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Zwischen Pfarrteam und Straßenkicks
ОглавлениеDennoch gründete ich selbst eine Fußballmannschaft, und zwar in der Pfarrei. Fast alle katholischen Pfarreien hatten Auswahlmannschaften, die dann untereinander auf Stadtebene gegeneinander antraten. In unserer Mannschaft war ich Kapitän, wie auch in der Klassenmannschaft. Ich spielte in der Schulmannschaft sowie in einer Straßenmannschaft. Querstraße und Hermannstraße in Gladbeck-City hatten ein schlagkräftiges Team zusammen.
Meine Position war die des zentralen Stürmers. Ausgereifte Technik war für mich ein Fremdwort, auch Schnelligkeit fehlte mir. Dribbeln konnte ich auch nicht. Ich war indes früh ein begeisterter Anhänger des One-Touch-Fußballs (den Begriff gab es damals natürlich noch nicht). Wobei der One-Touch eher ein Zwang war. Ich sah lieber zu, dass der Ball schnell wieder verschwand.
In der Straßenmannschaft spielten wir mal auf Asche, mal mit einem Tennisball auf kleine Tore auf dem Schulhof des Ratsgymnasiums, aber am liebsten auf Rasen. Wir hatten einen Platz im nahen Nordpark ausgewählt, wo Jacken und Pullover als Pfosten dienten. Das Problem: Die seitliche Abgrenzung zu einer Seite war ein Teich. Und so landete das Leder – und daraus war der Ball damals wirklich noch – oft im Wasser. Wir haben mehr gefischt als Fußball gespielt. Mit Stöcken und Ästen versuchten wir, das Objekt unserer Begierde wieder auf den Rasen zu bringen. Manchmal mussten uns Touristen in den Ruderbooten helfen. Oder auch der Wind.
Die Bildung der Mannschaften verlief immer gleich. Die beiden Besten hießen Wegmann und Wegmann. Bernd, der Ältere, genannt „Fuchs“, und Klaus, der Wendigere, nur einfallslos Klausi genannt. Die beiden Brüder waren immer die Kapitäne. Per Tip-Top, so nannten wir es, wurde gewählt. Aus einer gewissen Entfernung ging man Fuß für Fuß aufeinander zu. Wer als Letztes seinen Fuß in die Lücke stellen konnte, durfte mit der Wahl der Mitspieler im ABBA-Verfahren beginnen. Klar, dass der mit dem kleineren Fuß (also Klaus) Vorteile besaß. Aber das hinterfragten wir nicht.
Die Wegmann-Brüder stritten sich dauernd. Deswegen war es wichtig, dass sie in zwei Teams auseinanderdividiert waren. In EINEM Team – das ging gar nicht. Wichtige Regel bei unserem Spielchen: drei Ecken – ein Elfer. Die schoss oft ich. Und auch gut. Immer unten links. Immer. Sie waren immer so platziert, dass die Torhüter nicht drankamen. Um ein Vorurteil zu bestätigen: Die Dicken kamen zwischen die Trainingsjackenpfosten. Das wollten sie auch oft selbst so. Ersparte die lästige Lauferei.
Das Spiel endete übrigens nicht, wenn ein gewisses Ergebnis erreicht war. Oder wenn die Zeit verstrichen war. Es gab nur zwei Beendigungsszenarien: Entweder lag es am Ball (er war im Teich unerreichbar oder die Blase an der Seite platzte aus der Naht). Oder – und das war meistens der Fall – die Wegmann-Brüder zofften sich und waren unversöhnlich. Der ältere und bulligere Bruder, Bernd, der „Fuchs“, verpasste dem schmächtigen Klausi eine Backpfeife. Und so begann und endete es immer wieder mit den Wegmännern. Und mit unserem Kick.
Im Spiel gaben wir uns alle Namen. Wir waren – bedingt durch die Nähe zu Gelsenkirchen – Klaus Fischer, Tanne Fichtel oder Stan Libuda. Nationalspieler wie Franz Beckenbauer oder Wolfgang Overath kamen nicht vor. Alle, wirklich alle waren Schalke-Fans. Und bei mir kam noch hinzu, dass ich in Gelsenkirchen-Buer geboren worden war.
Mein Jugendzimmer daheim: Als ich 15 war, hing dort ein Poster von der Weltmeisterschaft 1974. Im Partykeller ein lebensgroßer Bravo-Starschnitt von Helmut und Erwin Kremers. Die beiden waren die Sunnyboys jener Zeit. In der RTL-Radiohitparade mit Moderator Jochen Pützenbacher waren sie Nummer eins mit ihrem Hit „Das Mädchen meiner Träume“. Ich weiß nicht, wie viele Postkarten ich nach Luxemburg geschickt habe. Einmal gewann ich dadurch sogar eine Jeans. Zwei Schalke-Fahnen hatte ich im Zimmer stehen. Eine riesige, die die Schwiegermutter meiner Schwester genäht hatte. Und eine kleine, sozusagen eine Fahne „to go“.
Ich, der gebürtige Gelsenkirchener, geboren in der Saison 58/59, als Schalke amtierender Deutscher Meister war: Die ersten fünf Monate meines Lebens war ich Meister. Bis auf viereinhalb Minuten im Mai 2001 sollte dazu nicht mehr Zeit kommen.