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I. Geschichte

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Vergleicht man den sechzehnten Abschnitt des Besonderen Teils (§§ 211 bis 222 StGB) des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 mit den Vorschriften, die aktuell im StGB diesen Platz einnehmen, fallen folgende Veränderungen auf: die §§ 214 und 215 StGB sind weggefallen, § 211 und § 217 StGB haben eine vollkommen veränderte Gestalt (zur Geschichte des § 211 StGB siehe unten Rn. 13 ff.) bzw. einen neuen Gegenstand, § 212, § 213 und § 221 StGB weisen leichte – zum Teil nur redaktionelle – Veränderungen auf. Dies beruht auf folgender Entwicklung: Nach genau 70 Jahren Geltung erfolgte 1941 der erste große Einschnitt in das Normgefüge der §§ 211 ff. StGB. Gestrichen wurden die §§ 214 und 215 StGB.[1] Die bis heute gravierendste Umgestaltung des Strafrechts im Bereich der Tötungsdelikte ist die Neufassung der Mordvorschrift § 211 StGB, die bis dahin lediglich ein einziges spezifisches Kriterium aufwies, die Tötung „mit Überlegung“.[2] Dieses vom französischen Strafrecht inspirierte Prämeditations-Merkmal wurde aufgehoben und ersetzt durch den heute noch geltenden Kanon von Mordmerkmalen. Zudem schleuste die nationalsozialistische Kriminalpolitik mit dem Wort „Mörder“ als Trojanisches Pferd die seit 2013 als Schandfleck wiederentdeckte „Tätertypenlehre“ in den Tatbestand ein.[3] Die schon seit 1871 angedrohte Todesstrafe wurde beibehalten und durch eine Milderungsvorschrift in Absatz 3 ergänzt. Letzterer wurde infolge der Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 GG obsolet und deshalb 1953 ersatzlos aufgehoben.[4] Die wichtige Entscheidung des BVerfG vom 21. Juni 1977[5] veranlasste den Gesetzgeber im Jahr 1981 zur Einführung der vor allem für § 211 StGB relevanten §§ 57a, 57b StGB. Die vorerst letzte Maßnahme des Gesetzgebers, die sich in §§ 211 ff. StGB niederschlug, war das 6. Strafrechtsreformgesetz von 1998. Der schon lange im Raum stehenden Kritik an dem als nicht mehr zeitgemäß erachteten Tatbestand „Kindestötung“ trug der Gesetzgeber durch ersatzlose Streichung des § 217 StGB Rechnung.[6] In § 213 StGB wurde die Strafrahmenuntergrenze auf ein Jahr angehoben und damit zugleich dem speziellen Fall „Tötung eines nichtehelichen Kindes gleich nach der Geburt“ nach dem Wegfall des § 217 StGB ein kompatibler Standort mit Strafniveau unterhalb des „normalen“ Totschlags eingerichtet.[7] Recht erhebliche tatbestandliche Veränderungen erfuhr schließlich das Lebensgefährdungsdelikt „Aussetzung“ in § 221 StGB. Die letzte – hochumstrittene[8] – gesetzgeberische Ergänzung des Lebensschutzstrafrechts war die Einführung der Strafbarkeit des assistierten Suizids in § 217 StGB durch Gesetz vom 3. Dezember 2015.[9] Die wichtigste und deshalb am drängendsten angemahnte Reformaufgabe – die Neugestaltung des § 211 StGB – ist trotz des mit großen Erwartungen verbundenen Vorstoßes von Bundesjustizminister Maas im Jahr 2014 bis heute unerledigt (dazu sogleich Rn. 2).

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