Читать книгу Der Sklave - Jürg Brändli - Страница 13

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Seit er denken konnte, war sein Vater ein schlechter Verlierer gewesen.

Wenn Heinz Hebeisen beim Tischtennisspiel gegen eines seiner Kinder unterlag, dann nur deshalb, weil er sich gerade sein Handgelenk verletzt hatte oder weil er unter sonst einer Indisponiertheit litt, die jeweils an den Haaren herbeigezogen war. Es war ein Muster, das sich im Alltag wiederholte. Wer in der Familie glaubte, sich in der Situation gegen den Vater durchgesetzt zu haben, der hatte die Rechnung ohne dessen Spiessigkeit und ohne dessen Gedächtnis gemacht. Es kam stets zurück. Heinz Hebeisen kürzte seinen Kindern dann das Taschengeld, beschämte sie vor Bekannten oder werkte ihnen anderweitig zu leide, und dies auch noch zu Zeitpunkten, an denen es für die Betroffenen längst unmöglich sein musste, einen Zusammenhang herzustellen zwischen der väterlichen Aggression und dem auslösenden Ereignis. Hebeisen lernte dadurch früh, dass ein Wesenszug von Macht in Willkür bestand. Selbstverständlich führte es zu einem Klima, in dem zwischen den Generationen kein Vertrauen wachsen konnte.

Es zerstörte vieles.

So gab es unter dem Dach der Hebeisens keine Intimität. Persönliches konnte dadurch nicht zur Sprache kommen. Wer trotzdem ein sinnliches Thema aufbrachte, der riskierte, dass es für immer verdorrte unter der förmlichen Gleichbehandlung. Es konnte eine Quelle fürs Bedürfnis nach körperlicher Selbstverletzung sein, wie es Hebeisen im frühen Leben oft empfand, nämlich wenn er sich deswegen jeweils ausgerechnet in der Liebe zu spüren aufhörte. Gerade für ihn als Masochisten bedeutete es eine überaus verwirrende und belastende Komplikation seines Gefühlslebens.

Es war nicht nur so, dass Hebeisen ohne Liebe aufwuchs. Das besitzergreifende Verhalten seines Vaters entwand ihm zugleich die Mittel, um der Kälte etwas entgegenzusetzen. Die Kinder Heinz Hebeisens waren keine Individuen. Für den Vater stellten sie ganz einfach eine Erweiterung seiner eigenen Persönlichkeit dar, weshalb er ständig ihre Integrität ignorierte, vor allem jene von Christian, dem jüngsten, nämlich indem er sich gedankenlos seines Lebens selbst bediente und dadurch alle Bemühungen um Autonomie im Frühstadium zerstörte.

Grosszügigkeit wurde jenem Kind zu teil, das den Missbrauch akzeptierte und mithalf, Heinz Hebeisens Grandiosität zu finanzieren. Wer dem Vater die Selbstbestätigung hingegen verwehrte, der musste mit der strafenden Empfindung zurechtkommen, bei den eigenen Eltern bloss in Untermiete zu leben. Dann reute sie das Essen, das Geld und die Zeit.

Der fortwährende Diebstahl an Identität wog umso schwerer, als sich die Eltern dagegen in keinem Moment dazu hinreissen liessen, von ihrem eigenen Leben auch nur ein Detail preiszugeben. Bei Hebeisen hatte es stets den Eindruck erweckt, als hätten Mutter und Vater alleine in der Gegenwart existiert. Alles schien an ihnen vorbeigegangen zu sein: Kennedy, die Beatles, Vietnam, 68, Baader Meinhof, Disco. Bei den einzigen Dingen, die ihre Vergangenheit definierten, handelte es sich um die Mondlandung, um ihre Heirat und um die Geburt ihrer drei Kinder. Den Rest borgten sie sich schamlos beim Nachwuchs, denn das Vakuum wollte täglich gefüllt werden.

Es war die Summe, die Hebeisen früh dazu veranlasste, Lebenspläne zu schmieden, von denen seine Eltern keinen Teil bildeten.

Nie sollte der Sohn seinen Vater konfrontieren. Es war jedoch nicht Angst vor Schmerz, die ihn davon abhielt. Er fürchtete sich auch nicht vor jener schwerwiegenden Wehmut, von der er wusste, dass sie einem das Einstürzen der Welt der Kindheit tatsächlich verursachen konnte.

Ein wesentlicher Teil seines Vaters lebte in Hebeisen. Es war der wirkliche Grund, weshalb ihm vor einem solchen Moment der Wahrheit graute, vor einem unneurotischen Kräftemessen, das möglicherweise mit der späten Entdeckung von Eigenschaften einher gegangen wäre, die er deswegen nicht ertragen hätte: Homosexualität, Hündisches oder faule Demut. Schliesslich musste es doch einen konkreten Grund geben, warum es Hebeisen so schwer fiel, sich von seinem Vater abzulösen, um erwachsen zu werden.

Der Sklave

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