Читать книгу Der Sklave - Jürg Brändli - Страница 10

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Hebeisen hatte jung ein schmales und dunkles indianisches Gesicht mit schönen Zügen und vollen männlichen Lippen. Sein magischer Blick entsprang schwarzbraunen Augen. Er hatte dunkle gerade Haare, die ihm etwas Abenteuerliches verliehen, weil er sie schulterlang trug. Er wusste, dass er durch sein Äusseres auffiel. Gleichzeitig haftete seinem guten Aussehen etwas Eigenbrötlerisches an: eine exotische Verletzlichkeit, ein Nimbus von Unschuld, eine fast schon heiligenhafte Unnahbarkeit. Seine ganze Person war von kontrolliertem, rundem Wesen.

In seiner Jugend mochte er braune Lederjacken mit Wollstössen, die ihm etwas vom arktischen Pionier verliehen. Dazu trug er meistens Bluejeans und Turnschuhe von Adidas, nämlich aus abgewetztem, knochenweissem Leder und mit himmelblauen Streifen. Lange besorgte ihm die Mutter seine Hemden, die er unter ärmellosen Pullovern trug. Es gab eine Phase, da gefiel er sich mit Beret. Im Winter trug er dicke, uneitle Wollschals. Indem er gerne einen legèren Eindruck machte, hatte er lange Zeit etwas von einem ungelenken, französischen Sozialisten. Damals hätte man sich nicht gewundert, ihn in einem Boulevardcafé beim Schreiben von Literatur und beim Trinken von Pastis anzutreffen. Ein Stückweit handelte es sich jedoch um Verkleidung. Das Frühlingshafte an der Kluft seiner Jugendzeit sollte über jene Schwermut hinwegtäuschen, die in ihm hockte wie ein unerklärliches Schuldgefühl, nämlich seit er denken konnte, und die er deshalb mit sich herumschleppte wie eine unsichtbare Sträflingskugel.

Ein Arzt hatte ihm einmal vom Unglück erzählt, das eine fehlgeschlagene Injektion bei einem Patienten verursachen sollte: Das Serum habe sich nach dem Einspritzen, anstatt im ganzen Körper heilende Wirkung zu entfalten, in einer einzigen Blase gesammelt, um im Fleisch nichts weiter zu verursachen als schrecklichen Schmerz. Das Bild schoss Hebeisen immer dann in den Kopf, wenn er an seine Erziehung denken musste. Es war ein Gift, das sein Organismus Zeit seines Lebens abgestossen hatte. Er wollte kein Teil jener Sache sein, die sie das Protestantische nannten. Immer musste er an diese Zeile aus dem Song von Supertramp denken, «You take a long way home», und daran, wie sehr ihn der Inhalt ärgerte. Er war nicht homosexuell. Das Leben, das vor ihm lag, sollte nicht bloss einen spasshaften Umweg bilden auf dem Weg zurück nach Hause und zur Mutter. Er hatte vor, die halbstarke Prägung irgendwann zu verlassen, mit der ihm seine Umwelt ständig ein Bein stellte. Er war nicht einverstanden mit seinem Platz im grossen Puzzle, das man für ihn vor langer Zeit ausersehen hatte, und er wehrte sich deshalb mit Kräften dagegen, wie ihm hinterrücks und in Respektlosigkeit die nötigen Kanten abgeschlagen wurden, damit er ihn trotzdem irgendwann ausfüllen konnte. Er wollte sein eigener Puzzleteil werden, um im Laufe seines Lebens jene Lücke zu finden, in die er tatsächlich passte. Mochten sie ihm noch so viele Fallen stellen. Mochte es dauern, so lange es wollte. Hebeisen wollte zum eigenen Nutzen wachsen und nicht im weibischen Interesse seiner Familie. Er wollte ins Leben vorstossen und nicht in den Schoss irgendeines reformierten Inzests. Er wollte den Ödipus loswerden, mit dem er von seiner Gemeinde manipuliert wurde. Hebeisen wollte nicht bleiben. Er wollte weg.

Der Sklave

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