Читать книгу Wikinger der Liebe / Wikinger meiner Träume - Josie Litton - Страница 9
Kapitel 3
ОглавлениеWie übermütige Kinder schrien sie vor Lachen, warfen sich in Positur und erwarteten, man würde alle ihre Wünsche sofort erfüllen. Verächtlich beobachtete Daria die Männer, die vom Königshof in Winchester hierher gereist waren und mit dem lieben Hawk schwatzten. Die Schwachköpfe hielten sich für was Besonderes und erkannten nicht einmal die einzig wichtige Persönlichkeit in dieser Festung.
Am schlimmsten führte sich Hawk auf. Ein bösartiges Schicksal hatte Daria mit diesem Halbbruder gestraft, der sie nur unter seinem Dach duldete, um seine Pflicht zu erfüllen. Das wusste sie, und dafür hasste sie ihn. Stets ging er seiner eigenen Wege, verscheuchte sie immer wieder wie eine lästige Fliege und nahm ihre Anwesenheit kaum wahr. Doch sie würde die Situation ändern – o ja, ein für alle Mal.
Voller Abscheu wandte sie ihren Blick von den Gästen an der herrschaftlichen Tafel ab und versuchte, das schallende Gelächter zu überhören. Gegen den Geruch der Krieger konnte sie sich bedauerlicherweise nicht wehren – Leder, Wolle, Schweiß und irgendetwas Maskulines, das sie nicht näher ergründen mochte. Ihr schwindelte, und sekundenlang fürchtete sie, sich vor aller Augen zu übergeben.
Vater Elberts bleiche Hand berührte ihren Arm. »Beruhigt Euch, Lady«, bat er sanft. Sie starrte in sein schmales Gesicht mit den kohlschwarzen Augen und spürte, wie sie dem Tumult in der Halle entrückte. Langsam atmete sie aus und bezwang ihre Schwäche.
»Wie ich diese Leute verabscheue!«, flüsterte sie, damit niemand außer ihm sie verstehen konnte. Wer sie beobachtete, würde eine rechtschaffene Frau im Gespräch mit einem Kirchenmann sehen, den Blick demütig gesenkt. Nur der äußere Schein zählte.
»Mit gutem Recht, Lady. Aber die Zeit der Vergeltung wird kommen. Für all ihre Verbrechen müssen sie büßen.«
»Dafür können sie gar nicht genug leiden.« Sie schaute wieder zu Hawk hinüber. Groß, kraftvoll, mit einer männlichen Ausstrahlung, die ihr ein seltsames Unbehagen bereitete. Ihr verstorbener, keineswegs betrauerter Ehemann war ein Taugenichts gewesen, zu dumm, um ihren Befehlen zu gehorchen, außerstande, die Macht zu erringen. Die hatte Alfred an sich gerissen. Statt Daria zu der Königin zu machen, zu der sie geboren war, hatte sich der Schwächling zu sterben erdreistet. Nun musste sie von Hawks Großmut leben und träumte von ihrer Rache, die sie hoffentlich bald üben würde.
Einmal war das Werk der Zerstörung bereits missglückt, weil Cymbra – diese Kuh, die alle so unglaublich schön fanden – ihren Entführer, den Wikinger Wolf nicht dazu provoziert hatte, sie zu ermorden. Ganz im Gegenteil war sie seine heiß geliebte Gattin geworden. Darias Komplott war kläglich gescheitert.
Allein schon dieser Gedanke drehte ihr den Magen um. Ein zweites Mal durfte sie nicht versagen. Hawks unerwünschte Wikingerbraut konnte jeden Tag hier eintreffen. Wenn es Daria gelang, ihn gegen diese Frau einzunehmen und die Sicherung des Friedens zu vereiteln, würde sie die größte Freude ihres trostlosen Lebens empfinden. Während sie ihren Halbbruder musterte, der mit den Gästen aus Winchester plauderte, stieg neuer Hass in ihr auf. Wie ungeduldig sie seine Vernichtung herbeisehnte, wie sie in ihrem Triumph schwelgen würde...
Ein sonderbares Prickeln im Nacken lenkte Hawk vom Tischgespräch ab. Unauffällig sah er sich um und suchte die Quelle seines Missbehagens. Schon früh in seinem beschwerlichen Leben hatte er gelernt, wie leichtfertig es wäre, die Instinkte zu ignorieren, die ihn vor einer Gefahr warnten. Eine Bedrohung in seiner eigenen Halle, inmitten seiner Leute? Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Er kannte alle Männer, die vom königlichen Hof nach Hawkforte gekommen waren. Da er an ihrer Seite gekämpft und Mühsal und Hoffnungen mit ihnen geteilt hatte, besaßen sie sein Vertrauen. Diese Aristokraten, Alfreds getreueste Untertanen, bauten England wieder auf; und Hawk war stolz, weil er zu ihnen gehörte.
Und die anderen? Er schaute an Daria vorbei – wie üblich sehr schnell, weil er nicht gern an sie erinnert wurde. Auch Vater Elbert erregte seine Aufmerksamkeit nur flüchtig. Diesen mürrischen Hauspriester wollte er durch einen anderen Kaplan ersetzen, war aber noch nicht dazu gekommen. Nun musste er nur noch ein paar Kaufleute inspizieren, die auf der Durchreise waren und die er nur teilweise kannte. Und natürlich die Dienstboten seiner abwesenden Verlobten – das Trio am anderen Ende der Halle.
Eigentlich hatte er beschlossen, die junge Frau nicht mehr zu beachten. Aber jetzt fand er ihren Anblick seltsam erfrischend, als würde er über eine kühle Waldlichtung wandern. Er glaubte sogar, Wassertropfen zu spüren, die von moosbedeckten Felsen herabfielen. Bis er dieses intensive Gefühl abschütteln konnte, dauerte es eine Weile. Verärgert über sein unerwünschtes Interesse an der Dienerin, beobachtete er ihre Begleiter. Die schwarz gekleidete Frau nagte gerade ein paar kleine Knochen ab. Vermutlich stammten sie von den gebratenen Tauben, die an diesem Abend aufgetischt wurden. An ihrer Seite schlürfte Thorgold sein Ale.
Als er den Blick des Lords bemerkte, prostete er ihm mit seinem Becher zu. Das entging der jungen Frau nicht, und sie spähte in die gleiche Richtung. Obwohl sie weit entfernt saß, sah Hawk das Blut in ihre Wangen steigen. Hastig schaute sie weg – ein wildes Verlangen raubte ihm den Atem. Verblüfft riss er sich zusammen. Er war kein liebestoller Grünschnabel mehr, den schöne Augen und eine wohlgeformte Gestalt um den Verstand brachten, sondern ein vernünftiger, disziplinierter Mann. Trotzdem hatte er plötzlich das Gefühl, die Jahre würden von ihm abfallen und er wäre wieder ein unreifer Junge, von den ersten geheimnisvollen Regungen seines Körpers verwirrt.
Welch ein Unsinn. Geradezu wahnwitzig, denn wie er sich zum hundertsten Mal sagte, war dieses reizvolle Geschöpf Lady Krystas Dienerin. Selbst wenn seine Braut die personifizierte Güte wäre, könnte sie das verrückte Benehmen ihres künftigen Gemahls in eine zweite Daria verwandeln. Und die Vorstellung, er wäre für sein restliches Leben an eine kreischende Xanthippe gekettet, die noch dazu seine Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen dürfte, erfüllte ihn mit heilsamem Entsetzen. Irgendetwas musste geschehen. Sollte er seine Verlobte auffordern, das Trio heimzuschicken? Hier würde sie alle Dienstboten antreffen, die sie brauchte. Aber voraussichtlich zog sie die Gesellschaft vertrauter Leute vor, und die Ehe stünde von Anfang an unter einem Unstern, wenn sie sich unglücklich und einsam fühlte, nur weil er ihre Wut und Eifersucht fürchtete. Seufzend überlegte er, wie viele Haarbänder er kaufen müsste.
Sein sichtlicher Ärger bedrückte Krysta, und sie fragte sich, was ihn stören mochte. Warum hatte er sie so seltsam angestarrt, bevor er sie ignorierte? Bei jenem Blick war ihr ganz warm ums Herz geworden. Wie ungewöhnlich, dass jemand solche Empfindungen wecken konnte, indem er sie einfach nur betrachtete. Und diesen Jemand würde sie heiraten – ein angenehmer Gedanke, der heiße Leidenschaft und innere Ruhe zugleich bewirkte. O ja, Lord Hawk rief die widersprüchlichsten Emotionen in ihr hervor, weil er sie immer wieder so merkwürdig ansah – am Strand, in seiner Halle, in ihren Träumen. Ursprünglich hatte sie geplant, ihm aus dem Weg zu gehen, damit er in seiner Braut nicht die Dienerin wiedererkennen würde, die ihr angeblich vorausgeeilt war. Mit dieser Möglichkeit musste sie nun rechnen. Wie sollte sie das Täuschungsmanöver erklären? Konnte sie’s einfach als Scherz abtun und ihn umschmeicheln, in der Hoffnung, er würde ihr verzeihen? Beide Möglichkeiten missfielen ihr. Aber wahrscheinlich blieb ihr nichts anderes übrig. Und wenn er sie lieben lernte, spielte es ohnehin keine Rolle.
Jedenfalls begehrte er sie, das wusste sie in der Tiefe ihrer Seele. Aber Begierde war nicht Liebe. Würde es ihr gelingen, die Kluft zwischen diesen beiden Gefühlen zu überbrücken? Lustlos schob sie das Essen auf ihrem Teller umher. Raven bemerkte es nicht, sie war mit ihrem Täubchen beschäftigt. Aber Thorgold warf seiner Herrin einen verständnisvollen Blick zu, ehe er wieder einen Schluck Ale nahm.
Trotz der ungelösten Probleme schlief Krysta erstaunlich gut und viel länger als gewohnt. Fröhliches Geschrei drang in den Alkoven und weckte sie. Erstaunt spähte sie in die menschenleere Frauenhalle, dann zog sie sich hastig an, rannte ins Freie und sah die Kinder umhertollen. Edythe, die Anführerin, entdeckte »Ilka« und grinste. »Gerade ist Daria zum Markt aufgebrochen!«, rief sie und lief zu ihr. »Und einer der Küchenjungen hörte sie sagen, sie würde erst vor dem Abendessen zurückkommen.«
Ohne zu überlegen, erwiderte Krysta das Lächeln und fragte eifrig: »Was tun wir zuerst?« Die Überraschung in Edythes grauen Augen wies sie auf ihr ungehöriges Verhalten hin. Normalerweise beteiligten sich Erwachsene nicht an den Possen der Kinder. Aber sie hatte in ihrer eigenen Kindheit die Gesellschaft von Altersgenossen schmerzlich vermisst. Natürlich war sie dankbar für alles gewesen, was man ihr geboten hatte. Und nun wollte sie einfach nur herausfinden, wie ein ganz gewöhnliches Kind in einer ganz gewöhnlichen Welt lebte. »Ich meine – was wollt ihr zuerst tun?«, verbesserte sie sich.
»Das weiß ich nicht...« Unsicher verstummte Edythe und überdachte die eigenartige Situation. Dann siegte ihre Freundlichkeit – oder ihre Neugier. »Begleitet uns doch, wenn Ihr wollt, Ilka.«
»Nein, ich wäre euch nur im Weg...«
»Gestern wart Ihr’s nicht.« Edythe wandte sich ab und rief über ihre Schulter: »Gehen wir!«
Krysta folgte ihr zögernd zu den anderen Kindern, die sie nach anfänglicher Verblüffung begeistert willkommen hießen. Zunächst stürmten sie zum Fluss hinab, wo sie Frösche fingen. Sie veranstalteten einen Wettbewerb im Froschhüpfen, den ein schüchterner kleiner Junge gewann. Als Edythe seinen Frosch zum Sieger erklärte, strahlte er vor Freude. Danach pflückten sie Beeren, lagen im Gras und verspeisten sie.
Während die Sonne immer heißer herabschien, wateten sie ins Wasser und folgten dem Fluss bis zum Strand. Dort suchten sie Muscheln und fanden eine ganze Menge. Mit dieser Beute kehrten sie heim und übergaben sie den Müttern, die sie nur zu gern entgegennahmen. Die Frauen starrten Krysta neugierig an. Doch sie stellten keine Fragen. Seit der Ankunft auf Hawkforte war sie von niemandem außer dem Lord befragt worden. Waren die Leute zurückhaltend, weil sie eine Ausländerin war, oder wollten sie einfach aus Höflichkeit ihre Privatsphäre respektieren? Wie auch immer, die Eltern begegneten ihr freundlich, und es schien ihnen zu gefallen, dass sie sich den Kindern in deren ersehnter Freizeit anschloss.
Nun führte Edythe die kleine Schar zu einem runden Platz außerhalb der Festungsmauern und erklärte Krysta, hier würde man die älteren Jungen zu Kriegern ausbilden. Für diesen Tag hatten sie die Übungen beendet, reinigten ihre Waffen und unterhielten sich. Deshalb stand der Platz für beschaulichere Aktivitäten zur Verfügung. Die Kinder begannen zu tanzen und wirbelten umher. Manchmal hielten sie einander an den Händen, manchmal drehten sie sich allein im Kreis. Dabei sangen sie alberne, selbst ersonnene Lieder. Lachend stampften sie dahin und dorthin, klatschten und pfiffen und warfen die Arme hoch. Krysta schaute fasziniert zu. Noch nie hatte sie so viel unbändige Energie auf einmal gesehen, und bald nahm sie an dem ausgelassenen Treiben teil, von einer lächelnden Edythe ermutigt, die nach ihrer Hand griff. Während Krysta tanzte, mit immer komplizierteren Schritten, hörte sie in ihrer Fantasie eine Melodie, die sie wenig später zu singen begann. Die Kinder umringten sie und ahmten ihre Bewegungen nach. Dann erfanden sie neue Figuren oder folgten alten Traditionen. Es war ein Tanz für das Sternenlicht und geheimnisvolle Nächte, für mondhelle schäumende Wellen an weißen Stränden, obwohl eine gleißende Nachmittagssonne die Festung beleuchtete. Aus den Seelen der Kinder schienen sich verborgene Wunder zu erheben, die sie nicht enthüllten, aber ihr Entzücken verhehlten sie nicht. Auch Hawk bemerkte es, als er vom Turnierplatz zurückkehrte, voller Sehnsucht nach einem erfrischenden Bad und gut gekühltem Cidre. Erstaunt blieb er stehen.
Tanzende Kinder? Hatte er dergleichen je zuvor beobachtet? Natürlich, alle Kinder mussten überschüssige Energien loswerden. Aber da er sich nicht an ähnliche Szenen erinnerte, gewann er den beklemmenden Eindruck, seiner Domäne würde es an Lebensfreude mangeln. Nun suchte er eine Erklärung für die unerwartete Heiterkeit. Danach musste er nicht lang suchen. Mitten in der munteren Schar tanzte die grünäugige Dienerin – nur erkennbar, weil sie größer war als ihre Gefährten. Doch sie sprang genauso übermütig umher wie die anderen. In ihrer Nähe schien die Luft zu schimmern. Der Glanz musste flimmernder Staub sein, von flinken Füßen aufgewirbelt. Aber in der Nacht hatte es geregnet, es gab hier gar keinen Staub. Trotzdem zuckten funkelnde Punkte über den Köpfen.
Er blinzelte, schaute wieder hin und erblickte die junge Frau und die Kinder in einem schillernden Schleier. Er war kein begeisterter Tänzer, aber immerhin kannte er die Moriskentänze und dergleichen, die am Vorabend von Feiertagen vorgeführt wurden. Dieser Tanz mit den kunstvollen, komplizierten Schritten war ihm fremd. Dennoch glaubte Hawk, er hätte ihn schon irgendwo gesehen – irgendwo, vielleicht in einem Traum. Leise wehte eine Melodie heran und verwirrte ihn, denn er entdeckte keine Musiker. Aber er hörte Flöten- und Trommelklänge. Dann verstummten sie. Wie versteinert standen die Kinder da und starrten ihn an.
Erst jetzt merkte er, dass er sich der frohen Schar genähert hatte, unwiderstehlich in ihren Bann gezogen, von einer seltsamen Magie getrieben, fast bestrebt mitzutanzen.
»Mylord...«, begann die grünäugige Dienerin, und er nahm an, sie wollte eine Erklärung abgeben, um Verzeihung bitten. In den Gesichtern der Kinder las er die unverhohlene Angst vor einem Tadel oder einer schlimmeren Strafe. Der Gedanke an das ungeborene Baby, das seine leichtfertige Gemahlin mit sich in den Tod gerissen hatte, weckte den alten Schmerz, so qualvoll wie seit Jahren nicht mehr.
Lächelnd meinte er: »Ihr solltet öfter tanzen.«
Mit großen Augen musterten sie ihn, als wäre ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. Nur die junge Frau erwiderte das Lächeln, nickte ihm dankbar zu und verschwand. Alle eilten davon, ehe er eine Gelegenheit fand, die Ursache seiner guten Laune zu erforschen, der sie offenbar misstrauten. Bald sah er die Dienerin nicht mehr. Aber sie verharrte noch lange in seinen Gedanken, nach dem Bad, nach dem ersten Schluck Cidre, nach dem Abendessen, während die Lieder des Barden verhallten und die Flammen im Herd erloschen. Und später tanzte sie lachend durch seine Träume.
Verdammt, welch ein Narr er war...
Die Luft war windstill. Wie ein Leichentuch hüllte sie Krysta ein. Rastlos warf sie sich umher. Unter ihr knarrte die Matratze. Raven bewegte sich und ächzte leise.
So ungern Krysta die Freundin auch störte – sie ertrug es nicht, noch länger auf den erlösenden Schlummer zu warten. Sie pflegte nackt zu schlafen, wer tat das nicht? Aber der Schicklichkeit zuliebe schlüpfte sie in ein Hemd, bevor sie aus der Frauenhalle schlich. In der milden Nachtluft wehte ein exotischer Duft aus fernen Ländern heran, den die Brise über das Meer sandte. Sie schaute zum schwarzen Himmel hinauf, der sich von Horizont zu Horizont ohne eine einzige Wolke wölbte. Längst war der Mond untergegangen. Nur die Sterne und die Feuer in den Wachtürmen spendeten Licht. Dunkler Rauch umhüllte die Silhouetten der Männer, die auf der Mauer patrouillierten und manchmal stehen blieben, um ein paar Worte zu wechseln.
Wohin Krysta sich wenden und was sie unternehmen sollte, wusste sie nicht. Schließlich sah sie den Widerschein rot glühender Asche in der Schmiede. Im Schutz nächtlicher Schatten eilte sie hinüber. Den ganzen Tag hatte sie das metallische Lied des Hammers gehört. Jetzt herrschte tiefe Stille, nur vom fernen Schrei einer Eule und raschelndem Stroh durchbrochen. Dann erklang ein Miauen. Atemlos wagte Krysta sich näher heran und betrat die Werkstatt. Eine getigerte Katze hob den Kopf und schaute sie prüfend an. Nach einer Weile blinzelte sie und wandte sich wieder zu den sechs winzigen Kätzchen, die sich an ihren Bauch drängten. Einige saugten an den Zitzen, andere schliefen. In respektvollem Abstand kniete Krysta nieder und betrachtete das hübsche Bild. Nie zuvor hatte sie neugeborene Kätzchen gesehen, rosig und noch blind von der Finsternis im Mutterleib. Wahrscheinlich waren sie eben erst geboren worden. Die Mutter hatte einen geeigneten Ort gewählt, in weichem Stroh, das die Flammen der Schmiede gewärmt hatten. Offensichtlich hatte sie gewusst, was zu tun war. Mit rauer Zunge strich sie über das flaumige Fell ihrer Jungen. Nur einmal hielt sie von einer kühnen Maus abgelenkt inne. Unter anderen Umständen wäre das kleine Tier eine willkommene nächtliche Mahlzeit gewesen. Aber heute konnte es unbeschadet entkommen.
»Morgen bringe ich dir ein paar Heringe«, versprach Krysta. »Solange deine Babys noch klein sind, darfst du nicht auf die Jagd gehen.«
Die Tigerkatze blinzelte wieder, als wollte sie zustimmen. Dann fuhr sie fort, ihre Schützlinge abzulecken. Angesichts dieser mütterlichen Fürsorge fühlte sich Krysta seltsam getröstet. Plötzlich fuhr sie erschrocken hoch, als ihr Kopf gegen eine Truhe schlug. Wann sie in dieser unbequemen Haltung eingeschlafen war, wusste sie nicht. Jedenfalls spürte sie schmerzhafte Krämpfe in ihren Beinen. Mühsam stand sie auf und rieb ihre Waden, während sie aus der Schmiede wankte.
Im schwachen Licht der Morgendämmerung sah er nur undeutlich, wie sie sich bückte. Der östliche Horizont färbte sich grau, an der Westseite funkelten immer noch die Sterne. Vom Meer wehte ein erfrischender Wind herüber und zerrte an der Tunika, die Hawk hastig angezogen hatte, nachdem er aus einem beunruhigenden Traum erwacht war. Seit seiner Jugend hatten ihn solche Träume nicht mehr geplagt. Entweder würde seine Braut möglichst schnell herkommen und ihn bereitwillig umarmen, oder er musste sich eine Geliebte suchen. Ein Mann in seiner gehobenen Position durfte sich diese hartnäckigen Gedanken an das schöne Geschlecht nicht leisten. Aus welchem Grund auch immer erhitzte ein wildes Verlangen sein Blut, das gestillt werden musste. Während er diesen Entschluss fasste, sah er die junge Dienerin aus der Schmiede hinken. Was hatte sie dorthin geführt, in einen Raum voller Ruß und Eisen? Und wenn sie schon nachts umherwanderte, warum kleidete sie sich nicht, wie es Sitte und Anstand erforderten? Soweit er feststellen konnte, trug sie nur ein dünnes Hemd, das die Brise an ihren Körper presste, an einen sehr hübschen Körper, schlank und geschmeidig... Doch das brauchte ihn nicht zu interessieren. Warum schlich sie verstohlen umher? Befand sie sich in einer Notlage?
Für einen so großen, kräftigen Mann bewegte er sich erstaunlich schnell und behände. Innerhalb weniger Sekunden stand er direkt vor Krysta. Bestürzt rang sie nach Atem, und die Angst verscheuchte den Schmerz aus ihren steifen Beinen. Wie töricht von ihr, sich so spärlich bekleidet im Dunkel von einem unbekannten Mann ertappen zu lassen, der womöglich – was?
Da kam er noch näher, und sie erkannte ihn, nicht an seinen Gesichtszügen, die sie kaum sah, sondern an seiner Ausstrahlung, die ihr bereits vertraut war. »Mylord...«
»Was treibst du hier?« Er wartete keine Antwort ab. »Fällt dir nichts Besseres ein, als nachts nur unzulänglich angezogen herumzuschleichen?« Irritiert zupfte er am dünnen Stoff ihres Ärmels, und sie wich so abrupt zurück, dass sie gestolpert wäre, hätte er sie nicht festgehalten. Ganz dicht standen sie voreinander, sein Arm umschlang ihre Taille. So viele Eindrücke stürmten auf Krysta ein – die Wärme seines Körpers, seine Stärke, die Verwirrung in seinem Blick, das Bedürfnis, seine gerunzelte Stirn zu glätten und ihn zu beschwichtigen – und noch viel mehr.
Über seiner rechten Schulter fiel eine Sternschnuppe herab, und der silberne Streifen lenkte Krysta lange genug von ihren Gefühlen ab, um sie zu Verstand kommen zu lassen. »Seht doch!« Als er sich umdrehte, entschlüpfte sie seinem Griff wie Wasser, das durch Felsenritzen entweicht.
Verblüfft fuhr er zu ihr herum. Sie wollte flüchten, besann sich aber eines Besseren. Er war ein Jäger. Und sie durfte ihm keinen Grund geben, ihr nachzujagen.
»Warum hat deine Herrin ausgerechnet dich hierher geschickt? Immerhin fand sie zwei Dienstboten von seltener Hässlichkeit. Konnte sie keinen dritten auftreiben?«
»O nein, Raven und Thorgold sind nicht hässlich«, protestierte Krysta gekränkt. In ihren Augen waren die beiden schön.
»Nun, das spielt keine Rolle«, erwiderte Hawk und zwang sich zur Ruhe. »Warum hat sie dich hierher geschickt?«
Ja warum? Damit sie ihm nachspionierte, sein Wesen erforschte, über verschiedene Möglichkeiten nachdachte, seine Liebe zu gewinnen. Gewiss, das könnte sie ihm mühelos erklären. »Weil ich für Lady Krystas Bequemlichkeit sorgen soll.«
Hawk lachte spöttisch. »Dann hat sie die Situation völlig falsch beurteilt, nicht wahr? Ist sie wirklich so naiv?«
War sie das? Was Krysta empfand war keine Naivität. In ihr regte sich ein uraltes weibliches Wissen. Sie wartete, aber sein Schweigen verlangte eine Antwort. »Mylord, sie ist – wie sie ist.«
Was konnte sie sonst noch sagen? Er würde sie lieben oder zerstören – es lag in Gottes Hand. Ein paar Sekunden lang starrte er sie noch an, ein tiefer Seufzer hob und senkte seine Brust. Dann sprach er nur eine einzige Silbe aus: »Geh.«
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, rannte sie davon – obwohl es keinen Fluchtweg gab.
Während die Stunden verstrichen, wurde die Luft immer schwüler. Am Nachmittag färbte sich der Himmel gelblich grau. Mit gesenkten Köpfen trotteten die Hunde umher. Angstvoll wieherten die Pferde. Die Leute beeilten sich, ihre Pflichten zu erfüllen, die Frauen kümmerten sich früher als üblich um die Wäsche und nahmen sie noch feucht von der Leine. In unnatürlicher Stille erstreckte sich das Meer bis zum Horizont, kein Windhauch regte sich. Krysta holte tief Atem und fühlte einen eigenartigen Schmerz in der Brust. Vielleicht schlug ihr Herz zu heftig. Getrieben von der Sehnsucht nach den kühlen, vom Kiefernduft erfüllten Brisen ihrer Heimat, ging sie zum Strand hinab. Die Ebbe hatte den Sand freigelegt. Doch die Vögel, die diese Gelegenheit zur Nahrungssuche nutzen sollten, ließen sich nirgends blicken. Nicht einmal die Möwen. Um der melancholischen Szenerie zu entrinnen, kehrte Krysta schon nach wenigen Minuten in die Festung zurück.
Innerhalb der Mauern schlössen die Kaufleute und Handwerker ihre Läden und Werkstätten. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in Sicherheit gebracht – sogar die Tröge, die das Trinkwasser für die Pferde enthielten. Allmählich verfinsterte sich der Himmel, schien immer tiefer herabzusinken und die Gipfel ferner Berge zu berühren. Über Krystas Rücken rann ein Schauer. Daheim hatte sie wilde Stürme vom nördlichen Atlantik heranrasen sehen. Aber hier herrschte eine andere Atmosphäre. Die sonderbare Farbe des Himmels und die bleischwere Luft zerrten an ihren Nerven. Vergeblich schaute sie sich nach Raven und Thorgold um. Die beiden hatten sich zweifellos irgendwo verkrochen.
Sogar der emsige Schmied beendete seine Arbeit früher als gewohnt. Beim Anblick des Korbs mit den Heringen, den Krysta in seine Werkstatt trug, lächelte er und zeigte in die Ecke, wo die Tigerkatze mit ihren Jungen im Stroh lag. Mit gnädigem Blinzeln nahm sie das Geschenk entgegen und verschlang die willkommene Mahlzeit. Krysta blieb noch ein paar Minuten und beobachtete die schlafenden Kätzchen. Dann verabschiedete sie sich von dem freundlichen Schmied. Im Hof brachte sie ein plötzlicher Windstoß beinahe aus dem Gleichgewicht. Den Kopf zwischen den Schultern, rannte sie zur Frauenhalle auf der anderen Seite.
Noch bevor sie ihr Ziel erreichte, öffnete der Himmel seine Schleusen, strömender Regen durchnässte sie bis auf die Haut. Hastig sah sie sich nach einem schützenden Dach um, entdeckte den Stall und lief hinein. Nachdem sie das Tor hinter sich geschlossen hatte, seufzte sie erleichtert. Draußen tobten die Elemente immer stürmischer. Der Wind rüttelte an den Bretterwänden und scheuchte Krysta tiefer in den Stall hinein. Von ihrem Kleid tropfte Wasser zu Boden. Sie bückte sich, um den Saum auszuwringen. Im selben Augenblick zerriss ein greller Blitz die Wolken, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner. Obwohl das feurige Licht nur durch einen Fensterladen hineindrang, der sich aus den Angeln gelöst hatte, stach es schmerzhaft grell in Krystas Augen. Was sollte sie tun? Unsicher spähte sie in alle Richtungen. Nach einer Weile wurde sie von einem wiehernden Pferd und einer tiefen Männerstimme zum anderen Ende des Stalls gelockt. Sie wollte sich nicht zeigen und nur die tröstliche Nähe eines Menschen suchen. Aber bevor sie sich verstecken konnte, drehte er sich um. Im Schein eines neuen Blitzes sah sie sein markantes, wie aus Granit gemeißeltes Gesicht.
»Heiliger Himmel...« Die Worte klangen wie eine flehende Bitte um Erlösung.
»Tut mir Leid«, entschuldigte sie sich, »das Gewitter hat mich überrascht. Und die Frauenhalle liegt zu weit weg...«
Verwirrt unterbrach sie sich. In der Luft schien ein eigenartiges Knistern zu vibrieren, das Krystas Nackenhaare sträubte. Hawk trat von dem Hengst zurück, den er beschwichtigt hatte.
Was nützte es, ein Pferd zu besänftigen, wenn seine eigene Seele keine Ruhe fand? Den ganzen Tag war er der Frau aus dem Weg gegangen, hatte seine Männer und sich selbst auf dem Turnierplatz und bei der Jagd gnadenlos angetrieben. Trotz aller Mühe konnte er sie nicht vergessen. Letzten Endes hatte er beschlossen, die Dienerin mit einer Eskorte zu seinem Schwager zu schicken und sich schriftlich nach dem Verbleib seiner Braut zu erkundigen. Diese Heirat hatte der tückische Wolf eingefädelt. Also sollte er das Problem gefälligst lösen.
Und jetzt stand sie vor ihm – so verlockend, wie ein Becher voll kühles Wasser einem Verdurstenden erscheinen mochte, gefährlich wie das Unwetter, das sie zusammengeführt hatte.
Das ist Lokis Werk, würde Wolf behaupten, denn dieser boshafte Gott genoss es in vollen Zügen, wehrlose Menschen zu quälen. Eine einleuchtende Erklärung, fand Hawk. Ebenso gut wie jede andere.
»Komm zu mir.«
»Nein«, entgegnete sie ohne Zögern, mit klarer Stimme, unmissverständlich.
In wachsendem Argwohn hob er die Brauen. Eine seltsame Dienerin, die einen Befehl so dreist missachtete. »Nein?«, wiederholte er lächelnd. »Du bist eine Frau, nicht wahr? Und eine Dienerin? Du befindest dich in meiner Festung. Trotzdem missachtest du meine Aufforderung?«
Trotzig hob sie ihr Kinn. »Ihr seid nicht mein Herr.« Eine lahme Ausrede, das wussten sie beide.
Nun vertiefte sich Hawks Lächeln. »Du hast nichts zu befürchten, denn ich möchte nur bestätigt sehen, was ich bereits herausgefunden habe.«
Als sie ihn vorher erkannt hatte, war sie erschrocken. Und jetzt geriet sie beinahe in Panik. Was hatte er festgestellt? Durchschaute er die Maskerade? Andererseits nannte er sie eine Dienerin, die sich ihrem Herrn nicht widersetzen durfte. »Mylord, ich bin eine freie, unverheiratete Frau. Deshalb muss ich keinem Mann gehorchen. Es sei denn...« Ihre Augen verengten sich. »Es sei denn, die Wünsche einer Frau kümmern Euch nicht.« Verächtlich kräuselte sie die Lippen.
»Doch, sie kümmern mich«, versicherte Hawk, und sie atmete auf. »Und wie ich bereits sagte, hast du nichts zu befürchten. Komm endlich her.«
»Lieber nicht.«
Mit wenigen Schritten war er bei ihr. Sie konnte sich nicht gegen ihn wehren – er war ein Krieger, in zahlreichen Schlachten erprobt, und ein geborener Jäger. Hilflos war sie ihm ausgeliefert. Oder doch nicht? Der Gedanke ihr wehzutun erschien ihm unvorstellbar. »Was zwischen uns entstanden ist, weißt du. Das habe ich in deinen Augen gesehen.«
Auf so freizügige Worte war sie nicht vorbereitet. Erklärte er tatsächlich, dass er sie begehrte? Die Dienerin seiner Braut? Interessierte ihn nicht, wie Lady Krysta darüber denken würde? Bedeuteten ihm die Gefühle seiner künftigen Gemahlin gar nichts?
»Ich will nicht mit Euch schlafen.« Diesen Augenblick wählte der Wind, um zu ersterben. In der plötzlichen Stille klang Krystas Stimme unnatürlich laut.
»Darum habe ich dich nicht gebeten.«
Brennend stieg ihr das Blut in die Wangen. Hatte sie die Situation missverstanden? Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. »Oh, ich dachte... Schon gut.« Hastig wandte sie sich ab und hoffte, die Frauenhalle zu erreichen, bevor das Gewitter erneut losbrach. Aber Hawk ergriff ihren Arm und zog sie an sich.
»Du bist eine Frau wie jede andere. Davon will ich mich überzeugen. Und dann beenden wir dieses alberne Geplänkel.«
Bevor er seinen Mund auf ihren presste, fand sie gerade noch Zeit, ein einziges Mal Atem zu holen. Die Gefühle, die er in ihr weckte, erschreckten sie. Nie zuvor war sie geküsst worden. Doch sie gestand sich ein, dass sie mehrmals von Küssen geträumt hatte. Vor allem in letzter Zeit. Mit der Wirklichkeit ließen sich die Fantasiebilder nicht vergleichen. Kein kraftvoller, grausamer Angriff, sondern eine süße Verlockung zog Krysta in einen unwiderstehlichen Bann einer betörenden Intimität. Hawks Lippen öffneten ihre, und sie spürte seine Hitze, kostete seinen Geschmack. Stöhnend grub sie ihre Finger in seine breiten Schultern, von einer Macht überwältigt, die sie bisher nicht gekannt hatte. Aus seiner Kehle rang sich ein heiserer Laut, er presste sie fester an sich. Da erkannte Krysta eine verwandte Seele. Ihre wilde Leidenschaft beantwortete seine, und sie genoss das Drängen seiner Zunge, die mit ihrer spielte. In plötzlicher Kühnheit überließ sie sich ihrer Sinnenlust, von der sie noch vor wenigen Sekunden nichts geahnt hatte. Unbewusst hatte sie sich schon immer danach gesehnt. Diesem Mann wollte sie Kinder schenken, mit ihm würde sie durchs Leben gehen. Das erkannte sie innerhalb eines einzigen Herzschlags, und sie schwelgte in ihrer Freude. Selbstvergessen schlang sie ihre Finger in sein dichtes, seidiges Haar, zog seinen Kopf zu sich herab, um ihn ganz und gar zu vereinnahmen. Sein Kuss, den sie jetzt mit gleicher Glut erwiderte, war nur ein Anfang. Die ganze Essenz des Lebens würde sie von ihrem Bräutigam fordern.
Atemlos riss er sich los, die Wangen gerötet, und starrte sie ungläubig an. »Was tust du? Ich dachte, du wärst deiner Herrin treu ergeben. Welches Spiel treibst du mit mir?«
Ein Spiel? Bestürzt taumelte sie zurück. Es war nur ein Spiel, wenn man das Leben an sich so nennen konnte? Wie auch immer, sie hatte einen schweren Fehler begangen. Lag es an ihrer mangelnden Erfahrung im Umgang mit den Menschen? Nein. Einzig und allein an ihrer ungezügelten Begierde.
»Mylord, ich wollte nicht...«, begann sie.
Mit einer knappen Geste brachte er sie zum Schweigen. Blitzschnell fuhr seine Hand durch die schwüle Gewitterluft. »Wärst du eine andere Frau«, stieß er heiser hervor, »würde ich dich nicht gehen lassen. Aber um des Friedens willen muss ich mich beherrschen. Ich schicke dich nach Vestfold zurück. Soll deine Herrin davon halten, was sie will.«
»Ihr schickt mich zurück? Nein!« Wie sollte sie hier eintreffen, wenn er sie nach Hause sandte? Sie hatte beabsichtigt, kurzfristig zu verschwinden und in ihrer wahren Gestalt nach Hawkforte zurückzukehren. Dazu würde sie keine Gelegenheit haben, wenn sie in ihre Heimat reisen musste – zweifellos mit einer Eskorte. Lord Hawk würde seine immer noch säumige Braut verfluchen, der Friede, den sie beide wünschten, wäre gefährdet. »Da ich nicht Euer Eigentum bin, steht es Euch keineswegs zu, mich wegzuschicken.«
»Wenn du hier bleibst, wirst du mir gehören.« Sein Blick schien ihre Augen zu durchbohren. »Und das kann ich nicht zulassen. Geh jetzt, sonst vergessen wir beide, was wir deiner Herrin schulden.«
Es lag ihr auf der Zunge zu beteuern, ihre Herrin sei gütig, verständnisvoll und duldsam. Oder sollte sie die Wahrheit gestehen? Welch eine Farce...
Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Stall und begrüßte die kalte, feuchte Luft, obwohl die Hitze in ihrem Körper nicht erlosch.
Allein mit seinen Gedanken, sank Hawk an die Bretterwand des Stalls und rang nach Atem. Es war ein Irrtum gewesen, sein Verlangen als Dummheit abzutun. Ein süßer Wahnsinn hätte ihn beinahe bewogen, alles andere zu missachten, seine Pflicht, seine Ehre, sogar den klaren Verstand. Am nächsten Morgen würde sie abreisen. Dafür wollte er sorgen. Und danach würde er seine berühmte Willenskraft einsetzen, diese Frau für immer aus seiner Erinnerung zu verbannen. Durfte er hoffen, es könnte ihm gelingen?
Seufzend wandte er sich zum Tor. Das Licht der Öllampe, die er mit sich trug, fiel auf sein Handgelenk. Verwundert blieb er stehen und starrte den dunklen Fleck auf seiner Haut an. Merkwürdig – wenn er sich recht entsann, hatte er nichts berührt, was einen solchen Fleck hinterlassen könnte. Ein bisschen Schmutz war nicht ungewöhnlich. Aber kurz vor dem Gewitter hatte er sich gründlich die Hände gewaschen, um in einem seiner kostbaren Bücher zu blättern. Und da war ihm dieser Fleck nicht aufgefallen.
Mit einer Fingerspitze berührte er die dunkle Stelle – so feucht wie das Haar der grünäugigen jungen Frau, das er bei der leidenschaftlichen Umarmung gestreift hatte. Das Haar einer Dienerin, die den Befehl eines angesehenen Kriegers dreist missachtete, einer Dienerin mit zarten Händen, ohne die Schwielen harter Arbeit. In seiner Fantasie nahm ein grotesker Verdacht Gestalt an. Nein, unmöglich... Doch der Gedanke ließ sich nicht verdrängen.
An diesem Abend erschien Krysta nicht in der herrschaftlichen Halle. Stattdessen überlegte sie verzweifelt, was sie tun sollte. Die ganze Nacht warf sie sich unruhig in ihrem Bett umher und versuchte, eine hilfreiche Entscheidung zu treffen. Sie konnte ein Geständnis ablegen und Lord Hawk um Gnade bitten. Nein, das wagte sie nicht. Sollte sie davonschleichen, bevor sie weggeschickt wurde, und wenig später als Lady Krysta zurückkehren? Wenn Thorgold und Raven mit ihr verschwanden, könnten sie behaupten, sie hätten ihre Herrin unterwegs getroffen. Was wäre damit gewonnen? Hawk hatte sie zu oft und zu deutlich gesehen. Das wäre eine Überlegung wert gewesen, bevor sie ihren scheinbar so vernünftigen Plan geschmiedet hatte, einen kläglich gescheiterten Plan.
Als der Morgen graute, stand sie auf, leicht benommen von der schlaflosen Nacht. Wie sie sich verhalten sollte, wusste sie noch immer nicht. Zu ihrer Erleichterung bemerkte sie keine Vorbereitungen für ihre Abreise. Doch das musste nichts bedeuten. Zweifellos waren Lord Hawks Krieger jederzeit zum Aufbruch bereit. Vor Hunger drehte sich ihr Magen um. Doch sie würde keinen Bissen hinunterbringen. Aus den Küchenräumen drang Darias schrille Stimme. Instinktiv wandte sich Krysta in die andere Richtung und stieß beinahe mit dem Verwalter zusammen, der sie offenbar gesucht hatte.
»Verzeiht mir«, entschuldigte sie sich hastig und wollte an ihm vorbeieilen.
Doch der junge Mann versperrte ihr den Weg. »Seine Lordschaft will dich sehen.«
»Wie – was?«, stammelte sie.
»Er will dich sehen«, wiederholte Edvard ungeduldig. »Im Turmzimmer.« Als sie immer noch zögerte, versetzte er ihr einen sanften Stoß. Schlimmer noch, er schaute ihr nach, um festzustellen, ob sie auch wirklich durch die richtige Tür ging.
Langsam stieg sie die Turmtreppe hinauf. Was sollte sie sagen? Hätte sie doch ein bisschen mehr Zeit, um nachzudenken. Bedauerlicherweise blieb ihr nichts anderes übrig, als das Beste zu erhoffen und zu beten.
Die Tür des Turmzimmers stand halb offen. Nach einem tiefen Atemzug nahm Krysta ihren ganzen Mut zusammen und trat ein. Das Gemach nahm das ganze oberste Stockwerk ein, beherrscht vom größten Bett, das sie jemals gesehen hatte – mit reich bestickten Vorhängen und kostbaren Pelzen. Vielleicht hätte sie außer diesem imposanten Bett nichts bemerkt, wäre ihr Blick nicht von Hawk gefesselt worden, der in eine Wanne voll dampfendem Wasser stieg. Bevor er sich setzte, sah sie seine schmalen Hüften, die kraftvollen Schenkel und dann nur mehr die breite Brust und ein raubtierhaftes Lächeln.
»Steh nicht herum!«, rief er. »Mach dich nützlich und wasch mir den Rücken.« Ehe sie antworten konnte, tauchte er unter und wieder auf, spritzte Wassertropfen nach allen Seiten und seifte sein Haar ein. Wider Willen fasziniert, starrte sie ihn an – die bronzebraune Haut, die vibrierenden Muskeln und Sehnen, die kleinen flachen Brustwarzen. In seinen Achselhöhlen wirkte das dunkle Kraushaar noch seidiger als die Locken auf seinem Kopf. Er tauchte wieder unter, um die Seife wegzuspülen. Das Gesicht triefnass, richtete er sich auf und öffnete ein Auge. »Hast du nicht gehört?«
Doch – gut genug, um zu wissen, was seine scharfe Stimme bedeutete. Aus irgendeinem Grund war er fest entschlossen, seinen Befehl befolgt zu sehen. Vielleicht bereute er, dass er sie am Vortag aus dem Stall gescheucht hatte und wollte das unterbrochene Liebesspiel jetzt fortsetzen. Dieser Gedanke beschleunigte Krystas Puls. Oder versuchte er, sie zu demütigen, bevor er sie wegschickte? Was immer er beabsichtigte, es wäre falsch, ihn zu erzürnen. Sie hatte ohnehin keine Wahl.
In jedem Schritt drückte sich ihr Widerstreben aus, während sie zur Wanne ging. Vorsichtshalber ließ sie ihn nicht aus den Augen. Aber nachdem er erkannt hatte, dass sie gehorchen würde, beachtete er sie nicht mehr und wusch seinen Körper. Die Wangen hochrot, beobachtete sie ihn. Wenigstens schützte das Badewasser einigermaßen ihre Unschuld – oder was davon übrig geblieben war, nachdem er diese heiße Leidenschaft in ihr geweckt hatte.
Doch sie gab sich nicht völlig geschlagen. Sie sollte seinen Rücken waschen? Nur zu gern. Fügsam kniete sie neben der Wanne nieder, und ihre Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln, das ihn alarmieren musste. Sie ergriff einen Lappen und tauchte ihn ins Wasser. Mit aller Kraft begann sie seinen Rücken zu schrubben.
Wollte sie seine Haut aufschürfen? Hawk lachte schallend. Verdammt, offenbar amüsierte sie ihn. »Zieh deine Krallen ein!«, mahnte er. »Ich habe auf harten Felsen geschlafen und nichts davon gespürt. Sicher wirst du keine schlimmere Wirkung ausüben.«
»Was nicht an meinem mangelnden Eifer liegen würde«, murmelte sie und verstärkte den Druck ihrer Hände, ohne Erfolg. Genauso gut hätte sie einen Stein scheuern können. Einen warmen, glatten Stein. Verwirrt zuckte sie zurück, als hätte sie sich die Finger verbrannt, und versuchte aufzustehen.
Aber Hawk umklammerte ihr Handgelenk. »Du bist noch nicht fertig.« Spöttisch hob er die Brauen. »Ich dachte, die Nordländer wären so sauber. Wie wäre es mit einem Bad?«
»Statt Euren Körper wie gepökeltes Rindfleisch in einem lächerlichen Zuber einzuweichen, solltet Ihr eine Sauna besuchen.«
»Oh, hier gibt’s eine Sauna, die ich oft genieße. Trotzdem will ein Mann hin und wieder ein richtiges Bad nehmen.« Seine Finger glitten besänftigend über ihr Handgelenk.
Beinahe gewann sie den Eindruck, er wollte den Schmerz lindern, den er ihr zugefügt hatte. Unter seiner Berührung erschauerte sie wohlig. Umrahmt von langen, dichten, kastanienbraunen Wimpern, leuchteten seine Augen so blau wie der Himmel im Hochsommer. Dunkle Bartstoppeln, im Lauf der Nacht gewachsen, milderten seine markanten Züge. Plötzlich empfand sie den Wunsch, seine Wange zu berühren – alles an ihm kennen zu lernen.
»Also besitzt Ihr eine Sauna, Mylord?« Irgendwie musste sie sich von diesen gefährlichen Gedanken ablenken.
Ohne seinen Blick von ihr abzuwenden nickte er. »Die einzige gute Idee, auf die unsere Feinde, die Dänen, jemals kamen.«
»Eine bessere Idee als der Vorstoß nach England?« Gegen ihren Willen war ihr die Frage herausgerutscht. Hätte sie doch geschwiegen und überlegt, wie sie ihm entrinnen sollte. O Gott, sie unterhielt sich mit einem nackten Mann, der ihr Handgelenk festhielt!
»Das hängt von der Betrachtungsweise ab. Zweifellos hielten die Dänen ihren Angriff für eine ausgezeichnete Idee. Während wir...« Mit einem Achselzucken tat er den Kampf ab, der sein bisheriges Leben beherrscht hatte. Um ihn zu gewinnen, war er sogar zu einem Bündnis mit den Norwegern bereit, das er festigen würde, indem er eine Norwegerin heiratete. »Reden wir nicht vom Krieg, im Moment interessieren mich andere Dinge.«
Die ganze Nacht hatte er über seinem Verdacht gegrübelt, hin- und hergerissen zwischen der Überzeugung, er müsse sich irren, und der Erkenntnis, nichts wäre unmöglich. Letzten Endes gab er einem Impuls nach, was ungewöhnlich war, denn er pflegte sogar in der Hitze eines Gefechts stets zu überlegen, bevor er handelte. Oft genug hatten ihm seine Geistesgegenwart und sein messerscharfer Verstand das Leben gerettet. Aber diese Talente ließen ihn im Stich, wenn es um die grünäugige junge Frau ging. Da sie sein Gehirn benebelte, hatte er beschlossen, seinem Instinkt zu vertrauen. Mit jedem Lächeln vergrößerte sie seine Verwirrung.
Glücklicherweise lächelte sie in diesem Moment nicht. Sie sah sogar so aus, als würde sie nie wieder lächeln. »Gestern hast du erklärt, du willst nicht in meinen Armen liegen.«
Ihr Atem stockte, und Hawk beobachtete entzückt, wie dunkle Röte in ihr Gesicht kroch. »Das sagte ich, ohne zu überlegen – ich meine...«
»Also wirst du mit mir schlafen?«
»Nein! Darüber dürfen wir nicht sprechen. Meine Herrin...«
»Deine abwesende, pflichtvergessene Herrin«, unterbrach er sie, und seine Augen verengten sich. Dann umschloss er ihr Handgelenk noch fester, aber trotzdem behutsam, weil er ihr nicht wehtun wollte. Er fügte provozierend hinzu: »Vergiss Lady Krysta, sie spielt keine Rolle.«
»Was? Nur auf sie kommt es an. Habt Ihr nicht betont, wir beide wären ihr etwas schuldig?« Seine Vorsichtsmaßnahme war berechtigt, denn sie versuchte, sich loszureißen, was er mühelos verhinderte.
»Die Pflicht ist eine kalte Bettgenossin, und ich ziehe eine warmherzige, bereitwillige Frau vor. Noch viel begehrenswerter erscheint mir eine Gefährtin, die meine Leidenschaft mit gleicher Glut erwidert, so wie du gestern. Komm her!« Ehe sie ihn abwehren konnte, zog er sie näher zu sich heran. Über die Wanne gebeugt, riss sie entsetzt die Augen auf, und er glaubte, in diesem schimmernden Grün zu ertrinken.
»Nein, Mylord! Was bildet Ihr Euch ein? Lasst mich los!«
Da zerrte er noch etwas heftiger an ihrer Hand. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel ins Wasser und wäre auf Hawk gestürzt, hätte er sich nicht blitzschnell erhoben, um aus der Wanne zu springen. Einer so lockenden Versuchung konnte ein Mann kaum widerstehen, und er fand es klüger, der Gefahr zu entfliehen. Ohne seine Nacktheit zu beachten, beobachtete er, wie die junge Frau um sich schlug – und was mit dem Badewasser geschah. Während die ersten Spuren der schwarzen Farbe hineinrannen, änderte sich seine Miene. Die Ungewissheit hatte seinen Zorn gezügelt. Angesichts des eindeutigen Beweises sah er keinen Grund, seine Gefühle zu verbergen.
Er riss ein Handtuch von der Lehne eines Stuhls, schlang es um seine Hüften und wartete, bis eine klatschnasse, prustende, mit schwarzer Farbe befleckte Lady Krysta auftauchte – seine Braut.