auf, die Steine sind nass und glitschig.«

Obwohl sie nickte, galt ihre Aufmerksamkeit dem Meer. Wie immer weckte dieser Anblick und der Salzgeruch eine schmerzliche Sehnsucht. Der Wind brannte in ihren Augen. Über ihre Wangen liefen Tränen, die sie ungeduldig wegwischte. Ein Schemen bewegte sich im Wasser und kam rasch näher. Plötzlich ragte ein Kopf empor, und Krysta lachte entzückt, als sie das breite Grinsen des Delfins sah. »Oh, wie wundervoll!«, rief sie. Ohne lange zu überlegen, trat sie ans Ufer heran und stieg auf rutschigen Seetang, der einen Felsbrocken bedeckte. Sie strauchelte und streckte beide Arme aus, um ihr Gleichgewicht wiederzugewinnen – ohne Erfolg. Schreiend fiel sie ins Wasser.

Wie gelähmt stand Hawk da. Ein Mann, der in hundert Schlachten nie gezögert, dem seine Geistesgegenwart schon oft das Leben gerettet hatte, starrte ein paar Sekunden lang fassungslos ins Meer. Nein, seine Braut konnte nicht in den Wellen verschwunden sein. So viel versprechend hatte der Tag begonnen. Auf so schreckliche Weise durfte er sich nicht verdunkeln.

Wütend verfluchte er das Schicksal, warf seinen Umhang beiseite und sprang ins Wasser. Wenig später tauchte er auf und schaute sich verzweifelt um. Als er Krysta noch immer nicht entdeckte, holte er tief Luft und versank wieder in den Wellen. Vergeblich suchte er nach seiner Verlobten. Brennende Lungen zwangen ihn, wieder emporzutauchen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug wollte er wieder hinabschwimmen. Doch da bemerkte er eine Gestalt, die sich neben ihm bewegte.

Lachend erschien Krysta zwischen den Schaumkronen, das nasse Haar an den Kopf geklebt. Obwohl das schwere Gewicht ihrer Kleidung an ihr hing, genoss sie ihr Bad in vollen Zügen. »Oh, das ist himmlisch! Warum hast du mir nicht gesagt, wie warm das Wasser ist?«

Ehe er seine Verwirrung bezwang, stürzte sie sich wieder in die Wellen. Hawk trat Wasser und spähte in alle Richtungen. Bald sah er sie wieder, etwa fünfzig Fuß von der Stelle entfernt, wo sie untergetaucht war.

»Oh, du kannst schwimmen!«, rief er – angesichts dieser eindrucksvollen Demonstration eine völlig überflüssige Feststellung.

»Ja, Raven und Thorgold behaupten, ich sei für das Wasser geschaffen worden. Natürlich übertreiben die beiden. Aber ich habe das Wasser immer geliebt.« Sie versank wieder in der Tiefe. Diesmal tauchte sie in seiner Nähe empor und strahlte vor Freude. »Hin und wieder schwamm ich in warmen Felsenteichen. Doch bei Vestfold ist das Meer sogar im Hochsommer eiskalt. Und hier – so herrlich warm.«

Hawk, der das Wasser angenehm, aber kühl fand, konnte nur seufzen. Gewiss, er fühlte sich maßlos erleichtert, weil ihr nichts zugestoßen war. Doch das Entsetzen, das er vorhin empfunden hatte, ließ sich nicht vollends verdrängen. Nicht einmal auf den Schlachtfeldern, wo die Angst jeden vernünftigen Mann begleitete, war ihm so elend zu Mute gewesen.

Da die qualvolle Sorge immer noch in ihm nachwirkte, befahl er strenger als beabsichtigt: »Komm heraus! So warm, wie du glaubst, ist das Wasser nicht. Womöglich wirst du dich erkälten.«

Erstaunt und enttäuscht erwiderte sie seinen Blick. Aber sie protestierte nicht. Wenigstens gehorcht sie mir, dachte er etwas besänftigt, während sie an den Strand wateten. Krysta bückte sich und wrang ihren nassen Rocksaum aus. »In Kleidern zu schwimmen, das ist furchtbar anstrengend.« Hoffnungsvoll wandte sie sich zu Hawk. »Daheim trug ich nur ein Hemd, wenn ich schwimmen ging.« Und manchmal gar nichts, ergänzte sie in Gedanken. Entgeistert starrte er seine Braut an, bis er merkte, dass sie es ernst meinte. Er müsste sie nur ein bisschen ermutigen, und schon würde Lady Krysta ins Meer zurückkehren, nur mit ihrem Hemd bekleidet... Und was sollte er dann tun? Am Strand sitzen und das Spektakel genießen? Oder ihr folgen? O ja, das wäre eine großartige Idee. Die Lust, die er den ganzen Morgen bekämpft hatte, stieg erneut in ihm auf. Nur mühsam unterdrückte er einen Fluch und warf ihr seinen Umhang zu, den er abgelegt hatte, um ihr keine Sekunde lang gefährdetes Leben zu retten. »Da, zieh das an.«

Geschickt fing sie den Mantel auf. »Danke, aber ich friere nicht.«

Offensichtlich bemerkte sie nicht, wie sich das nasse Kleid an ihren Körper schmiegte, die Brüste und sogar die harten Knospen nachzeichnete, die gertenschlanke Taille und die geschwungenen Hüften, die schlanken Beine. Besonders fantasievoll war er nie gewesen. Doch er brauchte keinerlei Einbildungskraft, um sich vorzustellen, wie Krysta nackt aussehen würde. Seine künftige Gemahlin... Viele Paare schliefen schon vor der Hochzeit miteinander. Und einige Bräute empfingen den Segen der Kirche erst nach der Zeugung ihres ersten Kindes. Niemand würde ihm Vorwürfe machen. Höchstens Krysta. Trotzdem würde er ihren Widerstand überwinden. Daran zweifelte er nicht, als er sich an den leidenschaftlichen Kuss im Stall erinnerte.

Aber er legte großen Wert auf seine Disziplin – verdammt. Das würde er wegen einer Frau nicht vergessen, mochte sie auch noch so verführerisch wirken. Wenn er es wollte, und wenn es an der Zeit war, würde er seinem Verlangen nachgeben.

»Zieh den Umhang an!«, befahl er, und diesmal erzielte sein Tonfall die gewünschte Wirkung. Ruckartig hob sie den Kopf, starrte ihn an, und ihre Wangen röteten sich. Dann schaute sie hastig weg. Bevor sie zu den Pferden gingen, wickelte sie ihren Körper in den Mantel.

Schweigend ritten sie zur Festung zurück. Hawk behielt seine Braut im Auge. Mittlerweile konnte sie schon besser reiten. Das hatte sie erstaunlich schnell gelernt, ihre angeborene Geschmeidigkeit kam ihr zugute. Als er sich entsann, wie sie mit den Kindern getanzt hatte, lenkte er seine Gedanken entschlossen in eine andere Richtung, was ihm nicht viel nützte. Gegen seinen Willen erschien in seiner Fantasie das Bild der schönen jungen Frau, die behände durch Meereswellen glitt, mit einer fast überirdischen Anmut. Erst auf dem Turnierplatz würde er das alles vergessen. Deshalb wollte er mit einem halben Dutzend Männer, die sich auf einen freien Tag gefreut hatten, Waffenübungen abhalten und sich bis zur Erschöpfung verausgaben. Ja, das würde ihn unweigerlich von seiner Braut ablenken.

Doch der Plan wurde vereitelt. Plötzlich umrundeten drei lange Schiffe mit unheilvollen Drachenbügen die Landzunge und steuerten den Hafen an. Im Sattel aufgerichtet, musterte Hawk das stolze Emblem auf den Segeln, die sich im Wind blähten. Fluchend spornte er seinen Hengst zum Galopp an.

Wikinger der Liebe / Wikinger meiner Träume

Подняться наверх